Jackwolfskinisierung

Manche Firmen erwerben sich mit guten Produkten einen guten Ruf. Sie sind vollkommen zu Recht erfolgreich. Und doch muss es irgendwo einen Knopf geben, der, sobald man ihn drückt, einen unaufhaltsamen Verfallsprozess in Gang setzt: die Jackwolfskinisierung.

Als der Sauerländer Förster Jacobinius Sperlingsschnabel im Jahre 1864 einige Stoffreste zu einem Wams vernähte, hätte er sich wohl kaum träumen lassen, dass sein Lebenswerk dereinst Inspiration für einen Blogartikel werden könnte.
Dieser rechtschaffene Mann, der seinen Namen im Laufe der Jahre zunächst in Jacobus Fuchsschwanz, dann in Jakob Wolfsfell und schlussendlich jenen Namen änderte, den wir heute mit dem allseits bekannten, alltäglichen, und vor allen Dingen tatzenhaften Signet verbinden, hatte nichts weiter im Sinn, als sich in den bitterkalten Nächten auf dem Hochsitz ein wenig Wärme zu verschaffen.

Wie hätte er auch ahnen können, dass sein Schaffen in späteren Jahren zum Symbol für ein Phänomen werden sollte, welches eine hochangesehene Marke mit zunehmender Verbreitung zuerst alltäglich, und schlussendlich peinlich werden lässt: die Jackwolfskinisierung.

Dabei begannen die Geschicke der Marke mit dem Pfotenabdruck überaus vielversprechend. Die gute Qualität der von Jacobinius und seiner Frau gefertigten Wämser sprach sich schnell herum, und nach kurzer Zeit waren sämtliche Mägde der näheren Umgebung in einer eigenen Näherei angestellt.
Das, was wir heutzutage als “Expansion” kennen, nannte Jacobinius’ Enkel, der das Unternehmen später führte, schlicht “wachsen”. Unter seiner Ägide gedieh der Erbhof mit der Tatze prächtig, hervorragende Kleidungsstücke, später gar Rucksäcke, entsprachen den Bedürfnissen des Wald- und Waidmannes. Drei weitere Generationen später griff die aufkommende Outdoor-Bewegung gerne zu den Produkten des Hauses.

“Die Pfote”, das war lange Zeit Erkennungszeichen outdoorbegeisterter Lehrerpaare. Gute Qualität, gute Funktion, und alle waren zufrieden.

Bis, ja bis der Schalter umgelegt wurde.

Was kam zuerst?
Waren es die Schuhe, die auf einmal “auch noch” ins Sortiment aufgenommen wurden? Oder begann das Ende damit, dass mindestens zweimal im Jahr eine neue “Kollektion” ihren Einzug in den Katalog hielt? Etwas anders aussehend, ansonsten genau wie vorher.
Eine ständig neue, verwirrende Vielfalt weitgehend ähnlicher Produkte. Wobei der Produktmanager gemeinsam mit dem Marketing eher von Produktlinien und Marktsegmenten sprechen würde.

Aber “neu”. Der ideale Kunde kauft einmal, trägt im Urlaub, und wirft weg. Klamotten vom letzten Jahr taugen allenfalls noch für die Kleidertonne.

Muss ich, will ich schreiben, dass das Design zum Erkennungsmerkmal dessen wurde, was “neu” war?
Nein, ich will nicht. Ich tue es nicht, denn ich würde damit ausdrücken, dass sich gute Funktion und gutes Aussehen ausschließen.
Ich wäre der letzte, der das behaupten würde, denn nicht erst das Bauhaus wusste, dass Form der Funktion folgt.
Etwas Funktion muss allerdings sein! Immer öfter fiel auf, dass funktional kaum veränderte Dinge als “neu” angepriesen wurden.
Für die Herbstkollektion.
Vielmehr: die neue Herbstkollektion, weil die Herbstjacke von letztem Jahr dieselbe ist. Bloß der Grünton ist anders, und die Reißverschlüsse sind jetzt rot.

Die Freaks, Käufer der ersten Stunde fanden rasch heraus, dass sie im Katalog nichts mehr fanden. Lifegestyltes Zeugs hatte die hochgeschätzten Klamotten weitgehend verdrängt. Als nostalgisches Feigenblatt waren gerade ein paar Socken übrig geblieben. Dafür wuchs die Rubrik “Accessoires” im Katalog: Gürtel, Schlüsselanhänger und Handyetuis.
Und die Uhrenkollektion.
Ganz recht, wir können auch Uhren. Uhren macht schließlich jeder, dem nichts besseres einfällt als seine unverwechselbare Marke bis zur Verwechselbarkeit breitzutreten.
Unsere sind tatziger.

Als nächsten Meilenstein auf dem langen Weg nach unten – damals wähnte man sich in der Geschäftsleitung noch auf dem aufsteigenden Ast – wurden in vielen Städten “Flagship Stores” eröffnet, Pilgerstätten der Markenfreaks, die ihren Teil zu jackwolfskinisierten Städten beitrugen.

Tatzen. Überall Tatzen.

Wo die Träger derartiger Kleidung, wenn sie sich denn einmal begegneten, in gegenseitigem Verstehen zunicken konnten, von Outdoormensch zu Outdoormensch, war das Nicken längst nicht mehr praktikabel. Vor lauter Nickern hätte jede Einkaufsmeile deutscher Innenstädte an ein Heavy-Metal Konzert erinnert.

Headbanging im Geiste des Wolfs.

A propos deutsche Innenstädte. Sie hatten, das ist eine wenig bekannte Tatsache, längst einen Gesprächskreis gegründet. Monat für Monat saßen sie beisammen und klagten sich gegenseitig ihr Leid: “ich werde dauernd betatzt”.
“Komisch,” sprach ein Wald, der zufällig zu Gast war, “mir kommt es vor, als stünden überall Schilder, auf denen ‘Pfoten raus’ zu lesen ist”.

Und es jackwolfskinisierte sich weiter.

Die Familie selbst hatte sich längst aus dem Unternehmen zurückgezogen, an einen Investor verkauft.
Auf Investoren dreinschlagen ist wohlfeil. Es gibt genug schlechte Beispiele.
Und sicher ist es für die Herzblut-Fraktion leichter, Anerkennung bei den Fans zu finden.
Ich erlaube mir auch, daran zu zweifeln, dass ein abhängig beschäftigter Geschäftsführer in Dekaden denkt. Dass er den langfristigen, seine eigene Existenz überdauernden Erfolg des Unternehmens im Sinn hat.
Profit ist per se nicht verwerflich, sondern sogar notwendig.
Und auch den Gründern sei von Herzen gegönnt (Aha! Die Herzblutfraktion spricht!), dass sie mit ihren geilen Ideen, den genialen Produkten auch ordentlich verdienen.
Es kommt viel zu oft vor, dass Idealismus Lorbeeren, und zu selten, dass er Reichtum erntet.

Aber – ich wette, liebe Leser, ihr habt die ganze Zeit auf ein “aber” gewartet. Hier ist es: aber der Bogen kann auch überspannt werden. Die Crux daran ist leider, dass man es erst merkt, wenn es zu spät ist.

Wenn er bricht.

Der Bogen.

Der Marktanteil.

Seltener der Kunde, der die Jackwolfskinisierung nicht mehr erträgt, und stattdessen zu anderen Marken abwandert, die sich längst in jenen Nischen festgesetzt haben, die dem größer gewordenen Unternehmen zu mickrig geworden sind.

Ein Symptom, vielleicht nicht einmal das, eher ein Hinweis auf eine weitere, noch niedrigere Stufe der Jackwolfskinisierung ist ein seltsames Gebaren, wenn es um rechtliche Themen geht.
Man wähnt sich in einem Schutzrecht verletzt, und prompt mahnt man den vermeintlichen Markenverletzer ab.
Vollkommen überrascht vom hereinbrechenden Shitstorm sieht man sich zum Zurückrudern genötigt, und noch während man eifrig paddelt, gelobt man gleichermaßen feierlich wie kleinlaut, man würde künftig mehr Fingerspitzengefühl walten lassen.
Die jackwolfskinisierte Marke ist dermaßen berauscht von ihrer eigenen Bedeutung, dass jede unkontrollierte Nennung des eigenen Namens als Bedrohung wahrgenommen wird. Kein Wunder, wenn der Verstand aussetzt.

Der erfolgreiche Jäger leidet unter Verfolgungswahn.

Ein Gerücht will übrigens von einem Plan wissen, europäische Wölfe auszurotten.
Weil deren Tatzen das Markenlogo kopieren.
Ohne Genehmigung.
Wie gesagt: es ist nur ein Gerücht.

Eine jackwolfskinisierte Firma hat ein großes Problem: weil große Teile der Welt jackwolfskinisiert sind, weil das Logo der jackwolfskinisierten Marke allüberall in Büros, Kinos, Autos, auf Bahnsteigen Autobahnraststätten und in Parks – seltener in der freien Natur, getragen wird. Weil es längst auf Koffern, Taschen, Jacken, Hosen, Gürteln und anderen Bestandteilen der jackwolfskinisierten urbanen Uniform geworden ist, glaubt man die Grenze des Wachstums erreicht.

Was tun?

Es gilt, eine weitere Stufe der Jackwolfskinisierung zu erklimmen. Besser gesagt: zu erstürzen, denn es geht wiederum abwärts. Man entdeckt etwas für sich, das schön mit “neuen Märkten” umschrieben werden kann. Konkret springt man auf einen Zug, der gen Trailrunning fährt.
Möglicherweise sogar mit brauchbaren Produkten (ich verfüge über keine persönliche Erfahrung).
Schwierig wird die Sache für eine jackwolfskinisierte Marke dadurch, dass sie bereits sehr bekannt ist. Das stellt sie vor die Herausforderung, im neuen Markt ernst genommen zu werden.

Jedem alles sein wollen, das wird nicht leicht, denn everybody’s darling is everybody’s depp.

Jetzt wird also auch Trailrunning betatzt.

Vielleicht klappt’s ja.

Falls nicht, falls der Bogen bricht, erleben wir das Endstadium. Es mündet im Gang zum Discounter. Kappa wird heute bei Lidl verramscht.
Wenn die Marke stark genug ist, erbarmt sich eines Tages vielleicht jemand.
Schrumpft gesund.
Etwas kleiner und viel feiner.
Fokus auf Freaks?

Erst cool, dann überall, am Ende peinlich. Jackwolfskinisierung.

11 Gedanken zu „Jackwolfskinisierung“

  1. Ach ja, die Jack Wolfskin Jacke ist das SUV des kleinen Mannes. Hauptsache man erregt den Eindruck ein echter Naturbursche zu sein … dass weder SUV noch Wolfshaut-Jacke jemals mehr Natur sehen als einen Stadtpark.

  2. Bei diesem Beitrag musste ich mehrmals schmunzeln – Du triffst den Nagel auf den Kopf! Seit die Firma Kissen mit Katzenpfötchen darauf verklagt hat (weil das ja Outdoorkleidung mit Wolfspfoten so ähnlich kommt) schaue ich mir deren Produkte nicht einmal mehr an… Ich bin gespannt, ob an den Gerüchten mit dem Wolf etwas daran ist 🙂
    Liebe Grüsse
    Ariana

    1. Ist bei mir genauso, anscheinend haben sie aktuell wieder ihre Anwaltsschergen losgeschickt. Ich schließe daraus, dass sich die Einstellung seit 2009 nicht geändert hat. Von wegen Fingerspitzengefühl….
      Was ich daran so dämlich finde: in manchen Fällen sind die Tatzendarstellungen wirklich arg ähnlich, gegen die würde ich mich als Markeninhaber auch wehren. Auf jeden Spatzen sofort mit der großen Abmahnkanone loszuballern ist meiner Meinung nach instinktlos.

      Lass’ uns mal hoffen, dass Wolfstatzen auch in zehn Jahren noch an den Tieren vorkommen – und nicht nur als Aufnäher. 😉

      Liebe Grüße und schönen Sonntag,
      Harald

      1. Apple fährt da eine ähnliche Politik. Die haben unter anderem ein Geschäft in Bonn abgemahnt (Apfelkind), die Kinderkleidung verkauft haben, weil das Logo angeblich zu ähnlich sei. Zum kotzen diese Geschäftspolitik!

        1. Übel. Dabei ist das Markenrecht ziemlich cool, dumm nur, dass es von irgendwelchen Dumpfbacken verzerrt wird. “du sollst keine angebissenen Äpfel neben mir haben”.
          Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Heinis, die glauben, es würde keinen stören, wenn sie mal eben schnell drei Streifen auf ihre Klamotten für den Flohmarkt nähen.

          Abendfüllendes Thema 😉

  3. Komisch
    du verpackst schon wieder
    in perfekte Worte
    was ich längst für mich mit Schaudern beobachtet
    und mich darum ebenso längst abgewandt habe
    hier vor Ort
    bei den Urlaubern
    aber auch bei den Einheimischen
    gibt es nichts anderes mehr
    am Meer
    nur noch diese Pfoten
    am schönsten im Partner-
    oder Familienlook
    Papa in blau
    Mama in rot
    im Winter
    Papa in dunkelbraun
    Mama in zartem beige
    und alle gehen im Gleichschritt
    wie gut
    dass ich
    und du………………………………….. 😉

    1. Furchtbar, diese Uniformität. Zuviel Erfolg macht uncool.

      Gleichschritt, das Wort passt wirklich. Zum Glück gehen wir unseren eigenen Weg. Aus Prinzip. Weil wir weder anders können, noch wollen. 😉

  4. Ist es eigentlich immer noch so, dass man nach einem Lehramts- respektive Pädagogikstudium sich und seine Kinder in diese unsäglichen Klamotten stopfen muss? Denn innzwischen habe ich den Eindruck, dass der Trend zur Northfacerisierung geht. Wobei aber auch Mammut und noch ein paar andere Marken an diesem Trend interessiert zu sein scheinen. Wir werden sehen, was die Zukunft noch so bringt 😉

    1. Gute Frage, keine Ahnung ob es noch so eine Konvention gibt.
      Northface und Mammut nenne ich auch jackwolfskinisiert, bei der Tatzenmarke ist es mir als erstes aufgefallen, weshalb sie die zweifelhafte Ehre hat, als Namensgeber zu fungieren. Auch Icebreaker zeigt übrigens erste Symptome, finde ich. Und neulich musste ich sogar einen Flagship Store von Odlo erblicken: mitten in Mannheim!
      Warten wir’s ab! 🙂

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