Scott in Brecon. OMM 2013

Als Robert Scott im Jahre 1912 den Südpol erreichte, wehte dort bereits die Fahne seines Rivalen Amundsen. Geschlagen im Rennen um den Südpol machte er sich mit seinen Begleitern auf den Rückweg, wo sie den Tod fanden.
101 Jahre später: Noel und ich suchen in den walisischen Brecon Beacons nach einer Fahne. Frustriert machen wir uns auf den Rückweg…

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Brecon Beacons, alias: schön!
Als Robert Scott im Jahre 1912 den Südpol erreichte, wehte dort bereits die Fahne seines Rivalen Amundsen. Geschlagen im Rennen um den Südpol machte er sich mit seinen Begleitern auf den Rückweg, wo sie den Tod fanden.
101 Jahre später: Noel und ich suchen in den walisischen Brecon Beacons nach einer Fahne. Frustriert machen wir uns auf den Rückweg…

Ein Tag vorher: das OMM Event Center befindet sich in einem großen Schafstall (wo waren die Schafe eigentlich das Wochenende über?), auf zwei großen Wiesen ist reichlich platz für Autos und Zelte.
Die Routiniers unter den Teilnehmern erkennen wir sofort an ihren Gummistiefeln. Denn Wiese plus Regen bedeutet natürlich: Matsch. Wie wir nach dem Lauf den Parkplatz verlassen würden, die Lösung dieses Problems vertagten wir auf den Moment, an dem es sich uns stellen würde. Woran wir gut taten, denn die fleißigen Helfer waren schnell dabei, Fahrplatten auszulegen. In der Tat, Briten pflegen ein inniges Verhältnis zu Schlamm!

Nach einem leckeren Frühstück – Tee und Porridge, was sonst? – machten wir uns auf den Weg zum Start. Genau genommen durften wir zunächst eine knappe dreiviertel Stunde zu einer Bushaltestelle laufen. Allein diese Strecke, über Zäune, Trails und, wer hätte es gedacht, rutschige Wiesen, würde sich andernorts als Wettkampf qualifizieren. Hatte ich mich noch gegrämt, weil ich meine Gamaschen vergessen hatte, war dieser Gram nach wenigen Minuten verflogen. Pfützen im Weg ließen kaum eine Wahl, als die Fußkleidung vorzunässen. Steinchen im Schuh? Bei den Wegen kein Thema. In der Nähe der Bushaltestelle dann eine freudige Überraschung: Tee wartete auf uns! Schon fix und fertig mit Milch und Zucker.
Voller Vorfreude saßen wir dann im Bus, dessen Scheiben angesichts der kollektiven Ausdünstungen von rund sechzig regen- und schweissnassen Läufern keine andere Wahl hatten, als in Rekordzeit zu beschlagen.

Das Ritual beim Start verdient eine genauere Würdigung. Der OMM kombiniert bekanntlich Ausdauersport mit Orientierungslauf. Mit Karte und Kompass. Was dazu führt, dass die Teams erstens im Minutenabstand auf den Weg geschickt werden, und man ihnen zweitens die Karte eben mit dem „GO!“ in die Hand drückt. Hände vielmehr, denn jeder bekommt seine eigene Karte, auf der die anzunavigierenden Punkte markiert sind.
Alldieweil GPS und ähnliche Spielereien strikt verboten sind, bleibt die intellektuelle Herausforderung, jeden Kontrollpunkt mit besagter Karte und Kompass anzusteuern.

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marschig. neblig.

„Kriegen wir hin. Hauptsache, es ist kein Nebel!“

Was aber erblickten unsere Augen, als wir den Kopf auf genau jenen Hügel richteten, auf oder hinter dem die erste Kontrolle lag? Nebel!

Dessen ungeachtet gestaltete es sich gut machbar, den rechten Weg zu finden. Auf der Höhe angekommen, mitten im Nebel (vielleicht war es auch eine tief hängende Wolke), regnete es, zudem pfiff ein kräftiger Wind, so dass wir froh um unsere Klamotten waren. Die Stimmung war prima – unsere, aber auch jene von Landschaft, Wetter und Weg. Es war eine stimmige Stimmung wie ich sie von Schauerromanen kenne. Regen, Nebel, sturmumtoste Höhen. Die Option, abzustürzen hatten wir übrigens auch. Heulende Wölfe hätten eventuell noch gefehlt. Aber vielleicht habe ich zu sehr den Hund der Baskervilles im Gedächtnis. Und der war in Dartmoor aktiv.

Unsere erste Lektion lernten wir, nachdem wir einem anderen Team ein Stück ins Nichts gefolgt waren (wie gesagt: es war Nebel), in der irrigen Annahme, näher an das erste Ziel zu kommen: Ein Bach, dort am östlichen Ufer. Nach einer Stunde sinnlosen Umherstolperns sind wir zu genau jenem Punkt zurückgelaufen, von dem aus unser Plan vorgesehen hatte, uns erst gen Osten, und dann am Bach entlang zu laufen. Zehn Minuten später waren wir da. „schlechter Wirkungsgrad“ würde der Techniker sagen.

Die erste Lektion hämmerten wir uns nochmal ins Hirn: bleibe bei deinem Plan, so lange er funktioniert.
Nach der ersten Freude gaben wir uns dem Gefühl hin, der Knoten sei geplatzt.

Ein trügerisches Gefühl, wie sich zeigen sollte.

Auf dem Weg zum nächsten Kontrollpunkt wurde das Wetter ausgesprochen bescheiden, was uns hoch beglückte, denn so brauchten wir zuhause wenigstens nicht lügen. Wie hätte es denn ausgesehen, wenn unser Bericht von wenig heldenhaften zwanzig Grad und Sonnenschein gehandelt hätte.

Nein, lieber stürmisch.
Dramatische Rettung einer davongewehten Karte.

Sie hatte sich beim lockeren Trab bergab von mir unbemerkt davongemacht, um unschuldig zwei Meter unterhalb des Weges am oberen Ende eines Abgrunds liegen zu bleiben. Wir spielten dann ein wenig Bergfilm: Noel übernahm den Part „tu‘ es nicht“, während meine Wenigkeit als „ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“ das Leben der Karte rettete.

Irgendwann kurz nach dieser Episode muss den Drehbuchautor die hollywood’sche Happy-End-Fixiertheit verlassen haben, obwohl das aufhellende Wetter sich von der freundlicheren Seite zeigte. Bei der guten Sicht, der Nebel hatte sich gelichtet, leicht zu finden, dachten wir, und bewegten uns über das, was in Wales „babyheads“, also Babyköpfe, heißt dem mutmaßlichen Suchgebiet zu.
Babyheads sind ganz im Gegensatz zur knuddelig-süßen Assoziation Grasbüschel, zwischen denen entweder weicher Untergrund oder Wasser ist. Marschland. Kräftezehrend.

Es folgten drei Stunden, in denen wir alles ausprobierten, was uns einfiel. Kreise, Spiralen, Rechtecke. Getrennt von einander uns zusammen. Nichts. Etliche Male vergewisserten wir uns, dass wir am richtigen Ende des richtigen Sees suchten.

So schwer kann es doch nicht sein, ein Stück Stoff zu entdecken, welches etwa DIN A4 groß, und zudem noch diagonal rot-weiss gefärbt ist!

Offensichtlich schon.

Dass kein anderes Team zu sehen war, gab uns auch nicht gerade Sicherheit.

Nachdem es sich erst um den zweiten von insgesamt sieben Kontrollpunkten handelte, kamen wir schließlich – es war drei Uhr nachmittags geworden – überein, den Rückweg anzutreten.

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Blick zum See der ewigen Schmach.

Geschlagen verließen wir den „See der ewigen Schmach“, wie er fortan heißen sollte.

Passend zum Rückzug verschlechterte sich das Wetter, Sturm und Regen auf einem sehr exponierten Weg führten zum Ende einer Regenhülle. Noel, hatte sich im unpassenden Moment umgedreht, was das hinterhältige Ding sofort ausnutzte, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Eigentlich hätte er sich ein Beispiel an mir nehmen können, um ihr heldenmütig hinterdrein zu hechten. Zugegeben, es war nicht weit von der Stelle entfernt, an der meine Karte entfleucht war, und es ging wirklich steil und tief.

Jedenfalls hechtete er nicht.
War mir, offen gestanden, auch lieber so.

Beim Rückweg zum Start (Start, nicht Event Center, ich erinnere an die Busfahrt) kamen uns zuweilen Einheimische Spaziergänger entgegen, von denen manche in kurzen Hosen unterwegs waren. Seither hege ich die Vermutung, Waliser seien die Spartaner der britischen Inseln.
In Sparta setzte man angeblich Kinder in der Wildnis aus, auf dass sie ihre Überlebensfähigkeit beweisen sollten. Ich meine, in Wales gräbt man die lieben Kleinen zur Abhärtung im Sumpf ein. Babyheads, das sind keine Grasbüschel, sondern ein Kindergarten auf Härtelehrgang!

Vom Start zum Event Center zurück führte natürlich kein direkter Weg, und so stapften wir mehr oder minder frohen Mutes erst einen Wanderweg, dann eine von Hecken gesäumte Landstraße entlang. Keine Frage, dass es erst dunkel, und dann ausgesprochen ungemütlich wurde: Regen, Sturm,…ich wiederhole mich ohne schlechtes Gewissen, denn das Wetter tat es auch. Irgendwann, wir hatten unabhängig von einander schon erwogen, irgendwo das Zelt aufzuschlagen, reckte ich in einem Anflug von realitätsverleugnendem Optimismus den Daumen einem Auto entgegen, welches tatsächlich anhielt.
Ein unglaublich netter Mann erklärte mit Blick auf unsere nassen Klamotten, Ledersitze seien praktisch, weil abwischbar, um uns die letzten fünf, sechs Meilen bis zu jener abgelegenen Farm zu transportieren, die das Event Center beherbergte. Super!

Dort angekommen, streckten uns die Helfer sofort Tee und Suppe entgegen, die wir am Heizstrahler (!) aus zitternden Händen zu uns nahmen. Der Heizstrahler bildete übrigens den Mittelpunkt des läuferischen Therapiekreises. Ein Stuhlkreis ohne Stühle, in welchem die üblichen Gespräche mit anderen abgebrochen habenden Teams stattfanden:

„Und, wie war’s bei euch? Warum seid ihr raus?“

„Willst du drüber reden?“ „Ja, verflucht, wenn ich mich schon nicht im Erfolg sonnen kann!“

Über die Nacht gibt es nicht viel zu berichten – wir freuten uns über die Gelegenheit, das Zelt in der Scheune aufzustellen (draußen stürmte und goss es), obwohl wir viel darum gegeben hätten, die stürmische und regnerische Nacht wie geplant im wackligen, sturmumtosten Zelt auf einer nassen Wiese zu verbringen.
Ja, ich reite auf dem beschissenen Wetter herum, weil ich es genau so liebe. OMM an der Cote d’Azur? Ohne mich!

Was bleibt vom Tage?
Ich will es wieder tun. Sofort.

Aber sagt mir eines:
Wo stand das verfluchte Scheißding, das wir nicht gefunden haben?

10 Gedanken zu „Scott in Brecon. OMM 2013“

  1. Oweia
    was soll ich dazu sagen
    nein
    ich sage nicht
    dass man im Oktober mit widrigen Bedingungen rechnen muss

    ich sage auch nicht
    dass Wales und so
    du tust es wieder
    sagst du
    für dein Ego
    gibt es dieses Abenteuer nicht zu wärmeren Zeiten ?
    Ich friere
    habe Angst
    und freue mich
    dass alles gut für euch ausgegangen ist
    das muss man erlebt haben
    für mich wäre das nichts
    aber ihr seid ja gestandene Männer
    möchte man glauben

    bist du wenigstens von einer erneuten Erkältung verschont ?
    Tapfer
    tapfer !

    Mitfühlende Ostseegrüße 😎

    Gut dass man zu zweit ist – oder ?

    1. Die widrigen Bedingungen mit Wales Ende Oktober waren ein Grund für die Teilnahme. Du weisst doch, schlechtes Wetter ist uns gutes Wetter 😉
      Zu wärmeren Zeiten…gute Frage, aber ich glaube, dann wäre es nur halb so reizvoll. Anstrengend, schön, toll, keine Frage. Aber, wie gesagt: das Wetter gehört mit dazu.
      Ich blieb gesund, mein Teampartner Noel klagte schon Samstag abend über Hals-, Kopf- und sonstige Schmerzen. Den hat’s dann auch richtig erwischt.

      Willst‘ nächstes Jahr mit? 😉
      Geboten werden: supernette Leute, perfekte Organisation, physische und intellektuelle Herausforderung. Und herrlich schlechtes Wetter!

      1. Nee, sagte ich doch
        das ist nichts für mich
        ich bin kein Abenteurer
        und viel zu kalt
        physische und intellektuelle Herausforderungen hole ich mir lieber woanders
        Noel (schöner Name von Weihnachten !!)
        hat es erwischt
        dich nicht
        du hattest ja erst kürzlich
        würdest du auch alleine
        wenn machbar ?

        Ich habe eine Freundin, die hat auch keine Angst vor nichts, ist durch Canada’s Wälder nachts mit Kompass und Schlitten gezogen bei -40 Grad, völlig angstfrei, hat sich dabei leider den großen Zeh erfroren, aber der Typ von Frau bin ich nicht – ich gehöre nicht zu den mutigsten !

        1. Wenn machbar würde ich auch alleine, per Reglement gibt’s den OMM nur in Zweierteams. Noel sagt selbst, für ihn sei immer Weihnachten.

          Deine Freundin ist wirklich hart drauf. War sie alleine unterwegs? Stramme Leistung!

          1. Ja, jeder war für sich alleine – sie hat auch den Transeuropa zweimal erfolgreich hinter sich gelassen – irre – ein paar Nummern zu hoch für mich.

            Weihnachten für Noel, weil er mit dir oder weil er in Wales oder weil er beides ❓

    1. Wäre ich Motivationstrainer, würde ich die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, einen Vortrag zum Thema „Umgang mit Niederlagen“ zu halten.
      Dein Artikel liest sich sehr gut – und bei deiner Zeit von Verkacken zu reden…. 😉

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