{"id":4199,"date":"2020-11-18T21:17:56","date_gmt":"2020-11-18T19:17:56","guid":{"rendered":"https:\/\/das-lauferei.de\/?p=4199"},"modified":"2020-11-18T21:48:41","modified_gmt":"2020-11-18T19:48:41","slug":"reden-wir-ueber-sport","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/reden-wir-ueber-sport\/","title":{"rendered":"Reden wir \u00fcber Sport"},"content":{"rendered":"\n
Reden wir \u00fcber Sport. Reden wir konkret \u00fcber die Art Sport, bei welcher das Sportger\u00e4t einen wesentlichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg hat, wie zum Beispiel Motorsport, aber auch so scheinbar untechnischen Sport wie Radfahren. Radrennen, besser gesagt. Denn wenn es kompetitiv wird, gibt es Leute, die sich technische Regelwerke ausdenken. In jenen liegt der Hund begraben.<\/pre>\n\n\n\n
Ich muss etwas Selbstkritik \u00fcben, ich bin n\u00e4mlich selbst schuld an meinem Unbehagen, was diese Formen von Sport betrifft. Besser gesagt daran, dass mich die Art und Weise, wie er ausge\u00fcbt, dargestellt und gestaltet wird, weitgehend langweilt. Selten nur gibt es eine Nachricht, die mich kurz neugierig werden l\u00e4sst. Dann informiere ich mich, erfreue mich am erkennbaren Fortschritt, Kreativit\u00e4t und dem, was m\u00f6glich ist beziehungsweise m\u00f6glich w\u00e4re, bevor ich mich wieder anderen Dingen zuwende, die mich wirklich faszinieren.<\/pre>\n\n\n\n
Wie gesagt: Ich bin selbst schuld.<\/pre>\n\n\n\n
Ich h\u00e4tte diese B\u00fccher nicht lesen d\u00fcrfen.<\/pre>\n\n\n\n
Ich h\u00e4tte auf das Ingenieursstudium verzichten m\u00fcssen.<\/pre>\n\n\n\n

Gl\u00fcckselige Unwissenheit und ihr verlust<\/h4>\n\n\n\n
Von einer Phase abgesehen, in der ich unbedingt Tierforscher werden wollte, fand ich Autos schon als Kind toll. Rennwagen nat\u00fcrlich auch, und bereits meine kindliche Auffassungsgabe lehrte mich, dass ein schnellerer Rennwagen ein besserer sein m\u00fcsse. In meinem Kinderlexikon stand zu lesen: \"Rennfahrer treten das Gaspedal immer voll durch.\" Eine Aussage, die im Widerspruch zu meinen eigenen fahrdynamischen Erfahrungen mit Drei- und Fahrrad stand - aber was wusste ich schon!\nOb Formel 1, Sportwagen oder anderes war mir vollkommen egal, denn das, was da herumfuhr, konnte nur das sein, was alle verf\u00fcgbaren technischen M\u00f6glichkeiten nutzt, um schnell zu sein.<\/pre>\n\n\n\n
Wie naiv ich doch war!<\/pre>\n\n\n\n
Motorr\u00e4der waren mir \u00fcbrigens egal und Segelboote hatten keinen Motor, mithin also uninteressant. \u00c4nderungen am Reglement bekam ich allenfalls beil\u00e4ufig mit, au\u00dferdem verstand ich ihre Bedeutung sowieso nicht. Das \u00e4nderte sich, als meine Lekt\u00fcre zunehmend technischer wurde, wodurch erste Irritationen entstanden: Wieso machen die das? \nMit dem Ende der Gruppe B anno 1986 wurde mir nicht nur die Tragweite derartiger Entschl\u00fcsse, sondern auch die geistige Haltung, die zu ihnen f\u00fchrten, schlagartig bewusst: Rennwagen sollen langsamer<\/em> werden? In der Folge nahm ich die Geschichte des Motorsports anders wahr, erschienen mir bislang achselzuckend hingenommene Informationen in einem anderen Licht.\nMuss ich erw\u00e4hnen, dass die Faszination zwangsl\u00e4ufig auf der Strecke blieb? Wohl kaum.\nEs sind in den Entscheidungsgremien also Leute am Werk, denen Rennfahrzeuge zu schnell sind. Aber weshalb?<\/pre>\n\n\n\n
Mittlerweile betrachte ich sportliche Regelwerke in den genannten Bereichen als Messlatte f\u00fcr Technologien: Was verboten ist, kann ich in erster N\u00e4herung getrost als \u00fcberlegen ansehen. Ob Turboaufladung (Formel 1), aktive Aerodynamik (diverse Autorennserien), Zweitaktmotoren (Motorrad) oder Dieselmotoren (Offshore-Powerboote): Man f\u00fchrt den Nachweis der \u00dcberlegenheit einer Technologie, um sich fortan f\u00fcr die schlechtere zu entscheiden. Das verstehe, wer will.<\/pre>\n\n\n\n

\u00dcber Motive und \u00dcbersimplifikation<\/h4>\n\n\n\n
Ich teile das, was ich an Motiven f\u00fcr das paradoxe Bestreben nach Langsamkeit mitbekommen habe, in drei Kategorien ein: Sicherheit, Vergleichbarkeit und Medientauglichkeit. Beginnen wir mit dem Grundprinzip der ersten Kategorie.<\/pre>\n\n\n\n
Langsam ist sicher.<\/pre>\n\n\n\n
Wenn langsam gleich sicher ist, ist langsamer sicherer und am sichersten demnach der Stillstand. Insofern m\u00fcssen wir wohl die Couch Potatoes dieser Welt f\u00fcr ihren sicherheitsbewussten Lebensstil loben. Ganz so konsequent will man dann doch nicht sein, stattdessen versucht man eben irgendwie langsamer zu werden, wenn auch nicht so langsam, dass die mediale Verwertbarkeit leidet. Mir kommt das vor, als w\u00fcrde man einem Kind sagen, es darf schon rennen, aber eben nicht zu schnell. Schon klar: Beim Rennsport geht es um die Gesundheit von Menschen. Allerdings hat gerade die Geschichte des Sports gezeigt, dass ein Mehr an Sicherheit immer auf technischem Weg realisiert wurde. Statt also die Anforderungen sauber zu definieren und eine technische L\u00f6sung herbeizuf\u00fchren, beschreitet man lieber den primitiven Weg \"fahrt mal nicht so schnell, dann tut ihr euch nicht weh\". Man kann das tun, keine Frage. Und das vordergr\u00fcndige Ziel nach weniger und weniger schweren Unf\u00e4llen wird dadurch zumindest kurzfristig erreicht. Es bleibt aber der Eindruck von Leistungsverweigerung; man verweigert sich der anspruchsvollen Aufgabe, liefert aber das Ergebnis einer solchen f\u00fcr Anf\u00e4nger. Auf der Strecke bleiben Glaubw\u00fcrdigkeit und technische Relevanz.<\/pre>\n\n\n\n
Es muss Chancengleichheit herrschen.<\/pre>\n\n\n\n
Eins vorweg: Jeder Teilnehmer, jedes Team hat die gleiche Chance, mit dem sprichw\u00f6rtlichen leeren Blatt Papier anzufangen. Davon abgesehen, tr\u00e4gt man diesem Bed\u00fcrfnis vielfach Rechnung, zum Beispiel durch Geschlechts-, Gewichts- und Altersklassen. Beim Keirin<\/em>, einer japanischen Variante des Radrennens, gibt es f\u00fcr die Fahrr\u00e4der strikte Vorgaben, damit es eben der Fahrer sei, der den Erfolg bestimme. Jene Sportarten, die als beispielhafte Flecken diesen Artikel illustrieren, bieten eine Vielfalt von Spielarten und Klassen mit mehr oder minder strikten Beschr\u00e4nkungen, die \"nach oben hin\" zumindest mehr Tempo, oftmals auch mehr konstruktiven Freiraum zulassen. Es bleibt aber das Gesamtsystem aus Sportler und Sportger\u00e4t, welches gewinnt oder verliert. <\/pre>\n\n\n\n
Wo ist eigentlich das Problem, Klassen \/ Rennserien mit mehr Restriktion und, an der Spitze, eine solche ohne<\/em> Beschr\u00e4nkungen vorzusehen? Ich wei\u00df schon, auch Sportler scheinen Wert auf Spannung, auf einen ungewissen Ausgang des Geschehens zu legen. Wer selbst Sport treibt, der kennt die Geilheit vor dem Start, die Begeisterung, wenn es gut l\u00e4uft - oder das Gegenteil davon. Flow-Zust\u00e4nde, Adrenalin und der Killerinstinkt lassen uns nicht wirklich \u00fcber uns hinauswachsen, aber sie helfen, unser Potenzial auszureizen. Manchmal wirft uns Psyche, das Wetter oder andere Parameter aber auch Kn\u00fcppel zwischen die Beine. So bleibt der Ausgang bis zu einem gewissen Grad ungewiss: Woah, wie spannend<\/em>! Das Gleiche gilt f\u00fcr's Publikum, welches nach Drama giert. Spannende<\/em> K\u00e4mpfe bis zur Ziellinie! Ach, die Tour de France wird auf den letzten paar hundert Metern der Champs-Elysees entschieden! Wie ungemein spannend<\/em>! Da haben wir uns seit dem griechischen Drama nicht nennenswert weiterentwickelt. Auch bei James Bond bleibt die Uhr der Zeitbombe nicht drei Tage, sondern eher ein paar Sekunden - passend: 007 Sekunden - vor der Detonation stehen. Wobei mir bislang noch niemand erkl\u00e4ren konnte, wieso sich ein Bombenleger die M\u00fche macht, eine gut sichtbare Uhr mit Digitalanzeige an seine H\u00f6llenmaschine zu montieren.\nIch anerkenne, dass man mitfiebern will.\n\nWer's mag, der m\u00f6ge sich gerne am\u00fcsieren. Mich l\u00e4sst diese Form von Spannung v\u00f6llig kalt, umso mehr aber interessieren mich zum Beispiel die Rundenzeiten. Da ist mir der einsam gefahrene Rundenrekord auf dem N\u00fcrburgring wichtiger. Und, wie gesagt: Diese Chancengleichheit existiert in \"niederen\" Rennklassen.<\/pre>\n\n\n\n
It's Showtime!<\/pre>\n\n\n\n
Die Dramaturgie, die sich aus dem ungewissen Ausgang einer Sportveranstaltung ergibt, wird durch die Medien noch \u00fcberh\u00f6ht. Ein System, das sich selbst n\u00e4hrt, denn je spektakul\u00e4rer, desto mehr Zuschauer und je mehr Zuschauer, desto h\u00f6her der Umsatz. Also schaut man sich an, was das Publikum bei der Stange halten k\u00f6nnte: \u00dcberholvorg\u00e4nge, unbedingt! In der Formel E gab es (evtl. gibt es das noch, ich habe bewusst nicht recherchiert) eine Art Fanknopf, mit dessen Hilfe die Zuschauer ihrem Lieblingsrennfahrer etwas mehr Leistung g\u00f6nnen k\u00f6nnen. Soll ich das als Demokratisierung des Rennsports<\/em> auffassen?<\/pre>\n\n\n\n
Aus dem Vergleich zwischen Sportlern oder (oder! ich meine hier ein \"entweder\" - \"oder\") Sportger\u00e4ten wird so ein Spektakel, dessen sportlicher Wert sich dem Unterhaltungswert unterordnet. Wir haben uns l\u00e4ngst daran gew\u00f6hnt, dass sich die Wettkampfzeiten globaler Veranstaltungen wie den olympischen Spielen nach den \u00dcbertragungszeiten der gr\u00f6\u00dften Zielm\u00e4rkte richten. Statt \"wir machen untereinander aus, wer am schnellsten rennt, am weitesten wirft oder das h\u00f6chste Gewicht hebt und andere d\u00fcrfen uns dabei zusehen.\" hei\u00dft es \"unser gr\u00f6\u00dfter Markt ist in Zeitzone y, ihr m\u00fcsst halt so starten, dass wir die meisten Menschen erreichen.\"<\/pre>\n\n\n\n
Finde ich das grunds\u00e4tzlich verwerflich? Nein. Nicht nur, weil ich lieber selbst Sport treibe, statt zuzusehen (anders ausgedr\u00fcckt, geh\u00f6re ich nicht zur Zielgruppe, bin also nicht relevant), sondern weil ich nicht w\u00fcsste, wieso ich mich daran sto\u00dfen sollte. Passt schon.\nEbensowenig verwerflich, eher am\u00fcsant finde ich skurrile Geschichten wie jene von der Tour de France. Im sehr empfehlenswerten Buch \"The Dancing Chain\", welches die Geschichte der Kettenschaltung bei Fahrr\u00e4dern zum Thema hat, steht zu lesen, dass sich Henri Desgrange, der langj\u00e4hrige Chef der Veranstaltung bis in die 1930er Jahre mit H\u00e4nden und F\u00fc\u00dfen gegen die Zulassung von Schaltungen gewehrt hat. Nach Aussage des Buches wurden die Teilnehmer vor allem bergan allzu oft von Zuschauern auf ihrem Weg zum Zusehplatz \u00fcberholt. Er hielt dies wohl f\u00fcr unsportlich und liefert mir damit ein weiteres Beispiel f\u00fcr einen Maschinenst\u00fcrmer, der in einer zwar nicht technisch dominierten, aber doch zumindest technisch beeinflussten Disziplin den Ton angibt.<\/pre>\n\n\n\n
Was aber l\u00e4sst mich diesen Artikel schreiben? Mir fehlt etwas. Etwas, das ich in den folgenden Abs\u00e4tzen skizziere.<\/pre>\n\n\n\n

I have a dream<\/h4>\n\n\n\n
Eigentlich ist es ganz einfach. Man lasse alles so, wie es ist und schaffe in den einzelnen Bereichen Rennserien, in denen der Schwerpunkt des Systems Sportler - Sportger\u00e4t auf Zweiterem liegt. Einzelne Ans\u00e4tze gibt es, so zum Beispiel die sog. DARPA Challenge, die, obzwar mit milit\u00e4rischem Hintergrund, ein Aufgabe definiert, f\u00fcr die es eine technische L\u00f6sung zu finden gilt.\nDarauf l\u00e4sst sich aufbauen.\nSp\u00e4testens dann, wenn autonome Fahrzeuge (teilweise auch schon DARPA-m\u00e4\u00dfig vertreten) schneller sind als solche mit Fahrer, er\u00fcbrigt sich die Systemthematik, besonders mit Blick auf die Gesundheit des \"Bedienungsorganismus\", sowieso.<\/pre>\n\n\n\n
Wenn ich an Radrennen denke, fallen mir unweigerlich Lieger\u00e4der ein. Keine Ahnung, wie die bergauf dastehen, oder wie gel\u00e4ndetauglich sie sind. Ich sage: Lasst die Leute nur machen, sie finden es heraus.\nUnd zur Thematik \"Akku im Rennrad oder nicht\" hatte ich k\u00fcrzlich eine Idee, die ich \u00fcberaus reizvoll finde: Akku rein, allerdings muss er vor dem Start leer sein (wobei ich mir auch hier nicht ganz sicher bin...). Dann m\u00f6ge der Rennfahrer auf Bergabpassagen oder beim Bremsen die Vorz\u00fcge der Rekuperation nutzen (vulgo: Akku laden durch's Bremsen). Fr\u00fcher sagte man spare in der Zeit, dann hast du in der Not<\/em>. Ich mache daraus: Lade deinen Akku bergab, dann tust du dir bergauf leichter und bist in der Summe schneller im Ziel. \nMeinetwegen kann man auch Solarpanels auf das Trikot montieren. Der Athlet wird vielleicht mehr schwitzen, aber auch die L\u00f6sung dieses Zielkonfliktes ist dann Teil des Wettbewerbs.<\/pre>\n\n\n\n
Es w\u00e4re ein wunderbares Experimentierfeld, bei dem am Ende derjenige gewinnt, der am schnellsten ankommt. Und das d\u00fcrfte erheblich fr\u00fcher sein als bei heutigen, krampfhaft zwischen Show, Sportler und Technik vor sich hin lavierenden Rennen.<\/pre>\n\n\n\n
Ich f\u00e4nde es geil.<\/pre>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Reden wir \u00fcber Sport. Reden wir konkret \u00fcber die Art Sport, bei welcher das Sportger\u00e4t einen wesentlichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg hat, wie zum Beispiel Motorsport, aber auch so scheinbar untechnischen Sport wie Radfahren. Radrennen, besser gesagt. Denn wenn es kompetitiv wird, gibt es Leute, die sich technische Regelwerke ausdenken. In jenen liegt der … \u201eReden wir \u00fcber Sport\u201c<\/span> weiterlesen<\/a><\/p>\n","protected":false},"author":22,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[434,435,436,437],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4199"}],"collection":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/22"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=4199"}],"version-history":[{"count":13,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4199\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":4213,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4199\/revisions\/4213"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=4199"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=4199"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=4199"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}