Ich laufe lieber

Ich liebe Autos. Wenn es aber um freudvolles Vorankommen geht, laufe ich lieber. Und das hat nichts mit Spaß an der Bewegung zu tun, denn den habe ich sowieso.

Womit aber dann? Ich laufe einfach los, dann wird schon deutlich werden, was ich meine.

Zuerst ziehe ich meine nagelneuen Laufschuhe an. Die alten waren zwar noch gut, bloß darf ich seit kurzem nur dann im Ort laufen, wenn die Schuhe einen bunten Aufkleber tragen. Wie früher die Stadtmauern sollen nämlich jetzt Schilder die Städte schützen. Angeblich seien die Ausdünstungen der Sportlerfüße ungesund. So ganz lässt sich das zwar nicht nachweisen, aber Hauptsache, der Bürger hat den Eindruck, die Obrigkeit tut etwas. Daher die neuen Schuhe.

Meine übliche Runde führt mich aus dem Ort hinaus auf schmale Straßen, die inmitten der Felder verlaufen. Kaum Verkehr, asphaltiert, flach, griffig. Theoretisch ein ideales Gefilde für Tempotraining, wären da nicht die zur Mäßigung mahnenden Zeichen. Schneller als 7 Minuten pro km darf ich nicht. Freilich könnte ich hoffen, dass ich nicht erwischt werde, oder darauf, dass mich ein Spurt über den umgepflügten Acker vor einem der neulich eingeführten Laufpolizisten rettet. Aber, und das ist ein großes aber: mit den Laufpolizisten ist auch eine Art Nummernschild Vorschrift geworten, die ein jeder Läufling auf der Stirn tragen muss.

7 Minuten pro Kilometer. Oder langsamer. Auf einer geraden, freien, unbelebten Strecke. Eigentlich kann ich fast ins Gehen fallen, die Flugphase lohnt ja kaum. Eher muss ich darauf achten, dass ich nicht einschlafe. Ich falle ins Grübeln über den Sinn verordneter Lahmheit.

Die simple Logik dahinter lautet: langsamer ist sicherer. Am sichersten wäre demnach der Stillstand. Warum ist eigentlich noch niemand darauf gekommen? Ich halte besser die Klappe. Bloß keine schlafenden Hunde wecken. Immerhin: das hält mich wach.

Mit dem Waldrand endet nicht nur der asphaltierte Teil, sondern auch das Tempolimit. Auf dem Schotterweg lasse kann ich es endlich krachen lassen, was ich für ein paar Minuten ausgiebig tue. Jawoll, so macht Laufen Spaß! Kurz darauf laufe ich auf fünf Läuflinge auf, welche wie aufgereiht hintereinander vor sich hin schlurfen. Noch eine Beschränkung? Nein, der vorderste in der Reihe träumt und trottet.

Leider ganz links, und leider ist es höchst illegal, einfach rechts vorbeizurennen.

Was denjenigen in ein Dilemma bringt, der gerne schneller unterwegs sein möchte. Rechts überholen? Verboten, verwerflicher noch als Mord, und beinahe so schlimm wie Steuerbetrug.

Wir dürfen auch nicht auf uns aufmerksam machen, indem wir „hey, lass‘ uns vorbei“ rufen: Nötigung. Ein kurzer Pfiff als Ausdruck von „Entschuldige bitte, ich möchte schneller laufen als du“. Ist auch nicht erlaubt, weil der Angesprochene den Pfiff als „verpiss dich auf die rechte Spur, du Penner“ verstehen könnte. Ich gebe zu, die meisten meinen genau das.

Unsere einzige Möglichkeit besteht darin, den in Morpheus‘ Armen selig schlummernden Schlurfer durch „unvermeidbare, natürliche Lautäußerungen des Körpers“ aufzuwecken. Ein Urteil des Bundesgerichtshofes lässt genau diese Geräusche ausdrücklich zu. Also husten, niesen, rülpsen und räuspern wir uns, was die Lungen hergeben – und das ist einiges, denn das Tempo lässt uns wahrlich genug Luft!

Nach einigen wenigen Minuten geschieht das Wunder: der Schläfer geht nach rechts!

Haben wir ihn geweckt? Nein, er will abbiegen.

Ich genieße die nächsten paar Kilometer im Wald, komme am Abzweig eines herrlichen Single-Trails vorbei, den ich früher gerne gelaufen bin.

Heute darf dort nur noch gegangen werden. „Verkehrstrennung“ heißt das Zauberwort. Single-Trails und Wege unter einem Meter Breite sind für Spaziergänger und Wanderer, darüber für Läufer. Mountainbiker dürfen überhaupt nicht mehr auf normalen Waldwegen fahren, für sie gibt es abgesperrte Areale.

Weil ich keine Lust auf Gehtempo habe, lasse ich den Trail bleiben.

Kurz vor Schluss grüßt wie immer Landvogt Gessler an der Einmündung.

Nicht persönlich, sondern in Gestalt seines Hutes, der in moderner Zeit in Form eines Stoppschildes daherkommt. Ich bleibe brav stehen, die Füße vorschriftsgemäß parallel nebeneinander. Mein Blick geht zuerst nach links, dann nach rechts, um ich davon zu überzeugen, dass wirklich niemand kommt. Freilich sehe ich das schon hundert Meter vorher, oder im langsamen Gehen. Wie sonst eben auch, wenn andere Vorrang haben. Manche Kreuzungen, findet die Obrigkeit offenbar, bedürfen einer besonderen Würdigung. Daher gibt des den modernen Gesslerhut.

Wieder zuhause, bin ich wirklich froh, dass ich beim Laufen noch so viel Freizügigkeit genießen darf. Ich darf loslaufen, wann ich will, und sogar die Strecke frei wählen! Autofahrern geht es in dieser Hinsicht wirklich schlecht. Sie müssen jede Fahrt vorher genehmigen lassen:

Zeitpunkt der Abfahrt, Start- und Zielort, Route, und so weiter. Meine Güte.

Laufen hat die Freiheit, die ich meine.

Deshalb laufe ich lieber.

5 Gedanken zu „Ich laufe lieber“

  1. Haha, ja da kann ich dir nur noch zustimmen, lieber Harald – darum laufe auch ich lieber!! 😀

    Liebe Grüße Anna

    1. Ob es wohl gegen kurzzeitige Unlust auf längeren Strecken hilft, wenn wir uns vorstellen, wir wären in einer ähnlichen Situation mit dem Auto unterwegs? 😉

      Liebe Grüße,
      Harald

  2. Haha – das ist gleichzeitig köstlich zu lesen und irgendwie auch ein bisschen beängstigend. Mit dem 7er Schnitt könnte ich ja noch leben – aber das Stoppschild wäre dann gar nichts für mich 🙂 Ein schöner Vergleich, zum Glück sind Läufer noch nicht so strengen Regeln unterworfen.
    Liebe Grüsse
    Ariana

    1. Ich sage nur: rechts überholen. Weil ich jeden Tag auf einer dreispurigen Autobahn unterwegs bin, ist das Beispiel – leider – aus dem Leben gegriffen. Ich krieg‘ schon Gänsehaut, wenn ich nur daran denke, dass uns Läufer die gleiche Vorschrift treffen könnte… 😉

      Liebe Grüße,
      Harald

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