Herbstliches Frühlingsgefühl

Kürzlich erwachte ich früh genug, um eine Runde zu drehen, bevor ich mich ins Büro aufmachte. Bereits der Blick aus dem Fenster machte meine Beine vorfreudig zucken: Morgensonne. Herbst. Herrlich.

Kürzlich erwachte ich früh genug, um eine Runde zu drehen, bevor ich mich ins Büro aufmachte. Bereits der Blick aus dem Fenster machte meine Beine vorfreudig zucken: Morgensonne. Herbst. Herrlich.

Die ganze Zeit war es recht warm gewesen, also sprang ich in eine kurze Tight, bevor ich in der Hoffnung auf kühle Temperatur ein langes Leibchen über das T-Shirt warf.

Ich wurde nicht enttäuscht.

Wie mich ein späterer Blick auf das Thermometer belehrte, erwarteten mich vollzählig angetretene zwölf Grade. Also genau richtig für mich.

Angenehme Kühle umhauchte meine unbedeckten Waden. Unbedeckt? Ich meine mich zu erinnern, dass der andernorts verwandte Fachbegriff hierfür „nackisch“ heißt.

Zwölf Grad, Sonne, nackische Waden.

Das Traumpaar des Jahres, diesmal in Gestalt eines flotten Dreiers.

Lächelnd, das Herz ebenso leicht wie meine Schritte, lenkte ich dieselben gen Ortsrand. Das Gras trug ein kleidsames Kleid aus Tautropfen, die in der Sonne funkelten.
Ich sinniere, ob sie eine poetische Seele nach dem griechischen Buchstaben benannte? Welch ein Glück für die Tropfen, man würde auch Alphatropfen, Gammatropfen oder Omykrontropfen sagen können.
Welch ein Unfug, schalt ich mich grinsend, und versprach mir, gleich nach der Rückkehr ein etymologisches Wörterbuch zu Rate zu ziehen. Denn das griechische Alphabet wird kaum Pate gestanden haben – wie kamen Tautropfen dann zu ihrem Namen? Klar, der Taupunkt. Das Tauen. Woher aber kommt das wiederum?

Ein Blick nach links lies mich diese meine Gedanken unterbrechen. Meine Aufmerksamkeit wurde vom Morgennebel eingefangen, der sich in den Senken gebildet hatte. Beinahe schmerzhaft erfüllte die Landschaft das „Herbstlandschaft“ Klischee. Es gibt ja massenweise Zeitschriften, die irgendwas mit „Land“ im Titel tragen. Über das Landleben als Aufhänger beschwören sie die Vorstellung einer guten alten Zeit, in der sowieso alles besser war. Wetten, dass in den Oktoberausgaben Fotos mit Morgennebel zu finden sind? Im Hintergrund ein bäuerliches Anwesen mit warm erleuchteten Fenstern.

Und Holz. Holz ist wichtig. Holz vor der Hütt’n.

Nicht bei der Dame des Hauses, sondern beim Haus selbst.

Holz transportiert Wärme, genauso wie es Kastanien, Kürbisse und die Farben des bunter werdenden Laubs tun. Um die Dekoration kümmert sich die Dame, nachdem sie vom Artikel „die schönsten Deko-Ideen für den Herbst“ inspiriert wurde. Der zugehörige Herr hat in der Zwischenzeit für eine glaubhafte Menge Holz vor der im Foto abgebildeten Hütt’n gesorgt.

So will es das Klischee.

Auf meiner Runde findet sich weder Hütt’n mit Holz davor, noch eine entsprechend ausstaffierte Dame.

Schön ist es allemal.

Ich freue mich schon auf November, denn im Moment ist das Laub noch ziemlich grün. Noch ein paar Wochen, und es herrschen wärmere Farben vor: rotbraun, gelb, orange.

Herbst eben.

Herr Bst.

Wo, frage ich mich, hat er eigentlich seine Frau gelassen? Frau Bst. So wie Frau und Herkules. Oder das Ehepaar Lich? Regt sich denn keiner der Genderbewegten über sowas auf? Hoch- und Tiefdruckgebiete sind vollverquotet, auch Stürme tragen Männernamen. Mit Ursel haben wir eine Kriegsministerin, die mehr Eier in der Hose zu haben scheint als mancher Vorgänger. Da muss man sich fragen: sind das ihre eigenen? Oder handelt es sich auch um eine Trophäensammlung?

Wir könnten doch wirklich eine Monats- und Jahreszeitenquote einführen.

Im Wechsel.

Dann gäbe es mal Herbst und Fraubst. Im Jahr nach dem männlichen August gäbe es Auguste, welchselbige auf die heiße Julia folgt.

„Bloß nicht aufschreiben, solche Gedanken! Am Ende greift es noch jemand auf, und es wird weitergequotet.“ Ermahne ich mich, bevor ich meine Füßinnen gen Heimat richte.

Leicht verschwitzt (das lange Top trug ich gerade mal zehn Minuten, bevor ich es um die Hüften schlang) schleudere ich die Schuhe von den Füßen und hechte dem Bücherregal entgegen: der Tau gehört zum selben Wortstamm wie Dunst – und hängt darüber mit Rauch, Staub etc. zusammen.

Ahnte ich es doch.

Herrrrlicher Herrrrrbstlauf. Weckt Laune, Lust und Lebensgeister.

Frühlingsgefühle.

Sag‘ ich doch.

Wege des Läuflings

Wo der Läufling seiner Neigung nachgeht, tut dies naturgemäß auf einem Weg. Wundert es, wenn er zu diesem ein besonders enges Verhältnis pflegt?

Wo der Läufling seiner Neigung nachgeht, tut dies naturgemäß auf einem Weg. Wundert es, wenn er zu diesem ein besonders enges Verhältnis pflegt?
Ist doch bereits mit dem Bewegungsdrang der Grundstein hierfür gelegt. Kaum aus dem Haus getreten, bewegt ein Läufling sich auf dem Weg, der sich ihm zur gefälligen Nutzung darbietet.

Flugs schreitet er aus, genießt Natur, Strecke und die frische Luft. Es bedarf keiner Wegwarte am Wegesrand für romantische Stimmung. Und in Puncto Gesundheit macht dem Läufling so schnell niemand etwas vor, er weiß sich auf einem guten Weg. In dieser Einschätzung stimmt er mit zahlreichen Politikern überein, welche diesen Ausdruck für jedwede Katastrophe gebrauchen, so dass er folgenden Gedanken auslöst:

Au Backe. Getan hat sich nichts, eher kommt’s schlimmer.

Anders der Läufling. Auf dem guten Weg springt er selbst dann voran, wenn der Weg selbst kein allzu guter ist. Trailläufer suchen nachgerade jene Wege, die in unschuldiger Tugendhaftigkeit von kaum eines Menschen Fuß betreten in der Gegend umherliegen.

Ist der Weg dann ganz weg, tritt des Sportlers mentale Kraft in Kraft, denn wo ein Wille ist, ist ein Weg nur ein kleines Stück des Weges entfernt. Trail- und Landschaftsläufer beschleicht in solcher Lage ein leiser Zweifel ob der Richtigkeis des gegangenen Weges beschleicht. Hat man gar einen Wegweiser übersehen, der unlängst den Weg wies? Oder weist ein neuer Pfeil hinter der Wiese beruhigend in die richtige Richtung?

Orientierungsläufer, Mountain Marathonis und Fell Runner haben diese Unsicherheit längst hinter sich gelassen. Sie brauchen keinen vorbereiteten Weg, sondern bereiten ihn mit Willenskraft alleine. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade. Von dieser Logik weicht man nur ab, wenn ein Umweg einen schnelleren Weg bedeutet.

Ein Läufling geht seinen Weg. Das tut er mit derselben Hingabe und genauso ehrenhaft, wie Yamamoto es in Hagakure – der Weg des Samurai beschrieb: Sei darum voll entschlossen, diese Ziele zu erreichen, ohne im mindesten zu schwanken(…)

Allen Läuflingen ist übrigens der Umstand gemein, dass sie nur ungern vom rechten Weg abweichen. Darin ähneln sie nur scheinbar den Rechten, denn für diese ist der Rechte Weg der rechte Weg, ganz anders als bei den Linken, deren rechter Weg in die entgegengesetzte Richtung weist. Eigentlich müssten sie sich entgegen kommen. Ein Entgegenkommen, welches wiederum zu einem netten Plausch zwischen Andersdenkenden führen sollte, würde man mit einander sprechen wollen. Aber es sagten bereits die Ramones: Third rule is: Don’t talk to commies. Das sich von links nähernde Pendant weiß um eine entsprechende Regel, die es zu befolgen gilt.

Dem gemeinen Läufling ist derlei politischer Kindergarten wurscht. Gütig-routiniert reagiert er allenfalls, wenn sich ein Unläufling mit der Frage in den Weg stellt:

Wovor läufst du eigentlich weg?

Ich gehe dieser Frage an dieser Stelle aus dem Weg. Stattdessen besinne ich mich der Existenz von Nonstopläufen, welche dem Läufling ob ihrer Dauer Zwangspausen aufnötigen. Manch‘ Teilnehmer wird einen Schlafrhythmus wählen, der ihn am Wege lagern lässt.

Da kann der Gratulant beim Wegen…äh…Wiegenfeste noch so laut von „Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen“ trällern, früher oder später sind die Kräfte ebenso schnell weg, wie der Leib einem erquicklichen Schlummer entgegendämmert.

Ich für meinen Teil sehe mich für heute am Ende des Weges angekommen, und begebe mich nach alter Indianertradition in meinen Wegwam.

Virtuelle Winter-Vision

Eiskalter Wind treibt mir Schneeflocken ins Gesicht während ich von einer heißen Dusche träume. Zum Glück habe ich die extra warmen Klamotten angezogen….

Eiskalter Wind treibt mir Schneeflocken ins Gesicht während ich von einer heißen Dusche träume. Zum Glück habe ich die extra warmen Klamotten angezogen.

Nein, ich bin nicht verrückt geworden. Ebensowenig, wie ich mal eben ein Wochenende in den Anden zubrachte. Es ist vielmehr so, dass meine Phantasie dazu neigt, sich winterliche Bedingungen umso intensiver auszumalen, je länger die drückende Schwüle anhält.

Hitzeläufer, der ich nicht bin (muss ich das überhaupt noch ansprechen?), sehe ich meinen Leib als durchaus fähig, sich klimatischen Bedingungen anzupassen. Freilich geht das. Ich rede mir schließlich seit zwei Monaten ein, dass mir als Angehörigem der Spezies Mensch so etwas wie Hitzeakklimatisation möglich ist. Zudem bin ich sicher, dass dieser Prozess längst im Gange ist, darin vertraue ich ganz auf die Biologie. Mein Leib macht das schon.

Selbst in der Rheinebene.

Sie ist, für alle, die am Meer, im Gebirge oder irgendwo außerhalb dieses geologischen Faszinosums wohnen dürfen, immer ein wenig heißer und noch schwüler. Die Luft steht. Oder was ich hier einatme. Mangels eines besseren Begriffs nenne ich das inhalierte Gas eben Luft.
Sofern die chemische Zusammensetzung der von Luft entspricht, plädiere ich dafür, einen weiteren Aggregatszustand zu definieren: fest, flüssig, gasförmig – und rheinebenenhaft. Werte Physiker, waltet bitte eures Amtes.

Mein Organismus, und das ist die gute Nachricht, kann das Zeug verarbeiten. Ich schließe dies aus der Tatsache, dass ich auch nach mehreren Wochen noch nicht erstickt bin.

Ich lebe noch.

Ich bin.

Also denke ich.

Zum Beispiel, dass es vollkommen ausgereicht hätte, Anfang Juni eine Dusche zu nehmen. Die nächste erst wieder im September, jenem Monat, der hoffentlich ein wenig kühlere Luft bringt.

Gewitter sollen, wie man hört, ebenfalls für Erfrischung sorgen. Sie kündigen sich meist durch heftige Schwüle im Tagesverlauf an, des Abends knallt es dann. Schön wär’s ja. Ich erlebe Schwüle, im günstigen Fall dräuende Wolken, Hoffnung auf mehr machend – darin erschöpft sich der klimatische Ehrgeiz unseres Wetters. Kein Gewitter. Ich bin versucht, vom Coitus Interruptus zu schreiben, nur findet kein Koitus statt, der abgebrochen werden könnte. Es kommt nichtmal zum Vorspiel.

Vor ein paar Tagen hatte es tatsächlich geregnet. Erfrischung? Von wegen. Der Regen diente dazu, die Luftfeuchtigkeit noch etwas heraufzusetzen. Baden war wieder mal angesagt. Baden im eigenen Schweiß. Ohne Anstrengung, atmen genügte vollkommen.

Kein Wunder, wenn ich von Kälte, Schnee, Regen und Wind sinniere. Auf Youtube betrachte ich Filme, die den Überlebenskampf in kalten Regionen zum Thema haben. Schnee, Eis, Arktis, Alaska, Schottland im Winter. Feuerland hingegen meide ich, des allzu heiß klingenden Namens wegen. Während das angedeutete, doch ausbleibende Gewitter das Verlangen erregt ohne es zu erfüllen, holt sich der schmachtende Mensch beinah pornographische Befriedigung aus dem Internet.

Gleichermaßen fiebrige Erregung überkommt mich bei der Wahl meiner Bettlektüre. Viele Geschichten Jack Londons spielen in Alaska, echten Hardcore-Genuss bot mir neulich David Laskins Schilderung des Schoolhouse Blizzard, der im Jahre 1888 über die Great Plains zog.

Zum Ausgleich recherchiere ich nach allen möglichen Kleidungsstücken und Accessoires. Mag die BDSM-Szene sich an Peitschen ergötzen, mein Fetisch sind Balaclavas aus Merino, superleichte Daunenjacken, Leibchen aus Yakwolle und traumhaft warme Handschuhe. All das umhüllt von wasserfesten, winddichten Zusatzschichten. Gerne sinniere ich über die passende Kleidung für danach, wenn ich mich nach dem Lauf am Parkplatz entblättere, um mich für das Gespräch mit Lauffreunden und die anschließende Heimfahrt in warmtrockene Flauschigkeit zu hüllen.

Ein orgiastischer Schauder lässt mich beim Schreiben dieser Zeilen erbeben.

Hält nicht lange an, ich befinde mich wieder auf dem Boden der Tatsachen.

Wie wird das Wetter morgen?

Nach anfänglicher Dunkelheit leicht bewölkt, später sonnig. Im weiteren Tagesverlauf heiter bis lustig, in der Rheinebene bisweilen lächerlich.

Na dann.

Alternatives Alternativträning

Viele wollen es, wenige tun’s: einfach mal was anderes. Die Rede ist vom Ausgleichssport. Wenn man schon mal die Sportklamotten am Leib hat, kann man schließlich gleich richtig …. eben nicht im Alltagssporttrott weitermachen! Zum Glück kennt das Lauferei einen Ausweg. Die Alternative zum Alternativträning.

Viele wollen es, wenige tun’s: einfach mal was anderes. Die Rede ist vom Ausgleichssport. Wenn man schon mal die Sportklamotten am Leib hat, kann man schließlich gleich richtig …. eben nicht im Alltagssporttrott weitermachen! Zum Glück kennt das Lauferei einen Ausweg.

Alternatives Alternativträning heißt die bis heute hochgeheime Zauberformel. Der geheimste Geheimtipp, mit dessen unheimlicher Entheimlichung alle anderen Geheimtipps heimgehen können.

Ich präsentiere: Staubsauging.

Ganz recht. Staubsauging. Arbeiten mit dem Staubsauger.

Wir alle kennen schließlich das Problem, welches durch das Bedürfnis ausgelöst wird, eine dauerhaft reinliche Behausung zu bewohnen. Ob und wann Maßnahmen ergriffen werden müssen – Staubsaugen, dafür hat ein jeder seine eigene Methode.

Ich für meinen Teil bezog meine Inspiration von Berichten über Kanarienvögel, die zu früheren Zeiten in Bergwerken als Gaswarner dienten. Zuviel Kohlenmonoxid, und der Piepmatz fiel von der Stange. Zeit, die Zeche zu lüften.

Mein Indikator für notwendige Saugarbeiten sind Wollmäuse. Eine faszinierende Spezies, die sich unheimlich schnell und wie aus dem Nichts heraus vermehrt: Kaum habe ich ein paar Monate nicht geputzt, bevölkern sie die Wohnung.

Dann ist es Zeit, der Wollmauspopulation den Garaus zu machen.

Dann ist Zeit für Staubsauging.

Staubsauging unterscheidet sich vom Staubsaugen in erster Linie durch die innere Haltung. Staubsaugen ist Putzen, Staubsauging ist Sport. Ausgleichssport. In jedweder Hinsicht mindestens genauso herausfordernd wie Laufen, und vielleicht gerade deshalb eine ideale Ergänzung.

Weshalb?

Beginnen wir mit den rein körperlichen Belastungen, die auf den Körper einwirken. Der typische Staubsauger ist schwer. Schwer genug, um bereits beim Tragen, mehr noch beim Hinterherziehen einen Belastungsreiz für die Rumpfmuskulatur zu setzen. Ein Reiz, der jedes Mal, wenn das Gerät sich mal wieder an irgendeiner Ecke verfangen hat, aufs Neue auftritt. Die zufällige Folge der Hemmungen, noch dazu die unterschiedlichen Winkel, in denen das sogenannte Freiziehen erfolgen muss, vermeiden einseitiges Träning.

Obendrein entspricht die dem Sauger entströmende Abluft in etwa dem, was der typische Stahlkocher zu inhalieren gewzungen war. Im 19. Jahrhundert. Vor der Erfindung von Schutzanzügen und Filtern. Abluft? Abgas wäre zutreffender.
Heiß, übelriechend, trocken. Viertelstündlich gelingt es einem einzelnen Luftmolekül, sich zusammen mit dem Miasmenstrom durch die Höllenmaschine zu mogeln. Der saugende Sportler schnappt danach (von dieser Handlung leitet sich der Begriff Schnappatmung ab), ist glücklich und bleibt am Leben.
Wer regelmäßig saugt, dem wird weder die heiße Luft der Sahara, noch die dünne Atmosphäre im Gebirge etwas anhaben können.

Wären nur die physischen Träningseffekte, ich könnte mein Plädoyer für Staubsauging an dieser Stelle beenden, müsste mir jedoch den Einwand gefallen lassen, ich hätte die wichtigsten Punkte verschwiegen. Ein Vorwurf, der mich vollkommen berechtigt träfe.

Denn der wahre Nutzen von Staubsauging liegt in seiner Wirkung auf des Läuflings Psyche.

Staubsauging ist in erster Linie mentales Träning.

Bereits das Geräusch könnte psychisch instabile Menschen durch Tonlage und Lautstärke in wenigen Minuten in den Wahnsinn treiben. Läuflinge bringen dagegen von Haus aus eine robuste, ausgeglichene Persönlichkeit mit, die sie in die Lage versetzt, auch größere Wohneinheiten ohne bleibende Schäden zu reinigen. Vor zehn Jahren stand zu lesen, Kreuzfahrtschiffe würden sich mit Lärmkanonen als nicht-tödliche Waffen gegen Piratenangriffe wappnen. Leute, rufe ich ihnen zu, ihr braucht die Dinger nicht erfinden. Stellt ein paar Staubsauger an Deck auf. Das genügt, um hoffnungsvolle Piraten zurück ins Meer und in den Wahnsinn zu treiben.
Mit solchen nicht-tödlichen Waffen machen Millionen Menschen ihre Wohnung sauber.

Am stärksten ist der positive Einfluss von Staubsauging allerdings auf das Durchhaltevermögen. Auf Hartnäckigkeit. Langmut. Geduld. Demut.
Staubsauging befähigt den praktizierenden Staubsauger (womit der Sportler gemeint ist, nicht das Gerät), in Situationen ruhig und gelassen zu bleiben, in denen ein Dalai Lama, nach dem dritten Tobsuchtsanfall, mit blutunterlaufenen Augen die zu Krallen gebogenen Finger mit hasserfülltem Blick fixiert. Wer im Staubsaugeträning steht, lächelt entspannt während er sich über hektische Yogis wundert, die sich über jede Kleinigkeit aufregen.

Hindernisse lassen sich weglächeln.

Denn der Staubsauger als Träningspartner ist ein Hindernis. Und wenn er selbst keines zu sein vermag, findet er eines, an dem er sich festhaken kann. Wer dann kräftig am Schlauch zieht, hat bereits verloren.

Wenn du etwas verstärken willst, musst du es bekämpfen. Wer diesen Satz prägte, kennt das Staubsaugen.

Der Staubsauger ist der Esel des einunzwanzigsten Jahrhunderts: störrisch, unwillig, stur. Und nichtmal mit roher Gewalt zu seiner originären Aufgabe, seinem Wesenszweck zu bewegen. Nein, bevor hier friedvolle Lösungswege propagiert werden: er lässt sich auch nicht mit Liebe zu irgendetwas bringen. Ein Staubsauger kann zum Arbeiten weder gezwungen, noch geliebt werden. Auch nicht geduldet.

Inoffiziell kann ich bestätigen: Des Dalai Lamas Anfall ist authentisch. Er geschah, als er bei einem meiner Seminare staubsaugte. Glaubt etwa jemand, ich sauge mir das aus den Fingern? Eben.

Wer Staubsauging betreibt, ist mental stark genug für jeden Ultramarathon.
Er lächelt Wüsten nass und Flüsse trocken. Berge legen sich vor ihm in den Staub. Denn er weiß: nichts kann so schlimm sein wie Staubsaugen.

Wenn, was ich hoffe, künftig akkubetriebene Sauggeräte auf den Markt kommen, werden damit Träningseinheiten auf den angestammten Laufstrecken möglich. Neben dem grandiosen Träningseffekt hat diese Option einen weiteren Vorteil: die Wälder werden sauber.

adjektivlos

Sprache ist eine wunderbare Erfindung. Mit ihrer Hilfe können wir Dinge und Sachverhalte leidlich präzise beschreiben – oder uns darüber klar werden, dass wir uns Klarheit nur einbilden.

In jungen Jahren schon lernen wir, Adjektive zu benutzen, um was auch immer näher zu beschreiben. Wir nannten sie damals noch Wie-Worte, selbst in Bayern, wo eigentlich Hä-Wort der passendere Ausdruck wäre. Ich für meinen Teil beherrschte nicht nur Wie, sondern vor allem Wider-Worte. Das gehört aber nicht hierher.

Adjektive, so weiß zum Beispiel Wikipedia, beschreiben also die Beschaffenheit oder eine Beziehung eines (konkreten) Dinges, einer (abstrakten) Sache, eines Vorganges oder Zustandes usw.

Klingt nicht schlecht, aber: Ist der Umgang mit Adjektiven wirklich so eindeutig?

Warum lassen uns dann viele Formulierungen stutzig werden – je nach Laune und Sachlage grinsen, kichern, uns am Kopf kratzen oder denselben unverständig schütteln?

Da dürfen wir von jemandem lesen, er sei brutal zusammengeschlagen worden. Im Ernst? Brutal?
Gehört Brutalität nicht zum Zusammenschlagen dazu?
Gibt es die Alternative, jemanden zärtlich zu verprügeln? Und wenn ja: warum berichten Nachrichten nur über die brutale Variante?
Wenn diese Form sanfter Gewalt existierte – und nur dann! – wäre das Adjektiv „brutal“ gerechtfertigt. Dann will ich aber auch Schlagzeilen lesen wie „… wurde von sechs Personen zärtlich vermöbelt.“
Sonst bitte ohne Adjektiv. Zusammenschlagen ist brutal genug.

Eher harmlos, wenngleich nicht weniger absurd ist die Bezeichnung riesiger LKW, wenn damit ein stinknormaler Lastwagen gemeint ist, wie sie zu Zehntausenden unterwegs sind. Um vierzig Tonnen, zweieinhalb Meter breit, vier hoch und mit Anhänger knapp unter zwanzig Meter lang. Riesige LKW findet man im Bergbau.

Das ist aber nichts gegen jenes Gebrüll, welches vor einigen Jahren an mein Ohr drang: Ich schlag‘ dich krankenhausreif rief’s mit sich überschlagender Stimme. Nun legt eine solche Formulierung nicht nur einen Hang zur Gewalt nahe, nein, daneben dürfen wir dem Sprecher – dem Brüller – unterstellen, er verfüge über hinreichend medizinische Kenntnisse, um den angestrebten Zustand zu erreichen. Mit krankenhausreif ist ja wohl ein stationärer Aufenthalt gemeint. Und das setzt nicht nur das Wissen voraus, welche Verletzungen im konkreten Fall herbeizuführen sind, sondern auch virtuose Kontrolle über das Handwerkszeug zum handgreiflich Werden.

Außerdem: Selbst im Zustand höchster Erregung noch soviel Besonnenheit zu haben, dass die verfügbaren Mittel präzise dosiert werden, finde ich bewundernswert.
Rutscht die Hand zu wenig aus, reicht es vielleicht nur für eine ambulante Behandlung. Und zuviel des Handgemeinen….

Mich dünkt indes, der Brüller wollte keineswegs ausdrücken, er wolle durch gezielten Einsatz körperlicher Gewalt den Gesundheitszustand seines Gegenübers auf ein Niveau bringen, welches stationäre Behandlung erfordert.
Folglich ein falsch verwandtes Adjektiv.

Vielleicht hätte man ihn darauf hinweisen müssen.

Zweifelhaft benutzte Adjektive sind eine Sache.

Unsinnige eine andere. Unsinnig nenne ich ein Wie-Wort dann, wenn es aus einer anderen Welt stammt, als das Substantiv, mit dem es einhergeht. So als würde man einen Stecker an die Wasserleitung anschließen.
Will ich politisch werden? Ja. Nein.
Zum Beispiel ein hygienischer Politiker. Hygiene hat mit Politik nichts zu tun. Zwei Welten. Und allen, die nach einem verborgenen Nadelstich, einer politischen Botschaft suchen, möchte ich versichern: es gibt keine. Nicht jetzt.

Meinetwegen ein anderes Beispiel: die beitragsfreie Zigarette. Zwei Paar Stiefel.

Unsinnig eben.

Wir Läuflinge stehen natürlich über solchen Dingen. Wenn wir Wieworte benutzen, dann tun wir dies, um unser Geläuf‘ genauer zu definieren.

Wir sind Läufer. Oder langsame Läufer, ausgenommen natürlich die schnellen Läufer. Schwere Läufer werden oft von den leichten Läufern überholt, wenn auch nicht immer. Aus den nervösen, aufgeregten, dem Start entgegen fiebernden Läufern werden im Ziel ermattete Läufer. Im Regen sind die meisten nass. Nasse Läufer wiederum werden nach der Dusche zu trockenen Läufern, die sich an der Kuchentheke von hungrigen in satte Läufer verwandeln. Gefinished habende Läufern heißen Finisher – zumeist gar stolze Finisher. Wer seine Zielzeit verpasste, ist kurzzeitig ein unzufriedener Finisher, auf Dauer wahrscheinlich ein glücklicher Läufer.

Adjektive beschreiben Dinge, Substantive, Sachverhalte – und Läufer, sofern es um das Laufen geht.

Aber was ist, bitteschön, ein veganer Läufer?

Wenn ich mich nicht völlig täusche, beschreibt Veganismus eine Form der Ernährung – keine Art, sich fortzubewegen. Und doch nehme ich manchmal das Bedürfnis wahr, sich nicht „nur“ als Läufer, sondern eben als „veganer“ Läufer zu bezeichnen. Wieso? Wer interessiert sich dafür, was vegane Läufer essen – außer den veganen Läufern selbst?

Ich laufe vegan ist oft gepaart mit dem Hang zum Missionieren.

Vegan geht auch wenn man Sport treibt, kann / muss / braucht nicht zusätzlich…. Aha. Eine passende Antwort auf eine nicht gestellte Frage. Dass du laufen kannst, sehe ich. Und wie du dich ernährst, ist mir wurscht. Freut mich wenn’s dir schmeckt.

Ich lebe seit zwölf Jahren vegan und mir geht’s gut. Schön. Andere Menschen essen irgendwas anderes, und denen geht’s auch gut. Nur gehen sie damit nicht hausieren.

Ich habe noch keinen Fleisch essenden Läufling gehört, dass er „ich bin Fleisch essender Läufer“ sagt. Und dass dies auch ginge, wenn man Sport treibe.

Versteht mich nicht falsch, es möge jeder nach seiner Facon selig werden. Essen was schmeckt, was gut tut. Ohne einen -ismus draus zu machen, der ständig auf einem Transparent herumgetragen wird.

Sehet! Ich laufe vegan! O sehet, ich sitze vegan! Erblickt mein veganes Geschirrspülen!

Wüstes Herumadjektivieren. Wenn das jeder machen würde.

Wir bräuchten die mehrfache Zeit, um uns gegenseitig vorzustellen. Mit Adjektiven, die vollkommen am Thema vorbei gehen.

Bin ich veganer, rechtshändischer, sonnenanbetender, schön schreibender, fleißiger, grünrotblauer, unpolitischer, hopsender, meist gute Verdauung habender, aquarellmalender, musizierender, gerne-in-der-sonne-sitzender, martialischer, sanfter, kuchenliebender, arbeitender, optimistischer, urlaubender, ehrlicher, adjektivierender, flexibler, braungebrannter, rohkostgenießender, fleischfressender, pflanzenverdauender, sprachbegabter, feinmotorisch begabter, überhaut vielseitig talentierter, wenngleich vertikal herausgeforderter und manchmal politisch unkorrekter, höflicher, frecher, zärtlicher, leibhaftiger Läufer.

Nein.

Ich bin Läufer.

Adjektivlos.