Kommäärz!

Ich liebe diese unsere heutige Steinzeit.

Nein, ich bin keineswegs verrückt geworden, nicht mehr jedenfalls, als serienmäßig in mich verbaut wurde. Auch mein Kalender geht nicht nach.

Doch ich erkenne, wie wir ein seit Jahrtausenden bewährtes Werkzeug noch immer frohgemut einsetzen: Die Keule. Egal worüber geredet wird, eine passende argumentative Keule ist zur Hand.

Die Kommerzkeule zum Beispiel.

Wir dürfen wir uns ihren Gebrauch vorstellen?

Angenommen, einige Menschen sitzen in gemütlicher Runde beisammen. Nehmen wir zudem an, es handele sich dabei um Läuflinge. Früher oder später kommt das Gespräch unweigerlich auf Laufveranstaltungen. Geplante, bewältigte, abgebrochene Läufe. Heldentaten früherer Jahre. Lieblingsläufe.

Dann schlägt sie zu. Die Keule.

“Ist ziemlich kommerziell geworden.”

Kommerziell?

Das Wörterbuch definiert Kommerz als Aktivität, die mit der Absicht auf Gewinn betrieben wird. An sich nicht verwerflich, oder?

Doch halt! Bleibt da nicht der Idealismus auf der Strecke? Ich bin ja auch einer von denen, die hehren Idealen nachhängen. Bilde ich mir jedenfalls ein. Teilweise.

So frage ich mich, ganz der Idealist: gefährdet Gewinnstreben den Idealismus? Und wenn ich beim Laufen bleibe: wann ist ein Lauf denn kommerziell? Obendrein lohnt es meiner Ansicht nach, darüber nachzudenken, ob ein kommerzieller Lauf ein für uns Läuflinge guter Lauf sein kann.

Mir scheint, irgendwie läuft es darauf hinaus, dass Kommerz nerven kann – aber nicht muss.

Meistens beginnt der Abstieg in die verruchte Welt des Mammon ganz harmlos. In die heile Welt des am Orte praktizierten Ideals platzt, sagen wir: der örtliche Bäckermeister. Seines Zeichens wohlbeleibt, doch sportbegeistert, schlägt er vor, im Ziel eine Ladung Laugenbrezeln zu deponieren. Sie mögen, so sagt er, den ausgemergelten Leibern zur Labsal dienen.

Was der wackere Handwerksmann nicht bedacht hat: er setzt damit einen Teufelskreis zur Abhängigkeit vom Geld in Gang, der genau so endet wie man es von einer anständigen Drogenkarriere erwartet: in der Gosse.

Das ist keine Metapher.

Denn nach einem größeren Kommerzlauf ist selbige meist gefüllt mit Prospekten, Plastikbechern und verschiedenen anderen Devotionalien des Hauptsponsors.

Welch wundersame Metamorphose! Ehedem noch unschuldiges Treffen einiger weniger Läuflinge, befinden wir uns mitten in Goethes Ausspruch: “zum Gelde drängt, am Gelde hängt doch alles.” Es drängen meist die Läuflinge am Start. Es ist ein klares Indiz kommerzieller Veranstaltungen, denn die Masse macht’s.

Und der Hauptsponsor.

Der macht nichts, aber er zahlt. Für Absperrungen, Feuerwehr. Diverse Genehmigungen, mit und ohne Entscheidungshilfen (andernorts Fakelaki genannt, oder vulgär Bestechungsgelder. Aber bleiben wir beim Sport). Er finanziert die kleinen Aufmerksamkeiten für Helfer. Verpflegung vor, während und nach dem Lauf. Zeitmessung.

Und die Läufergeschenke, sonst läuft ja keiner mit.

Böser Kommerz.

Zur Abwechslung mal ohne Ironie: ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn ein Lauf erfolgreich ist, und der Veranstalter sich Unterstützung holt, um dem größer gewordenen Teilnehmerfeld eine saubere Organisation zu bieten. Auch gegen einen kommerziellen Veranstalter ist nichts einzuwenden, wenn er seinen Job anständig macht. Die Grenze – seit einem gewissen Politikskandal scheue ich mich, das Wort “Rubikon” zu benutzen – überschreitet ein Lauf, wenn der Sport(ler) leidet.

Kalte Dusche im Ziel spart Kosten.

Lust auf einen 24-Stundenlauf mit Einheitsverpflegung? Sagen wir, einen Tag lang nur Gel essen? Ultramarathonis sind ja mental stark genug, die vertragen das. Und Magenprobleme kriegen sie sowieso.

Neulich träumte mir vom Deutsche Bank Sommermarathon im Juli. Eine herrliche Strecke entlang der Ardèche in Südfrankreich. Blauer Himmel. Dreißig Grad. Weil der Hauptsponsor eine Bank ist, muss schreibt das Reglement das Tragen eines dunklen Anzugs vor. Gelockerte Krawatte führt zur Disqualifikation.

Schweißgebadet wachte ich auf. Ich schrie. Kommäääärz!