Die heftigsten Kämpfe der Menschheit werden weder um Öl, noch um Land oder Wasser ausgetragen. Nein, am erbittertsten streiten Menschen um – Kuchen. Besonders dann, wenn sie vorher Sport getrieben haben.
Vor einem Jahr, liebe Läuflinge, nahm ich an einem jener wunderschönen, kleinen Marathons teil, die von einem kleinen Verein in einem kleinen Ort liebevoll organisiert werden. Ein besonderer Reiz solcher Läufe ist die reich gefüllte Kuchentheke, die auf des Läuflings hungrigen Magen wartet. Selbstgebackene Kuchen!
Meine Vorfreude auf ein, nein, mindestens zwei leckere Stücke nebst Kaffee steigerte sich im Verlaufe des Laufes derart, dass ich auf den letzten fünfzehn Kilometern jedwede Nahrungsaufnahme verweigerte. Ich kann euch sagen, die Aussicht auf Torte ließ mich auf dem Hungerast herrlich schaukeln!
Durchs Ziel, flugs geduscht und hinein in die Turnhalle, wo mir die Aussicht auf Köstlichkeiten das Wasser im Munde zusammen laufen lies.
Hin zur Kuchentheke, und: nichts. Gerade mal drei zerbröselte Stücke Sandkuchen befanden sich noch auf dem ansonsten völlig verwaisten Tisch.
Dann erblickte ich die Bündel. Hinter den netten Damen am Stand türmten sich Gebäckpäckchen. „Du hättest heute morgen auch reservieren sollen, das machen viele. Die nehmen sich dann was mit für zuhause.“. Für zuhause. Aha. Daheim hocken dann fette Verwandte auf der Couch, um sich meinen Kuchen einzuverleiben. Ja, es ist mein Kuchen, denn ich bin schließlich dafür gerannt! Verfressenes Pack!
„Nicht mehr mit mir, Freunde.“ schwor ich mir an jenem Tag. Und begann, an meinem Plan zu arbeiten, der ein Jahr später zur Ausführung gelangte. Statt Steffny und Marquardt las ich nunmehr SunZi (die Kunst des Krieges) und Clausewitz (vom Kriege).
Am Tag X hatte ich mit Schlafsack und Campingliege direkt vor dem Halleneingang übernachtet. Das verhalf mir zu einem entscheidenden Vorteil gegenüber allen, die sich eingebildet hatten, es würde ausreichen, sich um fünf Uhr morgens in die Schlange zu stellen. So sicherte ich mir ein erstes Kontingent, indem ich auf das bekannte Angebot, etwas „für später“ zurücklegen zu lassen, zurückgriff. Drei Stücke Marmorkuchen, zwei Frankfurter Kranz, zwei Donauwellen und ein Schwarzwälder Kirsch, hübsch in Alufolie verpackt, bildeten den Grundstock.
Erfolgreiche Projekte sind immer eine Folge perfekten Timings, und so tränierte ich meinen Leib auf eine Zielzeit von genau 3:45 Stunden. Ungeduscht begab ich mich flugs zur Kuchentheke.
Selbstredend hatte ich mich nicht nur auf das Aroma eines ungeduschten Läuflings verlassen, die Laufklamotten waren in der zweiwöchigen Taperingphase im Dauereinsatz gewesen. Ohne Wäsche zwischendurch. Von einem biologischen Schutzschirm umgeben, konnte ich mich auf die so erzeugten Berührungsängste meiner Gegner verlassen. Nicht, dass sie das Feld komplett frei gemacht hätten. Nein, dafür war die abschreckende Wirkung meiner Waffe doch zu gering. Aber, und das war mein Ziel gewesen, einige olfaktorisch Hochbegabte blieben auf Distanz – und ich gewann Spielraum.
Sofort drängte ich mich in die vorderste Reihe, wo ich den zaghaften Versuch der Dame neben mir, zwei Tassen Kaffee und einen Muffin zu ordern, mit meiner Bestellung niederschrie. Ohne die Sorten klar zu benennen, wandte ich eine Methode an, die man in ähnlicher Form vom Börsengeschehen her kennt: Hindeuten und die gewünschte Menge brüllen. Drei Stücke Erdbeerkuchen und vier Käse-Sahne waren mein!
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich den gierigen Blick eines Mannes, der unverkennbar auf die beiden letzten Stücke russischen Zupfkuchens gerichtet war. Geistesgegenwärtig griff ich einen Becher kochendheißen Kaffees, denn ich auf seinem Unterarm ausleerte. Sein Schmerzensschrei übertönte meine dahingemurmelte Entschuldigung – mein gleichzeitiges Lächeln entwaffnete den Gegner – den Tumult der Ersthelfer nutzte ich aus, um mir den kompletten Rest Zupfkuchen bereitstellen zu lassen. Im gleichen Moment sicherte ich mir durch gezieltes Anhusten den letzten Bienenstich.
Natürlich bildete ich nur einen kleinen Teil der großen Schlacht am Kuchenbuffet, und für einen unbeteiligten Beobachter muss es faszinierend gewesen sein, wie der Kampf hin- und herwogte. Nein, an der Kuchentheke gibt es weder Freund noch Feind, sondern nur lohnende Ziele.
Der Abtransport meines Fangs gestaltete sich vergleichsweise einfach, denn ich hatte eine im Rugby bewährte Technik eingeübt. So bereitete es mir keine Schwierigkeiten, den Kordon grimmig blickender Tortenjunkies zu durchbrechen.
Daraufhin deponierte ich die Beute im Auto, und gönnte mir unter der Dusche eine kleine Pause. Nun galt es, den am Morgen vorbestellten Kuchen abzuholen. Frisch eingekleidet, mit Mütze und sicherheitshalber einem falschen Bart ausgestattet, bahnte ich mir einen Weg durch die stöhnend am Boden liegenden Verlierer des Kampfes, um das Päckchen mit den Worten „ich hatte reserviert“ unter ihren hasserfüllten Blicken seelenruhig entgegenzunehmen.
Lächelnd stieg ich über zertretene Brillen, Pappteller und etwas, das wie ein gebrochenes Bein aussah, während ich dem Ausgang entgegensteuerte.
Hatte ich erzählt, dass ich mich abermals einer leeren Kuchentheke gegenüber sah? Marathonläufer sind wirklich verfressen!