Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Angeblich hat Lenin dies sinngemäß gesagt. Nun macht der Ausspruch Wladimir Iljitsch Lenin zwar nicht zum geistigen Wegbereiter der Leistungsdiagnostik, als Einstieg ins Thema taugt er allemal.
Wo der politsch Interessierte Kontrolle meint, wenn er von Kontrolle spricht – und der Betriebswirt sogleich mahnend den Finger hebt, auf dass nur ja niemand ans „Controlling“ denken möge, denn das klänge schließlich nur so ähnlich – denken technisch vorbelastete Menschen an Regelungsprozesse und Feedbackschleifen.
Als Otto Normalhuster sag‘ ich mir: wenn ich im Sport besser werden will, sollte ich mir ansehen wie gut ich bin. Dann kann ich mein Training entsprechend steuern, gegebenenfalls korrigieren, trainieren, wieder nachprüfen und so weiter.
Bei der Leistungsdiagnostik geht es um Standortbestimmung.
Ist erst der Standort wohlbekannt, erschließt sich schnell das Fitnessland.
Sorry, der musste sein.
Will ich wissen, wo ich leistungsmäßig stehe, muss ich mir zunächst klar darüber werden, was ich unter „Leistungsfähigkeit“ verstehe. Es schwirren schön strukturierte Definitionen dessen herum, was „Kondition“ denn nun sei – das verdient bei Gelegenheit einen eigenen Artikel – welcher Aspekt interessiert mich denn am meisten? Als Läufling besonders beweglich zu sein mag mich mit Stolz erfüllen, nur trägt das kaum zu einer guten Zeit bei. Davon abgesehen dürften die meisten Läuflinge im FMS-Screening eher unterdurchschnittlich abschneiden.
Um Kraft und Beweglichkeit brauchen wir uns also nicht unbedingt kümmern.
Der gemeine Läufling braucht, wenn er seine läuflingshafte Leistungsfähigkeit einschätzen möchte, stattdessen eine Aussage darüber, wie leistungsfähig sein aerober und anaerober Stoffwechsel ist.
Dieser zeigt sich letzten Endes in guten Laufleistungen, womit wir das Thema „Leistungsdiagnostik“ etwas eingrenzen können: entweder versucht man, der Leistungsfähigkeit über standardisierte Laufprotokolle auf die Spur zu kommen, oder man misst bestimmte Werte im Labor (auch dabei wird meist gelaufen).
Übrigens, ich schaue durch die Läuflingsbrille. Andere Sportler sind herzlich zum Mitlesen eingeladen – zumindest bei den Ausdauersportarten ist der Transfer inklusive.
Hingeschaut: Parameter und Messwerte
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wenn ich die erfassten Werte en Detail beschreiben würde. Sie mit ihren gegenseitigen Abhängigkeiten darzustellen, erst recht. Deshalb beschränke ich mich darauf, die wichtigsten Größen kurz anzureißen – womit ich mehr oder minder elegant die Klippen umschiffe, die die Grenzen meines Wissens bilden.
Nebenbei bemerkt, bleibt es trotz der maritimen Begriffe im letzten Satz beim Laufen.
Die Herzfrequenz misst beinahe jeder, allüberall und immerdar – ich nicht immer. Wie sie mit der Leistung einerseits, und der Leistungsfähigkeit andererseits zusammenhängt, kann beinahe als Allgemeinwissen gelten: Je mehr wir uns anstrengen, desto schneller schlägt das Herz. Dabei gibt es weitgehend einen linearen Zusammenhang (d.h. eine gerade Linie) zwischen Geschwindigkeit und Puls, wobei fittere Menschen in der Regel bei gleicher Leistungsabgabe einen niedrigeren Puls haben.
Vollkommen richtig ist die Aussage zur Herzfrequenz nicht, denn im Bereich der anaeroben Schwelle weist die Gerade einen Knick auf. Das Tempo steigt, der Puls indes nicht im gleichen Maße wie vorher.
Unser fleißig Blut pumpendes Herz tut damit vor allem eines: es transportiert Sauerstoff für den Energiestoffwechsel des Körpers. Je mehr Sauerstoff der Körper aufnehmen und verarbeiten kann, desto mehr Energie wird bereitgestellt. Mithin liefert die maximale Sauerstoffaufnahme (VO_2 max) eine wunderbare Antwort auf die Frage, wie fit der Läufling denn sei.
Und wenn zuwenig Sauerstoff vorhanden ist, um die geforderte Leistung zu bringen? Kurzzeitig haben wir alle schon Sport mit Sauerstoffschuld – also anaerob – betrieben. Unschön ist dabei der Müll, den der körper in Form von Laktat produziert. Lässt sich schön im Blut nachweisen.
In Wirklichkeit sind die Prozesse deutlich komplizierte, für unsere Zwecke genügt es, die vier Begriffe im Kopf zu behalten, wovon wir drei messen können:
- Puls
- Laktat (über die Auswertung des Blutes)
- VO_2 max (über die Auswertung der Atemgase)
Werfen wir also einen Blick auf verschiedene diagnostische Methoden.
Nicht nur für den Hausgebrauch: Leistungsdiagnostik im Feld
Cooper-Test: wie weit kommst du in zwölf Minuten?
Die späten 1960er Jahre brachten nicht nur die freie Liebe hervor, Kenneth H. Cooper hatte zu jener Zeit die Idee für einen Fitnesstest: 12 min laufen, die gelaufene Strecke festhalten und daraus auf die maximale Sauerstoffaufnahme schließen. Das Ergebnis seiner Forschungsarbeit ist eine hübsch übersichtliche Tabelle, in der sich, wie gesagt, anhand der zurückgelegten Strecke der VO_2 max Wert ablesen lässt.
Wobei der Zusammenhang mit der aeroben Leistungsfähigkeit, so eine Studie der Universität Heidelberg, nur bei den fitteren Probanden besteht.
Unabhängig davon ist Cooper einfach durchzuführen – und liefert einen guten Eindruck des persönlichen Fitnesslevels. Alles, was man dafür braucht, sind Stoppuhr, ebene Strecke und ein hinreichend genauer Wegmesser. Die heimische Tartanbahn ist ideal.
Beim Schreiben frage ich mich gerade, ob das Interesse an Ausdauerleistung mit der freien Liebe zusammenhängt. Vielleicht sollte man sich mit Coopers Lebenswandel etwas näher befassen…
Conconi-Test:
Noch ein C, diesmal ein Radfahrer, Biochemiker und Sportwissenschaftler: Francesco Conconi. Für den Test bedarf es etwas mehr als bei Cooper, denn hier wird das Tempo alle 200 Meter um 0,5 km/h gesteigert – sinnvoll beginnt man mit etwa 10 bis 12 km/h. Außerdem muss der Puls erfasst werden.
Während das heutzutage verhältnismäßig (Garmin & Co sei Dank) leicht zu bewerkstelligen ist, habe ich mich vor zehn, zwölf Jahren mit Pulsuhr und Fahrradbegleitung auf die Tartanbahn begeben.
Zweihundert Meter einhalten waren kein Thema, als Schrittmacher fuhr der Radler neben mir. Die Herausforderung bestand indes in der Kommunikation, musste ich ihm doch meinen Puls zum Aufschrieb übermitteln.
Ab ungefähr 180 Schlägen begnügte ich mich mit einer hingekeuchten letzten Ziffer, kurz darauf war das Ende des Artikulierens erreicht, denn ich benötigte meinen Mund als letztes Loch, um aus ihm zu pfeifen. Kurz nach oben gereckte Finger mussten genügen.
Für die Auswertung zeichnet man ein Diagramm, in welchem man den Puls über der Geschwindikgeit aufträgt. Am Knick des Graphen (siehe oben), bei welchem die Herzfrequenz kaum noch steigt, lässt sich die anaerobe Schwelle ablesen.
Wissenschaftlich: Messen im Labor
Was im Feld funktioniert, klappt natürlich genauso im Labor, wo die interessanten Werte direkt aus Blut bzw. Atemgasen erfasst werden. Diagnosezentren gibt es in den meisten größeren Ansiedlungen, ich für meinen Teil würde darauf achten, dass die Messung in meiner Sportart erfolgt. In der Kölner Orthoparc-Klinik lässt sich z.B. nicht nur Laufen und Radfahren, sondern auch Rudern. Bei der Gelegenheit übrigens: danke für die Zusammenarbeit (Korrekturlesen etc.)!
Bis aufs Blut: Laktatmessung
Für den Läufling unterscheidet sich die Laktatmessung kaum vom Conconi-Test. Rein körperlich gesehen, denn auf dem Laufband läuft es sich, nunja, wie auf einem Laufband. Laufen, kurz anhalten, um sich Blut aus dem Ohrläppchen abzapfen zu lassen, und weiter geht’s mit mehr Tempo. In der Tat zwingt die Blutentnahme zu einem Stufenprotokoll, bei dem die Geschwindigkeit nach jeder Unterbrechung um einen definierten Wert gesteigert wird, um dann konstant zu bleiben.
Ergebnis? Laktatwerte, VO_2 max und der schöne Graph mit der anaeroben Schwelle.
Mehr als Pustekuchen: Spiroergometrie
Die meisten Sportler atmen bei sportlicher Betätigung regelmäßig ein und aus (zum Glück, ich will mir die Alternative gar nicht vorstellen….). Anders als das kostbare Läuflingsblut kommt man an die Atemgase auch während der Belastung recht einfach heran, indem man eine Maske über Mund und Nase stülpt. Das macht sich nicht nur in Fernsehreportagen über Spitzensportler sehr gut im Bilde, es erlaubt auch ein Rampenprotokoll: Das Tempo steigt kontinuierlich.
Aus den ausgeatmeten Gasen wird unter anderem die Atemfrequenz, das Minutenvolumen und die Sauerstoffaufnahme erfasst, woraus weitere Parameter berechnet werden – unter anderem unsere schon bekannte Sauerstoffkapazität VO_2 max.
Und dann? Was macht man mit den Ergebnissen
Werte sind schön und gut, wie schließen wir den Regelkreis, der ja seit der Einleitung offen vor sich hinbaumelt?
Gute Trainingspläne geben vor, wie intensiv welche Einheiten trainiert werden müssen. Da stehen Begriffe wie Grundlagenausdauer 1 und 2, Intensivausdauer und ähnliches mehr. Sie basieren auf den in der Leistungsdiagnose ermittelten Parametern, so liest man dann beispielsweise, dass der Puls beim Grundlagentraining 1 etwa 75 bis 85 Prozent der anaeroben Schwelle betragen soll.
Kein Problem, wenn dieser Wert bekannt ist!
Geht’s auch ohne? Diskussion
Kann man Leistung ohne Leistungsdiagnostik steigern? Klar kann man. Spitzensportler lassen wir hier mal außen vor, viele „sehr gute“ Sportler trainieren ohne Diagnostik. Genug Erfahrung und Eigenwahrnehmung helfen weiter, und oft ist weniger die Steuerung, sondern die Trainingsdisziplin der Faktor, der einer Verbesserung im Wege steht.
Ein Test kann auch einfach zeigen, dass die gefühlte Belastung stimmt. Diese Art von Bestätigung ist zumindest eine schöne Bestätigung.
Und wer auf Zahlen steht, findet reichlich Futter für die Tabellenkalkulation.
Doch Obacht: die Diagnose ist nur ein Teil des Regelkreises.
Besser wird, wer besser trainiert!
Tretet durch die Literatüre: Lesestoff
Marquardt: Die Laufbibel, Hamburg 2007
Martin et al.: Handbuch Trainingslehre, Schorndorf 1991
Neumann et al.: Optimiertes Ausdauertraining, Aachen 2007
Zintl, Ausdauertraining, München 2009
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/8585/
Wikipedia: Artikel zu Conconi-Test, Cooper-Test, Laktat, Spiroergometrie, Leistungsdiagnostik