Lektiönchen

Erfahrung sei, so eine Redewendung, die Summe aller bisher gemachten Fehler. Ich finde das etwas einseitig, denn schließlich lässt sich auch aus Erfolgen lernen. Und oft besteht der Lerneffekt darin, Annahmen konkreter zu fassen oder neue Perspektiven zu entdecken. Sei es, wie es sei: Ich habe meine Lektiönchen gelernt.
Ich mache es kurz, indem ich drei Lektiönchen - Lektion kommt gar so großspurig daher, eine Nummer kleiner tut's auch - beschreibe, die ich im Laufe meines Lauflebens mitgenommen habe.

Lektion 1: Daumenlöcher

Was war ich hin, weg und auch wieder zurück gewesen, als ich erstmals ein Leibchen mit Daumenlöchern sah. Dieses spezielle verfügte sogar noch über kleine Säckchen, die sich handschuhartig über die Finger stülpen ließen (mittlerweile habe ich auch so eines, ist ganz nett aber auch nur das). Daumenlöcher nenne ich übrigens alles am Ende eines Ärmels, wodurch ich meinen Daumen schieben kann, also auch Daumenschlaufen, obwohl die keineswegs das versprechen, was ich mir von Daumenlöchen versprach.
Daumenlöcher also.
Im Grunde genommen reden wir über etwas längere Ärmel, die en passant noch die Funktion eines Pulswärmers erfüllen. Sehr praktisch, sehr viel versprechend wenn's kühl wird. Erfreulicher Nebeneffekt: Lebt der gemeine Läufling das Zwiebelpinzip, rutscht der Ärmel nicht zurück, wenn man in eine weitere Kleidungsschicht schlüpft. Wer schon versucht hat, sich verdreht habende und ineinander verhakte Ärmel soweit zu justieren, dass beide in "Funktionslänge" am Arm sind, weiß diese Fixierungshilfen genauso zu schätzen wie ich.
Es wärmt. Ein wenig.
Rein geometrisch betrachtet umhüllt so ein längerer und daumengelochter Ärmel mehr Armlänge. Sagen wir mal bis etwa zur Mitte der Hand, in günstigen Fällen bis zum Beginn der Finger, was gewiss eine feine Eigenschaft ist. Biege ich die Finger nach hinten, werden sie fast komplett bedeckt, bleiben warm und machen Handschuhe so weitgehend überflüssig.
So dachte ich jedenfalls, allerdings hatte ich eines nicht bedacht:
Der Daumen bleibt kalt.
Das namensgebende Loch bringt es naturgemäß mit sich, dass der durch jenes hindurchgesteckte Daumen exponiert ist und bleibt. Also kühlt er aus, während sich die Finger im Ärmelabschluss wärmespendend aneinander schmiegen, muss der Daumen für sich selbst sorgen. Eine Aufgabe, der er die sprichwörtliche kalte Schulter zeigt.
Es bleibt also der Ausweg, auch den Daumen mit in den Ärmel zu nehmen, und mit warm geballter Faust seines Weges zu traben.
Durch das Daumenloch strömt natürlich kalte Luft hinein.
Das wiederum heißt, dass ein besonders langer Ärmel die insgesamt bessere Lösung wäre, als das Daumenloch. Freilich ließe sich ein eigenes Säckchen für den Daumen anbringen, was das Kleidungsstück meiner Meinung nach insgesamt verkomplizieren würde. Der Weg zum (Faust-) Handschuh ist nur noch ein winzig kleiner.
Anziehen geht mit langen Ärmeln übrigens vortrefflich (auch ohne Daumenlöcher und extra lange Arme), wenn entweder die Materialpaarung passt oder die zum Anzug geballte Faust das Ärmelende ergreift. Eine Technik, die man üblicherweise im Kindergartenalter lernt.
Mein Fazit wäre also: Daumenlöcher sind ganz nett, für mich aber kein Kaufkriterium mehr. Hinreichend lange (also: besonders lange) Ärmel wären mir lieber.

Lektion 2: Trinkblasen

Geiler Scheiß, dachte ich mir, als Trinkblasen vor Urzeiten auf breiter Front aufkamen. Beim Wort aufkamen ist ein leiser Zweifel angebracht, denn ich bin unsicher, ob ich sie nicht erst dann entdeckte, als meine Laufstrecken länger wurden. Dennoch: Ich war froh, als ich mir nicht mit einem halben Liter im Gürtel und einem weiteren halben Liter in der Hand behelfen musste. Wurde es noch länger, so deponierte ich zuvor weitere Flaschen an der Strecke.
Mit eineinhalb bis (in meinem Fundus jedenfalls) drei Litern bin ich gewiss gut bedient und nach wie vor zufrieden.
Mit einer Einschränkung.
Auf langen Ultratrails reicht eine Tankfüllung nicht aus, folglich darf unterwegs nachgetankt werden. Das bedeutet, vor allem dann, wenn der Trinkrucksack mit Pflichtausrüstungsklamotten gefüllt ist: An der Tanke stehenbleiben (soweit ist noch alles in Ordnung), Blase aus dem Rucksack, irgendeinen mehr oder minder fummeligen oder von Zucker festgeklebten Verschluss öffnen, Auffüllen (auch das ist unkritisch), wieder verschließen (fummelig und / oder verklebt) und anschließend den ganzen Scheiß wieder in den Rucksack packen.
Hatte ich erwähnt, das ich über einen gepackten Rucksack rede?
Wabbelige Blase in gepackten Rucksack bringt weiteres Gefummel mit sich: Beispielsweise hilft es, die Kompressionsgurte zu lockern, unter Umständen größere Teile auspacken - und zwar auch dann, wenn es ein eigenes, sogar von außen zugängliches Trinkblasenfach gibt. 
A propos: Ab- und wieder aufsetzen muss ich den Rucksack natürlich auch.
Das nervt.
Das nervt besonders mitten in der Nacht, wenn ich schon etliche Stunden unterwegs war und mein zartes Hirn anderes tun will, als feinmotorische anspruchsvolle Dinge zu tun. Bevor jemand einen Einwand erhebt: Nachts und sehr ermüdet sind die meisten Aktivitäten feinmotorisch.
Meine erkenntnissaugenden Blicke galten oft den Mitläuflingen, die am Verpflegungsstand ihre Flaschen aus der Halterung zogen, geschwind füllten und sich wieder davon trollten. Wobei der Inhalt nicht ganz gefüllter Flaschen gluckern und schwappen kann, ein Zustand, der sich relativ schnell einstellt, wenn daraus getrunken wird.  
Mein Fazit: Ich werde mal Softflasks ausprobieren - und mich mit Rucksäcken befassen, die eine Aufbewahrung vorne erlauben, denn absetzen will ich das Ding natürlich nicht. Blasen sind super, solange ich nicht nachfüllen muss.

Lektion 3: Stehkragen mit reißverschluss

Ich mag sie immer noch: Hohe Stehkragen mit sehr langem Reißverschluss. Mein Ideal ist ein Kragen, der relativ eng anliegt, ohne einzuschnüren und sehr hoch hinauf geht. Wie hoch? Sagen wir: Vorne über den Adamsapfel, hinten bedeckt er den Nacken. Der Reißverschluss möge zwischen Nabel und Brustbein enden, wobei ich mir bewusst bin, dass dies eine Känguruhtasche ausschließt. Sei's drum. In der Praxis sind Reißverschlüsse und Kragen deutlich kürzer, auch wenn es rühmliche Ausnahmen gibt. Mein Punkt ist jedoch ein anderer, der sich in einem Satz darstellen lässt:
Zieh' mal mehrere solcherart ausgestatteter Leibchen übereinander.
Das merkte ich an einem frischen Wintertag vor ein paar Jahren. Ich griff zur Basisschicht (Stehkragen, Reißverschluss), zum warmen Midlayer (Stehkragen, Reißverschluss), und zog darüber eine Windjacke (Stehkragen, Reißverschluss). Dann zog ich alle Reißverschlüsse zu und hatte das Gefühl, einen Bleistift zwischen Kinn und dem oberen Ende meines Brustbeines zu haben.
Zum Glück war er stumpf.
Der Bleistift.
Eng war's außerdem am Hals. Nicht direkt wie eine Garrotte, aber ausreichend, um meine Klamottenkombination zu überdenken. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich mich damals tatsächlich nochmal umzog, oder einfach zwei Reißverschlüsse offenließ, vom Grundsatz her achte ich seither auf die geeignete Kombination und darauf, dass ich auch Leibchen mit Rundhals im Fundus habe.

Lernen ist schön!

Wie gesagt: Erfahrung kann nicht nur aus Fehlern bestehen; alles was ich oben beschrieben habe, hat seinen jeweiligen Anwendungsfall, in dem es für mich super funktioniert. Ich finde es deswegen nett, wenn ich gelernt habe, wo Grenzen liegen.
Eine Sache ist allerdings hundertprozentig sicher: Eine Kapuze muss eng anliegen und nur die Augen offenlassen. Ninja-Style. Das ist so klar wie....

2 Gedanken zu „Lektiönchen“

  1. Ach ja, lieber Haraldo, die ” Problem(chen) ” eines Läufers ans Licht gebracht. Wie immer sehr amüsant und kurzweilig.

    Auch ich bin in kühleren Zeiten natürlich auch mit diesen Daumenlöchern unterwegs, wobei mir der Daumen nicht so wichtig ist, Hauptsache der Übergang von Hand zu Arm ist verschlossen, das sind für mich wichtige Stellen, die warm sein MÜSSEN bei kaltem Wetter, ebenso wichtig für mich der Hals und der Nacken. Dass die Daumen nichts von der erhofften Wärme abbekommen, nehme ich in Kauf, ziehe warme Handschuhe darüber, und so bin ich rundum geschützt – was sagst du nun ? Gut oder gut ?

    Zu Trinkblasen kann ich gar nichts sagen, da ich sein Ding noch nie mit hatte.

    Allerdings zu den Reißverschlüssen, die ich genauso wie du liebe, kann ich mich sehr wohl äußern. Zwei oder drei Teile mit Reißverschlüssen übereinander zu tragen, erscheint mir beim Lesen schon unbequem, also trage ich unter dem Reißverschlussteil eines ohne, darüber eine Jacke mit – und wenn es ganz eisig kommt, habe ich noch einen fantastisch wärmenden Buff, der wird über den Reißverschluss gestülpt, schützt und wärmt garantiert – und somit haben wir auch dieses Problem(chen) aus der Welt geschaffen.

    Hatte mich schon gewundert, denn immer, wenn du bei mir kommentierst, ist irgendetwas im Busch – und genauso war es.

    Heute hier an der See 14° , der Frühling lässt grüßen – und die Daumenlöcher und Reißverschlüsse sind heute im Schrank geblieben – YES !!

    1. Tja nu, Margitta, ich kenne und praktiziere die Kombination aus Handschuhen und Daumenlöchern ebenfalls. Nett wäre halt, wenn ich – da Daumenlöcher ausreichend leistungsfähig, oder lange Ärmel, die handscuhe weglassen könnte.

      Was das Buff betrifft, so lebe ich nach dem Prinzip “n.o.b.” – nie ohne buff! 🙂 Die Dinger sind dermaßen praktisch und vielseitig, dass ich so gut wie immer und überall eins dabei habe.

      Hier waren’s gestern noch viel mehr Grade, ich lief in Dreivierteltight und T-Shirt, und auch das war mir noch zu warm. 😀

      Ciao,
      Harald

Kommentare sind geschlossen.