Trainingsfaul

Es gibt da diese Leute, die jahrein, jahraus durch die Gegend laufen, stolz auf die angesammelten Wochenkilometer. Laufen ist ihr einziger Sport, eventuell steigt man auch mal aufs Rad – für mich ein deutliches Indiz für chronische Unlust. Trainingsfaul.

Es gibt da diese Leute, die jahrein, jahraus durch die Gegend laufen, stolz auf die angesammelten Wochenkilometer. Unterhalte ich mich mit ihnen, werfen sie sich darob in die Brust: Mein Haus, mein Boot, meine Wochenkilometer.
Laufen ist ihr einziger Sport, eventuell steigen sie auch mal aufs Rad, worin sich das erschöpft, was sie für Training halten.

Ich nenne es trainingsfaul.

Keine Frage, gemeine Läufling trägt seinen Namen zu Recht, weil er gerne läuft. Ich bin schließlich auch einer aus dieser Gruppe. Dennoch unterscheide ich zwischen verschiedenen Aspekten, nein, ich erkenne eine Nuance, an der sich der trainierende Läufling vom trainingsfaulen Läufling unterscheidet. Ein Merkmal, das ich an der Frage festmache, ob denn nur gelaufen, oder auch trainiert wird. Ob in dem, was da Training genannt wird, tatsächlich Belastungsreize im Sinne einer verbesserten Leistungsfähigkeit gesetzt werden – oder ob einzig die Bewegung an der frischen Luft Anfangs- und Endpunkt der Aktivität darstellt.

Wie gerne beruft man sich auf das Dogma der LSD-Läufe, deren Bezeichnung entgegen der nahe liegenden Vermutung von long slow distance stammt. Die von vielen (auch mir) so geliebten langen, langsamen Läufe. Wir laufen hohe Umfänge bei niedriger Intensität, was die Fähigkeit unseres Körpers fördert, Fette in Vortrieb umzusetzen. Außerdem schauen wir uns die Gegend an, können uns bequem unterhalten und bleiben, vor allem, in unserer – Obacht, Buzzword! – Komfortzone.

Spazierenlaufen also.

Spaziergänge mit Flugphase.

Als Spazierrenner kommt man leicht auf beeindruckende Wochenumfänge ohne sich allzusehr anzustrengen, vor allem dann nicht, wenn das Ganze auf guten Wegen stattfindet. Schotterstraßen sind für viele das Höchste der Gefühle, weil schon ein kleines Würzelchen die motorischen Fähigkeiten an ihre Grenzen führt. Wenn wenig gut ist, ist mehr besser, deshalb macht viel Laufen den guten Läufling.

Laufen lernt man nur durch Laufen.

Ein Ausspruch, den ich bis vor, sagen wir: zehn Jahren, tat. Ich stehe dazu, stehe zu dem Unsinn, den ich in meiner damaligen Anhnungslosigkeit von mir gab. Warum konnte ich nach vierundzwanzig Stunden meinen Rumpf kaum gerade halten? Warum bekam ich Muskelkater im Rumpf? Tja, warum wohl? Und wieso habe ich an den Mythos geglaubt, der Umstieg auf lange Distanzen macht langsam? Natürlich sind es nicht die großen Strecken, es ist das andere Training, der Verzicht auf Intensität, auf Belastungsreize.

Ich ziehe eine Parallele zu Fitness-Moden, denen eine Sache gemein zu sein scheint: die Teilnehmer belasten sich nicht. Bevor das Protestgeschrei losgeht: ich bezweifle nicht, dass Zumba & Co anstrengen kann. Das gilt genauso für LSD-Läufe, auch da lässt sich Schweiß vergießen.
Jedoch nehme ich ein Symptom wahr, das sich wie ein roter Faden durch einen bestimmten Typ von sportähnlicher Aktivität zieht: die Intensität ist extrem niedrig.
Da haben Menschen mit durchaus gesunder Statur winzige Kettlebell-ähnliche Gegenstände in der Hand, deren Gewicht kein echtes Training im Sinne des Sports zulässt. Leute, bevor ihr Mandarinen mit Griff verwendet, lasst die Dinger probehalber ganz weg. Wetten, dass ihr kaum einen Unterschied bemerkt? Eben. Wenn ihr ein Trainingsgerät verwendet, das seinen Namen verdient, spürt ihr sehr deutlich, wenn ihr die Übungen ohne es ausführt. So soll es auch sein.

Nein, es geht nicht darum, quäl‘ dich, du Sau um jeden Preis und in jeder Session zu praktizieren, wie man es der CrossFit-Gemeinde nachsagt. Es geht (mir) darum, zu Trainingsreizen aufzufordern. Darum, dem Läufling zuzurufen:

Du hast mehr Spaß am Laufen, wenn du nicht nur läufst!

Stabilisationstraining macht dir keinen Spaß? Willkommen im Club! Was habe ich mich gelangweilt, als ich mich noch regelmäßig dazu überwand. Einmal in der Woche zwang ich mich zum Pflichtprogramm aus Halte- und anderen Übungen, wie sie in fast jedem Trainingsbuch über’s Laufen zu finden sind. Bis zu dem Zeitpunkt, der strenggenommen ein Zeitraum war, an dem ich Kettlebells kennen und lieben lernte. Nach und nach kamen Ringe hinzu, kürzlich eine Langhantel. Und was soll ich sagen? Halte- und andere Übungen bilden manchmal einen Teil meines Aufwärmtrainings. In anderem Kontext würde ich jetzt schreiben, dass ich meinen Weg gefunden habe.

Was ich damit sagen will? Finde deinen Weg. Falls du auf die Übungen aus dem Laufbuch stehst, prima. Magst du lieber an Maschinen trainieren, super. Du gehst lieber Klettern? Top! Egal was du tust, tu‘ es!

Celia Kuch hat kürzlich geschrieben, dass Athletiktraining zwar nicht beliebt ist, aber notwendig – und dass es klar in die Eigenverantwortung des mündigen Athleten fällt.
„Nicht beliebt“ kann auch daran liegen, dass der eigene Weg erst noch gefunden werden muss, ansonsten stimme ich der Aussage voll und ganz zu.

Aber wieso sage ich „trainingsfaul“? Trainingsfäule – Trainingsfäulnis – Trainingsfaulheit impliziert doch irgendwie, dass die Gegenthese „Trainingsfleiß“ zwar ohne Blut und Tränen, dafür aber mit viel Schweiß verknüpft ist.
In der Tat, das ist sie gewiss. Obendrein verlangt die Art von Training, die ich meine, und das ist die mit Belastungsreizen, nach mentaler Härte. Nein, ich formuliere weicher: nach einer sanften Überwindung der eigenen Trägheit. Sie bedarf der geistigen Auseinandersetzung mit sich selbst, damit, sich etwas näher an den Rand der Komfortzone zu begeben.

Aber ich bin Genussläufer!

Passt schon.

Es sei denn, du führst ein Trainingstagebuch, beziehungsweise sprichst überhaupt von Training. Als Spazierrenner brauchst du nicht trainieren, als Trainierendem unterstelle ich dir wenigstens zum Teil sportliche Beweg- und Bewegungsgründe. Ich kenne außer mir selbst viele andere, die ihre Tempointervalle genießen. Vielleicht nicht jedes einzelne Intervall, auch nicht jede Session, aber was gibt es Geileres, als ab und zu die Sau rauszulassen und ein paar Mal einen Hügel raufzurennen? Hätte ich dann Luft, ich würde mit einem anhaltenden Freudenschrei hochspringen! Und, wie gesagt: das passende Krafttraining ist ebenso eine superspaßige Abwechslung wie zehn Minuten mit der Agilitätsleiter.

Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! schreibt Immanuel Kant in seinem Essay Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, und fordert den Ausbruch des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Habe den Mut, dich zu benutzen! verlange ich, und fordere den Ausbruch des gemeinen Läuflings aus seiner selbstverschuldeten Unsportlichkeit.

6 Gedanken zu „Trainingsfaul“

  1. Lieber Harald, für mich ist ja bekanntlich Laufen Lebenselixier, der Vernunft gehorchend ziehe ich drei Mal wöchentlich ein selbst zusammengebasteltes – so glaube ich – sinnvolles Muskelstärkungsprogramm konsequent durch, weil ich weiß, dass es zu meinem Wohlbefinden beiträgt. Das genügt mir – als trainingsfaul würde ich mich auch nicht bezeichnen – alles in allem bin ich mit mir zufrieden – so oder so !! 😉

    Bis dann, aber ein bisschen bellen ist auch in meinem Programm !! 😉

    1. Liebe Margitta,
      da machst du deutlich mehr, als ich vor ein paar Jahren noch (vor meiner Kettlebell-Ära). Meine Vernunft reichte da gerade für ein wöchentliches Programm…
      Trainingsfaul bist du garantiert nicht, schließlich machst du ja deutlich mehr, als nur auf flachem Untergrund hohe Umfänge zu bolzen. 😉

      Ciao,
      Harald

  2. Lieber Harald,
    da triffst Du einen empfindlichen Nerv. V.a. bei mir, da ich laufe um des Laufens Willen. Neben dem Beruf, der Familie und dem Laufen bleibt nur wenig Zeit für Alternativ- oder Krafttraining…und nein, das ist keine faule Ausrede. Stabitraining und Rückengymnastik mach ich gerne und viele Übungen sind in meinen Alltag integriert. Aber Krafttraining kommt definitiv zu kurz und ganz ehrlich…da fehlt mir wirklich die Motivation. Seit ich das Barfußlaufen für mich entdeckt habe, ist meine Core- und Rückenmuskulatur ausgezeichnet geworden. Mir genügt das und so lange keine Defizite auftreten, lass ich es auch dabei. Ja, ich bin trainingsfaul 😉

    Salut

    1. Lieber Christian,
      wie du dein Training, und vor allem dessen Resultat mit hervorragender Core- / Rückenmuskulatur, ziehst du dir einen Schuh an, der nicht für dich gedacht ist. Denn du hast „deinen Weg“ gefunden, indem du Stabiübungen nutzt. Dass mir diese Form des Krafttrainings keine Freude macht, war ja der Grund für mich, offen zu sein für Alternativen. Von daher gesehen möchte ich dir widersprechen, wenn du dich als trainingsfaul titulierst. 😉

      Läufst du komplett barfuß oder mit Minimalschuhen (Five Fingers o.ä.)?

      Ciao,
      Harald

      1. Sowohl als auch, sprich auf Trails meist mit FiveFingers und auf befestigten Wegen und auch auf Asphalt -so lange er nicht zu heiß ist 😉 – 1-2 x pro Woche barfuß. Aber ich bin nicht dogmatisch, habe noch ein paar ausgetretene Trailschlappen mit wenig Sprengung und ohne Dämpfung, die zieh ich auch ganz gerne an.
        Und ich darf Dir dennoch widersprechen…ich bin trainingsfaul, Stabiübungen reichen zwar noch, aber langfristig – bin bald 50 – brauch ich wahrscheinlich mehr 🙂

        Salut

        1. Bei mir ist „der bare Fuß“ weniger ausgeprägt als bei dir. Für Hügelsprints und Techniktraining (quer durch den Wald, oder auf Single Trails) ziehe ich meine Feelmax an, seltener die FiveFingers. Alte Trailschlappen hab‘ ich auch 🙂
          Ich gebe mich deinem Argument geschlagen, du trainingsfauler Mensch 😉 Bin auch bald 50, zum Glück habe ich frühzeitig angefangen 😀

          Ciao,
          Harald

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