Texas Hill County. Es ist ein weites Land, man erwartet John Wayne, staubige Straßen, grimmigen Blick und rauchende Colts. Die nahe gelegene Stadt Bandera nennt sich nicht umsonst Cowboy Capital of the World.
Statt stilecht mit in Hüfthöhe baumelndem Revolver anzutreten, hat sich die Wild Bunch der Trailläuflinge indes mit Trinkrücksäcken bewaffnet. Aus gutem Grund, denn der Gegner in diesem Duell ist die Hitze.
Willkommen zum Cactus Rose Trail, der seit 2007 Ende Oktober in den Geschmacksrichtungen 50 und 100 Meilen, sowie als Staffel (4×25 Meilen) angeboten wird. Im Prinzip besteht der Kurs aus einer Runde von 25 Meilen, die, je nach zuvor geordertem Menu, zwei bis viermal gelaufen wird. Damit es nicht langweilig wird, haben sich die Organisatoren überlegt, nach jeder Runde die Richtung zu wechseln.
Alle 5 Meilen gibt’s dann ein Zelt mit Wasser und Eiswürfeln – beim Cactus Rose ist Selbstverpflegung angesagt! Also haben wir, Francisco Moreno und ich, am Abend vorher unsere wohlgefüllten Dropbags an zwei Stationen deponiert. Und, wahrlich ich sage euch, es handelte sich um vortreffliche Bags, die in ihrem früheren Leben das Futter für Franciscos Hunde beinhaltet hatten. Meine spontane Begeisterung angesichts eines leichten, hinreichend großen und, vor allem, wasserdicht verschließbaren Behältnisses hat ihn ebenso spontan überzeugt. Also gab’s Läuflingsessen mit Hundemotiv.
Ich hatte übrigens vollkommen verpennt, mich zum Lauf anzumelden. Das muss mir erstmal einer nachmachen: Urlaubstermin auf den Lauf abstimmen und dann…
Aber alles kein Problem, für die supernetten Organisatoren um Anne, Joyce und Joe sind Meldungen bis kurz vor dem Start kein Thema.
Klar: T-Shirt gibt es für Nachmelder keins. Steht wie sonst auch auf der Anmeldung.
Oder?
Weit gefehlt!
Als ich um halb fünf in der Frühe (also neunzig Minuten nach dem Aufstehen, eine halbe Stunde vor dem Start, und vier Stunden vor dem Aufwachen), meine Unterlagen abhole, fragt mich Joyce nach meiner Größe: Du kriegst auch ein Shirt. Ich kümmere mich darum, sobald der Shop geöffnet hat..
Wow.
Rundum sorglos und glücklich scheint das Motto der Organisatoren zu sein, Cactus Rose ist von Idealismus getragen. Was Wunder, dass etliche Wiederholungstäter dabei sind.
Tragen eigentlich Menschen wie Joe Prusaitis, Vater des Cactus Rose, einen heimlichen Sadismus mit sich herum? Liebevoll, zuvorkommend, nett bei allen Aspekten – bis auf die Streckenwahl. Da wird keine Gemeinheit ausgelassen, sondern alles integriert was geeignet ist, des Läuflings Leid zu vergrößern.
Aber wir wollen es ja so.
Trailläuflinge sind heimliche Masochisten.
Was wäre uns ein Ultratrail ohne die nachträgliche Gewissheit, über uns hinausgewachsen zu sein? Schmerzen und körperliche Schwächen kraft unseres Willens besiegt zu haben? Wollen wir heimkehren mit den Worten war eigentlich ganz locker?
Dann ist es vielleicht weniger Sadismus, sondern vielmehr die Furcht vor Beschwerden, die den Streckenplan bestimmt. Ich stelle mir die enttäuschten Gesichter vor, wenn ein böser Hügel ausgelassen würde. Hey, was soll der Unsinn uns auf der Schotterstraße um diesen herrlich fiesen Hang herumzuführen? Und einmal konnte ich über fast zehn Minuten meine Füße gerade aufsetzen!
Also ist es Joe, der Besessene, der mit seinem Team dafür Sorge trägt, dass uns alles geboten wird, um als glorreiche Halunken die Ziellinie zu überschreiten.
In der Tat: Trailläuflinge sind anders.
Ist es nicht beschwerlich, beschweren sie sich.
Also legt man ihnen Steine in den Weg, oder führt eben jenen dort entlang, wo bereits welche herumliegen. Und fürwahr, unser Weg war ein steiniger. Single Trails. Rolling Stones. Große, kleine Steine. Mit rund dreihundert Höhenmetern pro Runde recht flach, dafür aber mit fiesen Steigungen (wie gesagt: Rolling Stones. Die sind besonders bei Dunkelheit nicht zu verachten.)
Bei Wikipedia nennt man sie Dasylirion wheeleri, ich bleibe bei Sotol.
Sie wachsen im Hill County zuhauf, sind wunderschön anzusehen und haben lange Blätter mit Dornen. Wie es sich anfühlt, einen Tag lang hindurchzulaufen?
Nun, es soll Menschen geben, die ihre Unterarme einritzen. Sotols tun dies an Läuflingsbeinen. Am Anfang des Rennens, wenn an den Unterschenkeln noch etwas Haut vorhanden ist, fühlt sich so ein Sotolstreicheln harmlos an. Später wird’s unschön.
Kann man seinen Körper dagegen abhärten?
Ich denke schon. Tägliches Training mit der Drahtbürste sollte funktionieren.
Höre ich jemanden „lange Hose“ sagen? Gute Idee, wenn der Lauf in, sagen wir: Grönland stattfände. Wir hatten rund 30° im Schatten. Und praktisch keinen Schatten. Spätestens ab 12 Uhr mittags brennt die Sonne erbarmungslos vom Himmel. Beim Gedanken an lange Beinkleider läuft mir ein eiskalter Schauder den Rücken herunter. Eiskalter Schauder? Schön wär’s ja! Jetzt lerne ich die riesigen Kühlboxen mit Eiswürfeln zu schätzen: ein paar Schaufeln in die Trinkblase, Wasser dazu – und bis zur nächsten Verpflegung vermag ich mich mit erfrischendem Eiswasser erquicken.
Salztabletten bilden bei allen einen wesentlichen Teil der Nahrungszufuhr, und im Großen und Ganzen komme ich recht gut mit der Hitze klar.
Später, als die Sonne langsam untergeht, bin ich mit Jason Schwertner unterwegs. Längst sind wir ins Gehen übergegangen, und halten bis zum Ziel einen Plausch. Einen, sagen wir, interessanten Moment erlebe ich bei einsetzender Dunkelheit. Es geht gerade noch ohne Stirnlampe, wir marschieren einen von Sotol gesäumten Pfad entlang. Die Zirpen grillen (oder zirpen die Grillen? Ich kann mich nicht mehr erinnern). Jason, der hinter mir geht, fragt:
Du denkst an die Klapperschlangen, oder?!
…äh…
Klapperschlangen sind in dieser Gegend häufig zu sehen, ebenso Koyoten (deren Heulen am Morgen gut zu hören war).
Klapperschlangen, meine Güte. Als naiver Mitteleuropäer denkt man, tödliche Tiere gäbe es nur im Film.
Später überschreiten wir hochbeglückt die Ziellinie. Vielmehr: ich hochbeglückt, Jason leicht enttäuscht. Weshalb?
Ich nutze die Gelegenheit, eine sympathische Besonderheit des Cactus Rose anzuschneiden. Wer für eine Handvoll Dollar zwei Runden (50 Meilen) meldet, kann sich für ein paar Dollar mehr spontan dazu entscheiden, zwei weitere Runden anzuhängen und kommt so in die Wertung für 100 Meilen. Umgekehrt findet sich der geneigte Abbrecher nicht in der offiziellen Finisherliste über 50 Meilen wieder, sondern in einem Anhang dazu.
Cactus Rose ist wie das Leben: hart.
Und sehr, sehr schön.
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Hat Spass gemacht deinen Bericht zu lassen – du hast die Atmosphaere gut eingefangen! Wie war der River Walk in San Antonio am naechsten Tag? Konntet ihr schon wieder gehen oder seid ihr nur mit dem Boot gefahren? 🙂
Gruss aus Austin vom Underachiever
Hi Axel,
der River Walk ging ohne Weiteres zu Fuß. Zum Glück, sonst hätten wir uns überlegen müssen wie wir The Alamo per Boot besichtigen 😉
War übrigens schön im Rennen mit dir zu plaudern!
Viele Grüße nach Austin,
Harald
Glückwunsch zu dem Lauf und Danke für den tollen Bericht!
Beste Grüße,
Jan
Danke Jan, Cactus Rose ist ein toller Lauf!
Viele Grüße,
Harald
In Österreich ? Musste erst mal nach googeln …….
ganz schön weit wech ! Wie das ? Würde mich schon interessieren, aber wahrscheinlich eine zu kesse Frage !
Was deine Altersklasse angeht, so wie du auf dem Foto rüberkommst, könntest du ……überleg‘ nicht zu lange.
Und was die Frauenquote angeht, ich glaube, das wird nix !
neee, nix Österreich, bei Karlsruhe gibt’s auch ein Spielberg. 😀
Schade wegen der gesteigerten Frauenquote!
Lieber Harald,
was für ein Lauf – Respekt!! Er hört sich auf der eine Seite schön, auf der andere Seite richtig gruselig an… Ich kann Margitta aber nur zustimmen, gut und jung siehst du auf dem Foto aus – es war wohl ein Lauf ganz nach deiner Geschmack… 😉
Den Urlaub auf einen Lauf abstimmen und dann vergessen sich zum Lauf anzumelden – das muss zuerst einer schaffen. Zum Glück hat das mit der Nachmeldung so gut funktioniert!
Liebe Grüße Anna
Hi Anna,
Cactus Rose ist wirklich ein hammergeiler Lauf! Natürlich kann man das Texas Hill County auch ohne Laufen genießen – da gibt’s viele Ranches, die vom Pferdeverleih leben – aber für Läufer ist das keine echte Alternative, oder? 😉
Liebe Grüße,
Harald
Mit diesem Bericht hast du dem Lauf-Höhepunkt ein angemessenes Denkmal gesetzt. Ich hatte beim Lesen meinen Spaß – ganz ohne zu leiden!
Herzlichen Dank! Freut mich, wenn du Spaß hattest. Aber sag mir: hast du das Leiden heimlich simuliert, um in den vollen Genuss zu kommen? Waden in der Sauna per Drahtbürste malträtiert….? 😉
Erst ziehst du um, keiner weiß, wohin, dann verschwindest du in Spähren, die unerreichbar scheinen, begibst dich in die Wildnis mit Klapperschlangen und Kojoten – gut dass es ein zu wiederholender Rundweg war – immerhin eine Chance, ab und an mehr Menschen zu sehen !
Die Trophäe in Form eines knallroten Shirts einschließlich Medaille bringst du mit nach Hause – bist voll begeistert, und diese Freude widerspiegelt sich in deinem Foto, macht dich sooooooooooooooooo jung, habe dich kaum wieder erkannt !
Cactus Rose gefällt mir
gab es auch Frauen am Start ❓
Mit dem Rundweg hast du Recht – das war witzig, gegen Ende einer Runde die Schnellen zu sehen. Und am Anfang einer Runde dann die Langsamen. 🙂
Hatte ich nicht kundgetan, dass ich nunmehr im schönen Spielberg residiere?
Besten Dank für den Kommentar zum Foto, ich bin noch am überlegen, in welcher AK ich künftig starte. Bis ich mich entschieden habe, hat sich mein Alter wahrscheinlich wieder auf Normalmaß eingependelt 🙂
Frauen gab’s auch am Start, klar! Recht viele sogar.
Wie wäre es, wenn du nächstes Jahr die Frauenquote mit deiner Teilnahme steigerst?