Die Hummel

Nach den Gesetzen der Wissenschaft kann eine Hummel gar nicht fliegen. Die Hummel weiß das aber nicht und fliegt trotzdem.“ Ach, dieser Satz! Gerne wird er in Gesprächen geäußert, in denen es um Wissen und Glauben geht, und zwar dann, wenn die Partei des Fühlens und Glaubens den einen, entscheidenden Punkt zu machen glaubt. Deswegen steht der Satz niemalsnicht alleine da, sondern er wird standardmäßig von diesem speziellen Blick begleitet. Einer triumphierenden Mimik, die da sagt: „Ha! Jetzt habe ich es dir gezeigt. Nimm das, du (hier bitte ein herabsetzendes Wort einsetzen)!“. Tja. Ha.

Ich vergesse den Unfug, Wissenschaft als etwas aufzufassen, woran man glauben kann (oder auch nicht), sonst vergesse ich mich womöglich. Man kann nicht oft genug sagen, dass Wissenschaftlichkeit eine Methode ist, Sachverhalte zu untersuchen. Darum geht’s mir in diesem Beitrag auch nicht. Ebenso wenig lohnt es, die eigentliche Aussage des Satzes zu betrachten und vielleicht den Forschungsstand zum Hummelflug daselbst darzulegen, das ist längst geschehen, man kann, wenn man will, auch leicht den geschichtlichen Ursprung der Behauptung recherchieren. 12 Mir macht es mehr Spaß, Struktur des Satzes und dessen innere Logik unter die Lupe zu nehmen.

Glaubt mir, es wird witzig!

Zuerst: Die Fellbienen

Doch zuerst etwas anderes, das mich schon seit geraumer Zeit beschäftigt: Wieso sagen wir überhaupt Hummel zur Hummel? Das, was mir das Wörterbuch3 als Erklärung liefert, leuchtet mir völlig ein: Es ist ein lautmalerisches Wort, mit „Hummen“ und somit „Summen“ verwandt. Wie gesagt, daran will ich wirklich nicht rütteln. Bloß finde ich es sympathischer, wenn wir von Fellbienen sprechen würden. Pelzwespe klingt besser in meinen Ohren, nur scheinen Hummeln den Bienen eher verwandt als den Wespen, wenn ich Wikipedia Glauben schenke (was ich tue). Pelzbiene als Kompromiss? Nee, lieber Fellbiene.

Fellbienen also.

Denkt nur an die Möglichkeiten, die sich aus der so scheinbar harmlosen Umbenennung für das Kürschnerhandwerk ergeben: Mützen, Mäntel, Schals aus Hummelfell, schwarz-gelb gestreiftes Muster inklusive, das wird auch diejenigen freuen, die bislang aus Tierschutzgründen keine Kleidung aus Tigerfell tragen wollen, von Nerz & Co ganz zuschweigen. Hermelin ist ja schon vor Jahrhunderten in königliche Sphären entrückt, weshalb es dem Normalbürger schon aus gesellschaftlichen Gründen verwehrt bleibt. Aber Hummelfell? Bis jetzt entzieht es sich sozial-ethischer Bewertung. Lassen sich Hummeln rasieren, ähnlich wie Schafe? Und böte dies die Option von Hummelleder? Anders als Kühe furzen Hummeln nicht (das behaupte ich einfach), weshalb sie nicht zur Erwärmung der Erdatmosphäre beitragen.

Es spricht vieles für die Fellbiene.

Ein wenig Fleiß verlangt sie natürlich , das will ich gerne zugeben. Denkt mal darüber nach – selbst wenn es nur beim neuen Namen bleibt. Doch zurück zum Thema.

Die Hummel kann’s nicht, sagt die Wissenschaft

Ganz ehrlich, wer so einen Stuss von sich gibt – „Nach den Gesetzen der Wissenschaft kann eine Hummel nicht fliegen.“ – sollte vor jedem Atemzug sicherheitshalber kurz Luft holen. Welcher Wissenschaftler würde ernsthaft eine Hypothese aufstellen, die einer Beobachtung so eklatant entgegensteht. Behaupte ich, zwei Nasen zu haben, obwohl ich nur eine habe? Eben. Wissenschaft, die empirische Wissenschaft zumindest (man kann sich darüber streiten, ob Philosophie eine Wissenschaft ist oder nicht, und im Englischen unterscheidet man zwischen Science und Humanities, aber das brauchen wir hier nicht erörtern), stellt Theorien auf, die Beobachtungen erklären: Wir nehmen dieses und jenes wahr, wie können wir das gesetzhaft darstellen? Und dann nimmt das wissenschaftliche Prinzip von Theorie und Experiment seinen Gang, wobei Theorien eben an der Erfahrung scheitern können müssen.

Das gehört so. „Wir irren uns nach oben“ ist eine nette Formulierung dafür.

Wieso sollte man das umkehren, und nach der gemachten Erfahrung eine Theorie aufstellen, die das Gegenteil just dieser behauptet? Am ersten April ließe sich eventuell behaupten, es würde nachts hell, weil die Sonne ihre Schlafbrille absetzt. Und wie lange hätte ein Gesetz, welches einer Hummel die Fähigkeit zum Fluge abspricht wohl Bestand? Immerhin sind Hummeln nicht ausgestorben – also Obacht bei der Nutzung als Fellbiene, nicht alle zu Klamotten verarbeiten! – so dass sich eine solche Theorie leicht widerlegen lässt.

Theorie: Hummeln können nicht fliegen.

Erfahrung: Doch.

Ergebnis: Theorie widerlegt.

Gesetze, Gesetze, Gesetze…

Der so wunderbare (…hüstel…) Satz spielt mit zwei Arten von Gesetzen, nämlich einerseits so genannten deskriptiven, also beschreibenden, und andererseits präskriptiven, d.h. vorschreibenden, Gesetzen. So ein deskriptives Gesetz ist Ergebnis von wissenschaftlicher Arbeit: Der Apfel fällt vom Baum – wieso macht er das? Wie löst er sich? Was ist denn der Fall des Falles, wenn etwas fällt? Hat die Schwerkraft schuld? Und: Wie fliegen Hummeln? Dem beschriebenen Sachverhalt ist es völlig schnuppe, ob die Beschreibung zutrifft.

„Menschen haben drei Arme.“

Und? Ändert sich etwas? „Nach den beschreibenden Gesetzen der Wissenschaft haben Menschen drei Arme.“. Ist halt falsch und keinen stört’s.

Anders die präskriptiven Gesetze, denen man trotzen kann. Das geht sehr einfach, zum Beispiel, indem wir im Halteverbot parken, oder in der Schule in Französisch abschreiben (mein Fall ist verjährt). Da kann es dann schon mal vorkommen, dass jemand den drohenden Zeigefinger erhebt, oder uns gar bestraft. „Nach den Gesetzen der Straßenverkehrsordnung kann Das Lauferei hier nicht parken. Dem Lauferei ist das egal und er parkt trotzdem.“ Wenn ihr wüsstet….

Übrigens sollten wir den Unterschied zwischen diesen beiden Gesetzesarten nicht verwechseln. Falsch parken ist eine Sache, den Fallgesetzen zu trotzen eine andere, die von Fall zu Fall ziemlich riskant ist. „Nach den Gesetzen der Wissenschaft kann ein Mensch nicht vom Hochhaus stürzen, P. wusste das nicht …“.

Also kommt nicht durcheinander!

Weiß die Hummel

Eigentlich kennen wir mit dem Geier ein anderes Fluggetier, welches nicht nur etwas weiß, sondern meines Wissens auch offiziell, also sowohl wissenschaftlich als auch rhetorisch-polemisch, fliegen kann. Zumindest, ich drücke mich besser vorsichtig aus, hat man ihm Flugfähigkeit nicht abgesprochen. Und er hat angeblich Wissen, womit ich beim nächsten Punkt in der genüsslich-spielerischen Zerpflückung eines eigentümlichen Satzes angelangt wäre: Dem Wissen der Hummel, was sich auf Wissen von Tieren allgemein ausweiten lässt, denn weiß doch der Geier, was der Geier weiß, wenn er denn was weiß.

Denn gar so simpel ist es dann doch wieder nicht, dieses Wissen. Da reicht schon die Frage, was das denn sei, dieses Wissen, um in erste Grübelei zu kommen, bevor wir uns kurz aufmachen, zwischen zumindest zwei Arten von Wissen zu unterscheiden (im Interesse der Hummel natürlich!), bevor wir uns fragen, ob wir überhaupt wissen können, ob und was Hummeln, Geier und der gemeine Wüstenkaktus wissen. Nee, den Kaktus lassen wir weg, der hat ja nichtmal ein zentrales Nervensysten, weiß der Geier, was der Kaktus weiß.

Nach der klassischen Definition ist Wissen gerechtfertigte, wahre Überzeugung. So einfach, wie sich das liest, ist es zu schön, um wahr zu sein. In der Tat gibt es einen Typ von Problemen in der Philosophie, die nach Edmund Gettier4 benannt sind, der im Jahre 1963 seinen Finger in eine Wunde gelegt hat, von der man zwar schon lange5 wusste, dass sie im Leibe schwärt, jedoch durch ihn (den Finger, bzw. Gettier) ziemlich deutlich ins Bewusstsein gebracht wurde.

Ich ermahne mich.

Das führt nun wirklich zu weit. Wir bleiben bei der ganz einfachen, klassischen Definition.

Wissen ist gerechtfertigte, wahre Überzeugung.

Mir fällt übrigens gerade ein, dass der Hummel kein Wissen, sondern Nichtwissen unterstellt wird, geradezu sträfliche Unkenntnis physikalisch-aerodynamischer Gesetze. Sträflich? Nee, ich will doch nicht durch die Hintertüre noch ein präskriptives Gesetz reinschmuggeln. Also: Diese Hummeln, dieses bildungsferne Viechzeug, hat keine Ahnung von Wissenschaft. Sowas aber auch. Machen wir’s nicht zu kompliziert und hüpfen zum Wissen zurück: Angenommen, die Hummel wüsste, dass sie fliegen kann. Damit sind wir beim knowing-that, das im Gegensatz zum knowing-how steht. Wir kennen das von uns selbst, wenn wir an Fertigkeiten denken, die wir zwar haben, die wir aber ums Verrecken nicht erklären können.

Weder uns selbst, noch anderen. Fragt mal ein Kleinkind, wie es beim Gehen die Balance hält. Es weiß natürlich, dass es gehen kann, aber wie es das tut, ohne hinzufallen, wird es eventuell erst in einigen Jahrzehnten (vielleicht zwei?) erklären können, wenn es sich lange genug damit befasst hat. Wissenschaftlich. Ähem.

Also ist es wahr: Die Hummel kann fliegen.

Sie ist in ihrer Überzeugung (Obacht, das kommt gleich, denn hier ist der Hund begraben. Vermutlich handelt es sich um einen Flughund.) auch gerechtfertigt, ist doch die Tatsache, dass sie fliegt, eine hinreichende Rechtfertigung für eben jenes Wissen.

Kann eine Hummel Überzeugungen haben? Überzeugungen im reflektiert-bewussten Sinn, wie wir ihn verstehen? Ich mach’s kurz: Wohl kaum. Wir können natürlich nicht mit letzter Sicherheit wissen (!), ob Hummeln oder anderes Getier über sich selbst, das Universum und den ganzen Rest nachdenken, dies kommunizieren (oder auch nicht) und infolgedessen auch eine Art Konzept von Wissen und ihren eigenen Fähigkeiten haben, nur: Wozu sollten sie das? Welchen evolutionären Vorteil hätte eine Tierart wie die Hummel, die im Fluge fröhlich jauchzt „Hurra, ich fliege! Ach wie ist das schön!“? Es fängt ja schon damit an, dass wir nicht wissen können wie sich eine Hummel als Hummel fühlt. Dazu lohnt die Lektüre von Thomas Nagels Aufsatz „What is it like to be a bat?6„, auf deutsch „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“. Wir können uns natürlich ausmalen, wie es denn wäre, mit dem Kopf nach unten zu schlafen, oder eine ähnliche Erfahrung machen, wenn wir uns mit den Füßen an einem höheren Punkt aufhängen – gibt es nicht eine Variante von Yoga, bei der man an Tüchern hängt? Klingt, als würde ich es zumindest mal ausprobieren… Nur bleiben wir dabei immer noch Menschen, das heißt, unsere Gedanken sind und bleiben die von Menschen, was uns nicht dabei hilft, wenn wir wissen wollen, wie einer Hummel um Fluge zumute ist.

Vielleicht wird ihr ja schwindelig, weshalb sie so komisch herumtänzelt in der Luft.

Ob Pinguine oder Strauße vielleicht Vögel sind, die unter Höhenangst leiden? Das würde erklären, warum sie lieber laufen oder schwimmen. Muss eine schwindelgeplagte Hummel kotzen? Die Rückstände davon müssten sich ja nachweisen lassen…

Ich schweife ab, Zeit für ein Zwischenfazit.

Zwischiges Fazit

Ich halte kurz fest, dass dieser komische Ausspruch bislang nichts erbracht hat als kein Fundament, auf dem er ruhen könnte. Weder stimmt das, was er über Wissenschaft behauptet, noch weiß die Hummel etwas, geschweige denn ist sie des Trotzes fähig. Sie hat ja nichtmal einen Mittelfinger, den sie der pöhsen Wissenschaft entgegenrecken könnte!

Immerhin, das gefällt mir ganz gut, spielt die Aussage mit verschiedenen Arten von Gesetzen.

Fazit

Seid ihr überrascht, dass das Fazit so schnell nach dem zwischigen Ebensolchen kommt? Ich wollte nichts weiter tun, als den längeren Text nochmal kurz in euer Gedächtnis rufen, damit ich ein ebenso kurzes Fazit ziehen kann.

Was bleibt vom analysierten Satz, vom triumphierenden „Ha!“?

Nichts.

  1. sciencenews.org/article/flight-bumblebee ↩︎
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Hummel-Paradoxon ↩︎
  3. Pfeifer, W.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, dtv 1997, ISBN 978-3423325110 ↩︎
  4. https://iep.utm.edu/gettier/#H3 ↩︎
  5. der früheste „Gettier-Fall“, von dem ich gelesen habe, datiert von etwa 770 und wird dem indischen Philosophen Dharmottara zugeschrieben. ↩︎
  6. PDF Download: https://www.sas.upenn.edu/~cavitch/pdf-library/Nagel_Bat.pdf ↩︎

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