Byebag

Dass jedwedes Ding ein Ende hat, ist eine Binsenweisheit, und warum sollte dem Besitz einer Sporttasche anderes widerfahren? Dennoch verdient die treue Begleiterin einen würdigen Nachruf.

byebag2Ein jegliches Ding hat ein Ende, dieser Binsenweisheit gesteht der Dichter lediglich eine einzige Ausnahme in Gestalt der Wurst zu, welche bekanntlich über zwei Enden verfügen darf. Sporttaschen, und speziell der Besitz derselben verhalten sich in Bezug auf Binsenweisheiten völlig regelkonform, was wiederum bedeutet, dass ich mich von meiner alten Sporttasche trenne – bevor ein offener Reißverschluss zum Verlust von Laufutensilien führt, was wiederum einen Lauf in die sprichwörtlichen Binsen gehen lassen könnte.

Lange hat sie mir gedient, schätzungsweise zwanzig Jahre oder noch länger. Eher mehr. Damals, in jener Phase meines sportlichen Daseins, als zehn Kilometer weit waren, und ein Marathon als theoretische Größe zwar bekannt, aber keineswegs erwogen wurde. Wenn ich die etlichen Male erinnere, in denen sie meine schweißtriefenden Klamotten im außenliegenden Netzfach aufnahm, kann nur sagen: Alle Achtung!

Bisweilen habe ich mir eine wasserdichte Tasche gewünscht. Bei meinem ersten Lauf über 24 Stunden zum Beispiel, oder einem Hunderter mit dem optionalen (und darob gerne genommenen) Wolkenbruch hätte ich mir das Hantieren mit Müllsack (um Tasche) und Tasche (im Müllsack) sparen können.

Erfreulicherweise darf ich konstatieren, dass die Reißverschlüsse nach wie vor tadellos funktionieren. Ich weiss, dass ich im ersten Absatz vom offenen Zipper geschrieben habe; jene an der Tasche sind von Zipperlein verschont geblieben. Wenn ich von Versagensängsten rede, meine ich sie beispielhaft im übertragenen Sinne.
Nachgiebig, gar aufgelöst sind andere Dinge, namentlich das Innenleben. Bröckchen um Bröckchen löst sich eine Schicht am Inneren der Tasche, um sich fetzenweise in den transportierten Kleidungsstücken zu finden – die der Österreicher bei hinreichendem Alter ebenfalls Fetzen nennen würde, um sogleich hinterher zu schieben, dass sich Gleich und Gleich eben gern gesellte. Eine Einschätzung, die ich nicht teile. Laufklamotten und Tascheninnenlebenfetzen sind für mich zwei verschiedene, getrennte Dinge.

Obendrein neigen die Innenlebenfetzen dazu, sich allzu innig mit dem Reißverschluss zu verbinden. Ich missbillige das entschieden, schließlich wissen wir doch alle, wohin sowas führen kann.

Und dann zeigt auch noch die Netztasche Auflösungserscheinungen in Form von Löchern, die deutlich größer sind als jene, die das Netz von Haus aus mitbringt. Freilich kommt dadurch noch mehr Luft hinein, mehr Mief hinaus, allerdings unter Umständen nicht nur der, sondern auch getragene, und somit geruchstragende Kleidung. Für Socken reicht’s schon.

Deshalb fiel, frei nach Schiller, mein Entschluss: der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.
Ich zelebriere den Abschied also mit einem Artikel, einem Wortspiel – nur: welches Wortspiel wäre dem Anlass wohl angemessen?

Byebag? Klingt als Alliteration nicht schlecht, taugt auch als Überschrift, aber sonst?

Oder etwas Melancholisches sein in der Art von time to say goodbye? Echt nicht, bei solchem Jammergesang würde ich freiwillig mit in die Mülltonne hüpfen, um meine Ruhe zu haben.

Tasche To Go? Da denkt doch jeder gleich an Kaffee, und mindestens hundertvierzig von hundert Menschen hat lautmalerisch das Land namens Togo im Kopf, was so falsch nicht ist, denn Togo zählt zu den Ländern, die Kaffee exportieren.

Bei Tschau Tasche, vom italienischen Ciao geklaut und in Form einer Alliteration geprügelt, fangen meine Finger an zu krampfen. Sie wollen’s ums Verrecken nicht tippen. Nur mein Versprechen, dass auch dieser Abschiedsgruß als verworfenes Beispiel ebenso wie die anderen auf dem Müllhaufen der Geschichte landen wird, nötigt sie zum widerwilligen Gehorsam.

byebag1Beim Blick auf jene Exempel niederer Origialität muss ich meinen Fingern Recht geben. Die kann man allesamt in die Tonne treten. Wie die Tasche gestern, obwohl ich sie nicht trat, sondern sanft stopfte.

Nun ist also die Tasche tot, es lebe die Tasche.

Nur welche?

Es ist Zeit für eine neue Tasche, die mich idealerweise wieder zwanzig Jahre klag- und problemlos zu Sportveranstaltungen begleitet und gerne mal das Wochenendgepäck aufnimmt.

Die Suche beginnt…

…5…

…4…

…3…

…2…

…1…

jetzt.

4 Gedanken zu „Byebag“

  1. Hallo Harald,
    wunderbar beschrieben, Du schaffst es sogar aus dem Abschied von einer alten Sporttasche einen literarischen Genuss zu zaubern. Ein wahrer Pöt sozusagen. 🙂

    Eine ähnlich alte Tasche besitze ich auch noch. Da sie ihre Nutzungs-Hoch-Zeit aber bereits hinter sich hat und von mir nicht mehr so häufig genutzt wird, befindet sie sich nach wie vor in einem passablen bis guten Zustand. Ich traue ihr daher noch einige Jährchen zu – bis auch sie eines Tages das Zeitliche segnen wird (wo kommt dieser Ausdruck eigentlich her? Muss ich mal recherchieren…).
    Viel Erfolg bei der Suche und dem Finden einer neuen – Deine Ansprüche befriedigenden – Tasche!
    Ich gehe davon aus, dass Du berichten wirst?
    Viele Grüße,
    Thomas

    1. Hi Thomas,
      die Pösie des profanen Wegwurfs, sozusagen 😉
      Ich muss echt sagen, dass mich die Haltbarkeit der Tasche überzeugt hat. Theoretisch hätte ich sie weiter verwenden können (Fetzen abschneiden, Netzfach nicht mehr nutzen,…), aber da war mir die Nutzung dann zu eingeschränkt. Und klemmende RV sind lästig.

      Mach‘ mal ein Foto von deiner Tasche, oder, noch besser: schreib‘ einen Artikel!

      Ich werde auf jeden Fall berichten!

      Viele Grüße,
      Harald

  2. 20 Jahre und mehr eine einzige Sporttasche
    mir scheint, du bist ein sparsamer Mann
    hängst an diesem Teil
    dass du nicht die richtigen Abschiedsworte findest
    deutet klar darauf hin
    bin gespannt auf die neue
    die dich die nächsten 20 – 30 Jahre begleiten darf
    kannst ja mal berichten ! 😉

    1. Sparsam? Scheint wohl so zu sein. So arg hing ich gar nicht an der Tasche, die hat ihren Zweck brav erfüllt, wozu wegwerfen? 🙂
      Ich bin auch auf die neue gespannt. Wenn die auch so lange hält…
      Berichten werde ich auf jeden Fall!

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