{"id":3585,"date":"2018-09-05T15:30:40","date_gmt":"2018-09-05T13:30:40","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=3585"},"modified":"2018-09-07T14:02:20","modified_gmt":"2018-09-07T12:02:20","slug":"ist-kokos-kacke","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/ist-kokos-kacke\/","title":{"rendered":"Ist Kokos Kacke?"},"content":{"rendered":"

Erster Akt, worin wir lernen, dass Kokos\u00f6l klasse ist.<\/em>
\nKokos\u00f6l dr\u00e4ngte sich in mein Bewusstsein, als ich des \u00d6fteren \u00fcber seine – angeblich – segensreiche Wirkung las. Zuvor kannte ich es als spermafarbigen Block, von dem man zum Braten St\u00fccke abbrach oder abschabte, und vor mehreren Jahren berichtete mir ein L\u00e4ufling w\u00e4hrend eines 24-Stundenlaufes, dass er es einerseits als Nahrung auf langen Strecken sch\u00e4tzte, andererseits zum Einreiben der beim Laufen von besonders beanspruchten Stellen. L\u00e4uflinge wissen, wovon ich rede, Nichtl\u00e4uflinge m\u00f6gen ihre Phantasie bem\u00fchen. Besagter Mensch betonte \u00fcbrigens ausdr\u00fccklich, er w\u00fcrde f\u00fcr jeden der beiden genannten Zwecke einen eigenen Topf verwenden.<\/p>\n

Gesund soll es sein, soviel merkte ich mir im Bewusstsein, dass ich keine klare Vorstellung davon habe, was gesund <\/em>bei einem Nahrungsmittel bedeutet. Analog w\u00fcsste ich auch nicht zu sagen, was ich mir unter ungesund<\/em> vorstelle, ohne auf Aspekte wie die zugef\u00fchrten Mengen einzugehen, dennschlie\u00dflich ist es die Dosis, die \u00fcber gesund oder ungesund entscheidet. Und Gift ist zweifellos nicht gesund.<\/p>\n

Ich komme mit Worten wie bek\u00f6mmlich <\/em>oder gesundheitsf\u00f6rdernd <\/em>besser zurecht als mit dem laut hinausposaunten Anspruch, etwas sei gesund<\/em>. Mir tut das Lebensmittel immer leid, wenn es so unter Druck gesetzt wird. Das arme Ding muss doch glauben, wir machten es, und nur es alleine, f\u00fcr unser Gedeih und Verderb verantwortlich.<\/p>\n

Sei’s drum, bei allem inhaltsleeren Marketinggeschrei (ist das nicht ein Pleonasmus?) blieb der Tipp bei mir haften, Kokos\u00f6l ins Nahrungsportfolio aufzunehmen.<\/p>\n

Zweiter Akt, in dem eine Dame Aufmerksamkeit begehrt<\/em>
\nEs scheint mir ein h\u00e4ufiges Muster zu sein, dass weit verbreitete Ansichten wie jene, Kokos\u00f6l sei sicher, zum Hinterfragen einladen.
\nDie Ansicht, dass es mit einer solchen Gegenthese einfacher ist, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, als wenn man besonders laut mit den W\u00f6lfen heult, hat eine Dame auf den Gedanken gebracht, in einem Video den Standpunkt zu vertreten, Kokos\u00f6l sei Gift.<\/p>\n

Ach, das Video.<\/p>\n

Ich habe nach einer knappen Viertelstunde aufgeh\u00f6rt, es anzusehen. F\u00fcr die Art der Darbietung, vor allem aber den Inhalt war mir meine Zeit zu schade.
\nFreilich kann ich zwischen Form und Inhalt unterscheiden, und nicht jeder, der etwas zu sagen hat, muss rednerisch gut r\u00fcberkommen. Deswegen dachte ich mir anfangs noch: Gut reden kann sie nicht, aber vielleicht lohnt das, was <\/em>sie sagt, dar\u00fcber hinwegzugehen, wie <\/em>sie es tut. Meine Entscheidung stand sehr schnell fest: Es lohnt nicht.<\/p>\n

Kokosfett, so die Vortragende, ist <\/em>Gift, so schlimm wie Schweinefleisch.<\/p>\n

Es waren starke Behauptungen, die sie in der Einleitung aufstellte. Sie blieben leider alleine und ohne jegliche St\u00fctze auf der B\u00fchne stehen, ohne dass auf eine sp\u00e4tere Begr\u00fcndung verwiesen wurde. Ohne den Hinweis, es handele sich um eine Polemik, mit der aufger\u00fcttelt werden soll. Nein, nichts dergleichen, ganz im Gegenteil fuhr die Dame in ihrem emotionalen Stil fort und erweckte nicht den Anschein, das w\u00fcrde sich im weiteren Verlauf des Vortrags \u00e4ndern.<\/p>\n

Warum habe ich das Video nicht weiter angeschaut? Ich tat dies deshalb nicht, weil sich der Eindruck, den ich in den ersten paar S\u00e4tzen gewonnen hatte, mit zunehmendem Anh\u00f6ren festigte: Die Frau will Aufmerksamkeit, die sie mit plakativen Aussagen zu erreichen sucht.<\/p>\n

Intermezzo: \u00dcber Argumentation und H\u00e4rtegrade von Fetten<\/em>
\nEs ist mir wichtig, auf einen Aspekt in Bezug auf die Vortragende hinzuweisen: Wir sprechen von einer Hochschulprofessorin. Eigentlich ist es egal, wer <\/em>etwas sagt, wie <\/em>es gesagt wird, macht unter Umst\u00e4nden das Dabeibleiben und Verstehen leichter. Was wird (siehe oben) gesagt, das ist das alles entscheidende Kriterium. Was hei\u00dft schlicht: Welche Belege, welche Argumente verwendet man und ist die Argumentation schl\u00fcssig.
\nAuf diesem Weg kommt das „Wer<\/em>?“ dann doch wieder ins Spiel, weil der Anspruch an eine Professorin gerade dann besonders hoch ist, wenn sie in ihrer Vorstellung auf eben jenen Beruf verweist. anders formuliert: Wenn sie mit ihrem akademischen Grad auf dicke Hose macht – oder das weibliche Pendant dazu, wie auch immer das aussehen mag, erhebt damit den Anspruch an sich selbst, „professoral“ zu argumentieren.
\nAuch Inhaltlich will ich differenzieren, denn einer forschenden, hauptamtlichen Juristin oder Ingenieurin wird man bei Ern\u00e4hrungsfragen vermutlich mehr nachsehen, als einer Biologin oder Medizinerin. Befasst sie sich dagegen als G\u00e4rtnerin, Psychologin oder Schmiedin hobbym\u00e4\u00dfig mit der Forschung sieht es wiederum anders aus – der Anspruch an die fachliche Qualit\u00e4t der Argumente steigt.<\/p>\n

Dar\u00fcber hinaus spielt nat\u00fcrlich das Zielpublikum – f\u00fcr wen<\/em>? -eine Rolle, denn einen wissenschaftlichen Vortrag zu Ern\u00e4hrungsfragen w\u00fcrde zumindest ich nicht kapieren.
\nGeh\u00e4rtete, ungeh\u00e4rtete oder vollkommen verweichlichte Fetts\u00e4uren m\u00f6gen gesund oder ungesund sein oder sich als F\u00fcllstoff neutral verhalten, das ist zweifellos wichtig zu wissen. Ich w\u00e4re zufrieden, wenn das, was im Vortrag dargeboten wird, f\u00fcr mich als Laien plausibel ist, ohne fachliche Fehler aufzuweisen. \u00dcber letztere zu entscheiden, steht dem Fachmann an.<\/p>\n

Kurzum: Ich vermag mir keine Meinung zum Inhalt der Auseinandersetzung zu bilden, wohl aber zu der Art wie sie gef\u00fchrt wird.<\/p>\n

Dritter Akt, in welchem wir einen schei\u00df Shitstorm erleben<\/em>
\nWie der Widerhall des Vortrages zeigte, war er zumindest insofern erfolgreich, als der Rednerin die gew\u00fcnschte Aufmerksamkeit in Form eines Shitstorms zuteil wurde. Genau hier setzt mein Unverst\u00e4ndnis an, weil ich mitbekam, dass mancherorts gefordert wurde, sie m\u00f6ge „widerrufen“.<\/p>\n

Bitte?<\/p>\n

Widerrufen?<\/p>\n

Was denn genau? Ihre Meinung vielleicht?<\/p>\n

Wie soll man eine Meinung widerrufen? Entweder hat man sie, dann w\u00e4re es schlicht gelogen, zu sagen man h\u00e4tte eine andere. Wollen wir das? Wollen wir wirklich, dass sich die Dame hinstellt und sagt „Ach, ich meine jetzt anders.“ Ich hoffe nicht.
\nSollte sie ihre Meinung \u00e4ndern, ist das im wahrsten Sinne des Wortes etwas anderes. So aber hat sie ihre Meinung, die sie bekanntlich frei \u00e4u\u00dfern darf.
\nAnscheinend findet sie, Kokos\u00f6l sei giftig, weil sie aufgrund ihrer Besch\u00e4ftigung mit dem Thema zu diesem Ergebnis kam. Ich nehme an, es gibt eine fundierte Definition dessen, was wir unter einem Gift verstehen sollen, und sie hat gepr\u00fcft, ob Kokos\u00f6l die Kriterien daf\u00fcr erf\u00fcllt. Wie es scheint, jedenfalls erweckt der erste Teil des Vortrags diesen Eindruck, liegt Kokos\u00f6l auf demselben Niveau wie Schweinefleisch. Also lassen sich alle drei Behauptungen (1. Kokos\u00f6l ist giftig, 2. Schweinefleich ist giftig, 3. beide Substanzen sind gleich giftig), begr\u00fcnden, und diese Gr\u00fcnde zu liefern, ist sie nat\u00fcrlich verpflichtet.<\/p>\n

Also nochmal die Frage: Was genau soll sie widerrufen?<\/p>\n

Widerruf ist meiner Meinung (!) nach das falsche Wort, weil Ergebnisse von Messungen und Experimenten (oder wie auch immer es zur ge\u00e4u\u00dferten Einsch\u00e4tzung kam) sich nicht aus der Welt schaffen lassen, indem man sie leugnet. Man kann die Art und Weise kritisieren, wie sie zustandekamen, ihre Bedeutung anzweifeln und so weiter – das nennt sich dann wissenschaftliche Auseinandersetzung.<\/p>\n

F\u00fcr meine Begriffe geht der Shitstorm v\u00f6llig am Thema vorbei, wenn er sich an der ge\u00e4u\u00dferten Meinung st\u00f6\u00dft. Von mir aus mag sich jemand darin sonnen, eine abweichende Auffassung zu vertreten. Gegen den Strom zu schwimmen. Jenseits des Mainstream. Das ist ein nicht nur oft vorkommendes, sondern sicher auch notwendiges Regulativ, denn wie sollte sich eine Gesellschaft sonst weiterentwickeln? Um vom Paradigmenwechsel zu sprechen, ist mir das Thema allerdings zu klein, da wird mir der Wissenschaftstheoretiker sicher zustimmen.<\/p>\n

Also, gerade in einer Zeit, in der sich der Bauch \u00fcber die Tastatur schneller \u00e4u\u00dfert als der Kopf, nochmal im Klartext: Wenn jemand bei einem doch halbwegs sachlichen Thema eine andere Ansicht vertritt als die Mehrheit, gilt es, sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen. Meinetwegen kann, sollte vielleicht sogar hinterfragt werden, was diejenige m\u00f6glicherweise jenseits von empirischer Forschung zu ihrer Ansicht gebracht haben mag. Eine Unterstellung wie „die wird von der Lebensmittelindustrie bezahlt“ muss so lange f\u00fcr inhaltsleer, bis sie sich belegen l\u00e4sst.<\/p>\n

Man kann aber – nein, man muss! – die Begr\u00fcndungen einfordern, die eine massive Aussage wie „Kokos\u00f6l ist Gift“ st\u00fctzen.<\/p>\n

Statt also die andere Ansicht vehement zu verdammen, h\u00e4tte die Professorin aus Freiburg gen\u00f6tigt werden m\u00fcssen, sich in einem Dialog mit Gegenargumenten auseinanderzusetzen.<\/p>\n

Schlussakkord<\/em>
\nIn diesem Punkt hat sowohl besagte Rednerin, als auch die interessierte \u00d6ffentlichkeit, soweit ich es bislang mitbekommen habe, auf ganzer Linie versagt.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Ach, Kokos\u00f6l. Lange Zeit als gutes Nachrungsmittel angepriesen, machte vor Kurzem eine Dame dadurch auf sich aufmerksam, dass sie Kokos\u00f6l als Gift bezeichnete. Prompt folgte der zu erwartende Shitstorm. Von gesunder Ern\u00e4hrung habe ich nicht genug Ahnung, um mich fundiert zu \u00e4u\u00dfern, ich will mich stattdessen mit der Art auseinandersetzen, wie diese Auseinandersetzung gef\u00fchrt wird. Denn die st\u00f6rt mich.<\/p>\n","protected":false},"author":22,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[348,349],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3585"}],"collection":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/22"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3585"}],"version-history":[{"count":13,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3585\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":3599,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3585\/revisions\/3599"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3585"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3585"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3585"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}