Wieder zuhause

Egal wie ich es drehe und wende, der diesjährige Night 52 in Bretten ist seit eindreiviertel Jahren der erste Ultra gewesen. Und wahrlich, ich sage euch, es fühlte sich wie ein Heimkommen an!

Ich habe hin- und her überlegt, gerechnet, mich zu erinnern versucht: immer kam dasselbe Ergebnis heraus. Den letzten längeren Lauf mit mehr als dreißig Kilometern und Startnummern hatte ich in Form des Cactus Rose (50 Meilen) im November 2014. Zweitausendundvierzehn. Kein Tippfehler!

Meine Güte.

Durststrecke? Ja.

Durchhänger? Auch.

Neustart? Ich will’s doch hoffen!

Andere Autoren vergleichen solch eine Situation gerne mit der erneuten Anbandelung lange voneinander getrennt gewesener Liebender. Da ist die Rede vom scheuen Herantasten (auch im physischen Sinne, natürlich), vom Beobachten der eigenen Gefühlswelt – ist es wie früher?, es wird zärtlich gezärtelt, Vorsicht waltet anfangs, dann schwindet sie zunächst, bis sie schlussendlich komplett abgelegt wird. Hierin teilt sich das Los der Bekleidung. Auch diese wird abgelegt. Große Gefühle wallen wieder auf. So will es das Drehbuch zum Happy End.

Happy?

Absurd.

Mir schiene vielmehr, dass gerade ein erneutes Entdecken von einstmals Verbindendem das Trennende hervorhebt und stabilisiert. Beim Laufen und mir ist das anders, denn wir hatten uns nicht getrennt, sondern eher eine Pause eingelegt.
Und, nein, ich tappe keineswegs in eine selbst aufgestellte Falle, indem ich den Begriff Pause verwende, schließlich ist eine Trennung eine bewusst herbeigeführte Entscheidung, eine Pause ist eben nur das. Eine Auszeit.

Dessen ungeachtet war ich gespannt. Zunächst ganz profan darauf, wie sich zweiundfuffzich Kilometer anfühlen, wo die längsten Strecken der letzten Monate gerade mal knapp dreißig Kilometer lang waren. Und auch das ausgesprochen selten. Nun gut, dachte ich mir, gehen wir das Ganze entspannt an. Betont entspannt. Laufen, Gehen, locker in Bewegung bleiben und genießen. Alles was der Körper nicht hinkriegt, darf der Kopf übernehmen. Ich vertraue meiner mentalen Stärke, mich irgendwie ins Ziel zu hoppeln.

Es traf sich gut, dass ich dergestalt geistig gerüstet – höchst tiefenentspannt (ich hoffe, das Wortspiel fällt dir auf, lieber Leser) – am Start stand, denn es war sakrisch schwül. Ich kann Hitze nicht ausstehen.

Schwüle Hitze noch weniger.

Das war mir aber egal.

Wahrgenommen habe ich es, mehr aber auch nicht. Wie heißt der Satz? Akzeptiere deine Situation so, wie sie ist. Ich musste diesen Gedanken nicht mal bewusst fassen. Die Haltung muss ich mir merken, dann brauche ich künftig nicht einmal mehr wegen des Wetters motzen. Womit ich mich dann beschäftige? Mir wird schon was einfallen.

Ein erstes Schlüsselerlebnis hatte ich kurz nach einer Verpflegung nach vielleicht sechzehn Kilometern als drei, vier Kinder jubelnd am Streckenrand standen. Hände reckten sich mir entgegen – Rufen, Lächeln, Abklatschen! Zehn Schritte weiter war ich alleine mit meiner Bewegung.

So erinnere ich diese herrlichen Wechsel zwischen Trubel und Ruhe.

Ich empfand mich als zuhause angekommen.

Einige Zeit später stellte ich fest, wie meine Beine die Geschwindigkeit, Schrittlänge, Laufen und Gehen wie von selbst anpassten. Bergauf langsamer, wenn’s steiler wurde, verfielen sie in zügiges Gehen, während mein Gehwerkzeug Ebene und leichtes Gefälle von selbst im lockeren Trab nahm.

Hallo Reflexe, begrüßte ich sie, schön, wieder mit euch zu laufen!

Etwas weniger erfreulich, wenngleich nicht minder vertraut, erlebte ich trockene Kehle (habe ich schon erwähnt, dass es verflucht heiß war?) und Steine in den Schuhen. Da gefiel mir die Stimmung nachts alleine im endlich etwas kühler gewordenen Wald schon besser! Auch dieses Hurra, endlich Luft! ein altbekanntes Gefühl, wie auch die sich wohlverdient benutzt anfühlenden Beine.

Ich bin wieder zuhause.