{"id":604,"date":"2012-09-16T19:43:28","date_gmt":"2012-09-16T17:43:28","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=604"},"modified":"2013-02-01T14:20:06","modified_gmt":"2013-02-01T13:20:06","slug":"das-buch-zum-shirt","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/das-buch-zum-shirt\/","title":{"rendered":"Das Buch zum Shirt"},"content":{"rendered":"

Fr\u00fcher war alles weniger. Vielleicht mehr Lametta, aber, global gesehen, insgesamt weniger. Wenn man ein neues Laufshirt kaufte, bekam man, nun, eben ein Shirt. Ohne Optionen. Und weil das alle so taten, entstand bei den Herstellern der Druck, besser oder wenigstens anders zu erscheinen als die anderen. Wie soll man sich von der Konkurrenz abheben? Mit einer netten Dreingabe vielleicht?
\nAls ich j\u00fcngst ein neues Laufleibchen erwarb, lag diesem ein Buch bei! Gut, es war kein vornehmer, in Schweinsleder gebundener Foliant, nichmal Hardcover. Wenn ich es recht bedenke, hatte das Buch \u00fcberhaupt keinen Einband. Aber ich will nicht unken, als Leseratte freue ich mich \u00fcber ein nettes, achtseitiges Buch.
\nEs ist ein \u00fcberaus lehrreiches Werk, welches man mir mitgab, denn ich weiss zum Beispiel, dass besagtes Leibchen komplett aus Polyester hergestellt wurde. Das erfreut mich, denn ich will weder mit irgendeinem Bastard aus Polyester und Elastan, noch mit irgend so einem Plastikkram herumlaufen. Stattdessen: einhundert Prozent feinstes Polyester! So beruhigt, bleibt die sogenannte „Kaufreue“ aus. Ein kluger Schachzug des Herstellers.<\/p>\n

Des Weiteren gibt man mir Ratschl\u00e4ge, wie das Shirt denn zu waschen und zu pflegen sei. Ich soll es bei drei\u00dfig Grad Celsius waschen, nur auf Weichsp\u00fcler muss ich verzichten. Das ist schade, denn ich mag gerne weiche Klamotten an meinem zarten Leib. Zum Ausgleich zeigt der Produzent sein Herz f\u00fcr jene L\u00e4uflinge, die lieber laufen als waschen, denn Maschinenw\u00e4sche ist vollkommen in Ordnung. Sagt das Symbol. Wenn ich es eilig habe, kann ich sogar schleudern, und in den Trockner darf es auch. Toughes Teil, das muss an dieser Stelle mal gesagt werden!
\nChemische Reinigung geht gar nicht, daf\u00fcr ist es gestattet, mit dem B\u00fcgeleisen bei niedriger Temperatur etwaige Knitterfalten sanft zu gl\u00e4tten. Auch daran sehe ich, dass sich die Produktplaner intensiv mit den Bed\u00fcrfnissen ihrer Kunden besch\u00e4ftigt haben. Denn nat\u00fcrlich will kein L\u00e4ufling ungeb\u00fcgelt durchs Ziel. Mir ist das nicht so wichtig, aber es ist doch sch\u00f6n, zu wissen, dass ich B\u00fcgeln k\u00f6nnte, wenn ich denn wollte.<\/p>\n

Ein gro\u00dfes Manko des Werkes besteht meiner Ansicht nach darin, dass die Autoren sich nur unvollst\u00e4ndig \u00fcber die Art der Trocknung \u00e4u\u00dfern. Sie sprechen zwar den W\u00e4schetrockner an, aber was ist mit anderen Trockenarten? Kann ich es auf die Leine h\u00e4ngen oder muss es liegen? Wie ist es mit Sonne: darf ich mein Leibchen in der Sonne trocknen? Ich nehme zwar an, dass mir alle M\u00f6glichkeiten offen stehen, trotzdem w\u00e4re mir irgend eine Information dazu willkommen. Meinetwegen kann man ja ein Symbol anf\u00fcgen, welches sagt „mach es, wie du es f\u00fcr richtig h\u00e4ltest, dem Produkt ist das egal“.
\nHatte ich \u00fcberhaupt erw\u00e4hnt, dass diese Pflegeanleitung nicht in Textform, sondern in einer sch\u00f6nen, leicht zu entschl\u00fcsselnden Symbolsprache abgefasst ist?
\nNun, jetzt wisst ihr es.<\/p>\n

Und jetzt kommt das Beste: das Buch leistet einen Beitrag zur Volksbildung, denn es ist mehrsprachig verfasst! S\u00e4mtliche Angaben kann ich auf Deutsch, Englisch, Franz\u00f6sisch, Italienisch, Spanisch oder Portugiesisch nachlesen. Ich weiss jetzt, was Polyester auf Japanisch bedeutet, und kann „Made in China“ in kyrillischen Buchstaben schreiben.
\nWer weiss, wof\u00fcr es gut ist. Vielleicht komme ich bei einem Ultratrail mal mit einem Malaien ins Gespr\u00e4ch, und irgendwann geht uns das Thema aus. Betretenes Schweigen. Unangenehm f\u00fcr beide. Bis uns einf\u00e4llt, Waschtipps in seiner Muttersprache Bahasa Malayu auszutauschen: „B\u00fcgelst du deine Armlinge?“ „Ja, wenn ich sie nicht im Trockner hatte.“ „Sei aber vorsichtig mit der Temperatur. Ich kann meine nur relativ k\u00fchl gl\u00e4tten.“<\/p>\n

Bei einer solchen F\u00fclle an Wissen ist es jammerschade, dass das Buch nicht in einer Form beiliegt, die es mir gestatten w\u00fcrde, es gemeinsam mit anderen Werken industrieller Prosa in ein Regal zu stellen. Denn das Buch ist am Shirt angen\u00e4ht. Sehr gut angen\u00e4ht. Ich meine keine Fadenheftung, sondern ich rede davon, dass es mit der Seitennaht in Taillenh\u00f6he vern\u00e4ht ist.
\nUnd das bedeutet, ich muss es entfernen. Einerseits aus Gewichtsgr\u00fcnden, denn bei einem luftig-leichten Shirt f\u00e4llt ein mehrseitiges Buch ins Gewicht. Im wahrsten Sinne des Wortes.
\nAu\u00dferdem piekst es.
\nManche Hersteller setzen auf gewebeverst\u00e4rktes Papier, was sich zwar f\u00fcr ein Buch ziemt, daf\u00fcr aber die Haut peinigt. Mein spezielles Leibchen z\u00e4hlt zu den Premiumprodukten, und hat folglich ein Buch aus Stoff, dessen raue Kanten unangenehm reiben. Also weg damit, ich will schlie\u00dflich nicht leiden.
\nDieses „weg damit“ ist leichter gesagt, als getan, denn das Buch wurde in der Fabrik mit der Seitennaht sehr sorgsam befestigt. Ergo kostet es mich das Entfernen einige M\u00fche. Wenn ich die Hauptnaht nicht besch\u00e4digen will, schneide ich zun\u00e4chst das Buch entlang der Naht ab. Es bleibt ein rechteckiger Rest in und unter der Naht. Weil ein Rechteck naturgem\u00e4\u00df Ecken hat, pieksen diese ebenfalls. Somit geht der Griff zur Nagelschere, um die Ecken abzuschr\u00e4gen. Immer mit der unter allen Umst\u00e4nden zu sch\u00fctzenden Naht im Hinterkopf. Nur keinen Faden durchschneiden! Nach getaner Arbeit stelle ich fest, dass ich aus vier Ecken nunmehr derer acht gemacht habe. Weniger spitz, aber immer noch f\u00fchlbar. Also versuche ich, eine Rundung hinzukriegen. Eine halbe Stunde und zwei, drei mittelschwere Tobsuchtsanf\u00e4lle sp\u00e4ter habe ich ein wunderbares Laufshirt.<\/p>\n

Fertig. Zeit f\u00fcr erbauliche Lekt\u00fcre.<\/p>\n

Nachdem ich das herausgetrennte Buch ein paar Mal durchgelesen hatte, warf ich es schlussendlich weg. Nicht ohne ein schlechtes Gewissen, denn ich anerkenne die M\u00fche, die man sich gemacht hat. Ohne das Buch w\u00fcrde ich mein neues Leibchen einfach in die Waschmaschine geworfen haben, h\u00e4tte diese auf 30\u00b0 gestellt, und das Ding sp\u00e4ter zum Trocknen auf die Leine geh\u00e4ngt. Ohne das Buch k\u00f6nnte ich nicht mehrsprachig \u00fcber Textilpflege parlieren. Ohne das Buch w\u00e4re mir nicht bewusst, welch globale Pr\u00e4senz die Marke meines Vertrauens hat. So aber gehe ich sehr bewusst mit meiner Kleidung um. Ich glaube, ich k\u00f6nnte mich noch mehr mit ihr identifizieren, wenn man dem Beispiel von Woolpower folgen w\u00fcrde. Der schwedische Hersteller schreibt bei jedem Kleidungsst\u00fcck den Namen der N\u00e4herin dazu, die es zusammengen\u00e4ht hat. Und, \u00fcbrigens: nennt bitte noch den Verfasser. Auch wenn es wohl nicht zum Friedenspreis des deutschen Buchhandels reicht, selbst Autoren von Gebrauchsliteratur haben ein Recht auf \u00d6ffentlichkeit.<\/p>\n

Zwischenzeitlich gibt es bei den meisten Marken B\u00fccher, wenn man Laufkleidung kauft. Deshalb m\u00fcssen sie sich etwas Neues einfallen lassen, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Wie w\u00e4re es zum Beispiel mit einem passenden Regal?<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Fr\u00fcher war alles weniger. Vielleicht mehr Lametta, aber, global gesehen, insgesamt weniger. Wenn man ein neues Laufshirt kaufte, bekam man, nun, eben ein Shirt. Ohne Optionen. Und weil das alle so taten, entstand bei den Herstellern der Druck, besser oder wenigstens anders zu erscheinen als die anderen. Wie soll man sich von der Konkurrenz abheben? … \u201eDas Buch zum Shirt\u201c<\/span> weiterlesen<\/a><\/p>\n","protected":false},"author":22,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[6],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/604"}],"collection":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/22"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=604"}],"version-history":[{"count":28,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/604\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":1152,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/604\/revisions\/1152"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=604"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=604"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=604"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}