In Heidelberg liegt er am Neckar. In Hamburg ist es die Alster, und in München der Englische Garten: der städtische Lauf-Steg.
Um zu erklären, was das eigentlich ist, muss ich weiter ausholen: ein Lauf-Steg ist mit der Lauf-Strecke eng verwandt, und doch von ihr grundverschieden. Vielmehr: Weg und die ihn nutzenden Läuflinge machen den Unterschied aus. Nein, nicht ganz korrekt: erst durch die Symbiose von geeigneter Lauf-Strecke und Läuflingen kann ein Lauf-Steg entstehen. Beginnen wir also damit, beide etwas näher zu betrachten.
Wir lenken unseren Blick zunächst zur Laufstrecke. Eine solche hat ein jeder Läufling. Mindestens eine, die meisten gar mehrere, womöglich findet sich eine Lieblingslaufstrecke darunter. Auf ihnen widmet man sich der körperlichen Ertüchtigung, man „läuft“. Sommers wie winters, bei Tag und bei Nacht, Regen, Sonnenschein, was das Repertoire der dominierenden Klimazone eben bietet. All das finden wir auch am Lauf-Steg, der meistens in Citynähe liegt, worin sich das erste Unterscheidungsmerkmal manifestiert. Niemals wird man einen Lauf-Steg irgendwo mitten im Nichts finden, weit draußen vor der Stadt, gar im Walde mit unbefestigten Wegen. Undenkbar ein Steg im Industriegebiet, inmitten hässlicher Wohnsiedlungen. Zwar ist der Lauf-Steg eindeutig ein Element der urbanen Lauf-Kultur, direkt in der geschäftigen Innenstadt geht allerdings nicht, dort fehlt die Natur als gestaltendes, Atmosphäre gebendes Element.
Ambiente ist unerlässlich, es ist das Outfit des Lauf-Steges.
Outfit ist übrigens auch das Schlüsselwort, welches unsere Aufmerksamkeit auf die dort hauptsächlich anzutreffenden Läuflingen ebnet. Natürlich wird ein Lauf-Steg – wie auch die Laufstrecke – von einem heterogenen Publikum genutzt. Auf dem Lauf-Steg bestimmen durchgestylte Läuflinge das Bild.
Unter- und Oberkörperkleidung, selbst die Socken und Schuhe bilden ein farblich abgestimmtes, harmonisches Ganzes. Johannes Itten würde sich, entspannt auf einer Parkbank sitzend (und jetzt erzähl‘ mir keiner, es gäbe Lauf-Stege, an denen keine Bänke stehen), im offenkundigen Erfolg seiner Theorie der Farbtypen sonnen.
Das Styling macht natürlich nicht bei der Kleidung halt. Nein, Haare in und über dem Gesicht, Fingernägel und Make-Up sind ins Stylingkonzept integriert. Bevor jemand fragt: ja, für den Lauf-Steg schminkt man sich.
Ich wundere mich übrigens – wundere ich mich wirklich? – dass bei Schlamm und Nässe, selbst bei Schneematsch, weisse Klamotten auf dem Lauf-Steg weiss bleiben. Sämtliche anderen Wege beschichten Laufkleidung in Nullkommanix mit Dreck. Was einst Weiss war, nimmt nach wenigen Minuten eine dreckverkrustete Farbe an. Nicht so am Lauf-Steg. Strahlende Farben bleiben strahlend. Gibt es einen unentdeckten physikalischen Effekt, der nur auf Lauf-Stegen wirkt?
Lasst es mich anders formulieren: Lauf-Steg Läuflinge sehen nicht nur besser, vor allem aber aufwändiger aus als Läuflinge auf Laufstrecken. Oder Laufstrecken-Läuflinge, die auf Lauf-Stegen laufen.
Was mich am meisten erstaunt: Lauf-Steg Läuflinge scheinen nicht zu schwitzen. Man verstehe mich nicht falsch, natürlich zeigt ihr Antlitz Zeichen der Anstrengung. Ich meine gar, bisweilen gerötete Wangen und einmal sogar einen leichten Feuchtigkeitsfilm bemerkt zu haben. Aber sie sehen kaum angestrengt aus. Vielleicht fehlt auch der Impuls für einen ausgemergelt-gequälten Blick. Ich könnte direkt neidisch werden.
Und so bilden der Lauf-Steg und seine Läuflinge ein symbiotisch wirkendes Gesamtkunstwerk, eine im Sport verdichtete Win-Win Situation. Das Leben des Lauf-Stegs ist schön.
Ein bis zwei Mal im Jahr erlebt der typische Lauf-Steg eine Wandlung. Zwei Wochen lang kommen mehr und mehr Läuflinge zu ihm. Es ist die Zeit vor dem großen Tag des Citylaufs. Die Schönen werden noch schöner. Läuflinge jedweder Ausrichtung stellen sich ein, um herauszuholen, was sie in fünfzig Wochen versäumt haben. Und weil sich hierunter viele wenig gestählte, und kaum gestylte, Körper mischen, sinkt die durchschnittliche Schönheit des Gesamtkunstwerkes Lauf-Steg sogar ein wenig. Am Tag nach dem Event: Ruhe.
Nach zwei, drei weiteren Tagen gehört der Lauf-Steg wieder seinem angestammten Publikum. Das ist sehr schön.