Resportlerisierung

Wenn ein Mensch nach längerem Knastaufenthalt aus dem Staatsdienst entlassen wird, findet er über Resozialisierungsprogramme in die Gesellschaft zurück. Für Sportler, die wegen Verletzung oder Krankheit zu einer längeren Trainingspause gezwungen waren, fehlt ein solches Angebot. Ich hätte da eine Idee….

Wenn ein Mensch nach längerem Knastaufenthalt aus dem Staatsdienst entlassen wird, findet er über Resozialisierungsprogramme in die Gesellschaft zurück. Auch für jenen Personenkreis, der gerne mit an den Schaltstellen der Macht sitzend umschrieben wird, als da wären Manager oder Politiker, stehen Heerscharen von Bewährungshelfern, Psycho-, Sozio- und andere -logen bereit, um ihn auf dem Rückweg ins Leben zu begleiten.

Und Sportler?

Sportler, die wegen Verletzung oder Krankheit zu einer längeren Trainingspause gezwungen waren, wären für ein vergleichbares Angebot gewiss dankbar. Schließlich drohen mannigfaltige Gefahren, wenn sich ein ehemals topfitter Mensch, an den geregelten Ablauf von Training und Ruhepausen gewöhnt, urplötzlich in einer Situation wiederfindet, die ihn zu Ruhe – ohne Training – zwingt. Wiederum hieran gewöhnt, vielmehr: sich damit abgefunden habend, infolgedessen gleichermaßen ausgehungert, wie dem mental abgespeicherten und somit als normal empfundenen Tagesablauf entgegenfiebernd, wird sich ein leidenschaftlicher Sportler nach überstandener Durststrecke mit ähnlicher Inbrunst in die körperliche Betätigung stürzen wie ein Casanova (oder eine Casanovin) nach jahrelanger Einsiedelei auf eine zufällig daherkommende Maid (oder Mann).

Lüstern.

Ungestüm.

Als Betroffener vermag ich das Lied des sanften Übergangs zu singen. Nehmen wir mich als Beispiel für einen Läufling, der behutsam in den Schoß des Sports zurückgeht. Da hatte ich vor ein paar Wochen wieder einmal eine Erkältung überstanden, lediglich ein kleiner Restschnupfen blieb. Wirklich ein Restschnupfen? Es könnte auch eine Allergie sein. Bin ich geheilt? In einer solchen Lage ist es doch kein Wunder, wenn mit der Resterkältlichkeit nur ein kümmerliches Überbleibsel der läuflingshaften Selbstsicherheit im Kopf umherschwirrt. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Dieb, der sich, frisch aus dem Knast entlassen, an einer Freibiertheke wiederfindet.

Ist das wirklich kostenlos, oder suggeriert mir die Phantasie, dass ich zugreifen darf?

Bin ich wirklich gesund, oder wartet ein widerliches Bakterium nur darauf, dass ich mein Immunsystem mit sportlicher Aktivität schwäche?

Was tun?

Sachte anfangen. Gaaanz vorsichtig. Einmal täglich ging ich an die frische Luft, um abwechselnd gemütlich zu Joggen (o ja, das Wort gibt es noch!) oder umherzuspazieren. Joggen, das ist Spaziergang mit Flugphase. Niedrigpulssport.
Drei Wochen ging das. Drei Wochen, in denen ich mit mir sehr zufrieden war, hatte ich sogar die Klimmzüge wieder aufgenommen. Einen pro Tag, schließlich wollte ich mich nicht anstrengen.

Bis zu jenem Tag.

Rückfall.

Halsweh, Schnupfen, Husten, Schwäche am gesamten Organismus einschließlich des Hirns.

Wie konnte das geschehen?

Ich hatte nicht bedacht, dass es zwischen der Wiedereingliederung in das sportliche, und der Rückkehr ins bürgerliche Leben mehrere Parallelen gibt. Eine davon ist, ich hätte es gleich wissen müssen, das Milieu. Ich hatte mich in schlechte Gesellschaft begeben, leider muss ich mein gleichermaßen geschätztes wie gewohntes Umfeld so bezeichnen. Dieser unvorteilhafte Umgang mit Menschen, die Krankheitserregern als Wirtstiere dienen, streckte mich vergangene Woche erneut nieder. Wo, so rufe ich aus, wo war da mein Bewährungs…äh…Genesungshelfer?

Ach so.

Gibt’s nicht.

Dann beginne ich wieder von vorne.

Spaziergang gestern, warm eingepackt.

Warm halten, viel Trinken und so weiter und so fort.

In einigen Wochen bin ich wieder eingegliedert in die Läuflingswelt.

Resportlerisiert eben.

6 Gedanken zu „Resportlerisierung“

    1. Ein guter Punkt – anstelle von Methadon könnte gegen Sportomanie ein Marathonprogramm helfen, das klingt zumindest ähnlich. Ich werde es ausprobieren und berichten.

  1. Ach du armes Lauferei,

    mir kommen die Tränen vor Rührung und Mitleid, was dir widerfahren ist. Möge sich dein derzeit erbärmlicher Zustand schnell in TOP Gesundheit verwandeln, so dass du dich schnellstmöglich wieder zu einem vollen Mitglied der Läufergesellschaft zurück entwickeln kannst.

    Eine Frage jedoch stellt sich für mich, was tätest du, wärest du – so wie ich in vergangenen Zeiten – völlig aus der Bahn geworfen ? Würdest du den Weg und die Kraft alleine zurückfinden ?

    Und wenn immer du virtuelle Streicheleinheiten und Zuspruch benötigen solltest, zögere nicht, auf die Erfahrungen ebenfalls Leidgeprüfter zurückzugreifen, damit du mit ihrer Hilfe wieder aus dem tiefen Loch Befreiung erfahren kannst !

    Tief empfundenes Mitgefühl sei dir versichert ;cool:

    1. Werte Margitta, ich weiss dein Mitgefühl zu schätzen, immerhin hast du dieses Jahr schon reichlich Geduld bewiesen. Konntest du dich erfolgreich in die Normwelt rück-eingliedern? Lass’ uns zur Sicherheit eine Selbsthilfegruppe gründen. 🙂

      Ciao,
      Harald

  2. Lieber Harald,
    ich wünsche Dir alles erdenklich Gute für Deinen Gesundheitszustand und den Wiedereinstieg, der Dir aber sicher nicht schwer fallen wird, denn Du bist ja Wiederholungstäter 😉

    Salut

    1. Lieber Christian,
      herzlichen Dank für die Genesungswünsche, als langjähriger Intensivtäter dürfte mir der Wiedereinstieg in der Tat leicht fallen. 😉

      Ciao,
      Harald

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