{"id":3792,"date":"2019-06-30T12:02:31","date_gmt":"2019-06-30T10:02:31","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=3792"},"modified":"2019-07-01T12:06:40","modified_gmt":"2019-07-01T10:06:40","slug":"warum-du-diesen-artikel-nicht-lesen-solltest","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/warum-du-diesen-artikel-nicht-lesen-solltest\/","title":{"rendered":"Warum du diesen Artikel nicht lesen solltest"},"content":{"rendered":"\n
Ich h\u00e4tte auch einen anderen Titel w\u00e4hlen k\u00f6nnen, etwa \"Zehn Gr\u00fcnde, diesen Artikel nicht zu lesen\", wobei zw\u00f6lf, sieben, oder drei\u00dfig Gr\u00fcnde ebenso gut gewesen w\u00e4ren. Mein Arbeitstitel war \u00fcbrigens \"Warum ich Artikel wie diesen (fast) nicht mehr lese\", und schon sind wir beim Thema, weil ich an mir eine zunehmende Unlust zum Konsum (!) bestimmter Publikationen wahrnehme.<\/pre>\n\n\n\n
Was st\u00f6rt mich daran eigentlich?  Es sind, wie ich nach einigem Nachdenken f\u00fcr mich selbst herausfand, weit verbreitete Muster des Nicht-Argumentierens, des Ank\u00fcndigens und Nicht-Lieferns, die mich schlichtweg langweilen. Sie finden sich in Zeitungen und Magazinen, auf YouTube & Co, Blogs, Online-Publikationen, auch manche B\u00fccher sind nach danach aufgebaut. Ich will in diesem Artikel versuchen, mich anhand von vier leider allzu h\u00e4ufigen Mustern zu erkl\u00e4ren - vielleicht geht es euch auch so, dass ihr euch mit den Augen rollend, oder genervt schnaubend ertappt.<\/pre>\n\n\n\n
Muster eins: Warum du...<\/em><\/pre>\n\n\n\n
Siehe der Titel dieses Beitrags, wobei dieses \"Warum du...\" auch in anderen Verkleidungen daherkommt; zwei Beispiele habe ich in der Einleitung angef\u00fchrt. Selbstverst\u00e4ndlich geht auch \"F\u00fcnf Gr\u00fcnde, um nicht....\" oder \"Warum ich mit (hier irgend etwas einsetzen) aufgeh\u00f6rt habe\". Ich denke, das Prinzip ist klar: Jemand stellt eine Behauptung auf, die er mit einigen Punkten untermauern will. \"Das ist so, weil...\".<\/pre>\n\n\n\n
Ist das schlecht?<\/pre>\n\n\n\n
Ja, es ist schlecht, weil dahinter - am Beispiel meiner \u00dcberschrift - eine klare Aufforderung steht. Solche Titel k\u00f6nnten auch hei\u00dfen: \"Lies diesen Artikel nicht\". Die Befehlsform wirkt autorit\u00e4r, mit der Begr\u00fcndung wird der Befehl zwar leichter verdaulich, jedoch nicht aufgehoben. Es gibt keine Alternative. Ich habe vor Jahren einen einfachen Grundsatz kennengelernt, den ich sehr sch\u00e4tze:<\/pre>\n\n\n\n
Jede Behauptung mit Begr\u00fcndung, jede Begr\u00fcndung mit Diskussion.<\/pre>\n\n\n\n
Argumentieren ist gefragt, eine Auseinandersetzung mit Gegenpositionen. Das setzt voraus, dass man die M\u00f6glichkeit von Alternativen zumindest anerkennt! \"Das ist so, weil...\" wirkt auf mich je nach Publikation und Inhalt als beanstpruche man, absolut und immer Recht zu haben, wobei man gn\u00e4dig eine Begr\u00fcndung mitliefert. Das ist nicht \"nett\", es untergr\u00e4bt in meinen Augen die Glaubw\u00fcrdigkeit desjenigen, der die Behauptung \u00e4u\u00dfert. Genauso \u00fcbrigens wie Superlative.<\/pre>\n\n\n\n
Muster zwei: Die beste Trainingsmethode f\u00fcr...<\/em><\/pre>\n\n\n\n
Wir halten uns kurz vor Augen, was in diesem Teilsatz steht: Es gibt keine Trainingsmethode, die entweder gleich gut geeignet, oder besser ist. Um die Gefahr f\u00fcr eine solche Behauptung nachzuvollziehen, machen wir einen kleinen Ausflug in die Logik, und formulieren den Satz um in \"Alle anderen Trainingsmethoden sind schlechter\", bzw. \"Es gibt keine Methode, die gleichwertig, oder besser ist\".<\/pre>\n\n\n\n
\"Alle\", und damit die gesamte Behauptung, l\u00e4sst sich durch ein einziges Gegenbeispiel widerlegen. Wir kennen das Kinderspiel \"Alle V\u00f6gel fliegen hoch!\". Tja, wenn eines nicht fliegt, sind es eben nicht alle. Wer tiefer einsteigen will, m\u00f6ge nach dem Begriff \"logisches Quadrat\" suchen, wobei es f\u00fcr's Verst\u00e4ndnis hilft, sich an die Mengenlehre zu erinnern. Ihr wisst schon, das Zeugs mit den schraffierten Ellipsen. Alle sind alle, und keines mehr oder weniger. \"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!\" w\u00e4re in dem Moment zur L\u00fcge geworden, wenn Ulbricht alleine und f\u00fcr sich selbst dieses Vorhaben gefasst h\u00e4tte.<\/pre>\n\n\n\n
Eine Variante des Superlativs sind auch Listen (\"Die f\u00fcnf st\u00e4rksten Menschen aller Zeiten\"), die auch auf YouTube (\"Die zehn schnellsten Autos der Welt\") sehr beliebt sind. Solche Listen bestehen meistens aus willk\u00fcrlich zusammengeklaubten Elementen, bei denen zumindest mir nicht klar ist, wieso die Kandidaten in die Liste aufgenommen wurden. Wenn dann schon mir als Laie spontan weitere kr\u00e4ftige Menschen einfallen, die, eine nachvollziehbare Messlatte angelegt, mindestens ebenso eine Erw\u00e4hnung verdient h\u00e4tten, spricht das eine klare Sprache gegen die Quelle der Liste.<\/pre>\n\n\n\n
\u00dcbrigens gibt es einen speziellen Fall f\u00fcr das, was ich die \"Idiotie des Superlativs\" nennen will, und das sind diese selbst ernannten \"h\u00e4rtesten\" Rennen der Welt. Mich w\u00fcrde direkt interessieren, wieviele \"h\u00e4rteste Ultratrails\" es gibt. Ich muss dabei an einen Ausspruch des Blues-Musikers Muddy Waters denken, der sinngem\u00e4\u00df lautet: \"Man kann nicht der Beste sein. Man kann immer nur gut sein.\". Vor allem schreit so eine H\u00e4rteskala danach, solche Veranstaltungen konsequent nach H\u00e4rte einzuteilen. Ob sich in der Zielgruppe von Hindernisl\u00e4ufen genug Interessenten f\u00fcr den \"weichsten\" Toughmudder der Welt finden? Ein harter Ultratrail ist, denke ich, genug.<\/pre>\n\n\n\n
Von der leichten Widerlegbarkeit durch den Superlativ abgesehen wird selten klar definiert, nach welchen Kriterien denn bewertet wurde, geschweige denn die betrachteten Alternativen benannt und gegeneinander abgewogen. Was macht eine Trainingsmethode besser - und unter welchen Voraussetzungen? Wodurch wird ein Rennen h\u00e4rter als ein anderes?<\/pre>\n\n\n\n
Wer so eine Behauptung aufstellt, macht sich sehr leicht angreifbar, und ich frage mich: Wenn's schon so losgeht, kann da \u00fcberhaupt was Gescheites folgen?<\/pre>\n\n\n\n
Muster drei: ...und das aus einem ganz besonderen Grund<\/em><\/pre>\n\n\n\n
Sehr gerne und in vielerlei Variation verwendet, besonders bei Onlineausgaben angeblich seri\u00f6ser Medien: \"Eines von einhundertf\u00fcnf Mitgliedern des IOC sprach sich gegen die Dopingsperre aus, und das aus einem besonderen Grund\". Jaaaa, macht mich neugierig, ich will den Artikel lesen! Klicken! Jetzt! <\/pre>\n\n\n\n
Nein.<\/pre>\n\n\n\n
Ich klicke nicht auf Clickbaits. Weder auf (meistens schlecht gemachte) Thumbnails bei YouTube, noch auf solche Teaser. Sie erinnern mich an meine Grundschulzeit, in der Zettel im Umlauf waren mit der Aufschrift \"Wie macht man einen Deppen neugierig? Bitte umbl\u00e4ttern.\". Das stand auf beiden Seiten.  Seitdem bin ich immun gegen derlei plumpe Pseudo-Neugierigmacherei, zumal die dann im Artikel gelieferten Informationen meist an der Oberfl\u00e4che bleiben. Nennt mir den Grund, und wenn mich die Hintergr\u00fcnde interessieren, lese ich den Artikel, der sie beleuchtet. Das setzt nat\u00fcrlich voraus, dass es diesen Artikel \u00fcberhaupt gibt.<\/pre>\n\n\n\n
Muster vier: ...wissenschaftlich...<\/em><\/pre>\n\n\n\n
Das Beste habe ich mir f\u00fcr den Schluss aufgehoben. Das Beste? Hat er nicht am Anfang vehement gegen den leichtfertigen Umgang mit dem Superlativ argumentiert? Hat er. Deswegen hat er sich den Spa\u00df geg\u00f6nnt. H\u00f6rt ihr mein Kichern? ;-)<\/pre>\n\n\n\n
Die liebe Wissenschaft, eigentlich m\u00fcssten wir sie f\u00fcr den permanenten Mi\u00dfbrauch bedauern, dem sie als Begriff ausgesetzt ist. Da gibt es so einen putzigen, selbst ernannten Fitnessguru, der auf Facebook f\u00fcr sein geniales, bahnbrechendes Programm wirbt: \"Studien beweisen\", und \"die ganze Wissenschaft ist falsch\". Selbstbewusst, sehr selbstbewusst. Doof nur, dass den vollmundigen Behauptungen nichts folgt. Gar nichts.<\/pre>\n\n\n\n
Wie sollte es auch, wenn schon im Ansatz klar wird, dass der Gute, wie viele andere auch, das Prinzip von Wissenschaftlichkeit nicht verstanden haben. Zum Beispiel gibt es streng genommen keine \"Beweise\", sondern lediglich Widerlegungen (wen's interessiert: Ich lege hier das Modell von Popper zugrunde. Es gibt noch andere, googelt nach Kuhn oder Lakatos, alles unter dem Stichwort Wissenschaftstheorie). Aber gut, wenn \"alles\" (was ist \"alles\"? Siehe weiter oben) widerlegt wurde, kann dies mit Studien belegt werden. Wo sind die? Oh, die fehlen leider. Schade. Und schon hat sich jemand ins Aus geschossen.<\/pre>\n\n\n\n
Auch scheint es beliebt zu sein, an der vorherrschenden Meinung, so sie lange genug geherrscht hat, zu r\u00fctteln. Besser gesagt: Man vertritt eine Gegenposition. Grunds\u00e4tzlich finde ich sowas geil. Ich finde es dann geil, wenn auf ein \"Hey, es gibt Gr\u00fcnde feste \u00dcberzeugungen zu hinterfragen\" handfeste Argumente folgen. Laut Kuhn entstehen Paradigmenwechsel auf eine \u00e4hnliche Weise.<\/pre>\n\n\n\n
Ja, o ja, ich finde sowas geil!<\/pre>\n\n\n\n
Denn es gibt ohne Zweifel keine Innovation.<\/pre>\n\n\n\n
Deswegen finde ich es geil.<\/pre>\n\n\n\n
Das hei\u00dft, ich w\u00fcrde es gerne geil finden, wenn man mich denn lie\u00dfe. Und das liegt nicht am Mangel an Gelegenheit, denn selbst die Bro Science, also \u00dcberzeugungen in der Bodybuilding- und Fitnessszene, die darauf beruhen, dass besonders gut trainierte Leute ihre Weisheiten selbstbewusst vertreten (\"tiefe Kniebeugen sch\u00e4digen dein Knie\"), in der L\u00e4uferszene vergleichbar mit \"man soll trinken, bevor der Durst kommt\", kann durch solche Zweifel nur gewinnen. Allerdings erweist sich meistens, dass jemand einem billigen Schema folgt: \u00dcberzeugungen ohne belegte Behauptungen angreifen (\"Ihr macht alles falsch, und wahrlich, ich sage euch...\"), einzig und alleine mit dem Ziel, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ohne Substanz.<\/pre>\n\n\n\n
Welche Erkenntnis k\u00f6nnte ich gewinnen, wenn ich mir sowas zuf\u00fchre?<\/pre>\n\n\n\n
Fazit<\/em><\/pre>\n\n\n\n
Was will ich eigentlich? Erwarte ich von jedem YouTuber, jedem Blogger, allen, die in sozialen Medien werben und allen Onlinepublikationen eine strenge, unwiderlegbare Vorgehensweise? Habe ich denn gar kein Verst\u00e4ndnis f\u00fcr die Zeitschriften, deren Online-Ausgaben irgendwie Geld verdienen m\u00fcssen? Nein, habe ich nicht. Es ist euer Gesch\u00e4ft, mithin euer Problem. Wenn ihr mit Clickbaits arbeitet, verliert ihr einen - nur einen - Benutzer: Mich.<\/pre>\n\n\n\n
Ein Blogger, um mal ein Beispiel zu nennen, braucht keine wissenschaftlich fundierte Abhandlung zu schreiben, und ich bin wahrlich nicht in der Position, so eine Forderung aufzustellen (ich kenne schlie\u00dflich meine Artikel und wei\u00df, wie sie zustande kommen). Ich mag auch einfach zu lesende Texte. Texte, die mich unterhalten, zum Denken anregen, mich am\u00fcsieren oder einfach nur vor sich hinpl\u00e4tschern. Videos, die mich entspannen, weil sie gut gemacht sind.<\/pre>\n\n\n\n
Aber, und das ist ein dickes, gro\u00dfes ABER: Ich will ein Minimum an Sorgfalt erkennen. Halbwegs passable Argumentation. Seriosit\u00e4t statt Clickbaits. Standfeste Behauptungen. Bescheidenheit. Wovor haben die Leute Angst, wenn sie die M\u00f6glichkeit ihrer  Fehlbarkeit einr\u00e4umen? Ich vermag jemanden, der das tut, eher ernst nehmen, als den, der die Weisheit angeblich mit L\u00f6ffeln gefressen hat.<\/pre>\n\n\n\n
Warum schrieb ich am Anfang \"fast\"?<\/em><\/pre>\n\n\n\n
Erstens, weil das \"nicht\" wieder so ein \"alle\"-Ding ist. Ich habe wirklich \u00fcberlegt, ob ich denn \u00fcberhaupt gar keine Artikel lese, kein Video sehe, das einen der Fehler hat, die ich hier anprangere. Ich kann's nicht ausschlie\u00dfen. Es gibt auch Leute von denen ich wei\u00df, dass sie Substanz liefern - trotz peinlicher \u00dcberschriften.<\/pre>\n\n\n\n
Und manchmal, ganz selten, am\u00fcsiere ich mich boshafter Weise auf Kosten der Produzenten. Siehe der Typ, der die gesamte Wissenschaft widerlegt zu haben behauptet. Denn zwischen \"Aufmerksamkeit erregen\" und \"peinlicher Selbstdemontage\" liegt ein sehr breiter Grat. Manche schaffen es trotzdem, auf der falschen Seite herunterzupurzeln.<\/pre>\n\n\n\n
Slapstick lebt!<\/pre>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Ich h\u00e4tte auch einen anderen Titel w\u00e4hlen k\u00f6nnen, etwa „Zehn Gr\u00fcnde, diesen Artikel nicht zu lesen“, wobei zw\u00f6lf, sieben, oder drei\u00dfig Gr\u00fcnde ebenso gut gewesen w\u00e4ren. Mein Arbeitstitel war \u00fcbrigens „Warum ich Artikel wie diesen (fast) nicht mehr lese“, und schon sind wir beim Thema, weil ich an mir eine zunehmende Unlust zum Konsum (!) … \u201eWarum du diesen Artikel nicht lesen solltest\u201c<\/span> weiterlesen<\/a><\/p>\n","protected":false},"author":22,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[374,372,6,373,67],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3792"}],"collection":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/22"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3792"}],"version-history":[{"count":12,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3792\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":3815,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3792\/revisions\/3815"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3792"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3792"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3792"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}