{"id":3419,"date":"2017-03-26T00:15:03","date_gmt":"2017-03-25T22:15:03","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=3419"},"modified":"2017-03-26T10:44:00","modified_gmt":"2017-03-26T08:44:00","slug":"notkoerper","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/notkoerper\/","title":{"rendered":"Notk\u00f6rper"},"content":{"rendered":"

Beim Fr\u00fchst\u00fcck im Hotel heute morgen lie\u00df ich den Blick \u00fcber meine Mitmenschen wandern. Es handelte sich um die \u00fcbliche Mischung aus Kaum- bis Nichtsportlern, wie sie uns tagt\u00e4glich begegnet. So weit, so bekannt. Neu war allerdings der Begriff, der sich in meinem Kopf formte: Notk\u00f6rper. Ich finde, er bedarf einer n\u00e4heren Betrachtung.<\/p>\n

Notk\u00f6rper <\/em>ist zwar das spontan geformte Wort von heute fr\u00fch, jedoch w\u00fcrde Behelfsk\u00f6rper <\/em>das, was ich sagen will, besser treffen: da kommt der behelfsm\u00e4\u00dfige Charakter, das Improvisierte, dieses „von mir aus, wenn nichts Gescheites verf\u00fcgbar ist, nehme ich halt das Ding<\/em>“ ans Licht. Ich bleibe trotzdem bei Notk\u00f6rper, weil es sich griffiger anh\u00f6rt.<\/p>\n

Worauf will ich hinaus?<\/p>\n

Ein Notk\u00f6rper wirkt, als sei er f\u00fcr den Notfall gemacht – nichts, was ich t\u00e4glich benutzen, und schon gar nicht belasten w\u00fcrde. Wenn ich bei nicht ganz stabilem Wetter l\u00e4nger drau\u00dfen unterwegs bin, habe ich eine Notfall-Regenjacke dabei. Ihr kennt diese Plastikt\u00fctendinger, die es f\u00fcr kleines Geld zu kaufen gibt. Ich w\u00fcrde nicht auf die Idee kommen, bei Regen mit sowas loszuziehen. Nein, daf\u00fcr taugen die Teile nicht. Falls es im unwahrscheinlichen Fall zu Niederschlag und Wind kommt, kann ich sie einmal anziehen, freue mich \u00fcber meine Vorsorglichkeit – und damit hat es sich. Ernsthaft geplante Eins\u00e4tze verlangen nach tauglicher Ausr\u00fcstung.<\/p>\n

Ernsthaft geplante Eins\u00e4tze verlangen also nach einem geeigneten K\u00f6rper? Gemach, dazu komme ich sp\u00e4ter. Zun\u00e4chst bleibe ich bei den Analogien, indem ich ein paar Worte zur Notnahrung verliere. Die muss sich lange halten, nahrhaft sein und dem Esser eine Notlage erleichtern. Von Genuss oder Ausgewogenheit ist nicht die Rede!<\/p>\n

Diese Hilfsmittel f\u00fcr die Not, von denen ich spreche, haben eine armselige Facette, die Mitleid ausl\u00f6st: „Ach der \u00c4rmste wurde vom Regen \u00fcberrascht, zum Gl\u00fcck hatte er die Plastikt\u00fcte im Gep\u00e4ck.<\/em>„. Gleichzeitig d\u00fcrfen wir die Notfallobjekte bedauern, denn wer k\u00fcmmert sich schon gro\u00df um sie. Sie fristen ihr Dasein unbeachtet, ohne die Aufmerksamkeit, die w\u00fcrdigeren Ausr\u00fcstungsgegenst\u00e4nden zuteil wird, bis sie entweder gebraucht, oder weggeworfen werden.<\/p>\n

Wundert mich eine \u00e4u\u00dfere Erscheinung, wie jene, auf die ich heute morgen gesto\u00dfen wurde?<\/p>\n

Es bot sich das fast schon gewohnte Bild eines Mannes – ich sch\u00e4tze ihn auf Mitte drei\u00dfig, dessen Hose am Hinterteil schlichtweg flach war. Die zugeh\u00f6rige Dame sah \u00fcbrigens genauso aus.
\nKein Arsch in der Hose. Kein Wunder, dass die R\u00fcckansicht einen traurigen Arsch pr\u00e4sentierte. Wie soll er denn auch gl\u00fccklich werden, so ohne Bewegung? Ein Arsch freut sich doch, wenn man ihn hochkriegt!<\/p>\n

Immerhin hatten die beiden nicht diese Kastanienm\u00e4nnchen-Statur. Sagt euch nichts? Nun, so sieht es aus, wenn ein kugelrunder Oberk\u00f6rper auf staksigen Hax’n steht. Flamingo Style ist \u00fcbrigens etwas anderes. So nennen die Bros in den Gyms ihre Kollegen die nur ihren Oberk\u00f6rper trainieren. Pumpen, Digga!<\/em> Ob mit dieser Form des halben Trainings zwangsweise rosa Kleidung verbunden ist?
\nDavon abgesehen k\u00f6nnte der Eindruck entstanden sein, ich w\u00fcrde das Aussehen als Trainingsziel anerkennen. Weit gefehlt! \u00c4sthetische Trainingsziele halte ich nach wie vor f\u00fcr schwachsinnig, und im Kontext dieses Artikels mache ich meine Rede sofort angreifbar, wenn ich, wie es bis hierhin erscheinen mag, muskul\u00f6se K\u00f6rper als Ideal hinstelle. Das riecht ja verd\u00e4chtig nach Bodybuilding!
\nIch muss bei der Vorstellung, ich k\u00f6nnte derlei fordern, selber lachen. Das Gegenteil eines Notk\u00f6rpers ist doch nicht der Leib eines Herkules, es ist ein K\u00f6rper, der benutzt wird. Selbstverst\u00e4ndlich sieht man ihm das an!<\/p>\n

Denn wie steht es mit den schnellen Gazellen, die ihren Marathon locker unter zwodrei\u00dfig laufen, und trotzdem keine muskul\u00f6sen K\u00f6rper haben? Die tragen Skinny Jeans und rennen mir trotzdem auf und davon! Ich lasse an dieser Stelle das Thema Muskelfasertypen au\u00dfen vor, obwohl es gut reinpassen w\u00fcrde. Stattdessen erlaube ich mir den deutlichen Hinweis, dass auch diese d\u00fcnnen Sportler sehr sportlich aussehen. Da geht’s nichtmal um die Frage, wie die Hose ausgef\u00fcllt ist, oder darum, dass Ausdauersportler zwar nur selten muskul\u00f6se, jedoch immer trainiert wirkende Oberk\u00f6rper haben. Alleine die K\u00f6rperhaltung l\u00e4sst sehr klar erkennen: dieser K\u00f6rper ist ein gut gepflegtes Instrument! Dieser K\u00f6rper geh\u00f6rt einem Menschen, der seinen K\u00f6rper mag!<\/p>\n

Ich sollte zwei Aspekte ansprechen, die sich aus dem oben Gesagten ergeben.
\nWenn ich – das w\u00e4re „erstens“ – die Plastikt\u00fctenjacke als Beispiel anf\u00fchre, ist automatisch klar, dass es noch eine richtige Jacke geben muss. Dem Besitzer eines Notk\u00f6rpers steht demnach noch ein weiterer K\u00f6rper zur Verf\u00fcgung, einer, der nicht nur im Notfall mit deutlichen Einschr\u00e4nkungen verwendet wird, sondern der eine solide, Basis darstellt: „Ich bin heute mit der alten Karre unterwegs, mein echtes Auto ist in der Inspektion<\/em>„. In alten Zeiten unterschied man zwischen Alltags- und Sonntagskleidung. Mit dem Unterschied zum Notk\u00f6rper allerdings, dass auch die Alltagskleidung nicht diesen erzwungenen, n\u00f6tigen <\/em>Charakter hatte.
\nHalten Notk\u00f6rpermenschen gar einen zweiten Leib auf Vorrat bereit? Einen f\u00fcr besondere Anl\u00e4sse? Und welch Besonderheit sollte sie dazu zwingen, den Ersatzleib einzusetzen? Selbst wenn es so w\u00e4re, w\u00fcrde ich doch fragen, wieso sie nicht immer den guten <\/em>K\u00f6rper nehmen. Das w\u00fcrde ja bedeuten, tagein, tagaus unter der Plastikt\u00fcte zu schwitzen, auf Taschen, Komfort und Robustheit zu verzichten, w\u00e4hrend die teure Outdoor-Superjacke im Kleiderschrank wartet. Worauf nur?<\/p>\n

Zweitens impliziert Notk\u00f6rper nicht nur den Notfall, sondern eben auch, dass er nur in diesem benutzt wird. Notk\u00f6rpertr\u00e4ger nehmen ihren Notk\u00f6rper nur, wenn es nicht anders geht. Diese notd\u00fcrftig funktionierenden Leiber bewegen sich unter Zwang, und nur unter ihm. Ich kann das nachvollziehen, meine Notdurft verrichte ich schlie\u00dflich auch, wenn der Druck hinreichend gro\u00df ist. Wer setzt sich schon aufs Klo, wenn er nicht muss? Der Notk\u00f6rperbesitzer hat anscheinend ein \u00e4hnliches Verh\u00e4ltnis zu Bewegung im weitesten Sinne: Ohne Not, l\u00e4sst er sie bleiben. Wahrscheinlich nimmt er jedwede Form der Bewegung als Notzucht wahr; schlimmer noch als die ehelichen Pflichten.<\/p>\n

Ich will keinesfalls \u00fcber unsportliche Menschen l\u00e4stern. Das macht zwar bisweilen Spa\u00df, ist hier und jetzt aber kein Thema. Wobei ich passenderweise sp\u00e4ter am Tag in einer Zeitung las, dass einer Statistik zufolge etwa die H\u00e4lfte aller EU-B\u00fcrger keinerlei Sport treiben (Quelle: Eurostat, den Link suche ich noch raus). V\u00f6llig ok, wenn jemand keinen Bock auf Bewegung hat, und auf diese Weise mit sich im Reinen ist.<\/p>\n

Nat\u00fcrlich frage ich mich, ob ich Lust h\u00e4tte, bei allt\u00e4glichen Verrichtungen ziemlich nah an meine Grenzen zu gehen. Eine Stunde Fortbewegung per Pedes kratzt Meinesgleichen ebenso wenig, wie mal eben eine Getr\u00e4nkekiste in den zweiten Stock zu tragen. Ich finde es auch bedenklich, wenn ich manche Lauffreunde an der Agilit\u00e4tsleiter sehe. Bewegungslegasthenie in Reinkultur. Oft sind das auch diejenigen, die ausschlie\u00dflich auf flachen Strecken unterwegs sind. Kein Wunder, dass sie gerne mal hinfallen, wenn sie sich im Wald einer Wurzel gegen\u00fcbersehen. Wollte ich meine Gedanken bis hierhin zusammenfassen, w\u00fcrde ich von Defiziten sprechen. Defizite in der Agilit\u00e4t, bei der Kraft, der Ausdauer, der Bewegungsqualit\u00e4t und so fort.<\/p>\n

Manch einer leistet sich einen Leib, der ein einziges Defizit zu sein scheint. So wie eine Notfallregenjacke auch ein sehr defizit\u00e4res Kleidungsst\u00fcck ist, das allerdings in einem sehr begrenzten Anwendungsfall gut funktioniert. Wo ein Notk\u00f6rper seine St\u00e4rke hat, muss mir allerdings erstmal jemand erkl\u00e4ren.<\/p>\n

Gesund ist das Dasein eines Notk\u00f6rpers nicht. Oder doch? Beschreibt Gesundheit einen Prozess oder einen Zustand? Ist Gesundheit nur die Abwesenheit von Krankheit, oder eine F\u00e4higkeit, der ich f\u00fcr dieses Beispiel mit Belastungsreserve <\/em>eine beachtenswerte Facette anhefte?
\nWenn ich mit dem Gesundheitsthema beginne, nimmt meine Argumentation die falsche Richtung. Gesundheit ist f\u00fcr diese Betrachtung nicht relevant.<\/p>\n

Und was ist mit dem ber\u00fchmten Zitat des Gewichthebertrainers Mark Rippetoe? \u201cStrong people are harder to kill than weak people and more useful in general.\u201d<\/em> Starke Menschen lassen sich schwerer umbringen als schwache und sind insgesamt besser zu gebrauchen? Ach was, wer in dieser Aussage nichts weiter erkennt als Utilitarismus, hat ihren Kern nicht verstanden. N\u00fctzlichkeit bedeutet im Zusammenhang mit dem eigenen K\u00f6rper doch in allererster Linie Eigennutz, der, wenn ich mich so weit aus dem Fenster lehnen darf, auf Lebensf\u00e4higkeit zielt. Nicht im Sinne von \u00dcberlebensf\u00e4higkeit, sondern Lebensqualit\u00e4t.<\/p>\n

Damit dr\u00e4ngen Stichworte an die Oberfl\u00e4che, die sich im langen Text verborgen gehalten hatten. Stichworte wie agil und attraktiv sein, springen k\u00f6nnen, aus einem Stuhl aufstehen, nicht hinfallen (wenn doch, verletzungsfrei bleiben), L\u00e4cheln, sich selbst und anderen helfen, …. Die Liste lie\u00dfe sich noch lange fortsetzen.<\/p>\n

Das soll kein Pamphlet sein, das allen Menschen auferlegt, sie m\u00fcssten unbedingt ihren K\u00f6rper benutzen. Ich formuliere kein „Sollen“ im Sinne von „du sollst dich bewegen“.
\nWer mit seinem Notk\u00f6rper zufrieden ist, muss zumindest in dieser Hinsicht als gl\u00fccklicher Mensch gelten. Mir pers\u00f6nlich gefallen – an mir selbst und an anderen – K\u00f6rper besser, f\u00fcr die aus einer kleinen Unbill keine Notlage erw\u00e4chst. Die in meinen Augen kein Mitleid erregen. Ein artgerecht bewegter Arsch ist ein freudiger Hintern.<\/p>\n

F\u00fcr mich.<\/p>\n

Ich fordere nichts.<\/p>\n

Ich beschreibe die Wirkung, die ein Notk\u00f6rper auf mich hat, wenn ich einen sehe.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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