Ist Kokos Kacke?

Ach, Kokosöl. Lange Zeit als gutes Nachrungsmittel angepriesen, machte vor Kurzem eine Dame dadurch auf sich aufmerksam, dass sie Kokosöl als Gift bezeichnete. Prompt folgte der zu erwartende Shitstorm. Von gesunder Ernährung habe ich nicht genug Ahnung, um mich fundiert zu äußern, ich will mich stattdessen mit der Art auseinandersetzen, wie diese Auseinandersetzung geführt wird. Denn die stört mich.

Erster Akt, worin wir lernen, dass Kokosöl klasse ist.
Kokosöl drängte sich in mein Bewusstsein, als ich des Öfteren über seine – angeblich – segensreiche Wirkung las. Zuvor kannte ich es als spermafarbigen Block, von dem man zum Braten Stücke abbrach oder abschabte, und vor mehreren Jahren berichtete mir ein Läufling während eines 24-Stundenlaufes, dass er es einerseits als Nahrung auf langen Strecken schätzte, andererseits zum Einreiben der beim Laufen von besonders beanspruchten Stellen. Läuflinge wissen, wovon ich rede, Nichtläuflinge mögen ihre Phantasie bemühen. Besagter Mensch betonte übrigens ausdrücklich, er würde für jeden der beiden genannten Zwecke einen eigenen Topf verwenden.

Gesund soll es sein, soviel merkte ich mir im Bewusstsein, dass ich keine klare Vorstellung davon habe, was gesund bei einem Nahrungsmittel bedeutet. Analog wüsste ich auch nicht zu sagen, was ich mir unter ungesund vorstelle, ohne auf Aspekte wie die zugeführten Mengen einzugehen, dennschließlich ist es die Dosis, die über gesund oder ungesund entscheidet. Und Gift ist zweifellos nicht gesund.

Ich komme mit Worten wie bekömmlich oder gesundheitsfördernd besser zurecht als mit dem laut hinausposaunten Anspruch, etwas sei gesund. Mir tut das Lebensmittel immer leid, wenn es so unter Druck gesetzt wird. Das arme Ding muss doch glauben, wir machten es, und nur es alleine, für unser Gedeih und Verderb verantwortlich.

Sei’s drum, bei allem inhaltsleeren Marketinggeschrei (ist das nicht ein Pleonasmus?) blieb der Tipp bei mir haften, Kokosöl ins Nahrungsportfolio aufzunehmen.

Zweiter Akt, in dem eine Dame Aufmerksamkeit begehrt
Es scheint mir ein häufiges Muster zu sein, dass weit verbreitete Ansichten wie jene, Kokosöl sei sicher, zum Hinterfragen einladen.
Die Ansicht, dass es mit einer solchen Gegenthese einfacher ist, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, als wenn man besonders laut mit den Wölfen heult, hat eine Dame auf den Gedanken gebracht, in einem Video den Standpunkt zu vertreten, Kokosöl sei Gift.

Ach, das Video.

Ich habe nach einer knappen Viertelstunde aufgehört, es anzusehen. Für die Art der Darbietung, vor allem aber den Inhalt war mir meine Zeit zu schade.
Freilich kann ich zwischen Form und Inhalt unterscheiden, und nicht jeder, der etwas zu sagen hat, muss rednerisch gut rüberkommen. Deswegen dachte ich mir anfangs noch: Gut reden kann sie nicht, aber vielleicht lohnt das, was sie sagt, darüber hinwegzugehen, wie sie es tut. Meine Entscheidung stand sehr schnell fest: Es lohnt nicht.

Kokosfett, so die Vortragende, ist Gift, so schlimm wie Schweinefleisch.

Es waren starke Behauptungen, die sie in der Einleitung aufstellte. Sie blieben leider alleine und ohne jegliche Stütze auf der Bühne stehen, ohne dass auf eine spätere Begründung verwiesen wurde. Ohne den Hinweis, es handele sich um eine Polemik, mit der aufgerüttelt werden soll. Nein, nichts dergleichen, ganz im Gegenteil fuhr die Dame in ihrem emotionalen Stil fort und erweckte nicht den Anschein, das würde sich im weiteren Verlauf des Vortrags ändern.

Warum habe ich das Video nicht weiter angeschaut? Ich tat dies deshalb nicht, weil sich der Eindruck, den ich in den ersten paar Sätzen gewonnen hatte, mit zunehmendem Anhören festigte: Die Frau will Aufmerksamkeit, die sie mit plakativen Aussagen zu erreichen sucht.

Intermezzo: Über Argumentation und Härtegrade von Fetten
Es ist mir wichtig, auf einen Aspekt in Bezug auf die Vortragende hinzuweisen: Wir sprechen von einer Hochschulprofessorin. Eigentlich ist es egal, wer etwas sagt, wie es gesagt wird, macht unter Umständen das Dabeibleiben und Verstehen leichter. Was wird (siehe oben) gesagt, das ist das alles entscheidende Kriterium. Was heißt schlicht: Welche Belege, welche Argumente verwendet man und ist die Argumentation schlüssig.
Auf diesem Weg kommt das „Wer?“ dann doch wieder ins Spiel, weil der Anspruch an eine Professorin gerade dann besonders hoch ist, wenn sie in ihrer Vorstellung auf eben jenen Beruf verweist. anders formuliert: Wenn sie mit ihrem akademischen Grad auf dicke Hose macht – oder das weibliche Pendant dazu, wie auch immer das aussehen mag, erhebt damit den Anspruch an sich selbst, „professoral“ zu argumentieren.
Auch Inhaltlich will ich differenzieren, denn einer forschenden, hauptamtlichen Juristin oder Ingenieurin wird man bei Ernährungsfragen vermutlich mehr nachsehen, als einer Biologin oder Medizinerin. Befasst sie sich dagegen als Gärtnerin, Psychologin oder Schmiedin hobbymäßig mit der Forschung sieht es wiederum anders aus – der Anspruch an die fachliche Qualität der Argumente steigt.

Darüber hinaus spielt natürlich das Zielpublikum – für wen? -eine Rolle, denn einen wissenschaftlichen Vortrag zu Ernährungsfragen würde zumindest ich nicht kapieren.
Gehärtete, ungehärtete oder vollkommen verweichlichte Fettsäuren mögen gesund oder ungesund sein oder sich als Füllstoff neutral verhalten, das ist zweifellos wichtig zu wissen. Ich wäre zufrieden, wenn das, was im Vortrag dargeboten wird, für mich als Laien plausibel ist, ohne fachliche Fehler aufzuweisen. Über letztere zu entscheiden, steht dem Fachmann an.

Kurzum: Ich vermag mir keine Meinung zum Inhalt der Auseinandersetzung zu bilden, wohl aber zu der Art wie sie geführt wird.

Dritter Akt, in welchem wir einen scheiß Shitstorm erleben
Wie der Widerhall des Vortrages zeigte, war er zumindest insofern erfolgreich, als der Rednerin die gewünschte Aufmerksamkeit in Form eines Shitstorms zuteil wurde. Genau hier setzt mein Unverständnis an, weil ich mitbekam, dass mancherorts gefordert wurde, sie möge „widerrufen“.

Bitte?

Widerrufen?

Was denn genau? Ihre Meinung vielleicht?

Wie soll man eine Meinung widerrufen? Entweder hat man sie, dann wäre es schlicht gelogen, zu sagen man hätte eine andere. Wollen wir das? Wollen wir wirklich, dass sich die Dame hinstellt und sagt „Ach, ich meine jetzt anders.“ Ich hoffe nicht.
Sollte sie ihre Meinung ändern, ist das im wahrsten Sinne des Wortes etwas anderes. So aber hat sie ihre Meinung, die sie bekanntlich frei äußern darf.
Anscheinend findet sie, Kokosöl sei giftig, weil sie aufgrund ihrer Beschäftigung mit dem Thema zu diesem Ergebnis kam. Ich nehme an, es gibt eine fundierte Definition dessen, was wir unter einem Gift verstehen sollen, und sie hat geprüft, ob Kokosöl die Kriterien dafür erfüllt. Wie es scheint, jedenfalls erweckt der erste Teil des Vortrags diesen Eindruck, liegt Kokosöl auf demselben Niveau wie Schweinefleisch. Also lassen sich alle drei Behauptungen (1. Kokosöl ist giftig, 2. Schweinefleich ist giftig, 3. beide Substanzen sind gleich giftig), begründen, und diese Gründe zu liefern, ist sie natürlich verpflichtet.

Also nochmal die Frage: Was genau soll sie widerrufen?

Widerruf ist meiner Meinung (!) nach das falsche Wort, weil Ergebnisse von Messungen und Experimenten (oder wie auch immer es zur geäußerten Einschätzung kam) sich nicht aus der Welt schaffen lassen, indem man sie leugnet. Man kann die Art und Weise kritisieren, wie sie zustandekamen, ihre Bedeutung anzweifeln und so weiter – das nennt sich dann wissenschaftliche Auseinandersetzung.

Für meine Begriffe geht der Shitstorm völlig am Thema vorbei, wenn er sich an der geäußerten Meinung stößt. Von mir aus mag sich jemand darin sonnen, eine abweichende Auffassung zu vertreten. Gegen den Strom zu schwimmen. Jenseits des Mainstream. Das ist ein nicht nur oft vorkommendes, sondern sicher auch notwendiges Regulativ, denn wie sollte sich eine Gesellschaft sonst weiterentwickeln? Um vom Paradigmenwechsel zu sprechen, ist mir das Thema allerdings zu klein, da wird mir der Wissenschaftstheoretiker sicher zustimmen.

Also, gerade in einer Zeit, in der sich der Bauch über die Tastatur schneller äußert als der Kopf, nochmal im Klartext: Wenn jemand bei einem doch halbwegs sachlichen Thema eine andere Ansicht vertritt als die Mehrheit, gilt es, sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen. Meinetwegen kann, sollte vielleicht sogar hinterfragt werden, was diejenige möglicherweise jenseits von empirischer Forschung zu ihrer Ansicht gebracht haben mag. Eine Unterstellung wie „die wird von der Lebensmittelindustrie bezahlt“ muss so lange für inhaltsleer, bis sie sich belegen lässt.

Man kann aber – nein, man muss! – die Begründungen einfordern, die eine massive Aussage wie „Kokosöl ist Gift“ stützen.

Statt also die andere Ansicht vehement zu verdammen, hätte die Professorin aus Freiburg genötigt werden müssen, sich in einem Dialog mit Gegenargumenten auseinanderzusetzen.

Schlussakkord
In diesem Punkt hat sowohl besagte Rednerin, als auch die interessierte Öffentlichkeit, soweit ich es bislang mitbekommen habe, auf ganzer Linie versagt.