Wenn einer eine Reise tat, so konnte er was erzählen. Obendrein kehrte er meist in Begleitung von allerlei unnützem Tand zurück – persönliche Meisterleistung meiner Kindheit war das Modell einer venezianischen Gondel, die ich auf der Rialtobrücke erstand. Der Rumpf war schwarz mit güldenem Aufbau, welcher seinerseits (empfindliche Naturen mögen den folgenden Halbsatz überspringen) mit roten, weißen und grünen Dioden illuminiert war. Wenn mir besonders feierlich zumute war, beispielsweise in der Adventszeit, habe ich mein Zimmer gerne in die italienischen Farben getaucht.
Wenn ich von den drei bisherigen Aufenthalten in Grainau, am Fuße der Zugspitze, ohne vergleichbaren Kitsch nachhause kam, so mag das teilweise an meinem veränderten Geschmack liegen, oder daran, dass der Zugspitz Ultratrail mit Souvenirs in Form von Finishershirt und Laufgepäck aufwartete.
Jetzt, ganz profan und unsportlich, bin ich nur zum Urlaub hier.
Laufe ich Gefahr, Hut nebst Gamsbart zu erstehen? Eine original bayerische echtlederne Lederhose aus Kunstfaser, hergestellt in Bangladesh?
Ich werde es nie erfahren, weil beim gemütlichen Kaffeeplausch mit Jeldrik Dill von Playground GAP zwei Tatsachen aufeinandertrafen, nämlich: Jeldrik verfügt über überzählige Kleinsprungkästen, während ich einen ebensolchen als gemütlich-sportliches Wohn- und Trainingsaccessoire begehre. Es kam zum Äußersten als er mir ein Komplettpaket inklusive eines ledernen Medizinballes anbot. Handgefertigte, hölzerne Parallettes als Dreingabe ließen uns rasch handelseinig werden.
Functional Training?
Functional Souvenirs.
Tief in meinem Kopf plärrt eine Stimme. Sie fragt mich, wieso ich Gegenstände erwerbe, die genau so sind, wie jene, die ich aus der Schule kenne. Sogar der Hersteller ist der selbe: Erhardt. Arbeite ich mein Kindheits- und Jugendtrauma auf? Was habe ich die Schule gehasst, und jetzt kaufe ich Dinge, die mich daran erinnern? Ich denke eher, es waren die handschmeichelnden Medizinbälle, der lederne Bezug des Kastenpolsters, die mir seinerzeit Streicheleinheiten verpasst haben. Medizinball und Sprungkasten verbinde ich mit Zirkeltraining und dem weichen Fall in die Weichbodenmatte. Lustig war’s immer dann, wenn ich anstelle des vorgesehenen Bocksprungs absichtlich mit einem Fuß von der Kastenkante absprang, um neben der Matte zu landen. Des Sportlehrers Kopf ruckte beim Aufprallgeräusch ausgesprochen zackig herum…
Schöne Spielsachen.
Medizinbälle aus Gummi oder Kunststoff mögen günstiger sein, ein definiertes Rückprallverhalten haben und sogar wetterfest sein. Mir egal. Das Lederteil verstrahlt schon optisch wohlige Wärme, es hat die Härte, die mir persönlich zusagt (ich hatte mich für einen vergleichsweise harten Ball entschieden), und die Haptik stimmt.
Leder eben.
Genauso der Kasten: weiches Leder, leicht abgeschabt (wer will schon einen neuen Sprungkasten, der erst nach zwanzig Jahren wirklich gelebt hat?). Die Höhe perfekt für plyometrische Übungen oder um darauf zu sitzen.
Praktische Wohnsachen.
Plyoboxen würde ich mir weder gekauft, noch selbst gebaut haben, dazu sind sie mir zu eng auf ihren Nutzungsbereich begrenzt. Lieber gehe ich nach draußen, um mich an umgestürzten Bäumen, Treppen oder Parkbänken zu vergnügen. So ein Kasten wirkt schon rein optisch heimelig. Und, wie gesagt, es sitzt sich sehr komfortabel auf ihm. Sitzen bringt mich gleich auf einen Gedanken: die Höhe sollte gerade richtig sein, um mich an Pistols heranzutrainieren. Zu dumm, dass ich immer wieder aufstehen muss…
Ich habe neulich gehört, lederne Medizinbälle im Vintage Look würden gerne zu Dekozwecken als Wohnaccessoire genutzt. Vintage Look. Das heißt, irgendwelche nachgemachten Bälle sehen aus als hätte jemand eifrig damit trainiert, weshalb sie den Wohnraum von Passivsportlern dekorieren dürfen, der sportlichen Atmosphäre wegen. Schaut aus, als ob’s was taugen würde. So wie der SUV der Wonderbra unter den Autos ist, macht sich ein Medizinball im Vintage Look zum SUV unter den Nicht-Sportgeräten.
Da lobe ich mir meinen neuen Handschmeichler: sieht nicht nur so aus, sondern kann wirklich was. Ein, wie heißt es gleich wieder, Utensil für den professionellen Einsatz. Wenn er Generationen tobender Schüler überlebt hat, wird er mir lange Jahre Freude bereiten: beim Anfassen, Ansehen und beim sportlichen Anwenden.
Morgen werden Jeldrik und ich die Kramerspitze erwandern.
Meine neuen Wohnspielsachen warten derweil im Auto.