Mein Auto ist ein hysterischer Beifahrer

Nachdem ich seit Kurzem mit einem neuen fahrbaren Untersatz unterwegs bin – wirklich neu, bislang war ich üblicherweise mit alten Karren unterwegs, die ich fuhr, bis sie auseinanderfielen, fallen mir Eigenschaften an ihm auf, die mein alter nicht hatte. Der kommunizierte zwar hie und da mit mir, war aber bei weitem nicht so verbos wie der Neue. Und er vermochte zu bestimmten Themen zu schweigen…

Der hysterische Beifahrer

Da fahre ich eines schönen Tages, ein fröhlich‘ Liedlein vor mich hinträllernd 1 und plötzlich piepst es wie wild. Was war los? Eigentlich kann – darf! – derartiges Geschrei nur eines bedeuten: Zu niedriger Öldruck. Doch weit gefehlt, das Auto vermeinte lediglich, es müsste mich auf eine Kreuzung hinweisen, der ich mich nähere. Immerhin war das besser als das, was sich der andere Leasingkandidat bei der Probefahrt geleistet hatte. Der leitete eine kräftige Bremsung ein, als ein anderer Wagen ein einer Seitenstraße zu erkennen war. Ob er wohl in den Rückspiegel geschaut hat?

Übrigens alles vollkommen harmlose Situationen, denen ausschließlich durch technische Hysterie ein dramatischer Charakter zuteil wurde.

Muss ich noch anführen, dass ich immer mit Piepsereien und blinkendem Symbol aufmerksam gemacht werden, wenn ich etwas schneller fahre, als auf dem Schild am Straßenrand steht?

Kennt ihr solche Leute? Wenn’s neben mir beifährt, erschallt es wie in billigen Büchern zu Grundlagen der Kommunikation:

Ich fahre gemütlich vor mich hin, vor mir ist ein Auto.

Da vorne ist ein Auto.

Ich fahre gemütlich vor mich hin…

Hier ist Siebzig.

Ich fahre gemütlich vor mich hin, erkenne ein Hindernis. Es genügt, wenn ich vom Gas gehe und leicht nach links lenke, um auszuweichen.

Brems! Nein, meistens eher BRÄÄÄÄÄMS!

Beliebt, und irgendwie das Pendant zum Piepsen ist auch sehr-lautes-Atmen.

Wobei ich sagen muss, dass ich mich zurückhalte, wenn Besuch im Auto mitfährt. Und die Sache mit dem Bremsen… Wie eine hysterische Fahrlehrerin. Fahrlehrerin, weil ich tatsächlich eine kenne, über deren Hysterie im beruflichen Kontext ich mir kein Urteil erlauben kann. Als normale Beifahrerin ist sie derartiger Anfälle, wie sie mein Auto hat, jedenfalls abhold.

Allerdings hat mein Auto noch eine weitere Persönlichkeit.

Das quengelige Kleinkind.

Ich habe Durst. Das war, zugegeben, mein „Verflossener“. Ja, ich hab’s ja verstanden. Ich sehe die Tankuhr schon länger. Musst du mir das zusätzlich auf gleich zwei weiteren Displays zeigen? Nach jedem Starten immer wieder neu? Dasselbe gilt für so lustige Dinge wie Ölwechsel und die defekte Birne der Kennzeichenbeleuchtung? Ich wiederhole mich: Der Kennzeichenbeleuchtung. Ölwechsel hat nun wahrlich ausreichend lange Zeitintervalle, um mich nicht mehrmals am Tag – bei jeder Fahrt – erinnern zu müssen. Und die Beleuchtung für’s Nummernschild?

Kleinkind eben. Zwischen „wichtig“ und „dringend“ zu unterscheiden, will eben gelernt werden. Ein Kleinkind kann’s noch nicht. Nur: Sollte man derlei nicht von Ingenieuren erwarten können?

Aber mein Auto hat auch reife Charakterzüge.

Die Glucke.

Auf der Autobahn lässt es sich, modernen Assistenzsysteme wie Tempomat und Spurhalteassistent geschuldet, wunderbar entspant dahinschraddeln. Die Hände im Schoß, besser gesagt: Eine davon locker ins Lenkrad gehängt.

NIMM DIE HÄNDE ANS LENKRAD!

Jaaa…ist ja gut. Kurz etwas fester zugepackt, und Ruhe kehrt ein.

Du bist müde, mach mal eine Pause!

Wie wär’s wenn du mir einen Kaffee machst, hä?

Richte deine Augen auf die Straße!

Seufz.

Kürzlich hatte ich einen Traum, in welchem aus einer Klappe im Dachhimmel ein Roboterarm erscheint, um mir einen Fleck aus dem Gesicht zu wischen.

Mit einem bespuckten Taschentuch!

Übrigens gibt es noch den Fahranfänger.

Autobahn, rechte Spur, vor mir ein etwas langsameres Fahrzeug, auf welches ich auflaufe. Links werde ich überholt. Wenn ich selbst fahre, gehe ich vom Gas (falls nötig), um dann während des Spurwechsels schon zu beschleunigen. Bequem geworden überlasse ich derlei (bis auf den Spurwechsel) meinem Gefährt, welches brav verzögert, jedoch erst dann wieder beschleunigt, wenn wir komplett auf der linken Spur sind.

Regelungstechnisch kapiere ich das, fühle mich aber an das erinnert, was ich im sportlichen Kontext beim Erlernen von Bewegungen kenne. Anfangs sind die Abläufe sehr eckig, man kann einzelne Teilabschnitte der gesamten Bewegung klar von einander unterscheiden.2 Ich kann die zwischen den Lippen hervortretende Zunge intensiver Konzentration meines Autos förmlich sehen!

Was das betrifft, freue ich mich auf die kommenden Entwicklungen. Derartiges Tun bedingt nicht nur ausreichend Situationsbewusstsein, also zum Beispiel den Überblick über die Verkehrssituation über mehrere Fahrspuren und größere Entfernung, sondern auch entsprechende Verarbeitungskapazität und -fähigkeit. Mithin Sensorik, Rechenleistung und in Software gegossene Algorithmen. In wenigen Jahren wird’s da richtig coole Sachen geben!

Einen Aspekt habe ich mir zum Schluss aufgehoben, dann manche dieser Nervereien lassen sich abstellen. Vor jeder Fahrt, was natürlich jedes Mal ein klein wenig Zeit braucht. Erinnert ihr euch an die Zeit, als man Diesel vor dem Start vorglühen musste? Man nannte diese Zeit die Rudolf-Diesel-Gedenkminute. Ich stelle mir vor, dass irgendwo in irgendeinem Büro irgendeine Gruppe von Menschen einen Anflug von Nostalgie hatte.

Ach, lasst doch einen jeden Autofahrer vor Fahrtantritt kurz innehalten.

Ich hatte mich vor vielen Jahren nach einer Laufveranstaltung mal ein paar hundert Meter zu meinem Auto von Mitgliedern einer Sekte mitnehmen lassen. Bevor es losging, saßen sie im Auto und meditierten. Wir meditieren vor jeder Fahrt. Keine Ahnung, wieso, aber meinetwegen. Ich dagegen klicke im Menü umher, um zum Beispiel die Verkehrszeichenerkennung auszuschalten, quittiere dann den vorformulierten Eid auf dem Monitor meines Infotainmentsystems, dass ich hochheilig verspreche, während der Fahrt auf gar keinen Fall ebenjenes während der Fahrt auch nur anzusehen, bevor ich – immerhin per Tastendruck – die Start-Stop-Automatik deaktiviere.

Das hat Konsequenzen.

Zuvörderst jene, dass ich mein Auto nur ungern abstelle. Eingedenk der erwähnten Gedenkminute und des Gefummels in Menüs. So trug es sich neulich zu, dass ich auf der Autobahn, ich war eine gute halbe Stunde vom Ziel entfernt, Blasendruck verspürte. Landstraßen sind da kein Problem, ich fahre in einen Waldweg, lasse den Motor laufen, stelle mich neben das Auto, … Autobahnparkplätze verfügen dagegen erstens über mehr Menschen, was die von mir in solchen Momenten gewünschte Privatsphäre einschränkt und zweitens über Klohäuschen, die mich dann arg weit vom Auto wegführen. Also fuhr ich weiter, um, mittlerweile sehr unter Druck stehend, nach sehr flüchtiger Begrüßung sehr eilig jenen Ort aufzusuchen, an welchem ich sehr erleichtert das Wasser abschlug.

Solcherlei Misere ließe sich vermeiden, indem eine einmal getroffene Konfiguration – wie zum Beispiel niervige Pieps- und Glockentöne aus nichtigem Anlass verstummen zu lassen – dauerhaft gespeichert würde. Andere Gerätschaften lassen sogar zu, verschiedene Profile zu speichern. Ich kann’s mir zwar nicht vorstellen, aber vielleicht gibt es Leute, die in Hysterie ein Zeichen von Charakter sehen. Wie schön wäre doch die Möglichkeit, dem Auto meine Vorlieben dauerhaft beizubringen!

  1. Nein, natürlich nicht. Ich bin begeisterter Nichtsinger. Der Satz liest sich einfach schöner, wenn er so dasteht, wie ich ihn eben schrieb. ↩︎
  2. Wunderbar beschrieben von Merleau-Ponty anhand des „Falles Schneider“ in seinem Buch „Phänomenologie der Wahrnehmung“. ↩︎

3 Gedanken zu „Mein Auto ist ein hysterischer Beifahrer“

  1. “ Schön war übrigens gestern ein beinahe zweistündiges Läufchen, bei dem alles analog „lief“, ich über Tempo und dergleichen entschied, das Leben, Natur, Bewegung in vollen Zügen genoss! “

    SAG‘ ICH DOCH !!!

  2. Wenn ich von deinen diesbezüglichen Erfahrungen hier lese, fällt mir spontan ein: vielleicht wäre es besser gewesen, den Alten zu behalten, um derlei Nötiges -und Unnötiges zu vermeiden.. ABER – wie man auch vernimmt – lässt sich dies oder jenes auch abstellen. Ich finde das ehrlich gesagt ätzend ! ABER hat auch den Vorteil, dass man sich mit solchen Dingen intensiv beschäftigen muss, um ihrer Herr zu werden.

    Ich habe kein Auto mehr, fahre nur noch mit dem Fahrrad, war noch nie begeisterte Autofahrerin und erspare mir somit alles, was nun auf dich zukommt !

    Leider ist es ja nicht nur der Fahrer selbst, den es betrifft, sondern auch – wie hier bei uns – die lieben Nachbarn, wenn die hypermodernen Fahrzeuge rückwärts ihren Parkplatz anfahren, so weiß die ganze Nachbarschaft, dass er/sie um soundso viel Uhr ENDLICH wieder zu Hause ist oder frühmorgens mit dem Gezwitscher der ersten Vögelchen zu unser aller Freude zur Arbeit fährt.

    Dennoch, du bist ein kluges Kerlchen, kriegst die Sache schon irgendwie hin, ohne länger drüber nachdenken zu müssen, ich bin ganz sicher.

    In diesem Sinne – halte durch – Ausdauer hast du , das hast du ja schon bewiesen.

    Sonnige Grüße von der wieder leerer gewordenen Ostsee –

    P.S. Was ist das für ein Modell ?

    1. Nee, den Alten zu behalten war keine Option – unverhältnismäßig hoher Aufwand, ihn nochmal TÜV-fertig zu machen. Und da kam mir der Gedanke, etwas Neues zu leasen. Das liefert Seelenruhe, weil’s funktioniert und öffnet die Möglichkeit, mir irgendwann ein „Auto zum liebhaben“, also was für’s Herz zuzulegen.

      Ich mag das Ding – ein Suzuki Swift – ja, und dieser Nervereien haben leider alle. Abstellen geht weitgehend, auch wenn ich den tieferen Sinn des Nicht-Dauerhaft-Abstellen-Könnens nicht nachvollziehen kann. Manche Funktionen habe ich gerne bei der Hand (Spurhalteassistent, Tempomat,…), wenn ich mich auf der Autobahn, die Augen auf Halbmast, dösend teilweise fahren lasse, statt dies selbst zu tun.

      Schön war übrigens gestern ein beinahe zweistündiges Läufchen, bei dem alles analog „lief“, ich über Tempo und dergleichen entschied, das Leben, Natur, Bewegung in vollen Zügen genoss!

      Von heute auf morgen werde ich mit einem Freund draußen übernachten, einfach so. Sollte es gewittern, bietet die Gegend hier erfreulicherweise Schutzhütten, da wird’s dann erträglich sein.

      Sonnige Grüße in den Norden,
      Harald

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