In der Hirnzone: Mentale Vorbereitung für den RKC Snatchtest

Sportlicher Erfolg beruht zu neunzig Prozent auf physischer Stärke, mentale Stärke liefert die restlichen neunzig Prozent. Mathematiker mögen bitte schweigen, oder den RKC Snatchtest absolvieren. Er dauert nur fünf Minuten, die es allerdings in sich haben. Fünf Minuten hochintensive Beanspruchung setzen ausreichend physische Fitness voraus, sie stellen aber auch hohe Anforderung an die Psyche des Sportlers. In diesem Artikel beschreibe ich meine mentale Vorbereitung für den RKC Snatchtest.

Zum Geleit – oder: was du wissen solltest, bevor du diesen Artikel liest

Was ist "RKC"?
RKC steht für Russian Kettlebell Challenge. Dabei handelt es sich um eine anspruchsvolle Zertifizierung für Kettlebell-Instruktoren. RKC hat einen extrem hohen Qualitätsstandard was die Qualifikation der Instruktoren betrifft.

Was ist der RKC Snatchtest?
Eine der Prüfungen, die es beim Zertifizierungsworkshop zu bestehen gilt, ist der Snatchtest: 100 Snatches in 5 Minuten.

Worum geht es in diesem Artikel - und worum nicht?
Es handelt sich um meine mentale Vorbereitung, um die Methoden, die ich tatsächlich für die erfolgreich bestandene Zertifizierung genutzt habe - und hier wiederum auf den Snatchtest beschränkt. Der Transfer auf andere Bereiche ist ohne Weiteres möglich, du musst ihn aber in Eigenregie schaffen. ;-)

Analyse eines Misserfolgs

Dezember 2016, ich scheitere beim Zertifizierungswochenende am Snatchtest. Soweit ich mich erinnere, gelangen mir knapp achtzig Wiederholungen in etwa vier Minuten, bevor ich mit einer Atemfrequenz, die ein rammelndes Karnickel als hektisch bezeichnet haben würde, die Kugel hinstellte und aufgab.
Auch in der Nachfrist von 90 Tagen, in denen ich den Test hätte nachliefern können, kam ich nicht recht ins Training, und das war's dann gewesen.
Dieser hatte zwei Konsequenzen: Erstens hatte ich logischerweise nicht bestanden, zweitens war eine Rechnung offen geblieben, die ich zu begleichen gedachte.
2019 fiel dann mein Entschluss, es zu tun.
Achtet auf meine Wortwahl - ich schrieb bewusst "es zu tun" und nicht "es nochmal zu probieren". Doch hierzu später mehr.
Der Entschluss bedeutete für mich, dass ich mich zunächst mit dem damaligen Mißerfolg auseinandersetze, und das bitteschön so objektiv und realistisch wie möglich. Ich behaupte: Wir können uns selbst nichts verheimlichen, und sind vielleicht gerade deshalb besonders gut darin. Was meine ich damit?
Stellt euch folgende Aussage vor: "Das klappte nicht, weil ich schlecht geschlafen habe, weil der Nachbar nachts um halb zwei noch geduscht hat". Wirklich? Dann ist also der Nachbar schuld? Heißt das umgekehrt, dass man sich für einen Erfolg dem Nachbarn bedanken muss, wenn er nicht duschte?
Oder ist stattdessen nicht eher die Frage angebracht, ob derjenige überempfindlich war, der sich wegen der anstehenden Aufgabe ins Hemd machte?
Den Nachbarn trifft gewiss keine Schuld.
Also Analyse meiner selbst und des fehlgeschlagenen Tests.
Sunzi wird gerne mit den Worten zitiert "Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten."
Das liest sich nett, und ließ, als Sunzi vor einigen Jahren kurz in Mode war, gewiss Horden von Managementnachwüchslern mit den Köpfen nicken und eifrig mitschreiben, nur: Es passt nicht.
Ich habe keinen Feind.
Die Kettlebell ist, auch wenn ich die Dinger gerne als meine Kuschelkugeln bezeichne, ein Stück Metall. Ein Objekt ohne Empfindungen, weshalb es auch unangebracht ist, zu schreiben, ihr sei egal was ich tue. Das Ding ist weder gut noch böse, es hat keine Meinung. Es ist. Metaphysische Betrachtungen über das Sein finden hier übrigens auch nicht statt. Die Kettlebell ist. Und zwar ein Sportgerät.
Was also war seinerzeit schief gelaufen? Ich liste einige Stichpunkte, die sich beim Nachdenken herauskristallisiert haben.
Fokus und physische Vorbereitung.
Ich vermag beide Punkte nicht zu trennen, weshalb ich sie gemeinsam behandle. In der Vorbereitungsphase, mehr noch während der Nachfrist, hatte ich viele Projekte gleichzeitig: Im Job viel zu tun, Vorbereitung für die Zertifizierung zum Projektleiter (wer will, kann das Stichwort "PMP" recherchieren), Studium (die beiden Prüfungen hatte ich damals auch versemmelt, mittlerweile beide bestanden) und Gewichtheben. Ich hoffe, ich habe nichts vergessen.
Eine systematische Vorbereitung auf eine physische Herausforderung wie den Snatchtest war demnach schlicht nicht drin gewesen. Nicht aus Zeitmangel, sondern weil meine Aufmerksamkeit von einer Aufgabe zur anderen sprang. Ich hatte mehr abgebissen, als ich schlucken konnte, und ich klopfe mir heute noch auf die Schulter, weil ich erstens selbst gemerkt hatte, dass ich nicht mehr zur Ruhe kam und zweitens konsequent die Reißleine zog: Job, heim, entspannen. Nach drei, vier Wochen habe ich dann dosiert wieder Dinge begonnen auf die ich Lust hatte.
Die drei Prüfungen (zweimal Studium und der Snatchtest) waren sowieso perdü, ich würde sie zu gegebener Zeit nachholen.
Wie gesagt: Ich war schon im Dezember für den Snatchtest nicht ausreichend trainiert gewesen, danach fehlte dann der Fokus, dessen es bedurft hätte, um dies zu korrigieren. Damit geht übrigens einher, dass ich ohne diesen Fokus keine Strategie, keine systematische Herangehensweise an die Vorbereitung hatte.
Ogottogott, der Snatchtest
Es müsste sich wirklich mal jemand die Mühe einer Auswertung machen, wie hoch der Anteil an Blogartikeln zum Thema RKC-Zertifizierung ist, die den Snatchtest als den gefürchteten Snatchtest (oder so ähnlich) darstellen. Ich könnte mir, würde es etwas bringen, zum Vorwurf machen, dies nicht hinterfragt und einer rationalen Einschätzung zugeführt zu haben. Stattdessen habe ich ihn auf einen Sockel gestellt, um ihn mit Ehrfurcht zu begaffen.
Warum ist er so gefürchtet?
Was gäbe es zu befürchten?
Der Snatchtest ist kein Monster, sondern eine konkrete Aufgabenstellung.
Polemisch könnte ich formulieren: Ich habe zugelassen, den Test in diffuser, Furcht einflößender Erscheinung wahrzunehmen. Das führt mich zum nächsten Punkt.
Unqualifizierte Erwartung
Freilich geisterte ein Bild - gleichermaßen diffus und durch nichts gestützt - in meinem Kopf herum. Das Bild eines locker gemeisterten Snatchtest, mit reichlich Puffer zum fünfminütigen Zeitlimit. Ist eh' klar, oder? Angesichts der Tatsache, dass ich in der eher zufallsgesteuerten Vorbereitung nicht einmal in die Nähe der Belastung kam - wieviel ich gemacht hatte, habe ich vergessen, wäre die Frage an mein damaliges Selbst angebracht, woher ich denn diesen Gedanken genommen habe.
Ein sportlicher Dunning-Kruger-Effekt, würde ich sagen.
Hohe, überzogene Erwartungen angesichts einer Aufgabe, die ich in ihrer Bedeutung eindeutig nicht begriffen hatte, das kommt bekannt vor, oder? Klar die Haltung des Mißerfolgsmeiders (hierzu unten mehr).
Last not least: Keine mentale Vorbereitung.
Dass der Kopf eine große Rolle bei sportlicher Belastung spielt, war und ist mir natürlich bewusst. Wie oft hatte ich mir bei Ultramarathons nachts gewünscht, ich würde umknicken und mich verletzen (gerade so viel, dass ich nicht würde weiterlaufen können), so dass ich mich hinlegen und schlafen kann.
Der Transfer blieb leider aus, ich hatte, paradoxerweise, den gefürchteten Snatchtest gleichzeitig zu schwer (siehe oben) und zu leicht genommen.
Damit gehen Zieldefinition ("irgendwie bestehe ich das schon" ist kein Ziel!) und mithin Zielbindung (woran auch, es war keines definiert) einher.
Soweit also meine persönliche Analyse des Vergangenen, und jetzt nichts wie hin zu dem, was ich daraus gemacht habe.

Folgerungen und Umsetzung

Ich verstehe unter Mentaltraining die Anwendung von Techniken (ja, es sind Mentaltechniken), die dazu gedacht und geeignet sind, psychische Hemmnisse ab- und fördernde Gedanken aufzubauen. Auf gar keinen Fall irgendso einen komischen Kram aus der Mottenkiste, über den ich mich vor Jahren schon mokiert habe (hier ist der Link dazu https://das-lauferei.de/was-denkbar-ist-ist-auch-moeglich/).
Wenn dich das Thema interessiert, und du mehr lesen willst: Bei den einzelnen Techniken habe ich mich an das Vokabular von Eberspächer (2012) gehalten, den ich dir auch als Einstieg ins Thema empfehle.
Zieldefinition und -bindung
Ich hatte es oben nicht ausdrücklich geschrieben, aber "Ich will den Snatchtest bestehen" taugt nicht als Ziel, jedenfalls tat es das für mich nicht. Selbst wenn ich mich an das hübsche Merkwort halte, wonach ein Ziel s.m.a.r.t. (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, mit Termin) sein soll, und ein Datum dazupacke, fällt das Modell auf die Nase, sobald der Aspekt "realistisch" dazukommt. Dazu steht weiter unten mehr.
Ein erster Schritt bestand für mich darin, das Ziel spezifisch festzuzurren - ein simpler, gar primitiver Schritt:
Hundert Snatches in fünf Minuten
Damit hatte ich phantastischen Gedanken à la "vielleicht schaffe ich es ja in vierzwanzig" sofort den Boden entzogen. Erfreulicher Nebeneffekt dieser Konkretisierung ist natürlich, dass ich bei einem so klar formulierten Ziel sehr deutlich merke, wenn ich es erreicht habe. Anders formuliert: Wo kein Ziel, da auch kein Weg. So weiß ich sehr genau, wann ich angekommen bin, beziehungsweise gebe mir überhaupt die Gelegenheit zum Ankommen.
Interessanterweise fiel mir mit dem Moment, in dem ich mich auf Hundert Snatches in fünf Minuten fokussierte, die Bindung ans Ziel leicht - es bedurfte keiner eigenen Beschäftigung damit. Klar, dass auch mein besser organisiertes sonstiges Dasein eine Rolle spielte, ich bin schließlich lernfähig.
Ein kleiner rhetorischer Schlenker ließ die anstehende Aufgabe einfacher erscheinen: Ich habe fünf Minuten Zeit für hundert Snatches.
Die Aufgabe blieb dieselbe, es liest sich halt - irgendwie locker. Wie praktisch, wenn ich mich mit einem kleinen Perspektivwechsel unterstützen kann.
Ich hatte mein Ziel formuliert: Ich nehme mir fünf Minuten Zeit, in denen ich hundert Snatches mache.
Selbstgesprächsregulation
Selbstgespräche führen wir im Geiste alle. Wir können uns damit fertig machen ("das schaffe ich nie") oder auch nicht. Mit mehr Überlegung, System und der Anwendung passender Strategien kann ich das mir zur Verfügung stehende Potential nutzen - sprich: Die Leistungsfähigkeit, die ich mir antrainiert habe, auch nutzen. Genau darum ging's schließlich.

Als Kopfmensch reagiere ich sehr gut auf Rationalisierungsstrategien. Ich habe den Snatchtest also zuerst von seinem Sockel heruntergeschubst, was letzten Endes schon mit der Zieldefinition erledigt war. Fünf Minuten, hundert Snatches. So einfach, so banal. Ob ich das zuhause mache, im Wald, in der Fußgängerzone oder anlässlich des Zertifizierungswochenendes, macht keinen Unterschied. Hundert Snatches bleiben hundert Snatches, und fünf Minuten bleiben fünf Minuten.

Mein Gekeuche war mir noch in guter Erinnerung, und ich entsann mich, dass ab etwa zwei Minuten die anaerobe Energiebereitstellung stark ab- und die aerobe zunimmt. Sprich: Der Körper braucht vermehrt Sauerstoff, um seine Leistung zu erbringen. Ein Zusammenhang, der sich mit dem Geschnaufe in Einklang bringen lässt, das ein jeder Prüfling um die drei-Minuten-Marke herum erlebt. Freilich fühlt sich das immer noch beschissen an, nur fällt mir das Durchhalten leichter, wenn ich weiß: Das ist so, weil mein Körper grade auf aerob umschaltet.

Darüber hinaus half mir ein Satz, der einige Zeit vor dem Workshop in meinem Kopf war. Keine Ahnung, was ihn dort hineingebracht hat, ich nehme an, er war die Reaktion auf einen Gedanken in der Art von "wenn jetzt aber....". Irgendwas Negatives eben.

"Scheiß drauf, ich mach' das jetzt"

Was, wenn ich nicht ausgeschlafen bin?
"Scheiß drauf, ich mach' das jetzt"

Am Wochenende vor der Zertifizierung hatte ich Schnupfen.
"Scheiß drauf, ich mach' das jetzt"

Ein echter Test als Generalprobe fiel wegen des Schnupfens aus.
"Scheiß drauf, ich mach' das jetzt"

Während des Snatchtests war die Luft stickig in der Halle
"Scheiß drauf, ich mach' das jetzt"

Diese Selbstinstruktion hat für mich super funktioniert. Ein Nebeneffekt - ich interpretiere es so - hiervon ist übrigens, dass ich Schwierigkeiten und negative, befürchtende Gedanken anerkennen konnte. Die stickige Luft war ja tatsächlich vorhanden gewesen, sie würde nicht besser geworden sein, wenn ich mir etwas anderes einzureden versucht hätte. Mit "Scheiß drauf, ich mach' das jetzt" sagte ich nichts weiter als: Ja, mir ist zu warm, mehr Sauerstoff wäre toll - aber ich werde hundert Snatches in fünf Minuten machen.

Diese Selbstinstruktion hatte ich mir übrigens auch als Problemlösungsstrategie zurechtgelegt, falls das Dreiminutengeschnaufe wieder eingesetzt hätte: Die Luft wird knapp.
"Scheiß drauf, ich mach' das jetzt"
Die Knappheit blieb aus (mehr dazu weiter unten beim Ergebnis), allerdings hatte ich einen Punkt tatsächlich nicht bedacht: Der Snatchtest findet am Nachmittag des zweiten Tages statt, was bedeutete, dass wir keineswegs frisch waren, sondern nach eineinhalb Tagen mit einer ordentlichen Portion Vorermüdung ins "Rennen" gingen.
"Scheiß drauf, ich mach' das jetzt"
Hat funktioniert!
Prognosetraining
Wie war das nochmal? Ich hatte weder eine klare Zielvorstellung gehabt, noch meine eigene Leistungsfähigkeit belastbar einschätzen können. Der Schlüssel, um ein realistisches Selbstkonzept herausbilden, und mir somit meiner Selbstwirksamkeit bewusst werden zu können, war logischerweise die physische Vorbereitung. Dankenswerterweise schlug mir Robert Rimoczi, Master RKC, "escalating density training" vor. Ich machte die vorgegebene Zahl Snatches im Minutenrhythmus, wobei die Gesamtzahl der Minuten von Woche zu Woche sank, während die Anzahl der minütlich zu machenden Snatches stieg. Am Anfang waren das 200 Snatches in 20 Minuten - wie cool, mehr Umfang, denn beim Test brauche ich ja "nur" die Hälfte machen - am Schluss wären es 140 in 7 Minuten gewesen. Da kam der Schnupfen dazwischen, aber "Scheiß drauf, ich mach' das jetzt".
Angesichts des systematischen EDT-Trainings, welches ich mit schweren ein- und zweiarmigen Swings ergänzte, war mir klar, dass ich die Aufgabe würde bewältigen können. Ich erfuhr meine Selbstwirksamkeit, erlebte übrigens auch, wie (vielmehr: dass) sich auch mit heftigem Geschnaufe noch trefflich snatchen lässt.
Ein Aufgaben-Fähigkeits-Fit, könnte ich schreiben. Also das, was eine erfolgsmotivierte Strategie überhaupt erst möglich macht.

Interessanterweise hatte sich auch meine Haltung zum Test geändert: Keine Spur von Prüfungssituation, stattdessen war ich schon Tage davor im Wettkampfmodus. Ich war geil auf den Snatchtest, wollte ihn endlich machen! Beim Lesen dieses Satzes wird mir ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wahrnehmung einer Aufgabe als Prüfung, und der als Wettkampf deutlich. Während ich im einen Fall mehr Objekt bin, also jemand, der fremdbestimmt geprüft wird, bin ich im Wettkampf als Subjekt aktiv und habe so Einfluss auf das Ergebnis. Ich bin selbstwirksam.
Aufmerksamkeitsregulation
Im Idealfall liegt meine Aufmerksamkeit während des Snatchtests auf eben dem Snatchtest, ich bin also ganz auf meine Aufgabe konzentriert. Dummerweise geschieht es bisweilen, dass dieser Fokus verloren geht.

Stell' dir zum Beispiel vor, du läufst einen Marathon. Mit einem Mal stellst du fest, dass der Typ schräg vor dir beim Atmen eigenartige Töne von sich gibt, außerdem gehen dir die Zuschauer auf die Nerven (wahlweise stört dich die Abwesenheit von Zuschauern). "Verdammt, ich bin schon acht Minuten hinter meiner Sollzeit" denkst du dir, "so wird das nichts mit den drei Stunden dreißig". Du stellst fest, dass sich deine linke Wade eigenartig anfühlt, und: meldet der Fuß nicht eine beginnende Blase?
Und so weiter, bis du dich fragst, wozu du dir das überhaupt antust.

Kurzum wandert die Aufmerksamkeit immer weiter von der eigentlichen Aufgabe weg, was ihre Bewältigung in Frage stellt.
Ich kenne es von langen Läufen sehr gut, wobei ich es da immer sehr gut hinbekommen habe, erstens weiterzulaufen und zweitens meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Nun ist eine hochintensive Belastung wie der Snatchtest einerseits etwas anderes, weil bedeutend weniger Zeit zur Verfügung steht, und die Intensität von mir sowieso mehr Konzentration verlangt (beim Tempotraining ist's übrigens ähnlich: Je schneller ich renne, um so mehr muss ich mich auch geistig anstrengen, damit ich es halte), andererseits brauche ich mich zeitlich nicht so lange abmühen.

So lag die Lösung nahe, mich im Falle des Fokusverlustes - du erinnerst dich daran, dass der Snatchtest sehr anstrengend ist, was dazu einlädt, Ermüdungssignale von Körper und Geist sehr deutlich wahrzunehmen? - mit Hilfe meines Mantras wieder in die Spur zu kriegen.
Ich nahm mir also vor, mir für den Fall dass ich schnaufen, schwitzen, oder zunehmend unrund werdende Bewegungen ausführen sollte, falls sich alles völlig kacke anfühlen sollte, im Kopf den hilfreichen Satz "Scheiß drauf, ich mach' das jetzt" zuzurufen. Gegebenenfalls ergänzt um den Hinweis, mich auf die Aufgabe des Snatches zu konzentrieren. Des Snatches, denn hundert Snatches sind hundert Mal hintereinander genau ein Snatch, und genau auf diesen konkreten Snatch gilt es, sich zu fokussieren.

Erfreulicherweise brauchte ich diese Technik nicht anwenden, aber das Bewusstsein, dass ich noch ein paar Asse im Ärmel gehabt hätte, freut mich ungemein.
Vorstellungsregulation
Bilder, also geistige Vorstellungen, funktionieren bei mir sehr gut, insofern habe ich mir oft den Moment vorgestellt, in dem ich die Kettlebell nach dem hundertsten Snatch abstelle. Immer und immer wieder - so hatte ich meinen Geist auf den Erfolg einjustiert.

Mit ideomotorischem Training nahm ich den Snatchtest am Abend vorher im Bett vorweg. Beim ideomotorischen Training versuchst du, dich in dich selbst beim Ausführen der Bewegung hineinzuversetzen, um so z.B. deine Ermüdung oder den Zug der Kugel an der Hand von innen nachzuempfinden.
Das heißt: Ich lag mit geschlossenen Augen im Bett, drückte auf die Stoppuhr und "snatchte". Genau einhundert Mal. Ich atmete in der Frequenz, in der ich snatchte, snatchte im geplanten Rhythmus (zehn links, Handwechsel, zehn rechts, abstellen, zwei tiefe Atemzüge und beim Start der nächsten Minute von vorne). Ergebnis waren, soweit ich mich erinnere, 4:52 Minuten.

Ergebnis

Ich habe das Ding gerockt.

Was ich jetzt schreibe, dürfte sich wie die durch die rosa Brille betrachtete Zusammenfassung des oben geschriebenen aus der Erfolgsperspektive lesen: "Wie ist es, wenn alles klappt?". Aber, bedenke: Es hat sich exakt so zugetragen.

Mit dem Start snatchte ich genau im vorgestellten Rhythmus: Zehn links, Handwechselswing, zehn rechts. Kugel abstellen, zwei tiefe Atemzüge und mit Beginn der folgenden Minute ging es weiter. EMOM (Every Minute On the Minute) in reinster Form. Ich arbeitete wie ein Uhrwerk.

Meine Gedanken waren ausschließlich beim Snatchen, beim Rhythmus, und es ist an dieser Stelle nicht übertrieben wenn ich sage, dass ich eins war mit meiner Aufgabe. Ich nahm die Zweieinhalb-bis-Dreiminutenmarke eher flüchtig dadurch wahr, dass ein höheres Maß an willentlicher Anstrengung nötig wurde. Das wusste ich vorher, war darauf eingestellt, tat es.
Die Ansagen von Daniel Kirchmaier (RKC II), dem Prüfer, der mir jede Wiederholung laut zählte, drangen beiläufig an mein Unterbewusstsein. Ich erinnere mich daran, wie ich vor dem Test von einer anderen Teilnehmerin gefragt wurde, ob ich denn angeschrien werden wolle. Wollte ich nicht, allerdings hätte ich davon auch nichts mitbekommen, schließlich war ich woanders: Bei meiner Aufgabe.

Csikszentmihalyi hat als eine Voraussetzung für den Flow-Zustand unter anderem benannt, dass die Anforderung auf der Höhe der Fähigkeiten oder leicht darüber liegt. Ich will nicht alle Kennzeichen auflisten, an denen er einen Flow-Zustand festmacht, erinnere jedoch zwei davon sehr deutlich: Ein Gefühl des Höhenflugs, und ich hatte die ganze Zeit über die Gewissheit, dass ich die Situation kontrolliere.

Ich war im Flow.

Kein Wunder also, dass meine Problemlösungsstrategien ungenutzt bleiben konnten. Aber, wie gesagt: Schön, wenn noch ein Ass im Ärmel hängt.

Anschließend gab's gleich nicht nur ein, sondern gleich zwei Sahnehäubchen obendrauf, indem Moritz Rammensee (Senior RKC) meinte, die Snatches seien durchweg sehr sauber gewesen (für Snatchtest-Verhältnisse), während mir Daniel beim Abschlussfeedback sagte, ihm hätte das Zusehen und Zählen angesichts des uhrwerkartigen Rhythmus Spaß gemacht.

Kurzum: Meine physische und mentale Vorbereitung waren perfekt gewesen.

Ein paar anmerkungen, oder: Was du nicht unbedingt lesen brauchst

Misserfolgsmeider und Erfolgssucher
Es finden sich in der Literatur auch misserfolgsmotiviert / erfolgsorientiert und vergleichbare Begriffe. Damit sind unterschiedliche Orientierungen von Menschen in Bezug auf Aufgaben und ihre Bewertung von Erfolg bzw. Misserfolg gemeint, die auch Selbstwahrnehmungskonzepte widerspiegeln.

Was musst du dir darunter vorstellen?
Nehmen wir an, ein Misserfolgsmeider hat Erfolg, so wird er sagen: "Es war ja auch leicht". Im Fehlerfall sieht er seine Selbstwahrnehmung bestätigt: "Ich hab' halt nichts drauf".
Der Erfolgsmotivierte reagiert mit "Schön, dass es geklappt hat, ich war gut vorbereitet." beziehungsweise "Was mache ich beim nächsten Mal besser?".

Kleine Anmerkung: Meiner Ansicht nach sind bestimmte Motivationsmodelle (High-Performanche Cycle!) nur schlüssig, wenn man Erfolgsorientierung voraussetzt.
Der Artikel, die Mentaltechniken und ich
Wenn du jetzt Eindruck haben solltest, ich hätte mich mit einem riesengroßen Zeitaufwand "auf Erfolg programmiert", muss ich dich enttäuschen. Dem war nicht so. Dass diese Art von "Programmierung" nicht funktioniert wie beim Schreiben von Software, sollte ohnehin klar sein. Ich habe vor allem deshalb ausführlich beschrieben, was ich wie getan habe, um dich eventuell zu inspirieren. Allerdings fallen die angeführten Methoden nicht per Fingerschnippen in dein Bewusstsein, du musst sie genauso üben wie zum Beispiel den Snatch. Techniken wie das ideomotorische Training anzuwenden fällt mir persönlich sehr leicht, vielleicht verlangt es bei dir mehr Zeit und Mühe.

Literatur

Csikszentmihalyi, M. (2008): Flow
Eberspächer, H. (2012): Mentales Training
Konopka, P. (2012): Sporternährung
Mayer, J., Hermann, H-D. (2015): Mentales Training
Rheinberg, F. (2008): Motivation
Zintl, F., Eisenhut, A. (2009): Ausdauertraining

...sowie diverse Skripte der FernUniversiät Hagen zur Arbeits- und Organisationspsychologie

8 Gedanken zu „In der Hirnzone: Mentale Vorbereitung für den RKC Snatchtest“

  1. Also doch, lieber Mr. Kettlebell, du stellst mich hier vor Herausforderungen: woher soll ich wissen, was ein Snatchtest ist ? Zum Glück gibt es im Netz tausende Möglichkeiten, schnell eine passende Antwort zu erhalten.

    Es ist wie bei allen sportlichen Herausforderungen, wenn der Kopf nicht will, dann ist der Körper auch nicht bereit, oft genug habe ich es an eigenem Leib erfahren dürfen – im übrigen eine schöne Erfahrung, die mir auch im normalen Leben oft gute Dienste geleistet hat.

    Dann gratuliere ich dir mal zu deinem persönlichen Erfolg – und nun aber ran an die Laufkilometer, damit du die neue Herausforderung in 2020 auch bestehst , der Weg ist geebnet !!

    1. Liebe Küstenläuferin,

      ich wüsste doch, dass du eigeninitiativ alle wesentlichen Informationen zum Snatchtest herausfinden würdest! 😉
      Und die Vorbereitung für nächstes Jahr hat begonnen!

      Ciao,
      Harald

  2. Lieber Harald,
    es scheint so, dass Du alles richtig gemacht hast, wobei die Bewältigungsstrategien wohl nur im Vorfeld dazu dienten, die mentalen Hürden abzubauen, denn beim Test warst Du ja im „Flow“. Gratuliere! Ist irgendwie schon ein hartes Ding, aber Du hast es m it der entsprechenden Vorbereitung geschafft.

    Salut

    1. Lieber Christian,

      ich denke auch, dass ich mit der Vorbereitung eine super Leistung abgeliefert habe, da lobe ich mich gerne selbst. Im Kopf hat sich – habe ich – einiges bewegt, so dass ich die körperlichen Fähigkeiten optimal einsetzen konnte.
      Nächste Aufgabe ist der Transfer, die TTdR ruft! 😉

      Ciao,
      Harald

  3. Klasse, das Du es nun geschafft hast. Ich war ja beim ersten mal auch dabei. Halt nur auf der anderen Seite mit dem roten Shirt an. Fühle Dich umarmt. Du kannst Stolz auf Dich sein. Auch auf diesen Artikel und die Selbstreflextion.
    Hut ab.

    Dein Frank

    1. Hi Frank,

      herzlich willkommen bei mir! 🙂
      Vielen Dank, ich kann mich noch sehr gut an das erste mal erinnern. Ich bin wirklich stolz, superzufrieden und umarme zurück!

      Ciao,
      Harald

  4. Sehr lang, aber ebenso inspirierend!
    Glückwunsch zum bestandenen Test! Außerdem hat mir Leo noch eine vulgäre Snatch-Übersetzung beigebracht, die den Test in ganz anderem Licht erscheinen lässt.

    1. Die Länge ist mir auch aufgefallen, als ich fertig war, und das, obwohl ich mich beherrscht habe.
      Freut mich, wenn du dich inspiriert fühlst – und lass‘ das Kopfkino aus, wenn du an Leo denkst 😉

      ciao,
      Harald

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