Potztausend! Trailrunning für die Massen?

Das Trail Magazin fragt, wie denn Trailrunning, mehr Events und mehr Aufmerksamkeit bekommen könnte. Stellen die sich einen Supertoptrail mit dreitausend Teilnehmern vor? Finde ich das witzig? Hab’ ich Bock, Teil einer Massenveranstaltung zu sein? Nö.

Das Trail Magazin fragt, wie denn Trailrunning, mehr Events und mehr Aufmerksamkeit bekommen könnte. Unwillkürlich schießen Assoziationen durch meinen Kopf, verknpüfen sich, prallen ab, stoßen aufeinander, bis sie sich am Schluss zu einem Bild zusammenfinden.

Und ich frage mich, ob mir das Bild gefällt.

Doch erstmal zitiere ich das Originalposting des Magazins auf Facebook:
Trail-Running wird beliebter, größer und ist mittlerweile ein echter Sport auf der ganzen Welt!
Was muss passieren, dass in Deutschland unser Lieblingssport weiter an Events und Aufmerksamkeit gewinnt?

Trailrunning ist also ein echter Sport. Da bin ich aber beruhigt, ich hatte schon befürchtet, einen unechten Sport zu betreiben. Und zum Glück ist er auf der ganzen Welt als echt anerkannt, was uns regionale Einschränkungen erspart. Nicht auszudenken, wenn es beim Überschreiten einer Staatsgrenze hieße: lauft ruhig, frönt eurem falschen Tun!

So dürfen wir Trailläuflinge weiter das tun, was und Spaß macht: auf Trails laufen.

Soll es mehr Events geben? Mehr Aufmerksamkeit? Was auch immer mehr Aufmerksamkeit bedeutet.
Es ist Zeit, dass ich mein Bild von vorhin beschreibe.

Dabei handelt es sich um eine Collage mit dem Titel: Massensport Trailrunning.

Im Zentrum findet sich ein Plakat, welches für den SUPERSPONSOR POWERTRAIL 3000 wirbt. Die Zahl steht dabei nicht für die Höhenmeter, sondern für die Anzahl der Teilnehmer, die sich auf zwanzig Kilometern austoben wollen. Etwas kleiner sehe ich den Flyer für einen der vielen Indoor Trails, die aus dem Boden schießen wie Champignons in einer artgerecht wohlig feucht-dunklen Höhle. In der Tat ziert das Foto einer solchen Halle den rechten Rand der Collage. Zehntausend Zuschauer fasst sie, die Trail-Events finden im Rahmenprogramm von Motocross- und Mountainbike Wettkämpfen auf dem selben Rundkurs statt. Das ist praktisch, denn die Sprunghügel dienen dem Sammeln der Höhenmeter.

Ein Stück weiter oben klebt, beinahe etwas verschämt, das Panorama eines Trails in der Natur. Für den nicht eingeweihten Betrachter wirkt es befremdlich, wie sich eine lange Schlange von fünfzehnhundert Menschen den Single Trail hinaufwindet. Freilich freut der Veranstalter sich über den Erfolg seiner Veranstaltung. Trailrunning ist in.

Das ruft natürlich Begehrlichkeiten auf den Plan.
Hier recken nationale, internationale und globale Trailrunningverbände die Häupter, allesamt bestrebt, dem Trailsport nur das Beste an Fürsorge angedeihen zu lassen. Deshalb gibt es – mein Bild zeigt nur die Titelseite – eine Klasseneinteilung für Trail-Veranstaltungen. Wenn sich dieser Sport (wir wissen: es ist ein echter!) wegen der Vielfalt der Strecken schon einer Vergleichbarkeit entzieht, kann man zumindest ein Klassenregelement einführen, damit Unvergleichliches vergleichbar erscheint.

So ähnlich muss sich ein Funktionärsorgasmus anfühlen.

Direkt daneben sehe ich, wie ein Amtmann sich die Hände reibt. Wo sich Massen mühen, muss geregelt werden. Und wie geregelt wurde, da wünscht man sich die heimelige Zweimeter-Regel der Mountainbiker sehnsüchtig herbei, über die zuvor so herzhaft gelacht wurde. Trails laufende Menschen – und als Trail zählt alles, was keine Asphaltschicht trägt, dürfen in der Natur nicht mehr laufen. Fortbewegung mit Flugphase ist strikt untersagt. Dass das Verbot eingehalten wird, darüber wachen eigens geschulte Mitarbeiter der zuständigen Behörden. In manchen Regionen, so heißt es, sei die Arbeitslosigkeit drastisch gesunken, weil hinter jedem zweiten Baum ein Naturwegsbeauftragter lauert.

O ja, da reibt der Amtsschimmel, und jetzt sind es nicht mehr die Hände, welche unter der Tischkante verschwunden sind.

Massensport Trailrunning steht am linken Bildrand, der Sport für Individualisten! Daneben kleben ganz bescheiden einige Zeilen Text, ein Zitat aus dem Film Das Leben des Brian. Brian hatte eine Menschenmasse darauf hingewiesen, dass jeder einzelne von ihnen ein Individuum sei.
Die Masse antwortet im Chor “wir sind alle Individuen”.
In die sich anschließende Stille ruft eine einsame Stimme: “ich nicht!”.
Für mich eine der großartigsten Stellen der Filmgeschichte. Der einzige Individualist zeigt seine Individualität dadurch, dass er sie leugnet. Grandios!

Halte ich es für erstrebenswert, wenn Trailrunning zum Massenphänomen wird? Nein! Freilich gäbe es mehr Auswahl. An Läufen, an Ausrüstung, Klamotten, usw. Andererseits zeigt alle Lebenserfahrung, dass ein Mehr an Quantität stets mit einem Qualitätsverlust einhergeht. Hundert Teilnehmer kann man jeden Trampelpfad hochschicken, bei tausend wird’s eng. Dann kommen noch die Vollkaskoläuflinge dazu: sie laufen mit, weil’s trendy ist. Tough sein ist in, und daher muss man gut auf sie aufpassen, damit sie sich nicht weh tun.

Ich finde es geil, wenn Leute Spaß daran finden, “Trails” zu laufen. Unwegsame Wege, manchmal auch weg vom Weg. Ich laufe gerne in Gesellschaft – aber nicht als Teil einer Menschenmenge. Ich freue mich über jeden, der Trailrunning für sich entdeckt, der in die Community eintritt – zum Massenphänonen darf sich der Sport aber nicht entwickeln.

Denn ich laufe Trails, weil ich ein Individuum bin.

7 Gedanken zu „Potztausend! Trailrunning für die Massen?“

  1. Ach, ist doch alles halb so wild – selbst wenn es täglich irgendwo einen organisierten Traillauf mit 5.000 Teilnehmern gäbe, wäre ich garantiert nach wie vor alleine auf meinen matschigen Hometrails. Ich seh’ das entspannt. Die kleinen feinen Mini-Veranstaltungen wird es auch sicher weiterhin geben.
    Ich glaube eher, dass sich viele Trailläufer in der Rolle des unangepassten Laufpunks gefallen und so ein bisschen den Verlust ihres coolen Underdog-Status fürchten, wenn “das” plötzlich “jeder” macht.

    1. Keine Frage, dass es die kleinen, feinen Veranstaltungen weiter geben wird. Du kannst ja auch noch knackige Zehner rennen, die in einem kleinen Dorf vom örtlichen Verein organisiert werden.
      Fürchten manche Trailläufer um ihr Alleinstellungsmerkmal? Kann sein, echte Laufpunks und Underdogs müssten meiner Ansicht nach organisierte Veranstaltungen meiden (oder nur die ganz kleinen wählen). “Jeder” ist aber nicht ganz der Punkt, meine Frage ist eher: muss man, wie das Trail Magazin angregt, “Masse” zum Ziel erklären? Masse geht oberhalb einer bestimmten Schwelle immer auf Kosten der Klasse, und dann wird ein Landschaftslauf auf Waldautobahnen flugs zum Trail umbenannt, damit fünftausend Menschen sich einreden können, sie würden “Trail” laufen.

      Ich bleibe lieber beim individuellen – Masse kann man hinnehmen, ich will sie aber nicht als Ziel setzen.

  2. Früher, ja, auch ich sage früher ( wie meine Oma), war das Laufen von Ultras auch noch ein Sport für Individualisten, während mittlerweile das Volk der Anhänger erheblich gewachsen ist, jeder, der zehn Kilometer im Sack hat, liebäugelt mit Ultra, Trail oder was eben gerade IN ist.

    Mal ganz abgesehen von dem Schindluder, das damit mit der Natur getrieben wird, bin und bleibe ich auch Individualist, meide die Massen, wo ich kann, freue mich, wenn ich Läufe finde, in denen es noch heimisch zugeht, alles andere kommt auch für mich nicht infrage, Individualist – sag’ ich doch, aber HALLO ! 🙄

    1. Mit Massenveranstaltungen habe ich es auch nicht. UTMB ist toll, die kleinen Läufe sind mir da deutlich sympathischer. KuSuH mit dreißig Teilnehmern, da kennst du eh’ die meisten und trittst dich nicht tot.

  3. Ganz ehrlich, Harald? Ich will das nicht, ich bin gerne allein auf meinen Trails, ich brauche kein Lauf-Event, und v.a. brauche ich keinen Verband oder Regeln. Ich will in der Natur verantwortungsbewusst gegenüber der selbigen und mir Ruhe und Entspannung finden. Am liebsten ohne einen anderen Menschen zu treffen, wenn ich nur an die Sonntagmorgen Jogger denke, die hier die Radwege bevölkern. Oh nein, die will ich im Wald nicht sehen.

    Ich bin ein Egoist, was das betrifft, oder vielleicht doch ein Individualist? 🙂

    Salut

    1. Christian, Egoist oder Individualist? Ich hänge den Begriff etwas tiefer und sage “bekennendes Individuum” 🙂
      Wenn ich mal meine Vorurteile auspacken darf: die hippe Partyfraktion will ich nicht haben. Sonntagmorgenjogger? Mit iPod auf der runtastischen Runde? Igitt!

      Ciao,
      Harald

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