Paracelsus

Man hat mich gewarnt. Schon oft.
Du wirst langsamer, wenn du längere Strecken läufst. Und mit Kniebeugen machst du dir die Knie kaputt. Trinke zuviel Wasser, und du stirbst. Seilhüpfen verursacht Gelenkschäden. Laufen auf Asphalt sowieso.

Man hat mich gewarnt. Schon oft.
Du wirst langsamer, wenn du längere Strecken läufst. Und mit Kniebeugen machst du dir die Knie kaputt. Trinke zuviel Wasser, und du stirbst. Seilhüpfen verursacht Gelenkschäden. Laufen auf Asphalt sowieso.

Lieber lesender Läufling, kommen dir solche Warnungen bekannt vor? Meistens hören wir sie mit einem wohlmeinenden Unterton, der uns sagt “ich will ja nur dein Bestes”.
Wir müssten längst tot sein, wenigstens stark eingeschränkt in unserer Mobilität. Humpelnd. Japsend. Sind wir aber nicht. Weshalb nur?

Werden wir tatsächlich langsamer, wenn wir Langstrecken laufen? Das klingt, als würde uns ein Schicksalsschlag treffen, kaum dass wir eine Linie überschreiten, die irgendwo im fernen Nebel der Distanz verborgen liegt. Zwanzig Kilometer? Fünfzig? Niemand weiss, wo die Grenze liegt, aber eines ist klar: ein einziger Schritt zuviel, und unser Tempo ist dahin.

Kaum zu fassen.

Diese Geschichte mit dem Wasser, sie funktioniert im Prinzip schon, vorausgesetzt, man schafft es, innerhalb kurzer Zeit riesige Mengen zu sich zu nehmen. Mehrere Liter in ein, zwei Stunden. Das Wasser schwemmt dann sämtliche Nährstoffe, Salze und was der Körper sonst noch braucht aus ebenjenem. Darauf reagiert ein Körper ausgesprochen ungehalten.

Kann ich verstehen.

Zuviel hiervon, zuviel davon, dort eine Überdosis – und von anderem zuwenig.

Da kommt mir just eine historische Figur in den Sinn, mit beneidenswertem Namen: Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim.
Bekannter ist er unter dem Namen Paracelsus, was nicht ansatzweise so viel hermacht wie Philippus Theophrastus etc.
Wer einen solchen Namen trägt, braucht keinen Doktortitel. Allerdings eine sehr breite Visitenkarte.

Der gute Theo, der um 1500 als Arzt, Alchemist, Mystiker und Philosoph wirkte, schrieb in seinen Septem Defensiones folgenden Satz:

Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.

Auf einen einfachen Nenner gebracht: Die Dosis macht das Gift.

Klingt plausibel, oder?

Zuviel Asphalt mit unpassenden Schuhen ist sicher ungesund für die Gelenke.
Beim Wasser frage ich mich sowieso, wie es jemand hinkriegt, literweise Wasser in sich zu schütten. Bedarf es des Schließmuskeltrainings? Aber auch da ist es ja nicht das Wasser an sich, sondern zum Beispiel der Mineralstoffmangel. Hyponatriämie und so. Damit ist, wie man sieht, nicht mit zu spaßen.

Wenn ich nur Kilometer sammle, ohne ab und zu aufs Gas zu gehen, passt sich mein Körper dem an: ich werde langsam.
Die Wirkung des Giftes entsteht in dem Fall dadurch, dass kein Gegengift in Form von Tempoträning verabreicht wird. Ich kenn’ das, kaum ist die erste Ultrasaison vorbei, gibt es nur noch lange Läufe im Komfortzonentempo. Und weil das so schön gemütlich ist, behält der Läufling das Tempo bei kürzeren Strecken bei.

Schon hat man ein Universaltempo für alles.

Es orientiert sich am längsten, mithin langsamsten Lauf.

Zuviel Langsamkeit ist Gift für die Grundschnelligkeit.

Überdosis.

Allein die Dosis machts, das ein Gift kein Gift sei.

Diese Erkenntnis hatte Paracelsus schon vor knapp fünfhundert Jahren.

Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim.

Wer mehr über und von Paracelsus lesen möchte:
Paracelsus
Septem Defensiones bei www.zeno.org

9 Gedanken zu „Paracelsus“

  1. Ich bin dir ja schon länger auf den Fersen, jetzt wird’s aber Zeit dir ein Kompliment zu machen. Witzige, spritzige und kompetente Berichte, die u.a. mit so manchen Halbwahrheiten aufräumen. Wie eben jetzt!
    Liebe Grüße – Reinhard

    1. Hallo Reinhard,
      solch ein Verfolger gefällt mir – danke für dein Kompliment, und herzlich willkommen auf meinem Blog.

      Liebe Grüße zurück,
      Harald

  2. Wieder ein echter ” das-lauferei ” – macht Spaß, dich zu lesen, amüsant, kurzweilig, mitten aus dem Läuferleben !

    Was habe ich mir im Laufe meines Läuferlebens schon alles an ” klugen ” Ratschlägen anhören müssen, früher reagierte ich noch – fühlte mich verpflichtet, mich zu rechtfertigen. Heute perlen solche Kommentare an mir ab wie der Regen vom Imperméable.

    In diesem Sinne…..alleine die Dosis machts !! 😉

    Und was die Langsamkeit betrifft, ich habe mich arrangiert – man kann nicht alles haben – oder doch ? 😉

    1. Sei aufrichtig bedankt, ich freu’ mich riesig, dass mein Geschreibe ankommt!

      Mein Lieblingseinwurf lautet “das kann doch nicht gesund sein” – er verdient einen eigenen Artikel 😉

      Bei der Langsamkeit wird es sich schon bemerkbar machen, dass unser Schwerpunkt auf langen Strecken liegt. Ist halt das Los der Spezialisierung 😉

  3. Die Erkenntnis über Dosis und Gift ist ja nicht neu, aber was mich persönlich (und ich laufe ja nun wirklich noch nicht so lange) stört sind eben diese gut gemeinten Ratschläge von Leuten wie weder Dosis noch Gift kennen. Früher nannte man solche Leute glaube ich Quacksalber 😉

    Mir wurde kürzlich erst wieder erklärt, dass laufen doch süchtig machen könne – ja kann es, genau so wie Internet, Einkaufen und Arbeiten. Dennoch mache ich alles drei meist häufiger als Laufen (naja… einkaufen dann doch nicht).

    Manchmal will man auch nur vor solchen “Hilfestellungen” in Ruhe gelassen werden, vor allem wenn man das passende Gegengift schon in der Spritze hat!

    1. O ja, das kenne ich auch. Besonders wenn Ratschläge in der Form “das kann doch nicht gesund sein” kommen.

      Da kannst du dir dann aussuchen, ob du eine sehr kurze – oder eine sehr lange Diskussion haben willst. 😉

  4. Hallo Thomas,
    gratuliere zum Bonmot “Weisheiten leiden nicht am Alter”! 🙂

    Ich würde mich über einen Platz in deiner Blogroll freuen, fühle mich geehrt.

    Viele Grüße,
    Harald

  5. Ja, der gute P.T.A. Bombastus (DEN Vornamen find ich gut – muss ich mir merken, falls irgendwann mal ein fünftes Kind kommen sollte… 😉 ) von Hohenheim war schon nicht auf den Kopf gefallen. Und so sieht man, dass Weisheiten nicht am Alter leiden – seine Aussage ist heute aktueller denn je.

    Ich würde Dein Blog auf meiner Seite gerne in meine Blogroll aufnehmen, weil ich nunmal regelmäßig hier lese. Bist Du damit einverstanden?

    Viele Grüße,
    Thomas Heußen

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