Reden wir über Sport. Reden wir konkret über die Art Sport, bei welcher das Sportgerät einen wesentlichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg hat, wie zum Beispiel Motorsport, aber auch so scheinbar untechnischen Sport wie Radfahren. Radrennen, besser gesagt. Denn wenn es kompetitiv wird, gibt es Leute, die sich technische Regelwerke ausdenken. In jenen liegt der Hund begraben.
Ich muss etwas Selbstkritik üben, ich bin nämlich selbst schuld an meinem Unbehagen, was diese Formen von Sport betrifft. Besser gesagt daran, dass mich die Art und Weise, wie er ausgeübt, dargestellt und gestaltet wird, weitgehend langweilt. Selten nur gibt es eine Nachricht, die mich kurz neugierig werden lässt. Dann informiere ich mich, erfreue mich am erkennbaren Fortschritt, Kreativität und dem, was möglich ist beziehungsweise möglich wäre, bevor ich mich wieder anderen Dingen zuwende, die mich wirklich faszinieren.
Wie gesagt: Ich bin selbst schuld.
Ich hätte diese Bücher nicht lesen dürfen.
Ich hätte auf das Ingenieursstudium verzichten müssen.
Glückselige Unwissenheit und ihr verlust
Von einer Phase abgesehen, in der ich unbedingt Tierforscher werden wollte, fand ich Autos schon als Kind toll. Rennwagen natürlich auch, und bereits meine kindliche Auffassungsgabe lehrte mich, dass ein schnellerer Rennwagen ein besserer sein müsse. In meinem Kinderlexikon stand zu lesen: "Rennfahrer treten das Gaspedal immer voll durch." Eine Aussage, die im Widerspruch zu meinen eigenen fahrdynamischen Erfahrungen mit Drei- und Fahrrad stand - aber was wusste ich schon!
Ob Formel 1, Sportwagen oder anderes war mir vollkommen egal, denn das, was da herumfuhr, konnte nur das sein, was alle verfügbaren technischen Möglichkeiten nutzt, um schnell zu sein.
Wie naiv ich doch war!
Motorräder waren mir übrigens egal und Segelboote hatten keinen Motor, mithin also uninteressant. Änderungen am Reglement bekam ich allenfalls beiläufig mit, außerdem verstand ich ihre Bedeutung sowieso nicht. Das änderte sich, als meine Lektüre zunehmend technischer wurde, wodurch erste Irritationen entstanden: Wieso machen die das?
Mit dem Ende der Gruppe B anno 1986 wurde mir nicht nur die Tragweite derartiger Entschlüsse, sondern auch die geistige Haltung, die zu ihnen führten, schlagartig bewusst: Rennwagen sollen langsamer werden? In der Folge nahm ich die Geschichte des Motorsports anders wahr, erschienen mir bislang achselzuckend hingenommene Informationen in einem anderen Licht.
Muss ich erwähnen, dass die Faszination zwangsläufig auf der Strecke blieb? Wohl kaum.
Es sind in den Entscheidungsgremien also Leute am Werk, denen Rennfahrzeuge zu schnell sind. Aber weshalb?
Mittlerweile betrachte ich sportliche Regelwerke in den genannten Bereichen als Messlatte für Technologien: Was verboten ist, kann ich in erster Näherung getrost als überlegen ansehen. Ob Turboaufladung (Formel 1), aktive Aerodynamik (diverse Autorennserien), Zweitaktmotoren (Motorrad) oder Dieselmotoren (Offshore-Powerboote): Man führt den Nachweis der Überlegenheit einer Technologie, um sich fortan für die schlechtere zu entscheiden. Das verstehe, wer will.
Über Motive und Übersimplifikation
Ich teile das, was ich an Motiven für das paradoxe Bestreben nach Langsamkeit mitbekommen habe, in drei Kategorien ein: Sicherheit, Vergleichbarkeit und Medientauglichkeit. Beginnen wir mit dem Grundprinzip der ersten Kategorie.
Langsam ist sicher.
Wenn langsam gleich sicher ist, ist langsamer sicherer und am sichersten demnach der Stillstand. Insofern müssen wir wohl die Couch Potatoes dieser Welt für ihren sicherheitsbewussten Lebensstil loben. Ganz so konsequent will man dann doch nicht sein, stattdessen versucht man eben irgendwie langsamer zu werden, wenn auch nicht so langsam, dass die mediale Verwertbarkeit leidet. Mir kommt das vor, als würde man einem Kind sagen, es darf schon rennen, aber eben nicht zu schnell. Schon klar: Beim Rennsport geht es um die Gesundheit von Menschen. Allerdings hat gerade die Geschichte des Sports gezeigt, dass ein Mehr an Sicherheit immer auf technischem Weg realisiert wurde. Statt also die Anforderungen sauber zu definieren und eine technische Lösung herbeizuführen, beschreitet man lieber den primitiven Weg "fahrt mal nicht so schnell, dann tut ihr euch nicht weh". Man kann das tun, keine Frage. Und das vordergründige Ziel nach weniger und weniger schweren Unfällen wird dadurch zumindest kurzfristig erreicht. Es bleibt aber der Eindruck von Leistungsverweigerung; man verweigert sich der anspruchsvollen Aufgabe, liefert aber das Ergebnis einer solchen für Anfänger. Auf der Strecke bleiben Glaubwürdigkeit und technische Relevanz.
Es muss Chancengleichheit herrschen.
Eins vorweg: Jeder Teilnehmer, jedes Team hat die gleiche Chance, mit dem sprichwörtlichen leeren Blatt Papier anzufangen. Davon abgesehen, trägt man diesem Bedürfnis vielfach Rechnung, zum Beispiel durch Geschlechts-, Gewichts- und Altersklassen. Beim Keirin, einer japanischen Variante des Radrennens, gibt es für die Fahrräder strikte Vorgaben, damit es eben der Fahrer sei, der den Erfolg bestimme. Jene Sportarten, die als beispielhafte Flecken diesen Artikel illustrieren, bieten eine Vielfalt von Spielarten und Klassen mit mehr oder minder strikten Beschränkungen, die "nach oben hin" zumindest mehr Tempo, oftmals auch mehr konstruktiven Freiraum zulassen. Es bleibt aber das Gesamtsystem aus Sportler und Sportgerät, welches gewinnt oder verliert.
Wo ist eigentlich das Problem, Klassen / Rennserien mit mehr Restriktion und, an der Spitze, eine solche ohne Beschränkungen vorzusehen? Ich weiß schon, auch Sportler scheinen Wert auf Spannung, auf einen ungewissen Ausgang des Geschehens zu legen. Wer selbst Sport treibt, der kennt die Geilheit vor dem Start, die Begeisterung, wenn es gut läuft - oder das Gegenteil davon. Flow-Zustände, Adrenalin und der Killerinstinkt lassen uns nicht wirklich über uns hinauswachsen, aber sie helfen, unser Potenzial auszureizen. Manchmal wirft uns Psyche, das Wetter oder andere Parameter aber auch Knüppel zwischen die Beine. So bleibt der Ausgang bis zu einem gewissen Grad ungewiss: Woah, wie spannend! Das Gleiche gilt für's Publikum, welches nach Drama giert. Spannende Kämpfe bis zur Ziellinie! Ach, die Tour de France wird auf den letzten paar hundert Metern der Champs-Elysees entschieden! Wie ungemein spannend! Da haben wir uns seit dem griechischen Drama nicht nennenswert weiterentwickelt. Auch bei James Bond bleibt die Uhr der Zeitbombe nicht drei Tage, sondern eher ein paar Sekunden - passend: 007 Sekunden - vor der Detonation stehen. Wobei mir bislang noch niemand erklären konnte, wieso sich ein Bombenleger die Mühe macht, eine gut sichtbare Uhr mit Digitalanzeige an seine Höllenmaschine zu montieren.
Ich anerkenne, dass man mitfiebern will.
Wer's mag, der möge sich gerne amüsieren. Mich lässt diese Form von Spannung völlig kalt, umso mehr aber interessieren mich zum Beispiel die Rundenzeiten. Da ist mir der einsam gefahrene Rundenrekord auf dem Nürburgring wichtiger. Und, wie gesagt: Diese Chancengleichheit existiert in "niederen" Rennklassen.
It's Showtime!
Die Dramaturgie, die sich aus dem ungewissen Ausgang einer Sportveranstaltung ergibt, wird durch die Medien noch überhöht. Ein System, das sich selbst nährt, denn je spektakulärer, desto mehr Zuschauer und je mehr Zuschauer, desto höher der Umsatz. Also schaut man sich an, was das Publikum bei der Stange halten könnte: Überholvorgänge, unbedingt! In der Formel E gab es (evtl. gibt es das noch, ich habe bewusst nicht recherchiert) eine Art Fanknopf, mit dessen Hilfe die Zuschauer ihrem Lieblingsrennfahrer etwas mehr Leistung gönnen können. Soll ich das als Demokratisierung des Rennsports auffassen?
Aus dem Vergleich zwischen Sportlern oder (oder! ich meine hier ein "entweder" - "oder") Sportgeräten wird so ein Spektakel, dessen sportlicher Wert sich dem Unterhaltungswert unterordnet. Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass sich die Wettkampfzeiten globaler Veranstaltungen wie den olympischen Spielen nach den Übertragungszeiten der größten Zielmärkte richten. Statt "wir machen untereinander aus, wer am schnellsten rennt, am weitesten wirft oder das höchste Gewicht hebt und andere dürfen uns dabei zusehen." heißt es "unser größter Markt ist in Zeitzone y, ihr müsst halt so starten, dass wir die meisten Menschen erreichen."
Finde ich das grundsätzlich verwerflich? Nein. Nicht nur, weil ich lieber selbst Sport treibe, statt zuzusehen (anders ausgedrückt, gehöre ich nicht zur Zielgruppe, bin also nicht relevant), sondern weil ich nicht wüsste, wieso ich mich daran stoßen sollte. Passt schon.
Ebensowenig verwerflich, eher amüsant finde ich skurrile Geschichten wie jene von der Tour de France. Im sehr empfehlenswerten Buch "The Dancing Chain", welches die Geschichte der Kettenschaltung bei Fahrrädern zum Thema hat, steht zu lesen, dass sich Henri Desgrange, der langjährige Chef der Veranstaltung bis in die 1930er Jahre mit Händen und Füßen gegen die Zulassung von Schaltungen gewehrt hat. Nach Aussage des Buches wurden die Teilnehmer vor allem bergan allzu oft von Zuschauern auf ihrem Weg zum Zusehplatz überholt. Er hielt dies wohl für unsportlich und liefert mir damit ein weiteres Beispiel für einen Maschinenstürmer, der in einer zwar nicht technisch dominierten, aber doch zumindest technisch beeinflussten Disziplin den Ton angibt.
Was aber lässt mich diesen Artikel schreiben? Mir fehlt etwas. Etwas, das ich in den folgenden Absätzen skizziere.
I have a dream
Eigentlich ist es ganz einfach. Man lasse alles so, wie es ist und schaffe in den einzelnen Bereichen Rennserien, in denen der Schwerpunkt des Systems Sportler - Sportgerät auf Zweiterem liegt. Einzelne Ansätze gibt es, so zum Beispiel die sog. DARPA Challenge, die, obzwar mit militärischem Hintergrund, ein Aufgabe definiert, für die es eine technische Lösung zu finden gilt.
Darauf lässt sich aufbauen.
Spätestens dann, wenn autonome Fahrzeuge (teilweise auch schon DARPA-mäßig vertreten) schneller sind als solche mit Fahrer, erübrigt sich die Systemthematik, besonders mit Blick auf die Gesundheit des "Bedienungsorganismus", sowieso.
Wenn ich an Radrennen denke, fallen mir unweigerlich Liegeräder ein. Keine Ahnung, wie die bergauf dastehen, oder wie geländetauglich sie sind. Ich sage: Lasst die Leute nur machen, sie finden es heraus.
Und zur Thematik "Akku im Rennrad oder nicht" hatte ich kürzlich eine Idee, die ich überaus reizvoll finde: Akku rein, allerdings muss er vor dem Start leer sein (wobei ich mir auch hier nicht ganz sicher bin...). Dann möge der Rennfahrer auf Bergabpassagen oder beim Bremsen die Vorzüge der Rekuperation nutzen (vulgo: Akku laden durch's Bremsen). Früher sagte man spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Ich mache daraus: Lade deinen Akku bergab, dann tust du dir bergauf leichter und bist in der Summe schneller im Ziel.
Meinetwegen kann man auch Solarpanels auf das Trikot montieren. Der Athlet wird vielleicht mehr schwitzen, aber auch die Lösung dieses Zielkonfliktes ist dann Teil des Wettbewerbs.
Es wäre ein wunderbares Experimentierfeld, bei dem am Ende derjenige gewinnt, der am schnellsten ankommt. Und das dürfte erheblich früher sein als bei heutigen, krampfhaft zwischen Show, Sportler und Technik vor sich hin lavierenden Rennen.
Ich fände es geil.
Lieber Haraldo, erst einmal: die Ausführlichkeit deines Posts macht mich ein wenig konfus, die Länge, der Inhalt, die Worte, die du – wie immer – sehr gut gewählt hast. Nur kann ich dir hier nicht folgen, weil ich mir darüber noch nie ernsthaft Gedanken gemacht habe – und es wohl auch in Zukunft nicht tun werde.
Wie auch immer – jedem das Seine – ich bevorzuge meine Sportart(en), wozu ich keinerlei Hilfsmittel brauche, ich mich mit eigenem Motor vorwärts bewege, mal schneller, mal langsam, mal Schnecke, mal Schnellzug, alles andere bekomme ich zwangsweise mit, zwingt mich aber (meistens) nicht zum Nachdenken.
Schon erstaunlich, worüber du dir Gedanken machst – und jetzt während des Studiums noch tiefer und tiefer………………schaden kann es ja nicht !!
In diesem Sinne – bleib gesund
ciaoooooooooo
Liebe Margitta,
diese Gedanken begleiten mich schon seit Jahrzehnten (was wohl auch an meinem Alter liegen mag….), und ich habe mich sogar sehr kurz gefasst. Beim Schreiben war mir klar, dass das Thema nicht jeden interessiert, so ein Bisserl technik-affin muss man dafür schon sein.
Laufen finde ich für mich auch sehr angenehm, denn ich bestimme, wie schnell es geht. Jedenfalls soweit ich es hinkriege, aber das kennst du bestimmt auch. 😀
A propos Studium, wenn alles hinhaut, werde ich im Laufe des nächsten Jahres meine Masterarbeit anfangen. Thema ist noch nicht klar, aber die Richtung: Sportphilosophie.
Bleib du auch gesund – und wir laufen fröhlich!
Harald