Die Sache mit den Hausaufgaben

Neulich wurde an meine Schulzeit erinnert, eine Zeit, die ich zum Glück aus meinem Gedächtnis verdrängt habe. Was war geschehen? Hausaufgaben! Hausaufgaben, die ich mir vom Training mitgenommen habe. Freiwillig!

Nein, ich bin nicht gerne zur Schule gegangen. Zu den besonders unschönen Begleiterscheinungen der Schulzeit gehörten Hausaufgaben. Und obwohl schon der Gedanke daran mich noch heute mit den Augen rollen lässt, habe ich das Wort kürzlich benutzt, habe mir sogar freiwillig welche ausgesucht. Wie kam es dazu?
Ich erzähle euch am besten die ganze Geschichte, wobei ich euch leider nicht ersparen kann, gemeinsam mit mir in jene dunkle Zeit zurückzugehen, an die nur die wenigsten von uns gerne zurückdenken: Zurück in die Schulzeit.

Schule. Für mich war das ein Ort der Langeweile, an welchem komische Menschen (Lehrer) mit eigenartigen Methoden versuchten, mir Sachen beizubringen, die mich völlig kalt ließen. Zum Glück gab es noch die Nachmittage. In meiner Freizeit konnte ich meiner Neugier freien Lauf lassen, indem ich mir Wissen über jene Themen aneignete, die mir wichtig waren. Damals zum Beispiel Motoren- und Fahrwerktechnik, Fahrzeuggeschichte und dergleichen mehr. Wenn ich mir dabei mathematische Zusammenhänge erschloss, umso besser. Es ist mir wichtig, den Unterschied genau herauszuarbeiten: Besagte Zusammenhänge dienten dem tieferen Verständnis an anderer Stelle, was dem didaktischen Ansatz der Schule entgegensteht. Dort heißt es bekanntlich: “Lerne erstmal, vielleicht wirst du später sehen, warum es wichtig ist.” Ich fühle mich an das Versprechen vom Einzug ins Paradies nach dem Tode erinnert: “Ertrage die Mühsal deines irdischen Daseins, denn wir versprechen dir im Jeinseits das Paradies.” Ich bin kein religiöser Mensch, weshalb ich mit solchen Versprechen nichts anfangen kann. Anstelle das Jammertal des Lernens ohne erkennbaren Nutzen zu durchschreiten, bevorzuge ich die harte Arbeit im Paradies.

Wen wundert es also, wenn Das brauche ich doch nie mehr im Leben! ein Satz war, den ich mit der Arroganz eines Schülers, dessen Bezugsrahmen zum künftigen Dasein eigentlich keinerlei Prognose zulässt, vehement vertrat. So viel Selbstkritik darf an dieser Stelle sein!

Soweit also Mathe, Physik, und so weiter. Außerdem gab es noch Fächer wie Deutsch, in welchem man mich speziell in den höheren Klassen mit Klassikern wie Schiller malträtierte.

Aber ist Euch auch wohl, Vater? Ihr seht so blaß.

Nein, nicht Ihr seht so blaß aus.! Ich glaube, in den Räubern steht das so. Oder bei Kabale und Liebe. Oder sonstwo. Ist auch egal, denn ohne das aus hatte der Text sich schon mit einem der ersten Sätze in dasselbe geschossen.
Hohe Literatur war seither für mich gleichbedeutend mit langweilig und nicht lesenswert. Nicht genug damit, selbstverständlich mussten diese Werke interpretiert werden, wobei – wer würde es anders vermuten? – immer nur eine Interpretation korrekt war: die des Lehrers.

Dergestalt traumatisiert, machte ich, eigentlich eine Leseratte par Excellence, konsequent einen großen Bogen um das, was als “Literatur” bezeichnet wird.
Bis, ja bis zu einer Begebenheit, die sich vielleicht fünfzehn Jahre nach dem Abi zutrug: ich hatte mir, am Bahnhof auf einen Freund wartend, dortselbst das Buch Die Pest von Albert Camus zugelegt, weil der Klappentext kurzweilige Lektüre versprach.
Er kommentierte meinen Kauf mit den Worten: “Oh, Weltliteratur.”
Meine Reaktion: “Oh, scheiße!”

Was soll ich sagen, der gute Albert hat mir geholfen, mein literarisch induziertes Trauma zu überwinden, denn ich habe Die Pest begeistert gelesen!

Wobei es nicht nur die Inhalte waren, welche mir den anfänglichen Spaß an der Schule – das war etwa der erste Monat der ersten Klasse – verleideten, sondern das System Schule an sich. Oben ließ ich schon einen Punkt anklingen: wenn es mehrere sinnvolle Lösungen gibt, zählt nur die des Lehrers.

Vor allem aber gab es Hausaufgaben.

Mit anderen Worten: man wollte, dass ich mich am Nachmittag, abends oder gar am Wochenende mit diesen eigenartigen Themen befasse, die man in der Schule aufdrückt. Das bedeutete: in meiner Freizeit!
Da verstehe ich keinen Spaß, weshalb ich etwa ab der zehnten Klasse nicht mehr an dieser Unsitte teilnahm.
Lehrer hatten übrigens eine andere Meinung dazu, aber ich denke, das brauche ich nicht extra erwähnen.

Wundert sich jemand, wenn ich sage, dass der Satz Ich würde gerne wieder in die Schule gehen! nie über meine Lippen gekommen ist? Dass ich der Schule nicht eine Träne nachweine?
Aber Es war doch nicht alles schlecht. Nein, war’s nicht. Die Aussage gilt bekanntermaßen nicht nur für die Schule, sie wird gerne auch in der Rückschau auf totalitäre Regimes geäußert. Ich mag da nicht differenzieren.

Umso erstaunlicher ist von diesem Hintergrund also der Gedanke, den ich kürzlich beim Training hatte. Wie Leser eines Blogs wissen, erlerne ich seit gut eineinhalb Jahren das olympische Gewichtheben beim Kraftsportverein Durlach. Eine weitere Sportart, die mir unglaublich viel Freude bereitet. Nun bringt es “das Leben” – das heißt der Job oder schlicht mal der Besuch einer Veranstaltung bisweilen mit sich, dass ich ein Training ausfallen lassen muss. So auch letzte Woche. So bat ich den Trainer, mir schlichtweg die für Donnerstag vorgesehenen Übungen aufs Handy zu schicken, auf dass ich sie zuhause am Wochenende nachhole. Wohl dem, der, wie ich, eine Langhantel daheim hat. Ich will sie nicht missen!

Und jetzt kommt’s: ich habe, mit Vorfreude in der Stimme, das Wort Hausaufgaben verwendet, ohne dass die traumatische Erfahrung der Schulzeit irgendwelche Symptone ausgelöst hätte!
Im Gegenteil, freudig las ich die WhatsApp-Nachricht mit den Übungen und begeistert gestaltete ich meinen Nachmittag mit ihnen.

Verwundert stelle ich fest, dass das Wort keine allergische Reaktion mehr in mir auslöst, offenbar kann ich mittlerweile differenzieren, um welches Thema es sich bei den Aufgaben handelt. Und natürlich spielt auch die Art und Weise, wie sie verteilt werden, eine Rolle.

Im Zusammenhang mit Hausaufgaben hat sich meine Einstellung also geändert.

Was die Schule betrifft, weine ich ihr noch immer keine Träne nach. Allenfalls wäre sie mir ein Freudentränchen wert, weil ich sie hinter mir habe.