Wovon “ich” rede, wenn ich vom Laufen rede

Ich gebe es zu: der Titel ist geklaut. Oder sagen wir, ich habe ihn entliehen. Entleihen, das ist ein schönes Wort. Es klingt harmlos, wir denken dabei an die Entleihe eines Buches aus der Bibliothek.
Unschuldig, wie damals in der guten alten Zeit, als es noch Bücher und Bibliotheken und keine Downloads oder Ebooks oder Schutzrechtsstreitigkeiten gab.
Die alte Zeit. Fotos in Sepiatönen. Büchereien hatten so manche Mühe, den nicht zurückgegebenen Büchern nachzuforschen. Und wie die manchmal aussahen, wenn sie endlich wieder im Regal standen. Das kann beim Ebook
nicht passieren. Da schmiert keiner Anmerkungen hinein, knickt niemand Eselsohren als Lesezeichen.

Ich entleihe ja kein ganzes Werk, nichtmal ein Faszikel (Anmerkung des Autors: der Begriff ist hier etwas fehl am Platz, aber ich wollte das Wort benutzen. Es ist so ein schönes Wort.). Ich nahm nur einen Titel.
Ich gefährde damit keine politische Karriere, denn weder habe ich eine, noch strebe ich sie an.

Vor allem: ich borge von einem Läufling. Es bleibt alles in der großen Läuflingsfamilie.
“Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede” heisst ein Buch von Haruki Murakami, den ich an dieser Stelle direkt anspreche.

Mein lieber Haruki, vielen Dank, dass ich deinen Titel verwenden darf.
Wir kennen uns zwar nicht, trotzdem duze ich dich, schließlich sind wir beide Läuflinge.

Die Sache wird ein wenig heikel, weil ich das Buch, also das echte Buch mit dem Titel, nicht gelesen habe. Es ist nicht so, dass mir Harukis Schreibweise nicht gefiele, im Gegenteil: jüngst las ich 1Q84, ein wunderbares, ziemlich schräges Werk. Es ergab sich ganz einfach so, dass “Wovon ich rede…..” bislang auf meiner Liste noch zu lesender Bücher steht.

Mit diesem Zustand des Buches lässt sich Futur Zwei erklären: irgendwann werde ich es gelesen haben.
Aktuell, im Hier und Jetzt, befindet es sich im Status des Ungelesenseins.
Eine Besprechung über ein ungelesenes Buch zu verfassen, das wäre ein Novum.

Rezensionen nicht existierender Bücher sind ein alter Hut. Stanislav Lem füllte mit “Die vollkommene Leere” einen ganzen Band. Über diese Sammlung hinaus kann man auch die Besprechung der vollkommenen Leere selbst lesen.

Logiker, Informatiker, Mathematiker dürfen jetzt gemeinsam mit mir darüber grübeln, ob die Bezeichnung “rekursive fiktive Rezension” dafür gerechtfertigt ist.
Seid ihr bereit?
Fünf Minuten stille Kontemplation, im Anschluss diskutieren wir zehn Minuten darüber.

tick….tack…tick…tack…

Fertig! Schön war’s, wir vertagen uns resultatfrei, und heißen die anderen Leser willkommen zurück:
“Vielen Dank, dass Sie gewartet haben”.

Worüber rede ich denn, wenn ich vom Laufen rede?
Hätte ich es gelesen (was wohl?), wüsste ich wenigstens, was Haruki dabei im Kopf herumgeht. Dann könnte ich mich nicht nur beim Titel, sondern auch beim Inhalt bedienen. Das ist Pech.
Vielleicht auch nicht, denn ich beginne, mich zu fragen: wovon rede ich, wenn ich vom Laufen rede? Das erste “ich” im vorigen Satz muss besonders betont gelesen werden. Wovon rede ICH, wenn ich vom….?

Wovon? Vom Genuss frischer Luft? Rede ich von den Momenten, in denen ich nicht tief genug einatmen kann, um den Genuss frischer Luft einzusaugen?
Oder meine ich die Momente, in denen ich mit mir alleine bin? Leidend oder endorphinüberdosiertglücklich, den Körper intensiv oder überhaupt nicht spürend, Sterne funkeln sehend, den Regen spürend?
Dann wieder Geplauder mit anderen Läuflingen aus aller Herren Länder, vereint im Erleben, wieder getrennt durch individuelles Tempo.
Jahreszeiten, Wetter, intensiv gespürt. Flow. Blasen an den Füßen, stolz im heissen Bad. Ermattet im Bett, aufgeregt am Start.

Wovon rede ich? Ach ja, vom Laufen. Darüber könnte man ein Buch schreiben.
Gute Idee, Haruki. Ich werde es lesen.

Couching – das neue Ding mit ing

Power Couching
Power Couching

Couching ist der allerneueste Trend im Sport. Couching, das ist nicht nur irgendein weiteres Ding mit ing, nach Spinning, Jogging, Hiking und wie sie alle heißen. Couching ist hip, es ist der Megatrend, der die Fitnesswelt rockt.

Als professioneller Couching Coach werde ich oft gefragt “was hat es denn mit Couching auf sich”? Aus diesem Grund habe ich mein Wissen zusammengefasst, um einen groben Eindruck dieser faszinierenden Sportart zu geben.

Was ist Couching? Welche Ausrüstung benötigt man dafür? Und wer bietet Couching an?

Wie bei vielen modernen Sportarten ist es schwierig, sie klar zu definieren. Vielleicht stellt man sich Couching am besten als sportliches Benutzen einer Couch vor. Klar: Walking ist nicht gleich Gehen, ebensowenig können wir Couching mit “liegen auf der Couch” gleichsetzen. Aber dazu später mehr, für den Anfang soll uns dies genügen.

Einsteigern empfehle ich, zunächst mit Power Couching zu beginnen. Theoretisch könnte man es zuhause betreiben, ich rate aber dringend davon ab. Das Risiko, dass sich Fehler einschleichen ist einfach zu hoch. Couching ist technisch anspruchsvoll, und so können selbst kleine Fehler in der Ausführung den Grundstein für spätere Sportverletzungen legen. Es liegen schon genügend Sportinvalide zuhause herum, die kaum noch vom Sofa aufstehen.

Für den Laien ist ein Coucher kaum von jemandem zu unterscheiden, der auf dem Sofa herumliegt. Dabei könnte der Unterschied größer nicht sein. Gerade das Couching erfordert jahrelanges Träning der einzelnen Couchingpositionen. Jeder Muskel, jedes Körperteil will gezielt entspannt sein. Und, bevor jemand fragt: ohne Mentalträning geht im Couchingbereich nichts.

Für den Anfang genügt eine handelsübliche Sportcouch, wie sie mittlerweile in den meisten Sportgeschäften erhältlich ist.

Extreme Couching
Extreme Couching

Extreme Couching erfordert dagegen eine bessere Ausrüstung. Competition Couches, wie sie bei Meisterschaften eingesetzt werden, sind auf der Liegefläche mit atmungsaktivem Stoff bezogen, während die Polsterung speziell auf die vom Coucher bevorzugte Lage abgestimmt ist. Nicht von ungefähr arbeiten die meisten Hersteller von Sportcouchen mit den Entwicklern von Fußbetten zusammen. Überdies verfügt eine gute Couch über Halterungen für Gels und Trinkflaschen.

Der wichtigste Unterschied zum Power Couching liegt in Dauer und Intensität des Extreme Couching. Ausdauerwettkämpfe von bis zu 72 Stunden treiben Athleten an ihre physische und psychische Grenze. Am anderen Ende der Skala gelingt es Spitzenathleten in den Sprintdisziplinen, in wenigen Zehntelsekunden bis zur REM-Phase vorzudringen.

Natural Couching
Natural Couching

Das technische Wettrüsten, welches derartige Topleistungen überhaupt erst ermöglicht, ruft seit einiger Zeit Kritiker auf den Plan, die, ganz im Geiste von Rousseau, der im 18. Jahrhundert “zurück zur Natur” gefordert haben soll, ein Umdenken verlangen. Natural Couching, mit minimalistischen Liegestätten, die mit Sackleinen, Jute oder Schilfblättern bezogen sind, werden seit Kurzem auch in Deutschland immer häufiger benutzt, um auf natürliche, ursprüngliche Weise Couchingsport zu betreiben.

Übrigens: auch die Wissenschaft hat Couching als Sportart entdeckt.
Einer Studie der University of Cincinnati zufolge ist Couching, egal in welcher Form, der ideale Ausgleichssport zum Laufen. Sanftes Couching unterstützt die Regeneration in den ersten Tagen nach dem Wettkampf. Die Forscher empfehlen am ersten Tag eine Minute Couching je gelaufener Viertelmeile (400 meter); an jedem weiteren Tag halbiert sich die Zeit für das Couching.
Für einen Marathon bedeutet das Regenerationscouching daher:
erster Tag: 105 Minuten (42 km geteilt durch 400 m)
zweiter Tag: 50 Minuten
dritter Tag: 25 Minuten
usw.
Vor dem Wettkampf ist Couching der Studie zufolge übrigens mit Vorsicht zu genießen. Exzessives Couching kann die Wettkampfleistung erheblich beeinträchtigen. Deshalb sollte es in der Vorbereitungs- und Wettkampfperiode mit Bedacht unter Kontrolle durch einen Träner eingesetzt werden.

Wie lerne ich Couching? Wie gesagt, das Selbststudium ist riskant, deshalb lernt man Couching am besten vom Experten. Leider ist auch Couching nicht von Scharlatanen verschont geblieben. Wenn ich mir ansehe, was im Internet von selbst ernannten Couchinganbietern dargeboten wird, sträuben sich mir die Haare. Die Leute, die dort ihre Technik gelernt haben, finden sich in ein paar Jahren unweigerlich beim Orthopäden wieder.

Sucht euch also unbedingt einen zertifizierten Couching Coach. In meinen Seminaren üben wir zum Beispiel die mentale Vorbereitung, richtige Körperhaltung und die Träningsgestaltung. Ausrüstungskunde, Tipps zu Couching-Reisen und Vereinen runden das zweitägige Grundlagenwochenende ab.
Für Fortgeschrittene veranstalte ich zweimal im Jahr ein Träningslager.

Sprecht mich einfach an, in den Träningspausen liege ich auf der Couch.

fein zerrieben

“Ich laufe”. Beantwortet man die Frage, welchen Sport man treibe, auf diese Weise, so findet man sich unweigerlich als Kretin im gesellschaftlichen Abseits wieder. Der feinsinnige Sportler von heute läuft nicht, er betreibt Crosslauf, Speed Hiking, City-Marathon oder Landschaftsläufe.

Was ist jetzt was?

Um uns im Wirrwarr zurechtzufinden, beginnen wir beim groben Klotz, um ihn zeitgenössisch fein zu zerreiben.

Seitdem die Evolution die aufrechte Fortbewegung einführte, können wir dies entweder ohne Flugphase – auch “Gehen” genannt – oder mit ihr tun, in welchem Falle wir von “Laufen” sprechen.

Im Laufe der Jahrtausende entwickelten sich aus dieser so einfachen und klaren Zweisamkeit eine Unzahl von Stilen, die zu durchschauen selbst Experten schwer fällt. Laien wie wir stehen den Begriffen völlig hilflos gegenüber.

Selbst wenn ich es mir leicht mache, indem ich nur das betrachte, was nach speziellen Klamotten verlangt – Spazierengehen fällt dadurch schon weg – gehen mir beim Thema Gehen rasch die Sinne davon.

“Gehen” ist als Sportart immerhin olümpisch. Ist es das noch? Zumindest war es das recht lange, ob ein Sport bei Olympia ist oder nicht, das ändert sich beinahe minütlich.
Olümpisches Gehen, das schaut für mich immer aus, als würden Hüftkranke auf rohen Eiern herumrollen. Und das in einem Tempo…

Außerhalb des Stadions gibt es “Wandern”, einschließlich der Abkömmlinge Bergwandern, Wattwandern, Wandern durch die Lüneburger Heide. Citywandern? Nein, das haben wir nicht. Noch nicht.
Wandern, das zeichnet sich durch eine gewisse Traditionsverbundenheit aus, ich denke da an den Alpenverein, Kniebundhosen und Edelweiss am Filzhut.

Trägt der Wandersmann statt Fjäll Räven lieber Kleidung eines gewissen Jakobus Wolfsfell (der mit der Tatze), und anstelle eines hölzernen Stockes derer zwei aus Kohlefaser, er entweder einer von mindestens neunundneunzig Prozent aller Zentraleuropäer, oder er ist ein Walker. Möglicherweise gar ein Hiker.
So völlig klar ist mir der Unterschied nicht, beim Hiking hat man, denke ich, mehr Gepäck daben. Wenn überhaupt.

Walking, das bedeutet Gehen im Sportdress. Gewichtsmanschetten an Armen und Beinen macht den Walker zum Power Walker.

Ich entsinne mich eines älteren Pärchens, das im Wald neben einander herging und sich unterhielt. Er in Alltagsklamotten, sie im rosa Sportdress, die Handgelenke mit Handgelenksgewichtsmanschetten betont im Gehrhythmus schwingend.
Sie powerwalkte. Er ging spazieren.

Für Nordic Walking brauchen wir Stöcke. Söcke, Handschuhe, Nordic Walking Schuhe, -Hosen, -Leibchen.
Und wenn wir das einen Tick schneller betreiben, auf leicht unwegsameren Wegen, als es Schotterstraßen sind, wobei wir darauf achten, keinesfalls eine Flugphase einzustreuen, dann, und nur dann, reden wir von Speed Hiking.

Was war Hiking gleich wieder?
Egal, denn jetzt kommt sie. Die Überleitung. Zur Flugphase. Denn: mit Flugphase geht die Evolution einen Schritt weiter, sie nimmt den entscheidenden Schritt zum Nordic Running!

Running ist nicht, auf keinen Fall mit “Jogging” gleichzusetzen. In der Läuferszene kursiert ein wunderschönes Zitat, das uns belehrt: An der Startnummer erkennen wir den Läufer. Läufer darf man übrigens zum Runner sagen. Nicht aber Jogger.
Ich erinnere mich an meine jungen Jahre, in denen ich, unbeleckt von den Feinheiten sportlicher Fortbewegung, regelmäßig zum Jogging aufbrach. Ich korrigierte meinen Vater, der sich erkundigte, ob ich denn wieder einen Waldlauf machen würde, entrüstet: “Nein, ich gehe Joggen”.

Ich gebe zu, dass ich im Wald joggte.

Wo ich, wenn ich fremd war, bisweilen die Orientierung verlor. Hätte ich mich Orientierungsläufer nennen dürfen? Oder nur dann, nachdem ich mich über den rechten Weg, von dem ich abgekommen war, orientiert hatte? Vermutlich nicht.

Die Orientierung im Land des Gehens und Laufens, Walkens und Hikens, des Wanderns und des Rennens wird übrigens nicht einfacher, wenn man sich an der Distanz orientiert. Für einen klassischen Leichtathleten sind zehn Kilometer eindeutig Langstrecke. Ultraläufer haken bei “Ich laufe Langstrecke” nach: “…hundert Kilometer? 24 Stunden? Multi-Days?”.

Hilft uns das Geläuf? Trails, Bergläufe und Crosslauf, das ähnelt sich, nicht wahr?
Mir scheint, Crossläufe sind tendenziell eher kurz und schlammig. Oder täuschen die Fotos im Internet? Und wie nenne ich diese Wettbewerbe mit Hindernissen? Tough Guy? Strongman Run? Sind das Markennamen?
Ich weiss nicht recht. Immer dann, wenn ich glaube, ich hätte einen Begriff zu fassen gekriegt, glitscht er mir aus der Hand wie ein Fisch.

In meiner Verwirrung wende ich mich Trails zu. Bin ja schon ein paar gelaufen. Es muss doch möglich sein, wenigstens hier eine eindeutige Grenze zu ziehen. Rauf und runter, schmale Wege, holprig, schlammig, felsig. Nicht unwegsam, eher wenig wegsam.

Klarer Fall eigentlich. Dann stolperte ich über “Fell Running”. Die Engländer tun das. Nicht auf der Jagd nach Bekleidung, sondern Berge hinauf und hinunter. “Fell”, so nennt man die Berge im Norden Englands (ich schätze, auch die im Süden Schottlands. Und wie ist das in Wales?). Darf ich Fell Running als Untermenge von Trail Running ansehen? Ich sehe schon die Fell Runner, wie sie ihre Schuhe als Wurfgeschosse bereitlegen, während Trailläufer unter Protestgeschrei ihre Stöcke drohend erheben.
Schon gut, ich habe verstanden. Fell Running ist nicht Trail Running.

Aber es gibt sie, die Oase der Ruhe. Parcour. Man folgt den Prinzipien von Georges Hébert, um eine gegebene Route mit Hindernissen so effizient wie möglich zu überwinden.

Nein. Keine Oase, und schon gar keine Ruhe.

Weil es nämlich allzu nett ist, zur Freude des Publikums ab und an mehr Akrobatik einzusetzen als nötig, haben sich, wer hätte es gedacht, zwei Schulen entwickelt. Die reine Lehre, und die mehr auf Show ausgerichtete Variante. Letztere überschneidet sich ihrerseits irgendwie mit Freerunning.

Ich blicke nicht durch, mir schwirrt der Kopf.
Am besten, ich mache einen Waldlauf.

Zurück zur Naturnahrung

Power Pellets
Riegel der Zukunft?

Wer würde beim Kauf eines Nahrungsmittels ernsthaft erwarten, dass das drin ist, was draufsteht?
Erdbeeren in Erdbeerjoghurt? Was für ein abwegiger Gedanke.
Während der Normalverbraucher bei jeder neuen Enthüllung noch aufschreckt,
haben wir Läuflinge unsere Erwartungen in Bezug auf “Essen” längst an die Realität angepasst. Ein Gel ist Pampe mit Geschmacksaromen. Und ein Riegel…

Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Sportriegel, die ich zu mir nehme, nicht von ungefähr an Sägemehl erinnern.
Aussehen und Konsistenz, selbst die Feinheit der Brösel, alles deutet auf Holzmehl. Bis auf den Geschmack. Das kennen wir schon von den Gels.

Halte ich es für gut, wenn meine Nährstoffzufuhr aus Holz besteht? Muss ich mich echauffieren?

Ehrlich gesagt, mir gefällt die Vorstellung, ein Stück Wald zu essen.
Bei Holzmehl kann ich mich darauf verlassen, dass es frei von Pferdefleisch ist. Es schimmelt nicht, es muss nicht mit Antibiotika versorgt werden. Und wer hätte sich jemals über Massenbaumhaltung beklagt?

Dennoch finde ich es angebracht, wenn ich meine eigene Meinung kritisch hinterfrage.

Bieten sich Hintertürchen, durch die ich als überzeugter Holzriegel genießender Sportler hintergangen werden könnte?
Wodurch könnte ich zum Opfer übersteigerter Kostensenkung werden?

Theoretisch steht der Riegel verzehrende Läufling, was das Ausgangsmaterial angeht, im Wettbewerb zu modernen Pelletheizungen. Aus meinen Riegeln ließen sich Pellets herstellen, und umgekehrt.

Wie würden Pellets schmecken? Ich habe sie noch nicht probiert, kann mir aber vorstellen, dass sie eine natürlichere Geschmacksnote als Riegel haben. Es wird kaum ein Hausbesitzer Wert darauf legen, Pellets mit Ananas-Orange Aroma zu verheizen.

Außerdem sind Riegel etwas weicher, Pellets dagegen sehr al dente. Was nichts bedeuten muss, denn ich rechne fest damit, dass beide Märkte zusammenwachsen. Uns Sportlern bietet man dann Pellets als Knusperriegel an. Auf der Packung steht: “Powerpellets sind besonders bekömmlich, wenn man sie vor dem Zerkauen einige Stunden im Mund einspeichelt”. Ultraläufer legen ihre Powerpellets gleich beim Start ein, Marathonis schieben sie am Abend vor dem Lauf in die Backentaschen.

Ach, wäre es doch so einfach.

Denn früher oder später werden wir von verunreinigten Powerpellets erfahren.
Alte Ikea-Regale aus Kiefer wurde mit der beworbenen Eiche vermengt. Der Premium-Powerriegel aus besonders nährstoffreichem Teakholz ist in Wahrheit aus Kunststoffresten, und das, was man uns als Light-Riegel aus Balsaholz andreht, wurde längst durch ein Weißbrot-Gips-Gemisch ersetzt.

Was bleibt übrig, als die Konsequenzen zu ziehen. Naturnahe Sportlerernährung direkt vom Erzeuger. Wir beißen ins Gras. Das wächst schließlich an der Strecke.

Läuflings Randgruppenparkplatz

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Läuflings Randgruppenparkplatz

Liebe Läuflinge! Ihr, die ihr das ew’ge Leiden kennt, die unsäglichen Qualen, unser Jammertal, das wir durchqueren. Ihr versteht mich; wisst, was ich meine?

Nicht? Ach richtig, ich habe noch nicht gesagt, wovon ich rede.

Kennt ihr die Schmerzen nach einem langen Wettkampf? Ganzkörperschmerzen. Es gibt sie nicht alleine, sondern im Doppelpack mit einer Beweglichkeit, über die selbst ein Neunzigjähriger lachen müsste.
Anderswo braucht man Alterssimulationsanzüge, wir machen’s billiger. Lang genug laufen, um ein paar Jahrzehnte zu altern.

Jetzt sehe ich euch verständnisvoll nicken. Ja, ihr kennt das.

Wenn wir besonders viel Glück haben, dürfen wir vor Publikum einem Auto entsteigen. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Promis gemein, die anlässlich der Oskarverleihung den Fond des schweren Wagens verlassen. Ein Lakai steht am geöffneten Schlag bereit, reicht charmant den Arm zur Unterstützung. Dann stolziert man lächelnd den roten Teppich entlang.

Schaffen wir nicht.
Nicht in dieser Situation.
Nichtmal, wenn ein roter Teppich vor uns läge.
Statt Schauspieler zu sein, bieten wir ein Schauspiel dar, das hart am Rand der Menschenwürde balanciert. Nur: wir spielen nicht.

Die Kür des Aussteigens zeigt sich an Autobahnraststätten. Ein freier Parkplatz findet sich gefühlte dreihundert Meter vom Klo entfernt. Der Weg dahin zieht sich elend in die Länge, wenn man auf steifen Beinen humpelt. Das Sahnehäubchen bilden wunde Füße mit fortgeschrittener Blasenbildung. So ein blutbefleckter Gehsteig macht sich recht hübsch.

Im Klo leert der gepflegte Rentner neben uns seine inkontinenzgestählte Blase (nicht die an den Füßen), während wir mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Rückweg denken. Frauen, habe ich mir sagen lassen, haben es noch schwerer: die müssen sich entweder setzen, oder eine Schwebehaltung einnehmen. Die Entscheidung fällt zwischen überwundenem Ekel und ertragenem Schmerz, ein echtes Dilemma.

Nachdem wir uns Erleichterung verschafft haben, humpeln wir den weiten, nicht enden wollenden Weg zum Auto zurück. Mitleidigen Blicken schutzlos ausgeliefert. Man spürt sie förmlich, die Gedanken der Zuschauer. “Herrje, was haben diese armen Leute denn? Sie sehen doch recht gesund aus….”.

Vor ein paar Jahren, ich befand mich auf dem Rückweg von einem 24-Stundenlauf (global gesehen: nach Hause) und dem Klohäuschen eines Autobahnparkplatzes (situativ: zum Auto), näherte sich mir eine ältere Dame: “Kann ich Ihnen beim Einsteigen helfen?”.

Salz in meine Wunden.

Ein Spießrutenlauf, wobei die Spieße aus Mitleid und die Ruten aus Häme bestehen. Lauf? Schön wär’s.

Wann endlich erbarmt man sich unser? Jede Randgrupe kriegt eigene Parkplätze! Zuerst kommen Rollstühle, dann Familien mit Kindern, gefolgt vom schöneren, und deshalb besonders schutzbedürftigen, Geschlecht. Und wir?

Freilich, unser Schicksal ist selbst gewählt. Deswegen begehren wir lediglich einen einzigen für uns reservierten Parkplatz. Nahe am Klo. “Reserviert für leidende Läuflinge”. Alternativ schreiten wir zur Selbsthilfe mit einen großen Plakat, auf dem steht “ich bin hundertfuffzich Kilometer gerannt und gehe immer noch aufrecht”. Wenn wir schon leiden, darf man uns auch dafür bewundern.

Ich bin so schwach. Wer trägt mein Plakat?