Von Profis und Amateuren

“Ein Amateur trainiert, bis er es richtig macht. Ein Profi trainiert, bis er es nicht mehr falsch machen kann”. Dieser Satz fesselt mich, seit ich ihn zum ersten Mal gelesen habe. Was genau bedeutet das fürs Training?

Ein Amateur trainiert, bis er es richtig macht. Ein Profi trainiert, bis er es nicht mehr falsch machen kann“. Dieser Satz fesselt mich, seit ich ihn zum ersten Mal im Buch Kettlebell Rx von Jeff Martone gelesen habe.

Im Kontext des sehr techniklastigen Trainings mit der Kettlebell hat der Satz für mich ohne jeden Zweifel seinen festen Platz, nicht umsonst habe ich mich mit RKC einer Organisation angeschlossen, die einen beinahe manischen Anspuch an die technisch perfekte Ausführung der einzelnen Übungen hat.

Aber, je länger sinniere, desto sicherer bin ich mir, dass der Ausspruch universell gültig ist. Vergessen wir Profis und Amateure, und schreiben den Satz um zu

Trainiere nicht so lange, bis du es einmal richtig hinbekommst, sondern so lange, bis du es nicht mehr falsch machen kannst.

Dann fällt mir meine Schulzeit ein. Ich erinnere mich nur ungern, muss jedoch gerade daran denken, dass meine üblichen mäßigen Noten auch daran lagen, dass ich mich damit zufrieden gegeben hatte, einmal eine Aufgabe halbwegs richtig…. Ok, ich flunkere. Meistens habe ich nicht gelernt, insofern ich in Klausuren stets Neuland betrat. Sportlich gesehen würde ich mich ohne Training an den Start eines Trailmarathons gestellt haben. So etwas soll ja bisweilen klappen.

Ich formuliere nochmal um, indem ich den sportlichen Aspekt entferne

Übe nicht so lange, bis du es einmal richtig hinbekommst, sondern so lange, bis du es nicht mehr falsch machen kannst.

Wie lange wäre das denn? Wittgenstein hat sich, in anderem Zusammenhang, mit dem Lernens befasst. In seinem Spätwerk Philosophische Untersuchungen geht er der Frage nach, wann man denn davon sprechen könne, ein Schüler (im weitesten Sinne als jemand aufgefasst, der etwas lernen soll) würde eine Reihe von Zahlen korrekt fortführen. Wann können wir davon ausgehen, dass er es kapiert hat?

Und dies wird nur der Fall sein, wenn ihm dies oft gelingt, nicht, wenn er es einmal unter hundert Versuchen richtig macht.

Wie geht es weiter? Hundert richtige Versuche bedeuten, er hat es drauf? Oder tausend? Freundlicherweise hat der gute Ludwig eine Antwort hierfür parat.

Das System innehaben (oder auch, verstehen) kann nicht darin bestehen, dass man die Reihe bist zu dieser, oder bis zu jener Zahl fortsetzt; das ist nur die Anwendung des Verstehens. Das Verstehen ist ein Zustand, woraus die richtige Verwendung entspringt

Das springen wir freudig zurück zum Sport, denn diesen Zustand, aus dem die richtige Verwendung entspringt, kennen wir irgendwie alle als jene Fähigkeit, eine bestimmte Leistung sofort abrufen zu können. Leistung meine ich hier im weitesten Sinne. Ihr kennt alle die nette Anregung, man muss uns nachts wecken können, worauf wir sofort….(bitte einsetzen: Salto schlagen, Seilhüpfen, etc.).

…bis du es nicht mehr falsch machen kannst.

Mit anderen Worten, bis wir die Bewegung so verinnerlicht haben, dass wir über sie nicht mehr nachdenken müssen. Bis wir mitten in der Nacht, im strömenden Regen, nach hundert Ultratrailkilometern auf einer Wurzel ausrutschen können, und dank unserer Reflexe und gut trainierter Haltemuskulatur unverletzt bleiben.

Dazu passt das Stichwort Technikerwerbstraining. Es besteht, habe ich gelesen, im Aufbrechen etablierter und dem Einschleifen neuer Bewegungsmuster. Das klingt gut, und es fügt sich nahtlos in die Zitate von oben ein.

Ein Beispiel gefällig?
Letztes Jahr habe ich die EOFT (European Outdoor Film Tour) im Kino besucht. Am meisten haben mich dabei zwei Slackliner beeindrucht. Nicht ihrer herausragenden Kunststücke wegen, nein, sondern weil der Film auch gezeigt hat, wie oft die Jungs im Training im wahrsten Sinne des Wortes auf die Fresse geflogen sind.

…bis du es nicht mehr falsch machen kannst.

Das, was bei Trailläufern im technisch schwierigen Geläuf, bei Slacklinern, Kettlebellsportlern und vielen anderen so elegant, so traumwandlerisch sicher aussieht, ist die schöne Fassade, die auf einem stabilen Fundament aus langem, zähem Training ruht. Sie ist Ausdruck eines

…Zustandes, woraus die richtige Verwendung entspringt

Wie wir Sportlinge wissen: It’s hard, before it gets easy.

13 Gedanken zu „Von Profis und Amateuren“

      1. Hallo Harald,
        die Ziele, die man sich gesetzt hat und vielleicht nicht erfüllt hat oder “meint” erfüllt zu haben.

        1. Hallo Lena,
          o ja, ein sehr interessantes Thema; die Ziele, die man “meint”, erfüllt zu haben. Das verdient eventuell mal einen eigenen Artikel.
          Danke für die Inspiration! 🙂

          Ciao,
          Harald

  1. Hin und wieder alte Bewegungsmuster aufbrechen, immer dran bleiben und hart für alles arbeiten, zahlt sich aus. Kenne ich schon seit frühster Kindheit – egal ob Training oder Leben, ob Amateur oder Profi. Omi hat’s im Übrigen auch schon immer gewusst 😉

    1. Seh’ ich auch so: immer dran bleiben, und in diesem kleinen Punkt ausnahmsweise mal keine Pareto-Lösungen akzeptieren. Kluge Omi! 😉

      Ciao,
      Harald

  2. Ich glaube, das “Verstehen” gilt mehr für den Wissenserwerb. Bei Fertigkeiten ist es mehr ein “in-Fleisch-und-Blut-Übergehen”. Der Tischtennisspieler hat z.B. gar keine Zeit, über den richtigen Schlag nachzudenken. Er hat zwar irgendwann “verstanden”, dass “Rückhand” im speziellen Fall die richtige Antwort ist. Aber daran schließt sich dann noch das zigmalige Üben der Rückhand an, bis sie sitzt.
    So, ich wollte schon immer mal Wittgenstein widerlegen.

    1. Bei Wittgenstein geht es schon um den Wissenserwerb, beziehungsweise um Sprachverstehen. Im Kern dreht es sich um das, was du ansprichst: Üben, bis der Schlag auch dann perfekt sitzt, wenn der Spieler schlecht geschlafen hat o.ä.
      Die geistige Verbindung zu Fertigkeiten ist von mir – doch nix mit Wittgenstein widerlegen 😉

  3. Lieber Harald,
    obwohl ich weder Profi noch Amateur bin, kann ich Deine Erläuterungen nur unterstützen. Nichts fliegt einem zu, ausser vielleicht das viel gerühmte Talent, harte Arbeit und viele schlechte Erfahrungen bringen einen im Leben und auch beim Sport weiter. Nur wollen, funktioniert nicht. Doch stetes Training und sich immer wieder Herausforderungen zu stellen bringt einen weiter…
    Vielen Dank für Deinen wieder einmal sehr guten Beitrag.

    Salut

    1. Lieber Christian,
      ich sehe es ähnlich. “Aktives Wünschen” bringt nichts, vor allem nicht, wenn Reflexion fehlt – oder wenn man sich auf dem Foto eines Lorbeerkranzes ausruht. 🙂

      Ciao,
      Harald

  4. Caro Haraldo (schlag einfach nach bei Google-Übersetzung !!), ein gesundes, sicheres Fundament – sag’ ich doch schon immer, dazu aus Erfahrung lernen – einmal rumrühren – perfekt – wir alte Hasen wissen das !! 😉

    Ciao, ci vediamo presto !! 😎

    Habe ich es schon gesagt: ich spiele gerne mit den Worten, so wie du, nur anders !! 😉

    1. Caro Margitta (ich hatte natürlich längst selber recherchiert) 🙂
      Jo, die liebe Erfahrung….ist für mich in diesem Zusammenhang irreführend, denn wir kennen ja viele unheimlich “erfahrene” Sportler, deren Erfahrung sich in jahrzehntelang schlechter Bewegungsqualität zeigt. Auf das Streben nach Verbesserung, nach Perfektion kommt’s an, findest du nicht?

      Du hattest deine Wortverspieltheit noch nicht erwähnt, ist mir aber auch selbst aufgefallen 😉

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