adjektivlos

Sprache ist eine wunderbare Erfindung. Mit ihrer Hilfe können wir Dinge und Sachverhalte leidlich präzise beschreiben – oder uns darüber klar werden, dass wir uns Klarheit nur einbilden.

In jungen Jahren schon lernen wir, Adjektive zu benutzen, um was auch immer näher zu beschreiben. Wir nannten sie damals noch Wie-Worte, selbst in Bayern, wo eigentlich Hä-Wort der passendere Ausdruck wäre. Ich für meinen Teil beherrschte nicht nur Wie, sondern vor allem Wider-Worte. Das gehört aber nicht hierher.

Adjektive, so weiß zum Beispiel Wikipedia, beschreiben also die Beschaffenheit oder eine Beziehung eines (konkreten) Dinges, einer (abstrakten) Sache, eines Vorganges oder Zustandes usw.

Klingt nicht schlecht, aber: Ist der Umgang mit Adjektiven wirklich so eindeutig?

Warum lassen uns dann viele Formulierungen stutzig werden – je nach Laune und Sachlage grinsen, kichern, uns am Kopf kratzen oder denselben unverständig schütteln?

Da dürfen wir von jemandem lesen, er sei brutal zusammengeschlagen worden. Im Ernst? Brutal?
Gehört Brutalität nicht zum Zusammenschlagen dazu?
Gibt es die Alternative, jemanden zärtlich zu verprügeln? Und wenn ja: warum berichten Nachrichten nur über die brutale Variante?
Wenn diese Form sanfter Gewalt existierte – und nur dann! – wäre das Adjektiv “brutal” gerechtfertigt. Dann will ich aber auch Schlagzeilen lesen wie “… wurde von sechs Personen zärtlich vermöbelt.”
Sonst bitte ohne Adjektiv. Zusammenschlagen ist brutal genug.

Eher harmlos, wenngleich nicht weniger absurd ist die Bezeichnung riesiger LKW, wenn damit ein stinknormaler Lastwagen gemeint ist, wie sie zu Zehntausenden unterwegs sind. Um vierzig Tonnen, zweieinhalb Meter breit, vier hoch und mit Anhänger knapp unter zwanzig Meter lang. Riesige LKW findet man im Bergbau.

Das ist aber nichts gegen jenes Gebrüll, welches vor einigen Jahren an mein Ohr drang: Ich schlag’ dich krankenhausreif rief’s mit sich überschlagender Stimme. Nun legt eine solche Formulierung nicht nur einen Hang zur Gewalt nahe, nein, daneben dürfen wir dem Sprecher – dem Brüller – unterstellen, er verfüge über hinreichend medizinische Kenntnisse, um den angestrebten Zustand zu erreichen. Mit krankenhausreif ist ja wohl ein stationärer Aufenthalt gemeint. Und das setzt nicht nur das Wissen voraus, welche Verletzungen im konkreten Fall herbeizuführen sind, sondern auch virtuose Kontrolle über das Handwerkszeug zum handgreiflich Werden.

Außerdem: Selbst im Zustand höchster Erregung noch soviel Besonnenheit zu haben, dass die verfügbaren Mittel präzise dosiert werden, finde ich bewundernswert.
Rutscht die Hand zu wenig aus, reicht es vielleicht nur für eine ambulante Behandlung. Und zuviel des Handgemeinen….

Mich dünkt indes, der Brüller wollte keineswegs ausdrücken, er wolle durch gezielten Einsatz körperlicher Gewalt den Gesundheitszustand seines Gegenübers auf ein Niveau bringen, welches stationäre Behandlung erfordert.
Folglich ein falsch verwandtes Adjektiv.

Vielleicht hätte man ihn darauf hinweisen müssen.

Zweifelhaft benutzte Adjektive sind eine Sache.

Unsinnige eine andere. Unsinnig nenne ich ein Wie-Wort dann, wenn es aus einer anderen Welt stammt, als das Substantiv, mit dem es einhergeht. So als würde man einen Stecker an die Wasserleitung anschließen.
Will ich politisch werden? Ja. Nein.
Zum Beispiel ein hygienischer Politiker. Hygiene hat mit Politik nichts zu tun. Zwei Welten. Und allen, die nach einem verborgenen Nadelstich, einer politischen Botschaft suchen, möchte ich versichern: es gibt keine. Nicht jetzt.

Meinetwegen ein anderes Beispiel: die beitragsfreie Zigarette. Zwei Paar Stiefel.

Unsinnig eben.

Wir Läuflinge stehen natürlich über solchen Dingen. Wenn wir Wieworte benutzen, dann tun wir dies, um unser Geläuf’ genauer zu definieren.

Wir sind Läufer. Oder langsame Läufer, ausgenommen natürlich die schnellen Läufer. Schwere Läufer werden oft von den leichten Läufern überholt, wenn auch nicht immer. Aus den nervösen, aufgeregten, dem Start entgegen fiebernden Läufern werden im Ziel ermattete Läufer. Im Regen sind die meisten nass. Nasse Läufer wiederum werden nach der Dusche zu trockenen Läufern, die sich an der Kuchentheke von hungrigen in satte Läufer verwandeln. Gefinished habende Läufern heißen Finisher – zumeist gar stolze Finisher. Wer seine Zielzeit verpasste, ist kurzzeitig ein unzufriedener Finisher, auf Dauer wahrscheinlich ein glücklicher Läufer.

Adjektive beschreiben Dinge, Substantive, Sachverhalte – und Läufer, sofern es um das Laufen geht.

Aber was ist, bitteschön, ein veganer Läufer?

Wenn ich mich nicht völlig täusche, beschreibt Veganismus eine Form der Ernährung – keine Art, sich fortzubewegen. Und doch nehme ich manchmal das Bedürfnis wahr, sich nicht “nur” als Läufer, sondern eben als “veganer” Läufer zu bezeichnen. Wieso? Wer interessiert sich dafür, was vegane Läufer essen – außer den veganen Läufern selbst?

Ich laufe vegan ist oft gepaart mit dem Hang zum Missionieren.

Vegan geht auch wenn man Sport treibt, kann / muss / braucht nicht zusätzlich…. Aha. Eine passende Antwort auf eine nicht gestellte Frage. Dass du laufen kannst, sehe ich. Und wie du dich ernährst, ist mir wurscht. Freut mich wenn’s dir schmeckt.

Ich lebe seit zwölf Jahren vegan und mir geht’s gut. Schön. Andere Menschen essen irgendwas anderes, und denen geht’s auch gut. Nur gehen sie damit nicht hausieren.

Ich habe noch keinen Fleisch essenden Läufling gehört, dass er “ich bin Fleisch essender Läufer” sagt. Und dass dies auch ginge, wenn man Sport treibe.

Versteht mich nicht falsch, es möge jeder nach seiner Facon selig werden. Essen was schmeckt, was gut tut. Ohne einen -ismus draus zu machen, der ständig auf einem Transparent herumgetragen wird.

Sehet! Ich laufe vegan! O sehet, ich sitze vegan! Erblickt mein veganes Geschirrspülen!

Wüstes Herumadjektivieren. Wenn das jeder machen würde.

Wir bräuchten die mehrfache Zeit, um uns gegenseitig vorzustellen. Mit Adjektiven, die vollkommen am Thema vorbei gehen.

Bin ich veganer, rechtshändischer, sonnenanbetender, schön schreibender, fleißiger, grünrotblauer, unpolitischer, hopsender, meist gute Verdauung habender, aquarellmalender, musizierender, gerne-in-der-sonne-sitzender, martialischer, sanfter, kuchenliebender, arbeitender, optimistischer, urlaubender, ehrlicher, adjektivierender, flexibler, braungebrannter, rohkostgenießender, fleischfressender, pflanzenverdauender, sprachbegabter, feinmotorisch begabter, überhaut vielseitig talentierter, wenngleich vertikal herausgeforderter und manchmal politisch unkorrekter, höflicher, frecher, zärtlicher, leibhaftiger Läufer.

Nein.

Ich bin Läufer.

Adjektivlos.

2 Gedanken zu „adjektivlos“

  1. Guten Morgen dort unten,

    eben wieder ein echter HARALD
    ( wie ist er ? ECHT )
    kann nur aus seiner unverkennbaren FEDER
    (wie ist die Feder ?unverkennbar ! )
    stammen

    Ich mag die amüsanten Ergüsse von Harald
    (wie sind die Ergüsse von Harald ? amüsant !)

    Und hätten wir keine Adjektive
    wie sonst könnten wir noch deutlicher das zum Ausdruck bringen, wonach uns gerade ist ?

    Eines hast du vergessen:
    es gibt einen Marathon in unserem schönen, weiten Land
    ( wie ist unser Land ?)
    an dem NUR Veganer teilnehmen dürfen
    da fehlen selbst mir die richtigen Worte
    (wie sind die Worte ? Richtig – richtig ! 😉

    Bin weibliche, jung gebliebene, blonde, blauäugige, schlanke, leidenschaftliche, bewegungsfreudige, freiheitsliebende, wahrheitsliebende, rücksichtsvolle, mitfühlende, optimistische, positiv denkende, individualistische, Fleisch- und Fischessende, gesund lebende, freundliche, aufgeschlossene, verheiratete, bloggende Läuferin………..

    In diesem Sinne sonnige Grüße von der heißen Ostsee – wie ist die Ostsee ?

    1. Schönen guten Morgen nach oben. Welch erfreulicher Kommentar (wie ist der Kommentar? 😉 ) Mir fehlen ob des Marathons, den du so akribisch recherchiert hast, ebenfalls die Worte. Naja, wenn die Leute unter sich bleiben wollen…

      sonnige Grüße zurück an die …wie ist die Ostsee? Immer noch heiß? Nach allem was ich las, ist sie hauptsächlich bevölktert und unterströmt. 🙂

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