Gedanken zum Komfort und seiner Zone

Den Slogan “Raus aus der Komfortzone” haut man uns bisweilen um die Ohren, freilich mit Begründung, denn “Wachstum findet außerhalb der Komfortzone statt”.

Ich weiß nicht, welche Assoziationen das bei euch auslöst, ich erinnere mich an Bilder von grimmig dreinblickenden Menschen mit nass im Gesicht klebenden Haarsträhnen. Ganz der Absicht des den Slogan geäußert habenden Menschen folgend, sehen wir Männer mit gut trainiertem Körper, dessen obere Hälfte uns entblößt entgegenruft, wie unfit wir doch selbst sind, beim offenkundig fünfhundertsten Klimmzug, während die Damen, nicht minder kräftig, während des fünfhundertsten Liegestütz abgelichtet wurden. Selbstredend mit knappem Top, damit…äh…weitere Assoziationen geweckt werden.

Anstelle klimmziehender oder liegestützender Sportler dürfen wir auch an eine Seglerin denken, die mit dräuendem Blick dem Sturm trotzt. Einhandsegelnd, versteht sich, weil der Mensch jenseits der Komfortzone grundsätzlich alleine zu leben hat. Alternativ darf es auch ein Gipfelstürmer sein, der sich nach der Erstürmung desselben auf dem Gipfel seiner selbst sieht, stolz in die Ferne sehend. In den Niederungen menschlichen Daseins erfreut uns hingegen der Anblick eines Dschungels, darin im Schlamm ein Menschlein.

Wenn ich es recht bedenke, wüsste ein Fliesenleger wohl auch einiges über das Leben jenseits der Komfortzone zu erzählen, oder ein alleine erziehender Mensch, der mit geringem Einkommen versucht, seinen Kindern eine ordentliche Erziehung, Ausbildung, Jugend etc. zu ermöglichen. Schon bleibt der aufmunternde Zuruf “Wachstum findet außerhalb der Komfortzone statt” im Halse des Rufers stecken.

Doch zurück zum Sport.

Wer würde beim Begriff Komfortzone nicht an ein gemütliches Wohnzimmer, besonders an die darin befindliche Couch denken? So nahe liegend, und doch so fern von der Wahrheit. Liegt dem Wort doch das so genannte Drei-Zonen-Modell zugrunde, welches von Komfort-, Wachstums- und Panikzone spricht. In ersterer bedarf es keiner nennenswerten mentalen Anstrengung, um den momentanen Zustand aufrechtzuerhalten, was in der Wachstumszone eben anders ist. Ich lasse an dieser Stelle mal Motivationsmodelle weg, obwohl sie mich zum Ziehen einiger Parallelen einladen. Betritt man jedenfalls die Wachstumszone, so stellt sich der Theorie nach ein Gewöhnungseffekt ein (jetzt klingelt das Wörtchen ‘Training’…), und der Mensch wird besser, sprich: Er wächst.

Daraus folgt natürlich, dass der Ausspruch, wonach Wachstum jenseits der Komfortzone stattfindet, nichts weiter ist als die Wiederholung dessen, was das Modell sowieso beschreibt. So weit, so belanglos.

Für mich steht allerdings ein anderer Gedanke im Vordergrund, denn ich sinniere schon seit Längerem über eine andere Facette der Komfortzone. Renne ich zum Beispiel, wie kürzlich geschehen, bei einigen wenigen Plusgraden, strömendem Regen und Sturm zwei Stunden durch die Gegend, so befinde ich mich (Obacht, These!) in einer für mich selbst kontrollierbaren und komfortablen Situation. Komfortabel deswegen, weil es ein bekanntes Szenario ist, und ich über das Instrumentarium verfüge, es zu steuern. Diesem Gedanken folgend, kann ich kaum behaupten, dass sich etwa ein Triathlet bei seinem zwanzigsten Ironman in der Wachstumszone bewegt, oder ein erfahrener Höhenbergsteiger, der den Mont Blanc erklimmt.

Wohlgemerkt zweifle ich das Drei-Zonen-Modell nicht an, es mag wissenschaftlich haltbar sein oder nicht, immerhin ist es ein eingängiges, leicht verstehbares Modell. Ich will auf etwas anderes hinaus: Der jeweilige Mensch in meinen Beispielen oben bleibt insofern in seiner Komfortzone, weil er auf bewährte Werkzeuge, auf sein eingeübtes Instrumentarium von mentalen Verhaltensweisen zurückgreifen kann, und weil er Aktivitäten in Situationen verfolgt, die für ihn inhaltlich “komfortabel” sind. Für allfällige Herausforderungen bringt er das intellektuelle und psychische Rüstzeug mit, will sagen: Er verfügt über das Wissen und die mentale Stärke.

Wo aber wäre nach meiner Überlegung die Wachstumszone zu finden?

Allzu weit brauche ich nicht gehen. Fragen wir einfach einen Gewichtheber, ob er Lust hat, eine Runde laufen zu gehen. Lustlosigkeit bis hin zu Entrüstung wäre wohl die Reaktion, ebenso wie beim typischen Ausdauersportler, der zum Krafttraining aufgefordert wird.

Ich gehe noch näher heran, an mich selbst nämlich. Als ich letztes Jahr einige Tage zur völligen Sportlosigkeit verdammt war, konnte ich die Herumsitzerei nur durch geistige Beschäftigung mit Sport ertragen. Eine Woche im Wellnesstempel mit Schlammpackung, Duftkerzen und Hot Stone Massagen dürfte mich dann wohl ‘wachsen’ lassen, vor allem, wenn man mir auch noch ein Buch verweigert.

Da laufe ich doch viel lieber ganz komfortabel im Schneeregen.

Wobei, es geht noch übler: Man stecke mich in einen Tanzkurs, mithin mitten in die Panikzone.

6 Gedanken zu „Gedanken zum Komfort und seiner Zone“

  1. ich definiere “raus aus der komfortzone” so, dass es unangenehm werden muss. normales nieseln geht, das ist lästig, aber naja. oder um 5 uhr aufstehen um noch vor der arbeit laufen zu können – kein problem, macht ja spaß. dagegen strömender regen mit den falschen klamotten – furchtbar. auch klirrende kälte. beim tempo liegt meine wohlfühlgeschwindigkeit bei 8,5-10kmh, training ist also nicht wenn ich ein stündchen dahinzuckel, sondern wenn ich versuche, in derselben zeit mehr kilometer zu ballern.

    zum glück halte ich weder in der wirtschaft noch beim sport was von “wachstum, wachstum über alles”. sport darf auch mal angenehm sein und spaß machen 🙂

    1. Hi Fluschwusch,

      “unangenehm” heißt, dass das Drei-Zonen-Modell gilt, oder? Und was ist mit alternativen Aktivitäten (also irgendwas, wozu du weniger Bock hast?).
      Spaß machen darf Sport auf jeden Fall! 🙂

      Ciao,
      Harald

  2. Lieber Harald,
    interessante Gedanken, wobei ich mir bislang keine Gedanken über das Drei-Zonen-Modell gemacht habe…ich empfinde diese Theorie als zu starr, denn m.E. ist doch eher ein kontinuierlicher dynamischer Prozess mit dem Verlassen der Komfortzone verbunden?! Denn die Komfortzone selbst verschiebt sich doch ständig, aber wahrscheinlich fehlt mir da doch der theoretische Hintergrund ?
    Danke für den Denkanstoss

    Salut

    1. Lieber Christian,

      das Drei-Zonen-Modell kenne ich erst, seit ich beim Schreiben kurz recherchierte, woher der Begriff “Komfortzone” überhaupt kommt. Wenn ich durch deine Anregung nachdenke, kann ich dir nur zustimmen, dass das Modell aus drei disjunkten Bereichen arg einfach ist, und die Dynamik nicht berücksichtigt.

      Ciao,
      Harald

  3. Ich bin ja der Meinung, Du solltest ein Buch schreiben – Deine Beiträge sind einfach immer wieder aufs neue köstlich! Ich konnte mich gerade in letzter Sekunde noch kurz davon abhalten, mit einem Leuchtmarker auf dem Bildschirm all die tollen Sätze anzumalen, welche ich mir unbedingt merken möchte.
    Zum Thema “inhaltlich komfortable” Zone habe ich kürzlich in einem Buch gelesen, dass man in diesen Zonen die besten Leistungen erbringen kann, weil der Körper unbewusst weiss “alles ist ok, alles ist sicher”. In der Panikzone passiert es aber garantiert, dass man die Tanzpartnerin umschubst (in Deinem Fall 😉 ), weil der Körper unbewusst merkt, dass Gefahr droht und sich daher verkrampft und keine gute Leistung mehr bringen kann.
    Liebe Grüsse
    Ariana

    1. Hi Ariana,
      du siehst mich errötet ob soviel Lob! 🙂
      Ich arbeite tatsächlich an einem Buch, allerdings zu einem anderen Thema. Mal sehen, was danach kommt… 😉
      Bei dem, was du zur Wirkung der “inhaltlich komfortablen Zone” schreibst, muss ich unwillkürlich an Csikszentmihalyi und den Flow-Zustand denken. In meinem Fall beim Tanzen würden wohl jahrzehntealte Reflexe aus meiner aktiven Footballzeit reaktiviert und die bedauernswerte Dame flugs darniederliegen (ich spare mir den Kalauer mit “flach legen”).

      Liebe Grüße zurück,
      Harald

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