Anders betrachtet

Saskia ist fit, sie ist ehrgeizig und schnell. Und sie wird unterdrückt, was soviel heißt wie: sie setzt sich unter Druck. Wochen vor dem Rennen denkt sie nur an ihre Zielzeit. Das kann nicht gut gehen. Und doch lief alles glatt…

Saskia ist fit, sie ist ehrgeizig und schnell. Leistungsbereit beschreibt ihre Haltung nur unzureichend, höchstleistungsbereit ihre Leistungsfähigkeit auch nicht korrekt. Sagen wir: sie ist in höchstem Maße leistungsbereit.

Gerade darin liegt ihr Problem, denn sie wird unterdrückt. Von sich selbst unterdrückt, was soviel heißt wie: sie setzt sich unter Druck. Schon etliche Wochen vor dem Rennen denkt sie an nichts anderes als an „ihre“ Zeit: Unter fünfundvierzig Minuten auf zehn Kilometer.

Unter fünfundvierzig Minuten auf zehn Kilometer.

Ich muss das schaffen.

Unter fünfundvierzig Minuten auf zehn Kilometer.

Ich MUSS es einfach schaffen.

Ich muss, MUSS, MUSS!

Unter. Fünfundvierzig. Minuten. Auf. Zehn. Kilo. Meter.

Das geht seit Jahren so, und ebenso lang scheitert sie in jedem Rennen an ebenjener Hürde. Nicht, dass sie es nicht können würde, ein jeglicher Träningslauf lässt sie die magische Grenze deutlich unterbieten. Nur wenn’s drauf ankommt, schlagen die Nerven zu, und solcherart dem Fass den Boden aus. Es kann, es darf nicht angehen, dass die geneigte Läuflingin sich selbst dermaßen im Wege steht.

Also schlug ich ebenfalls.

Nicht zu, sondern vor, nämlich einen Wechsel der Perspektive, der meist dann ratsam erscheint, wenn der Mensch so dicht vor der Rinde steht, dass er keinen Baum, geschweige denn den Wald an sich zu erkennen vermag. Wenn das erdrückende ich muss des Waldes Rauschen dermaßen lautstark übertönt, dass selbst die eigenen Gedanken kein Gehör mehr finden. Sieht Saskia, so mein Ansatz, ihr Ziel erst aus einem anderen Blickwinkel, liegt die veränderte Haltung nahebei. Und Haltung ändern, soviel wissen wir, hilft.

Das ist nicht neu, wir kennen es.

Perspektiven- und Paradigmenwechsel, Rucke gehen durchs Land und ein jeder muss an die eigene Nase sich fassen.
Veränderung tut not, und doch scheint die Medizin oftmals bitterer als jene Pille, die uns das Gebrechen selbst zu schlucken abverlangt.

Doch es giert der Mensch nach dem Erfolg, um immer wieder festzustellen, dass die Trauben ziemlich hoch hängen. Da reckt und streckt er nach der Decke sich – doch diese bleibt entweder unerreichbar, oder sie ist zu kurz: Schultern oder Füße, eins von beiden friert.

Ein warmer Regen brächte kaum Entlastung, er macht bloß nass.

Manch einer legt die Messlatte deshalb weit nach oben – ein wahrhaft guter Gedanke, denn so braucht er sich nicht bücken, wenn er drunter durchläuft. Was höre ich? Lug und Trug, gar an sich selbst? Aber bitte. Man wird sich doch noch selbst belügen dürfen.

Nun gut.

Meinethalben greife ich den Einwand auf, wir können schließlich, und zwar vor allem auch ganz anders. Andere Saiten aufziehen überlasse ich allerdings der Musik – ich beschränke mich auf eine neue Warte, von welcher aus betrachtet, die andere Perspektive sich von alleine einstellt.

Zehn Kilometer unter fünfundvierzig Minuten. Druckvoll, bedrückt, unterdrückt und unter Druck gesetzt kann der Läufling sich kaum regen, geschweige denn beflügelt durch die Lande eilen. Es lähmt der eigene Ehrgeiz, Traum der Traumzeit, lässt die Füße noch vor dem Start zu superschweren Etwen werden. Etwen nenne ich den Plural von Etwas. Ein Etwas, mehrere Etwen. Etwen, die sich anfühlen, als steckten sie in sizilianischen Badelatschen. Genau, die aus Beton.

Und das ist vor dem Start.

Zehn Kilometer in unter fünfundvierzig Minuten.

Welche Last!

Saskias Gemüt ist eingeschüchtert. Doch sie denkt. Denkt etwas entscheidendes, nämlich: um.
Denn ich hatte ein Umstellen des druckvollen Mantras angeregt. Mach‘ dich locker, schlug ich vor: bau‘ deinen Satz neu.

In fünfundvierzig Minuten unter zehn Kilometer.

Badelatschenbeton bekommt Risse, er platzt, seine Splitter prasseln auf die Straße.

Füßen wachsen scheinbar Flügel. Die Seele erleichtert sich, die Blase nicht.

Zum Glück.

Am Ende stehen dreiundvierzig Minuten.

Mission accomplished.

Unter drei

Die meisten Marathonläufer träumen davon, irgendwann die magische Marke von drei Stunden zu unterschreiten. Nur: wie schafft man dieses Ziel? Ich stelle die drei wichtigsten Methoden mit ihren Vor- und Nachteilen vor.

Die meisten Marathonläufer träumen davon, irgendwann die magische Marke von drei Stunden zu unterschreiten. Nur: wie schafft man dieses Ziel? Tipps und Tricks gibt es auch für jene Läuflinge, die ihren ersten Marathon schon zum wiederholten Mal gelaufen sind (die Hürde wird bekanntlich jedes Mal niedriger), und nun nach einer neuen Herausforderung suchen.

Unter drei.

Vielmehr: Zweiundvierzigzwei unter drei.

Ihnen kann geholfen werden. Aber welcher Weg ist der Richtige? Wie findet man sich im Methodendschungel zurecht? Ich stelle die drei wichtigsten Methoden mit ihren Vor- und Nachteilen vor. Dass es sich um genau drei handelt, ist reiner Zufall. Ehrlich! Weniger zufällig ist indes die Auswahl, denn zwei der drei Wege zum Glück sind in der Läuflingsszene – noch! – weitgehend unbekannt.

Erstens: die physisch-trainingsfleißige Methode
Hierbei handelt es sich um die am meisten verbreitete Methode, über die etliche Regalmeter Literatur geschrieben wurden. Ihre verschiedenen Spielarten wurden propagiert, diskutiert, verworfen, verdammt und nach einer gewissen Verweilzeit als Nonplusultra wieder ausgegraben. Sie wurden umgebaut, zerpflückt, neu zusammengesetzt und: sie funktionieren wirklich. Meistens jedenfalls.
Egal unter welchem Namen diese Methode auftritt, sie umfasst hartes physisches Training. In der Tat: viel Schweiß, selten Tränen und nur in Ausnahmefällen etwas Blut (mir ist überhaupt kein Fall bekannt). Physisch-trainingsfleißig trainieren bedeutet: Tempotraining, Streckentraining.

Vorteile
+ sie wirkt nachhaltig. Nach dem anstrengenden Aufbau genügt mehr oder weniger ein Training nach dem Motto Niveau halten. Es strengt zwar immer noch an, lässt dem Läufling immerhin Zeit, sich ein wenig auf seinen Lorbeeren auszuruhen.
+ sie ist ehrlich. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Trainingsaufwand und Wettkampfzeiten.
+ sie motiviert. Wer sich einen Erfolg einmal hart erarbeitet hat, ist stolz auf die eigene Leistung, und giert nach neuen Herausforderungen. Wer mehr wissen will, fragt Google nach dem High Performance Cycle von Locke / Latham.

Nachteile
– physisch-trainingsfleißig unter drei Stunden zu kommen, strengt an. Über lange Zeit hinweg muss ein hohes Maß an Trainingsdisziplin aufgebracht werden.
– die Methode ist für eine bestimmte Zielgruppe nicht attraktiv. Wer Preis ohne Fleiß will, wird nicht glücklich
– …und es kann lange dauern, bis das Wunschergebnis vorliegt. Wer hat schon Lust, heute hart zu arbeiten, damit im nächsten Jahr die Zielmarke fällt? Jetzt als Couch Potato anmelden, vier Wochen später unter drei, darum geht’s.

Soweit also die bekannteste Methode. Aber es geht auch anders.

Zweitens: Die René’sche Distanz-Optimierung
Sie ist nach meinem Freund René benannt, der seinen eigenen Weg gefunden hat, um seine Traumzeit zu erreichen. In akribischer Vorbereitung gelang es ihm, die Marathondistanz so weit zu optimieren, dass ihm knapp drei Stunden genügten. Der Artikel, auf den ich verweise, berichtet von einem etwas älteren Versuch, der noch länger dauerte. Zwischenzeitlich läuft er zweifuffzich, und marschiert stramm auf zwodreißig zu.

Vorteile
+ die René’sche Distanzoptimierung wirkt sofort. Ich muss etwas einschränken: wenn man geschickt plant. Ganz ohne Vorbereitung geht’s auch hier nicht.
+ wenn es nur um die Zeit in der Ergebnisliste geht: perfekt!

Nachteile
– hoher Planungsaufwand. Renés Methode verlangt, sich akribisch auf den konkreten Marathon vorzubereiten. Sie setzt Kenntnisse über die Streckenführung, öffentliche Verkehrsmittel und strategisch platzierbare Fahrräder voraus. Und wahrscheinlich ist ein Helferteam vonnöten.
– besonders der intellektuelle Aufwand darf keinesfalls unterschätzt werden.
– letzten Endes läuft der Läufling einen distanzoptimierten Marathon. Und das bedeutet, es sind keine 42 Kilometer.
– dass einem solcherlei Tun in Läuflingskreisen einen schlechten Ruf eintragen kann, dürfte jedem klar sein.
– außerdem bewegt sich der nach dem René’schen Prinzip arbeitende Athlet auf sehr dünnem Eis. Als offizieller „unter-drei-Modellathlet“, inoffiziell und real dagegen „unathletischer Schlaffsack“ wird es notwendig sein, sich oftmals gegen Einladungen zum gemeinsamen Träningslauf zu wehren. Besonders wenn diese von Läuflingen ausgesprochen werden, die nach der physisch-trainingsfleißigen Methode trainieren, darf keinesfalls zugesagt werden. Niemals! Wehe dem, der schwach wird. Seine einzige Chance, der Blamage zu entrinnen, besteht im gerade überstandenen Infekt. Und selbst dies funktioniert nicht jeden Monat.

Drittens: Mathematische Interpretation
Als Königsweg mag die Mathematische Interpretation der erreichten Zielzeit dienen. Durch die geschickte Verquickung des Dezimalsystems (also mit 10 als Basis) mit dem für Zeitangaben gewohnten Sexagesimalsystem (Sechzig als Basis) gerät die Traumzeit für fast jedermann in greifbare Nähe. Ohne Tränings- oder sonstigen Aufwand, sogar ohne schneller laufen zu müssen. Statt 3:38 Stunden lief man eben 2:98 – und die Zwei steht vorne!

Vorteile
+ sofortiger Erfolg. Eine Zeit unter drei Stunden stellt sich sofort ein, das Schlagwort instant gratification findet in der mathematischen Interpretation zur Perfektion. Die Methode eignet sich somit vorzüglich für jene Zielgruppe, die eigentlich keinen Sport treiben, und doch in Marathon gut abschneiden will.
+ weder für das Träning, noch für die Erfolgsplanung fällt nennenswerter Aufwand an. Mit ein paar Minuten am Taschenrechner (wenn überhaupt) ist die Wunschzeit da.
+ selbst nachträgliche Korrekturen im Ergebnis sind möglich. Hamburg, 2004: statt 3:25 lief der Läufling erfolgreiche 2:85 Stunden.

Nachteile
– Aber: weil offizielle Ergebnislisten konsequent im 60er System geführt werden, ist ihre Korrektur kaum möglich
– im Vergleich mit der Konkurrenz lässt sich kein Boden gut machen. Wer 2:59 läuft ist trotzdem eine halbe Stunde schneller als der ambitionierte Athlet mit 2:89
– oberhalb von 2:99 Stunden (umgerechnet also 3:39 Stunden) muss in ein alternatives Zahlensystem gewechselt werden. Fünf-Stunden-Läuflinge sollten etwas Hirnschmalz in ihre Bestzeit stecken.

Fazit
Schlussendlich muss ein jeder selbst zu seiner Lieblingsmethode finden. Für mich macht die Möglichkeit nachträglicher Korrektur den besonderen Charme der mathematischen Interpretation aus, falls mich allerdings tatsächlich der Ehrgeiz packen sollte, wäre die physisch-trainingsfleißige Methode der Weg meiner Wahl.

Aber das ist meine persönliche Meinung.

Des Läuflings Schmuck

Der Jäger schmückt sein Wohnzimmer mit Geweihen, während der tapfere Indianerkrieger sein Haupt mit Adlerfedern zieren darf.
Und der Läufling? Medaillen sind zu popelig. Ich hätte da einen Vorschlag….

Viele Menschen haben die Angewohnheit, den Erfolg ihrer Lieblingstätigkeit in Form von Tropähen zur Schau zu stellen.
Nehmen wir den Jäger als Beispiel. Wem kommt da nicht die gute Stube in den Sinn, an deren Wänden abgetrennte Geweihe von Rehen, Gemsen oder Hirschen montiert sind. Dazwischen ein Gemälde eben jenes Zehnenders, der ein letztes Mal im Walde röhrt.
Möbliert ist das Ganze in Eiche rustikal, und der Gedanke an die Kombination von schlichter Bauhausästhetik mit Hirschgeweihen will nur unter Zwang aufkommen. Schwedische Leichtigkeit fällt schon etwas leichter – mächtige Elchschaufeln machen sich gut am Kamin oberhalb des Kiefernsofas.

Dazu passen, der kleineren Ornamentik wegen, aufgespießte Schmetterlinge. Sie verleihen der weißen Wand des Lepidopterologen, die Schmetterlingskundler im Fachjargon heißten, das farbige i-Tüpfelchen, welches in der Wohnung gerade noch gefehlt hat. Im Gegensatz zum Elch hat der schmetternde Ling übrigens die Genugtuung, dass er mit seinem gesamten Körper zum Stolze seines Jägers beiträgt.

Ich hatte kurz überlegt, inwieweit ein gut gefülltes Kriegsgefangenenlager als Trophäensammlung herhalten könnte, diese Idee jedoch rasch verworfen. Es fehlt der persönliche Bezug. Auch ein Vlad Tepes, den wir als Vorbild des Grafen Dacula kennen, dürfte seine gepfählten Opfer weder eigenhändig, noch zur Hebung des eigenen Selbstbewusstseins oder gar aus stilistischen Erwägungen am Straßenrand aufgestellt haben.

Nein, derlei schließe ich aus.

Anders verhält es sich dagegen bei Adlerfedern, welche dem Indianer als Ausweis seiner Tapferkeit dienten. Winnetou kommt in den Filmen vergleichsweise nackt daher – das wundert mich, denn Karl May beschreibt ihn in seinen Romanen als überaus mutig.
Vogelfedern als Symbol für Mut, besonders im Zwist mit Feinden.
Andere Kulturkreise sind da direkter, anstelle vom Gefieder eines unbeteiligten Flüglings greift man nicht nur die Gelegenheit, sondern gleich den erschlagenen Feind beim Schopfe, um ihm ebendiesen abzutrennen. Den solcherart erbeuteten Skalp trägt man am Gürtel.
Wer nach mehr strebt, bastelt sich einen hübschen Schrumpfkopf, statt sich mit einem Haarteil zu bescheiden. Ob man mit diesem das Wohnzimmer, oder sich selbst dekoriert, entzieht sich meiner Kenntnis.

Die Kultur der Westmänner (sorry, werte Damen) brachte auch eine Sitte hervor, die mich zu meiner Idee des Trophäenschmucks für Läuflinge brachte: Krallen erjagter Bären pflegte der westliche Waidmann auf eine Schnur zu fädeln, die er als Kette um den Hals trug.
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen vom Fisch. Der Läufling bastelt seine Kette mit abgefallenen Fußnägeln!

Wer kennt nicht den Zustand, in dem die Zahl der Zehen nicht mit den abgezählten Nägeln übereinstimmt? Abgefallene Nägel berechtigen als Ausweis ertragener Qualen mindestens ebenso zum Posen wie erlegte Tiger.

Aber Vorsicht: Betrügen ist unsportlich. Wehe, jemand lässt sich einfallen, dass er den nächsten Marathon mit extra engen Schuhen läuft. Er zieht sich leicht den Unmut der Läuflingsgemeinde zu – und wir wissen ja, wie so etwas enden kann. Muss ich mehr sagen? Zum Beispiel Schrumpfkopf?

Die Idee gefällt mir.

Schade, dass sie mir nicht fünf Fußnägel früher eingefallen ist.

Neunzehnhundertsechsundfünfzig

Ach wie romantisch war’s doch früher, als wir noch Wandern sagten. Gemütliche Rast am Wegesrand, ganz anders als heute. Mancherorts scheint die Zeit stehen geblieben.

Ach wie romantisch war’s doch früher, als wir noch Wandern sagten. Schon das Wort „Wandern“ weckt Erinnerungen an die beschaulichen Jahre der Wirtschaftswunderzeit. Die Welt war noch klar aufgeteilt in Ost und West, gut und böse – wobei die jeweilige Zuordnung von der politischen Einstellung abhing. Heimatfilme ließen etliche Marias und Johannes‘ zueinander finden (sie trugen oftmals andere Namen, das Prinzip war stets dasselbe), die sich nicht selten bei einer Wanderung näher kamen.
Auch der Durchschnittsmensch wanderte gerne. Wie Johannes. Oder Maria. Meistens Johannes und Maria, schließlich brauchten sie etwas Zeit für sich alleine.
Man trug Kniebundhosen aus Cord, dazu ein rot-weiß kariertes Hemd. Im Rucksack aus Segeltuch, dem das Sackartige deutlich anzusehen war, fand sich eine zünftige Brotzeit, die zur Rast auf dem ebenfalls karierten Tischtuch (mangels Tisch zum Tuch degradiert) ausgebreitet wurde.

Das war 1956.

Über die folgenden Jahrzehnte änderte sich kaum etwas, eventuell wurde Baumwolle durch Kunstfasern ersetzt, und der Rucksack verlor seine Sackhaftigkeit.

Heute gibt es diese Läuflinge. Sie rasten nicht, sie hasten, denn ihre Zeit ist kostbar, entsprechend selten halten sie zur Brotzeit inne.
Nahrung nimmt man gerne während der Bewegung zu sich.

Dieses Ansinnen steht im Widerspruch zur Sitte der Rast, schließt es doch aus, das man den Rucksack, absetzt. Also bleibt der Rucksack dort, wo er gemäß seiner Bezeichnung hingehört: auf dem Rücken.

Da befindet sich also das Essen.

Und leider ist es dem Menschen nicht gegeben, dort in gleicherWweise zu hantieren wie an der Vorderseite seines Leibes.

Noch bedauerlicher ist, dass sich diese brandneue Verwendung von Rucksäcken bislang nur wenigen Rucksackbauern erschlossen hat. Sie leben wie eh und je das romantische Rasten am Wegesrand.

Wie damals.

Ich stelle mir ein typisches Büro beim Rucksacktischler vor: an der Wand hängt ein Kalender, blockiert im Jahre 1956 wie eine stehen gebliebene Uhr. Das Motiv zeigt – was schon? – eine typische Rastszene. Bergkulisse. Maria und Johannes sitzen, einander anschmachtend, in cordsamtenen Kniebundhosen bei Schwarzbrot und Schinken auf einer grünen Wiese, während im Hintergrund ein Hirsch brünftig röhrt. Der Rucksack, achtlos beiseite gelegt, harrt seiner Wiederaufnahme auf Johannes‘ Rücken.

Wundert sich irgendwer, wenn des Läuflings Bedürfnis nach griffbereiter Nahrung nur selten erfüllt wird? Immerhin, bisweilen ist eine widerwillig angebrachte Netztasche seitlich vorhanden. Um die dort untergebrachten Utensilien zu entnehmen, empfiehlt sich eine ausgerenkte Schulter und ein zweifach gebrochener Arm. Dann würde man zwar immer noch nicht sehen, was in der Tasche ist, käme aber wenigstens dran.

Ich will weder böse Absicht, noch Ignoranz unterstellen. Vielmehr scheint mir diese gewisse Form von Laufrucksäcken Ausdruck eines ernsten Bildungsnotstandes. Es gebricht den Entwicklern an grundlegenden Kenntnissen menschlicher Anatomie.
Wo kommt man mit den Händen bequem hin?

Zur Abhilfe bedarf es keines Hochschulstudiums, in unserem Fall – wir wollen lediglich lernen, wo ein Rucksack Taschen haben kann, an die man schmerzfrei herankommt, ohne ihn abzusetzen – genügt ein Kinderbuch. Grundschule. oder noch jünger.
Noch simpler ist der Selbstversuch. Ich schlage jedem Sackschmied vor, an sich herumzufingern, dann zeigt sich ihm schnell was geht und was nicht. Mutige dürfen ihren Körper gerne auch unterhalb der Gürtellinie erfahren. Dabei entfernen sie sich zwar vom Rucksack, kommen sich dafür aber näher. Oder jemandem anderen, wenn es nicht der eigene Gürtel ist. Johannes trug damals übrigens Hosenträger.

Als ergebnis solcherlei Tuns stellen er dann wenig überraschend fest: ein gescheiter Laufrucksack hat auch vorne Taschen. So wie es Nathan oder Ultimate Direction schon seit einiger Zeit vormachen. Gerne auch am Hüftgurt, und da auch seitlich. Obacht, die Ellenbogen brauchen Platz um vorbeizuschwingen, und zwar auch dann, wenn die Taschen prall gefüllt sind. Derleit Gedanken sollten zwar selbstverständlich sein, aber die Erfahrung zeigt, dass man besser darauf hinweist.

Ich möchte eine weitere Anregung geben: macht Taschen auf die Schultern, mit der Öffnung nach vorne. Ich habe vor einigen Jahren welche nachgerüstet, meine Handschuhe reisten prima im Obergeschoss. Einfach hinein- und herauszunehmen. Außerdem wäre dort noch Platz für Schlaufen, die eine kleine Lampe aufnehmen falls die Stirnlampe aus irgendeinem Grund keine Alternative ist. Oder wenn sie frische Batterien braucht.
Ich fand diesen Ort jedenfalls super.

Eine zusammengerollte Picknickdecke für die zünftige Gipfelrast findet dann umso mehr Platz im Hauptfach auf dem Rücken.

Sie passt gut zum rot-weiß-karierten Laufshirt.

Das Hunde-Experiment

Als ich neulich den Gladiator Bag testweise in meinen Fängen hatte, erinnerte mich seine Form an einen Dackel. Ein Gedanke, der mich einerseits schmunzeln, mich im selben Augenblick jedoch ernsthaft an einen tierischen Träningspartner denken ließ.
Warum, so fragte ich mich, sollte ich es nicht mit einem Hund versuchen?

Als ich neulich den Gladiator Bag testweise in meinen Fängen hatte, erinnerte mich seine Form an einen Dackel. Ein Gedanke, der mich einerseits schmunzeln, mich im selben Augenblick jedoch ernsthaft an einen tierischen Träningspartner denken ließ.

Warum, so fragte ich mich, sollte ich es nicht mit einem Hund versuchen?

Zumal, das möchte ich vorausschicken, in meiner Nachbarschaft ein geeignetes Exemplar wohnt. Helene von der Wiesenweide ist eine zauberhafte Dackeldame mit kurzem, tizianroten Haar. Ob die adlig Geborene zum gemeinsamen Schweißvergießen ausführen dürfte? Zaghaft trug ich mein Ansinnen ihrem Herrchen vor. Selbstverständlich, gab er zur Antwort, ein wenig Sport hat sie schon lange nötig!
Dergestalt offene Türen eingerannt habend, versagte ich mir den Gedanken zu äußern, der mir auf den Lippen lag: wo doch auch Herrchen etliche überflüssige Pfunde, beinahe gar einen Zentner zuviel mit sich herumträgt. Sei’s drum, das Einverständis ist gegeben, und nur das zählt.

Es kann nicht schaden, im Zusammenhang mit dem Gladiator Bag meine diesbezügliche Vorliebe für Dackel zu erläutern. Zunächst einmal weisen Dackel eine ähnliche Größe auf, während das eine Ende des Bags vom Schweif des Hundes, das andere hingegen von dessen Schnauze widergespiegelt wird. Selbige Schnauze ist entscheidend: sie liegt wunderbar griffig in der geschlossenen Hand.
Am äußeren Umfang eines Gladiator Bags befinden sich bekanntlich drei weitere Griffmöglichkeiten, von denen zwei ihre Entsprechung in den Beinpaaren des Hundes finden. Gerade ein kurzbeiniger Teckel könnte also für sportliches Tun kaum besser geeignet sein! Lange Zeit schwankte ich, ob ich des zusätzlichen Griffes wegen nicht besser nach einem Rüden ausschau halten sollte, entschied mich schlussendlich jedoch für ein Weibchen – der Größenunterschied zu den zusammengenommenen Beinen schien mir für ernsthaftes Träning ungeeignet.

Nun galt es noch ein Problem zu lösen: Das Gewicht.

Ich war an einen Gladiator Bag mit zwölf Kilogramm Gewicht gewöhnt, während Helene lediglich derer acht auf die Waage bringt.

Was tun?

Meine Recherchen führten mich zu Michael W. aus Wuppertal-Oberbarmen, der es als Hundeflüsterer zu bescheidenem Ruhm gebracht hat. An ihn wandte ich mich mit meinem Problem. Ich war nicht wenig erstaunt, als er mir eröffnete, dass solche Gewichtsveränderungen in Züchterkreisen durchaus üblich seien. Durch eine kräftige Gewichtssteigerung könne, erklärte er mir, ein mäßig begabter Dackel auf Hundeschauen durchaus als kleinwüchsiger Schäferhund durchgehen.

Er schien meinen zweifelnden Blick bemerkt zu haben, denn er kramte aus seinen Unterlagen ein Album hervor, welches die von ihm aufgestellte Behauptung anhand von Fotos und Urkunden eindrucksvoll belegte.
Seine Methode besteht darin, den natürlichen Fressdrang des Hundes dahingehend zu beeinflussen, dass dieser Appetit auf eine speziell von ihm erdachte Quarzsandmischung entwickelt. Diese würde sich durch biophysische Prozesse gleichmäßig im hundischen Leib verteilen, und so zur gewünschten Gewichtszunahme führen. Die Dosierung war übrigens sehr simpel: einfach die fehlende Masse an Quarzsand zufüttern.

In der Folge des Einflüsterns durch Herrn W. begann Helene tatsächlich den von ihr hochgeschätzten Sand als Nachtisch zu verlangen. Ihr Gewicht stieg und stieg, bis sie eines Tages die 12 kg erreicht hatte. Nach einem weiteren Wochenendworkshop mit Hundehypnose kannte sie nur ein Ziel: Gewicht halten.

Das Träning konnte beginnen.

Wir hatten unglaublich viel Freude, wenn wir im Garten miteinander herumtollten. Helene schien zu spüren, wenn eine Träningseinheit anstand, denn an diesen Tagen rannte sie mir auf ihren kurzen Beinchen besonders schnell entgegen. Ich gebe zu, dass der Anfang nicht frei von Schwierigkeiten war, weil Helene sich nach den Schleuderübungen auf meinen Nacken zu erbrechen pflegte. Doch dies legte sich zum Glück recht schnell.

So hätte es immer weitergehen können.

Hätte, denn nach einem Vierteljahr musste ich das Hunde-Experiment abbrechen.

Zwei Monate im Träning fiel mir eine leichte Steifheit in Helenes rankem Körper auf. Zuerst dachte ich an verklebte Faszien, welche ich mit gezielten Übungen zu lockern hoffte. Eine Hoffnung, die mich leider trog. Helene wurde zusehends ungelenk. Ein Besuch beim Tierarzt offenbarte das Unglaubliche: der Quarzsand in ihrem kleinen Körper hatte sich mit Wasser, welches sie trank und dem von einer nahe gelegenen Baustelle herbeigewehten Zement zu Mörtel verbunden.

Nun steht Helene starr und steif, mit ruckartig wedelndem Schweif auf der Fensterbank, von wo aus sie mit traurigen Augen auf die Stätte unseres Glückes schaut. Ich glaube, das Wort Dackelblick bekommt erst jetzt, erst durch sie seine wahre Bedeutung. Natürlich, so haben mir alle konsultierten Fachleute, vom Veterinär über Herrn W. bis zum Bauingenieur versichert, baut Mörtel sich im Hundekörper binnen einiger Woche ab, doch gemeinsamen Sport wird es danach nicht mehr geben.

Denn mit 8 Kilogramm ist Helene ein allzu leichtes Mädchen.