Die meisten Menschen halten Laufen für einen sehr beschaulichen, sicheren Zeitvertreib. Wie ich kürzlich am fremden Leib (zum Glück nicht am eigenen, das wäre ja noch schöner!) lernen konnte, stimmt das so nicht, im Gegenteil: Laufen ist eine Risikosportart, mindestens so gefährlich einzuschätzen wie Apnoetauchen, Canyoning oder S-Bahn-Surfen.
Ich meine damit nicht das gewohnte Verletzungspech von Ultraläuflingen, die hunderte Trailkilometer Über Stock und Stein, durch Berg und Tal, Wüste und Schlamm hinter sich bringen, bloß um auf den letzten hundert Metern Asphalt vor dem Ziel umzuknicken. Nein, hiervon rede ich nicht. Die Tücken ebenen Asphalts hebe ich mir für einen eigenen Artikel auf. In diesem Beitrag will ich an einem traurigen Beispiel zeigen, dass das Laufen an sich ein hohes Risiko darstellt – für manche Menschen zumindest.
Das betroffen machende Einzelschicksal mag uns vor Augen führen, in welche Gefahr wir uns begeben, wenn wir mal eben kurz eine Runde an der frischen Luft drehen wollen. Einige von uns jedenfalls.
Um dem Kind einen Namen zu geben, spreche ich fortan von P., wobei ich den Anfangsbuchstaben natürlich geändert habe. Überhaupt sind etwaige Ähnlichkeiten zu real existierenden Personen rein absichtlich, wenngleich ich just diesen Sachverhalt jederzeit abzustreiten bereit bin. Lassen wir P. schlicht für Person stehen, streng geschlechtsneutral, auf dass niemand glauben soll, er könne auf diesem Wege eine Identifikation zu erreichen.
Bevor ich auf die einzelnen Hin- und Unfälle zu sprechen komme, möchte ich vorwegschicken, wie ich den menschlichen Körper dafür bewundere, dass er innerhalb kürzester Zeit eine derart große Zahl an Verletzungen verarbeiten kann. Und natürlich hat auch P. meine Hochachtung, wenn es um das Wiederaufstehen (nein, nicht Auferstehen, so schlimm war’s dann doch nicht) geht. Ein Stehaufmännchen, sozusagen. Womit kein Hinweis auf das Geschlecht gegeben sei, das Stehaufmännchen kann auch ein Weibchen sein – und, wo ich grad‘ beim Thema bin: der Genderkram kann auch, und zwar mich.
Die Misere begann zu Beginn dieses Jahres, als P., ein fröhliches Lied vor sich hinpfeifend, auf einer gefrorenen Pfütze ausglitt. Reaktionsschnell leitete P. ein Abfangmanöver mit dem Arm ein, konnte so das Aufschlagen mit dem Kopfe vermeiden – allerdings um den Preis einer verstauchten Schulter. Weil der gemeine Läufling hauptsächlich mit den Beinen zu laufen pflegt, blieb das sportliche Tun nur unwesentlich eingeschränkt, den sich zwangsweise einstellenden uneleganten Laufstil nahm P. gerne in Kauf, weil die Alternative Trainingspause hieß.
Nur wenig später, es war an einem milden Frühlingstag, ging es in lockerem Trabe einen Pfad hinab, als sich ein böswilliger Stein unter den linken Schuh von P. rollte. Trotz eleganten Abrollens über die zwischenzeitlich genesene Schulter blieb der Abgang am Abhang nicht verletzungsfrei: Mit aufgeschlagenem Knie humpelte P. zum Ausgangsort zurück, wo der Medizinkasten zur Linderung zumindest der physischen Verletzungen beitrug.
Während die nächste Zeit vergleichsweise ereignislos blieben, schlug das Schicksal bald darauf wieder zu.
Die letzten Schorfreste waren gerade abgefallen, es muss ein paar Wochen nach dem Vorfall mit dem Stein gewesen sein, als ein schlammiger Graben die Kulisse für den nächsten Akt bildete. Ein Schuh blieb beim Absprung im Matsch stecken, der Schwung trug P. nicht ganz bis ans andere Ufer, wodurch dem Körper keine andere Wahl blieb als der Schwerkraft zu gehorchen. Bei jedem anderen Menschen wären lediglich schmutzige Hände und Socken die Folge gewesen, nicht so bei P.: während sich die Finger halt- und chancenlos in die gegenüber liegende Uferböschung krallten, schlug die Stirn dortselbst ein – leider auf eine vorstehende Wurzel.
Nun ist es keineswegs so, dass es sich bei P. um einen motorisch herausgeforderten oder unvorsichtigen Menschen handeln würde, ganz im Gegenteil. Auch versucht P. seine Route um besonders gefährliche Stellen herumzuführen. Wie das jüngste Ereignis zeigt, muss selbst ein harmloser Feldweg am Rande eines Apfelhains für hochgradig gefährlich gelten. Ein unachtsamer Tritt auf einen halb verfaulten Apfel, der sich auf den Weg geworfen hatte, führte in letzter Konsequenz zum Bänderriss.
Dieses ist, ich will nochmal darauf hinweisen, die Chronik des Jahres 2015.
Und das Jahr ist noch nicht vorbei.
Was aber schließen wir daraus? Ist Laufen generell eine Risikosportart? Oder gibt es einfach Pechvögel? Wie können wir ihnen helfen?
Schutzkleidung scheint auf den ersten Blick eine Lösung für P. zu sein. Ich fürchte jedoch, dass sie nichts nutzen wird. Murphys Gesetz weiss, wie kreativ der Teufel, der bekanntermaßen ein Eichhörnchen ist, sein kann.
Jede Wette, sollte P. in Watte gepackt mit Helm und stahlkappenbewehrten Schutzstiefeln unterwegs sein, fällt ihm (oder ihr, wer weiß…) ein Baumstamm so auf den Haxen, dass die Stahlkappen erst aufgebogen werden müssen, bevor man sich um den gebrochenen Mittelfußknochen kümmern kann.
Möglicherweise empfiehlt sich eine weniger risikoreiche Sportart: Schafkopf zum Beispiel. Auch Base Jumping mit Wingsuits hat viele Freunde in aller Welt.
Vielleicht wird’s einfach im kommenden Jahr anders.
Ich danke für die Anregung und wünsche gute Besserung! 😉