{"id":3484,"date":"2018-01-08T23:36:21","date_gmt":"2018-01-08T21:36:21","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=3484"},"modified":"2018-01-08T23:36:21","modified_gmt":"2018-01-08T21:36:21","slug":"ich-brauche-es-nicht-mehr","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/ich-brauche-es-nicht-mehr\/","title":{"rendered":"Ich brauche es nicht (mehr)."},"content":{"rendered":"

Es gibt ja Leute, die behaupten, Morgenstund‘ habe Gold im Mund. Als ausgepr\u00e4gter Morgenmuffel kann ich das nur insofern best\u00e4tigen, als ich mit diesem vollen Mund lieber schweige als zu reden.
\nDummerweise h\u00e4lt sich bei langen L\u00e4ufen die Unsitte, um sechs Uhr fr\u00fch (oder noch fr\u00fcher) zu starten.<\/p>\n

Ich m\u00f6chte die Zeit nochmals betonen, damit alle die Tragweite (oder auch Tragik?) dieser Uhrzeit, die eigentlich eine Unzeit ist, wirklich zur G\u00e4nze erfassen.<\/p>\n

Sechs Uhr. <\/p>\n

In Worten: sechs.<\/p>\n

Uhr.<\/p>\n

Am Morgen.<\/p>\n

Sechs Uhr, das ist mal locker zwei Stunden vor dem Aufstehen, und vier vor dem Aufwachen. Ihr lest schon richtig: das Aufstehen liegt bei mir vor dem Eintreten des Wachzustands.<\/p>\n

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle etwas weiter ausholen, denn obzwar ich mich mit den obigen S\u00e4tzen als Morgenmuffel pr\u00e4sentiert habe, scheint mir eine ausf\u00fchrliche Darstellung des t\u00e4glichen Wachtumsprozesses (Wachtum, nicht WachStum!) geboten.
\nAufstehen, wollen manche Menschen wissen, sei wie ein kleiner Tod. Ich erlaube mir, dieser Auffassung zu widersprechen. Eine einfache \u00dcberlegung brachte mich zu einer anderen Sichtweise, denn selbst wenn es sich anf\u00fchlen mag, als w\u00fcrde man dem Lebensgl\u00fcck des Schlafes entrissen, so zeigt mir die nachfolgende Phase meines Daseins weitreichende Parallelen zur Geburt.<\/p>\n

Wie komme ich dazu?<\/p>\n

Nun, zun\u00e4chst tauche ich aus einer unbewussten Existenz in ein, ich nenne es halb-bewusstes Dasein auf, in dem ich eine Welt um mich herum wahrnehme. Etwas sp\u00e4ter werde ich mir meiner Selbst bewusst, \u00f6ffne zun\u00e4chst ein Auge halb, wobei ich bem\u00fcht bin, Sinneseindr\u00fccke nur sehr dosiert in mich hineinzulassen, damit die Verarbeitung nicht \u00fcberlastet wird. Schlie\u00dflich muss mein Hirn sich erst daran gew\u00f6hnen, dass diese Umwelt \u00fcber f\u00fcnf Sinne Informationen auf es losl\u00e4sst.<\/p>\n

Ich mache die ersten, anfangs noch tapsigen Schritte und freue mich \u00fcber meinen ersten selbstst\u00e4ndigen und unfallfreien Toilettengang.
\nKurze Zeit sp\u00e4ter kann ich schon mit Grunzlauten und sparsamen Gesten kommunizieren. Eine Form der Interaktion mit anderen Menschen, die sich im weiteren Verlauf zu Ein- und Mehrworts\u00e4tzen steigert, bis ich ein, zwei Stunden sp\u00e4ter als der ausgewachsene Mensch durchs Leben schreite, als der ich tags zuvor ins Bett gegangen bin.<\/p>\n

\u00dcbrigens vermag ich dem Ausspruch, wonach Morgenstund‘ Gold im Mund habe, nur insofern zuzustimmen, als „man“ mit vollem Munde bekanntlich nicht sprechen soll. Ein Gebot, an das ich mich halte (ich kann eh‘ nicht anders). <\/p>\n

Kurzum: fr\u00fches Aufstehen, besonders zu niedrigen einstelligen Uhrzeiten, ist f\u00fcr mich eine extreme Herausforderung. Dementsprechend muss ich besonders motiviert sein, um mich einer solchen zu stellen. Ein Ultramarathon, wie zum Beispiel der 100er am Leipziger Auensee, kann das liefern. Vielmehr: er konnte, denn fr\u00fcher, zu meinen Ultra-Anf\u00e4ngen, habe ich den n\u00e4chtlichen Tagesbeginn klaglos hin- und in Kauf genommen.<\/p>\n

Das tat ich allerdings nicht, ohne meine Schlafmenge zu optimieren, indem ich zu psychisch und zeitlich wirksamen Ma\u00dfnahmen griff.
\nMachen wir uns nichts vor: zwischen 4:59 und 5:00 Uhr liegt nicht nur eine Minute. Dazwischen sind Welten! Noch deutlicher wird der Kontrast, wenn der Wecker um 5:01 Uhr zu piepsen beginnt, denn das ist schon nach<\/em> F\u00fcnf!<\/p>\n

Zudem galt – und gilt! – es, ab dem Start r\u00fcckw\u00e4rts zu rechnen, und dabei jede Handlung auf ihren Zeitbedarf und die Notwendigkeit ihrer Ausf\u00fchrung zu pr\u00fcfen. Muss ich vor dem Start wirklich Z\u00e4hne putzen? Hierbei stehen drei Minuten zur Disposition, die ich nicht gedankenlos aufs Spiel setzen m\u00f6chte. Stinken werde ich sowieso…
\nDass ich meine Klamotten am Vorabend richte, versteht sich nicht nur des zeitlichen Aufwands halber von selbst, nein, auch kognitiv habe ich zu fr\u00fcher Stunde in etwa die F\u00e4higkeiten von 250 Gramm Gouda. Mittelalt. Ich muss schon froh sein, wenn die Zahl der getragenen Socken mit der Anzahl meiner F\u00fc\u00dfe \u00fcbereinstimmt. Also Kleidung abends herrichten, Schuhe mit den Spitzen in Gehrichtung.<\/p>\n

Fr\u00fchst\u00fcck? Der Lauf ist lang genug, und unterwegs gibt’s was zu futtern. Also reicht mir eine Banane, die ich mir auf dem Weg zu Start geschwind in den Mund dr\u00fccke.<\/p>\n

Wenn ich am Beispiel von Leipzig bleibe, so befindet sich der Campingplatz, auf dem ich zu residieren pflegte, etwa zehn Gehminuten vom Start entfernt. Mit zehn Minuten Vorbereitung und f\u00fcnf Minuten Puffer, die ich mir m\u00fchsam abgerungen habe, hatte ich den Wecker auf 5:35 Uhr stehen – 5:36 Uhr vielmehr, um eine weitere Minute herauszuschinden. <\/p>\n

Und war immer p\u00fcnktlich am Start, meistens sogar zu fr\u00fch.<\/p>\n

Bisweilen hatte ich die Rechnung aber ohne den Wirt in Form von Mitl\u00e4ufern gemacht. Sei es, dass einer glaubte, er m\u00fcsse unbedingt um halb f\u00fcnf aufstehen. Wozu, frage ich mich noch heute. Will er eine Stunde Zeitung lesen? Auf dem Klo vielleicht? Wo die Lauferei doch bekanntlich die Peristaltik anregt, und ein ganzer Tag Zeit ist, sich dem menschlichen R\u00fchren hinzugeben. Wohlgemerkt, ich rede von normalen Menschen wie mir selbst, nicht von Leuten, die 100 km unter 9 Stunden (oder noch schneller) abrennen.<\/p>\n

Also weniger Schlaf, gefolgt von einer Stunde D\u00f6sen.<\/p>\n

Weiter verringert wurde die Schlafdauer bei zwei \u00dcbernachtungen im Massenlager. Eigentlich mag ich das, ich empfinde es als hochgem\u00fctliche Angelegenheit, w\u00e4ren da nicht zwei Begleiterscheinungen: die Sp\u00e4tankommer, und die Fr\u00fchaufsteher (siehe oben).
\nDie einen treffen nach langer Anfahrt aufgedrecht und demzufolge fr\u00f6hlich plaudernd um zwei Uhr nachts ein, w\u00e4hrend sich die andere Gruppe zwei Stunden sp\u00e4ter zur pervertierten Erhebung anschickt. Und wenn man schon wach ist (wach? habe ich wach <\/em>getippt?), l\u00e4sst man doch gerne das Licht brennen und begr\u00fc\u00dft den Tag mit fr\u00f6hlichem Geplauder. <\/p>\n

Habe ich schon erw\u00e4hnt, dass ich es nicht ausstehen kann, wenn man mich in der Aufwachphase aggressiv ankommuniziert? Wom\u00f6glich gar mit offenen Fragen, also solchen, die sich nicht mit „ja“ oder „nein“ beantworten lassen? Naive Menschen erwarten sogar eine Antwort von mir. Eine Erwartung, die alsbald einer realistischen Sichtweise weicht.<\/p>\n

Tja, der fr\u00fche Vogel mag den Wurm fangen, ich stehe sp\u00e4ter auf und vertilge den Vogel, w\u00e4hrend er seinen Verdauungsschlaf h\u00e4lt.<\/p>\n

Auch das Thema „Teilnahme an L\u00e4ufen“ sehe ich differenzierter. Keine Frage: es gibt L\u00e4ufe, auf die ich Bock habe, weshalb ich nachts aufstehe. Leipzig, KUT usw. lohnen sich allemal. Ich muss es aber nicht mehr haben. Und ich halte, wenn ich zum Beispiel eine bestimmte Streckenl\u00e4nge laufen will, nach Veranstaltungen mit humanen Startzeiten Ausschau.
\nDer UTMB startet gegen 18 Uhr abends und geht die Nacht durch: prima!
\nDie 24-Stunden-L\u00e4ufe, die ich kenne, gehen zwischen 10 und 12 Uhr los: wunderbar!<\/p>\n

Alles Zeiten, die meinem Schlafrhythmus entgegenkommen, f\u00e4llt es mir doch leichter, lange wach zu bleiben, als mich aus dem Mutterleib des Schlafes rei\u00dfen zu lassen.<\/p>\n

Und wenn ich die Wahl zwischen zwei \u00e4hnlichen L\u00e4ufen habe, w\u00e4hle ich lieber den, der sp\u00e4ter losgeht.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Manche Leute behaupten, Morgenstund‘ habe Gold im Mund. Als ausgepr\u00e4gter Morgenmuffel kann ich das nur insofern best\u00e4tigen, als ich mit diesem vollen Mund lieber schweige als zu reden.
\nDummerweise h\u00e4lt sich bei langen L\u00e4ufen die Unsitte, um sechs Uhr fr\u00fch (oder noch fr\u00fcher) zu starten. Fr\u00fcher, zu meinen Ultra-Anf\u00e4ngen, habe ich das klaglos hin- und in Kauf genommen.<\/p>\n

Mittlerweile sehe ich das differenzierter.<\/p>\n","protected":false},"author":22,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[331,326,332,333],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3484"}],"collection":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/22"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3484"}],"version-history":[{"count":8,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3484\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":3492,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3484\/revisions\/3492"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3484"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3484"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3484"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}