Wie ein Traum

Als ich vorletzte Woche abends zum Laufen aus dem Haus ging, betrat ich eine Welt in Graustufen. Die folgende Stunde an der frischen Luft scheint mir auch jetzt, beinahe zwei Wochen danach, noch wie ein Traum.

Wie es manchmal eben so ist: kaum zuhause angekommen, gab ich mich dem Bedürfnis nach frischer Luft unverzüglich hin. Beinahe, denn ein kleiner Verzug entstand durch das obligatorische Umziehen. Laufen in Jeans muss ja nun wahrlich nicht sein.
Was war es, das mich nach draußen gezogen hatte? Aus dem Auto konnte ich schon die herrliche Stimmung wahrnehmen, die von Kälte, Schnee und Nebel bestimmt wurde. Obendrein meldeten meine Beine höchste Lauflust. Nichts wie hinaus!

Kaum hatte ich den Lichtkreis der Ortschaft verlassen, umfing mich allumfassende Gräue. Nein, kein Grauen, wie ich es mir seinerzeit beim Schauerlauf gekonnt einzureden versuchte, sondern Gräue.

Grau war die Farbe, die alles zu bestimmen schien. Ein Effekt, der auch dadurch ermöglicht wurde, dass es hell genug war, um ohne Lampe zu laufen. Der Schnee bot genug Helligkeit, selbst im Wald.
Ich lief, begleitet vom Knirschen des Schnees bei jedem Auftreffen eines Fußes.

Außer mir ist niemand unterwegs, Schnee und Nebel verwischen Konturen, schlucken Geräusche. Es gibt nur mich inmitten einer Glocke der Sichtbarkeit, deren Grenzen die Grenzen meiner Welt bilden. Von Zeit zu Zeit betritt ein Busch, ein Zaunpfahl meine Bewusstseinsglocke, um sie einige Schritte weiter hinter mir wieder zu verlassen.

Ich bin alleine in der grauen, konturlosen Welt.

Wenn es einer Erfahrung bedürfte, um die Idee des Solipsismus zu begreifen; dies wäre eine gute Gelegenheit.

Nun bin ich kein Solipsist, wodurch mir eher die Assoziation an einen Traum in den Sinn kam. Eine Welt, wie sie in früheren (viel früheren) Jahren des Fernsehens als schwarz-weiß geläufig war. Allerdings stellt sich mir die Laufwelt verschwommener dar. Auf einer Kuppe, die ich, wie ich weiß, überqueren muss, damit ich zum Wald komme, sehe ich – nichts. Grau der Schnee unter mir, etwas dunkler grau der Nebel um mich herum. Nach einigen Minuten, in denen ich nach Gefühl bergab laufe, nähere ich mich einem dunklen Schatten: der Wald. Ich beglückwünsche mich zu meiner punktgenauen Navigation, als ich in den Wald eintauche.

Eine gute Stunde später betrete ich meine Wohnung.

Sehe Farben.

Fast scheint es mir, als würde ich mich des Farbsehens erinnern.

Ich bin wieder wach.

4 Gedanken zu „Wie ein Traum“

  1. Ein nostalgischer Lauf als Reminiszenz an die S/W Fernsehen-Ära…nicht schlecht und v.a. kann ich es gut nachfühlen. Manchmal hat man schon eigenartige Gedanken und Gefühle als Solipsist 😉

    Salut

    1. Guten Morgen Christian,
      wohl wahr, so ein Solipsist kommt auf komische Gedanken. Was soll er auch machen, so ganz alleine! 😉
      Seit gestern bin ich immerhin spaziergangsfit, die Bronchitis hatte mich ein paar Tage nach dem Solipsistenlauf erwischt. Freu’ mich schon auf “draußen”!

      Ciao,
      Harald

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