Spiele mit den Bundesjugendsperenzien

„Sportfest“ war für mich immer ein Riesenspaß, wenngleich die Ehrenurkunde für mich als siegerurkundenbeurkundetem Durchschnittssportler ein unerfüllter Traum blieb. Wie ich erst jetzt erfahre, könnte ich deshalb zeitlebens mit einem Trauma gelebt haben. Müssen die Bundesjugendspiele weg, oder besser die Sperenzien mancher Eltern?

„Sportfest“ war für mich immer ein Riesenspaß, was auch daran gelegen haben mag, dass sie während der Unterrichtszeit stattfanden, denn ausgefallener Unterricht war gewonnene Lebenszeit. Falls meine Erinnerung trügt, die Bundesjugendspiele also am Wochenende stattfanden, tut dies meiner Freude keinen Abbruch: ich fand es geil, obwohl ich das Wort damals noch nicht kannte.

Wie das Leben so spielt, war ich eher mäßig begabt, hatte keine Ahnung von Training (wie auch, ich war jung und brauchte kein Geld), und noch weniger Ehrgeiz. Weitsprung, Weitwurf und die längeren Strecken waren ok, auf Sprints hatte ich keine Lust, was sich konsequent im Ergebnis niederschlug. War ich deshalb niedergeschlagen, als man mir die Siegeruhrkunde überreichte? Weil eine Ehrenurkunde für mich als siegerurkundenbeurkundetem Durchschnittssportler ein unerfüllter Traum blieb?

Nein.

Doch wie ich erst jetzt erfahre, könnte ich deshalb zeitlebens mit einem Trauma gelebt haben.

Da kommt ein unsportliches Kind weinend vom Sportfest nach Hause, und Muttchen fordert sofort die Abschaffung der Bundesjugendspiele, denn Mißerfolg soll nicht verarbeitet, er muss vermieden werden.

Geht’s noch?

Selbstverständlich muss sich eine etablierte Veranstaltung wie die Bundesjugendspiele gefallen lassen, dass man ihr Konzept hinterfragt, und ebenso ist es für mich klar, dass dieses Konzept nicht das von vor vierzig Jahren sein braucht – da fangen wir gleich mit der Auswahl der Sportarten an. Lasst den Sprint weg, ich will eine Ehrenurkunde!
Ich halte es auch für angebracht, über ähnliche Veranstaltungen aus anderen Bereichen nachzudenken: Kunst, Naturwissenschaften, und so weiter. Mangels besserer Begriffe spreche ich von leistungsorientierten Workshops.

Ja, Workshops – weil es Spaß machen muss!

Ja, leistungsorientiert – weil ein Mensch ein Recht darauf hat, seine Grenzen und sein Talent zu erfahren!

Es kann nicht darum gehen, einen jungen Menschen ein Erleben des eigenen Scheiterns vorzuenthalten; ein Satz, bei dessen Formulierung ich mich im Geiste bereits ermahne, erläuternde Worte folgen zu lassen. Mit Scheitern meine ich das Scheitern eines Vorhabens, nicht das Scheitern der Person, welches sich im Kopf besagter Person manifestiert – oder in den Köpfen seiner Eltern.
Darin liegt für mich des Pudels Kern: Selbst wenn Eltern ein dummes, fettes, hässliches Kind haben, erlebt es sein schlechtes Abschneiden bei den Bundesjugendspielen (um beim Beispiel zu bleiben) erst dann als persönliche Schmach, wenn seine Eltern es als solche empfinden. Wie wäre es, wenn sie ihr dfh-Kind einfach lieben? Und zwar auch dann, wenn es unsportlich ist (oder worauf der elterliche Ehrgeiz sonst abzielt).

Ich behaupte: Wenn das dfh-Kind mit seinen Niederlagen selbstbewusst umgehen lernt, wird es der dfh-Erwachsene vermutlich auch tun, und so erfolgreicher sein als ein frustrationsintoleranter Narziss. Mal abgesehen davon, dass sowohl der d- als auch der f-Anteil veränderliche Größen sind, denn Intelligenz lässt sich entwickeln, und zum Thema Abnehmen brauche ich auf einem sportlastigen Blog wohl nichts schreiben.

Der entscheidende Punkt ist ja, dass Ergebnisse jedweder Art keine Bewertung des Menschen an sich sind, sondern schlicht Informationen über Teilaspekte seiner Aktivitäten. Momentaufnahmen. Freilich will jeder gerne auf dem Siegertreppchen stehen, und verlieren ist verdammt hart für jeden, der gewinnen will. Oder auch nur dabeisein.
Was wäre die Alternative? Olympiagold für jeden?

Hey, ich will einen Nobelpreis! Intellektuell reicht’s zwar nicht, aber für solche Fälle gibt es ja noch den für Frieden, der wahrscheinlich aus genau diesem Grund gerne an Politiker vergeben wird. Strenggenommen will ich ihn gar nicht, ich fände es aber cool zu sagen, dass ich ihn ablehne.
Es sein denn, jeder bekäme ihn. Dann nehme ich ihn überhaupt nicht an, Dann lehne ich ihn rundweg, und zwar ab.

Ich verliere noch ein Wort zum Thema Leistung, in der Hoffnung, dass ich es später wieder finde. Wahrscheinlich liegt’s gerade unter dem Apfelbaum und treibt es dort mit dem roten Faden, der mir ebenfalls abhanden gekommen ist.

Wo war ich stehengeblieben?

Ach ja. Leistung.

Nein, weder krankhafter Ehrgeiz noch Ellenbogen, sondern schlicht Leistung im Sinne des Erfahrens eigener Grenzen. Denn das Schöne daran ist, vor allem wenn einem die Chance geboten wird, seine Grenzen auf verschiedenen Gebieten auszutesten, dass mit der Grenze auch die Freiräume definiert werden. Ich nenne einen Menschen glücklich, der weiss, wo seine Freiräume liegen, und der zu entscheiden vermag, auf welchem Gebiet er sie ausweiten will. Dazu muss er sie kennen – erleben! – und gegebenenfalls mit der Erkenntnis umgehen lernen, dass seine Grenzen nicht so weit gesteckt sind, wie er es gerne hätte.

Sollen wir sämtliche Situationen abschaffen, in denen wir unsere Grenzen erkennen?

Sehen tut manchmal weh.

Sehen ist besser, als die Augen vor dem „Ist“ zu verschließen.