{"id":3305,"date":"2016-06-20T22:19:06","date_gmt":"2016-06-20T20:19:06","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=3305"},"modified":"2016-06-21T21:42:44","modified_gmt":"2016-06-21T19:42:44","slug":"ein-wandertag","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/ein-wandertag\/","title":{"rendered":"Ein Wandertag"},"content":{"rendered":"

Das Wandern ist, wie der Volksmund wei\u00df, des M\u00fcllers Lust. Obzwar ich mir nicht ganz sicher war, dass auch ich als Nichtmitglied dieser ehrw\u00fcrdigen Zunft zum Kosten dieser Lustgef\u00fchle berechtigt sei, beschloss ich, respektlos daran teilzuhaben. Wie ich es schon letztes Jahr getan hatte.<\/p>\n

Damals hatte der Schwarzwaldverein in Straubenhardt – bequemerweise zehn Minuten von meinem Wohnort entfernt gelegen – die 24-Stunden-Wanderung<\/a> zum f\u00fcnften Mal organisiert. Wenn es Menschen gibt, die den Begriff des Wandertages w\u00f6rtlich nehmen, ist mir das von vorne herein sympathisch. Ein Tag im sch\u00f6nen Nordschwarzwald, an frischer Luft und dem Busen der Natur sich labend.<\/p>\n

Mein eigener Zustand gab mir leicht zu denken, im Geiste lief Freitagnachmittag – Start war Freitag abend – eine Checkliste durch:<\/p>\n

F\u00fchle ich mich ausreichend trainiert?<\/em> Nein.<\/p>\n

Ist meine Wade, die ich mir vor vier Wochen verletzt hatte, wieder 100% fit?<\/em> Keine Ahnung.<\/p>\n

Wie geht’s mir?<\/em> Hundem\u00fcde. Verspannungskopfschmerzen.<\/p>\n

Habe ich Bock?<\/em> P\u00f6\u00f6\u00f6\u00f6h…ich will mich hinlegen, d\u00f6sen, pennen, herumh\u00e4ngen.<\/p>\n

Klare Sache also: ich packe meine Sachen, gehe an den Start und wandere in einer netten Gruppe. Zeit genug ist ja, 24 Stunden f\u00fcr 80 Kilometer sind wahrlich ausreichend. Sollte das Wadelchen meckern, kann ich immer noch auf eine k\u00fcrzere Strecke ausweichen, oder halt abbrechen. Au\u00dferdem kenne ich den oben geschilderten Zustand meines Gem\u00fcts: meistens kommt der Appetit beim Essen.<\/p>\n

So kam es dann auch.<\/p>\n

Nicht nur beim Essen, wobei die Verpflegung eine gesonderte Erw\u00e4hnung an dieser Stelle verdient. W\u00e4hrend meine letztj\u00e4hrigen Mitstreiter und ich im Vorjahr das halbe Sortiment eines Nahrungsmittelgro\u00dfmarktes bis ins Ziel mitgeschleift hatten – gebraucht haben wir nichts – begn\u00fcgte ich mich dieses Mal mit einem Beutelchen Rosinen f\u00fcr den Kohlehydratkick zwischendurch. Das kulinarische Erlebnis erfuhr seine Kr\u00f6nung bei der letzten Station, wo mir von einer holden, blondgelockte Maid nicht nur ein Kaffee vers\u00fc\u00dft und umger\u00fchrt, sondern auch noch ein Br\u00f6tchen mit k\u00f6stlichem Aufstrich handbestrichen wurde.<\/p>\n

Wandern wie Gott in Frankreich oder so \u00e4hnlich.<\/p>\n

Da ich mir selbst gerade ein religi\u00f6ses Spielfeld umz\u00e4unt habe, darf ein Paradies nicht fehlen. So munter, wie meine Schritte mich durch die Nacht getragen hatten, werde ich nicht m\u00fcde, die Sch\u00f6nheit der Landschaft und der Wege zu preisen. Dass bei solch eifrigem Gepreise ganz profane Marktmechanismen greifen, sollte klar sein. Die Folge: Abwertung, durch die ein jedes Kleinod das Schicksal cornischer Fischerd\u00f6rfer ereilt. Das erste wird mit offenem Mund bestaunt, beim zweiten anerkennend genickt, bis sich eine \u00e4sthetische S\u00e4ttigung einstellt. Kurzum: ich kann mich nicht an alles erinnern, geschweige denn, alle Namen nennen. Im Ged\u00e4chtnis blieb mir das – ich greife den oben gespannten Themenbogen auf – g\u00f6ttliche Monbachtal, und die Stadt Calw.<\/p>\n

Calw, Stadt Hermann Hesses und des Fachwerks, idyllisch in einem Tal gelegen, durchquerten wir um die Mittagszeit bei W\u00e4rme und Sonnenschein. Obst- und Gem\u00fcseh\u00e4ndler boten ihre Waren auf dem Markt feil, w\u00e4hrend die Stra\u00dfencaf\u00e9s der Fu\u00dfg\u00e4ngerzone von knapp betuchten B\u00fcrgern gut besucht waren.<\/p>\n

Sch\u00f6n.<\/p>\n

H\u00e4tte es sein k\u00f6nnen.<\/p>\n

W\u00fcrde sich Calw nicht durch einen skandal\u00f6sen Mangel an Grundnahrungsmitteln auszeichnen. Auszeichnen? Welches Wort ist das Gegenteil einer Auszeichnung? Alles h\u00e4tte ich erwerben k\u00f6nnen: Schuhe, Socken, Backwerk, Spargel (igitt!), T-Shirts, Schmuck, eine neue Brille, ein Haus – sogar Sonnencreme und Babypuder.<\/p>\n

Alles.<\/p>\n

Beinahe alles.<\/p>\n

Nur kein Eis.<\/p>\n

Ein untragbarer Mangel, dem die Stadt dringend abhelfen muss, denn es war warm genug f\u00fcr Eis. Wer mich kennt, der wei\u00df, dass die Aussage f\u00fcr jedes Wetter gilt – und jedes <\/em>Wetter hatten wir in der letzten Zeit gehabt, manchmal sogar an einem einzigen Tag.<\/p>\n

Angesichts dieser abwechslungsreichen Witterung bestand der Gro\u00dfteil des Gep\u00e4cks aus Klamotten. Freitag hatten wir noch ein kr\u00e4ftiges Gewitter. Es versprach also spannend zu werden. F\u00fcr Temperaturen zwischen knapp \u00fcber Null und um drei\u00dfig Grad, sowie N\u00e4sse zwischen furztrocken und U-Boot ger\u00fcstet, war ich hochbegl\u00fcckt \u00fcber das perfekte Wetter. \u00dcber ein paar Minuten Getr\u00f6pfel brauche ich mich nicht auslassen, lieber schw\u00e4rme ich: Nachts hatte es sch\u00e4tzungsweise zw\u00f6lf Grad, Samstag wurde es manchmal f\u00fcr kurze Zeit warm, jedoch kam zu meiner gro\u00dfen Freude immer wieder etwas Wind oder ein W\u00f6lkchen. Besser h\u00e4tte es nicht passen k\u00f6nnen!<\/p>\n

F\u00fcr mich selbst gab es einen erfreulichen Nebeneffekt: ich darf mir neue Wanderschuhe kaufen. Nachdem ich auf F\u00fc\u00dfen hobbitartiger Form umhergehe, bin ich auf Schuhe mit breitem Leisten angewiesen. Den meine jetzigen Schuhe nicht haben. Auf kurzen Strecken f\u00e4llt das kaum auf, geht es indes \u00fcber zwanzig, drei\u00dfig Kilometer hinaus, teilen meine Zehen mir mit dezenter Blasenbildung, vor allem aber Druckschmerz deutlich mit, dass sie mehr Lebensraum begehren.
\nBevor jemand fragt: ja, das war letztes Jahr auch schon so.
\nIch hatte es halt vergessen.<\/p>\n

Dieses Jahr zeigte ich mentale St\u00e4rke, indem ich mir die letzten zehn Kilometer (sonst w\u00e4ren es rund 90 geworden) schenkte. Meine Gedanken davor hatten den Charakter von einerseits <\/em>und andererseits<\/em>.<\/p>\n

Einerseits <\/em>tut besonders der rechte Fu\u00df weh.<\/p>\n

Andererseits <\/em>sind’s nur 10 km, kein Ding.<\/p>\n

Einerseits <\/em>w\u00e4re die Wanderung unvollst\u00e4ndig, ein bisschen Weh ist wahrlich kein Grund f\u00fcr Weicheierei.<\/p>\n

Andererseits <\/em>geht’s um nichts. Nur um Spa\u00df, und den hatte ich reichlich. Beweisen muss ich mir nix.<\/p>\n

Einerseits <\/em>ist es „Aufh\u00f6ren“.<\/p>\n

Andererseits <\/em>eine Art Vernunft.<\/p>\n

Mit dem Gedanken an 80 km bin ich sowieso schon bei „Mission Accomplished“.<\/p>\n

Was soll’s also. Ich zeigte mentale St\u00e4rke, Wohlwollen mit meinen Hax’n und lie\u00df mich den Rest der Strecke zum Ziel fahren, woselbst ich mit anderem Schuhwerk Luft an die F\u00fc\u00dfe lie\u00df. Wie ich so flippte und floppte, bot sich meinem Auge mit knallroten Zehenkuppen (hei\u00dft man das bei Zehen auch so?) ein gar bunter Anblick.
\nJetzt bin ich alter Gearfreak, der so gerne das Internet nach Klamotten, Ausr\u00fcstungskrempel und Schuhen (nein, ich schreie meinen Paketboten nicht an!) durchforstet, seit langem wieder in der gl\u00fccklichen Lage, etwas zu brauchen<\/em>. Also nicht kaufen, weil ich Lust habe oder von Features angefixt bin, sondern: es fehlt mir etwas. <\/p>\n

Wanderschuhe.<\/p>\n

Mit breitem Leisten!<\/p>\n

Von den k\u00f6rperlichen Unbilden und ihrer L\u00f6sung m\u00f6chte ich deine, lieber Leser, Aufmerksamkeit auf eine andere Form der K\u00f6rperlichkeit lenken, die ihren Ursprung in einer zarten Bl\u00fcte nimmt, bevor sie eine Dimension anzunehmen sich anschickt, die den k\u00f6rperlichen Rahmen zeitlich-r\u00e4umlich in jeder Hinsicht sprengt. <\/p>\n

In der Tat, ich rede davon, dass Veranstaltungen dieser Art stets auch Orte zwischenmenschlicher Begegnung sind. Es ist genug Zeit, sich zu unterhalten, sympathisch zu finden, n\u00e4her zu kommen. Viele langj\u00e4hrige Freundschaften entstanden durch, mit, und vielleicht wegen Ausdauerleistungen. So weit, so bekannt.<\/p>\n

Eher selten sind dagegen echte Paarungen wie jene, die sich in diesem Jahr zum ersten Male j\u00e4hrt. Anno 2015 litt eine Teilnehmerin sichtbar genug, dass ein ritterlicher Held zun\u00e4chst ihr Gep\u00e4ck, und in der Folge sie selbst auf H\u00e4nden trug ***. Das war kurze Zeit nach der Veranstaltung. B\u00f6se Zungen werden jetzt behaupten, dass es in der guten alten Zeit ausreichte, ein Taschentuch zwecks Erregung von Aufmerksamkeit grazil zu Boden sinken zu lassen, wogegen es heutzutage weit schwererer Gesch\u00fctze bedarf. Doch was sind schon ein paar Kilogramm verglichen mit der Kraft schwarzwaldiger Romantik?<\/p>\n

Ich wei\u00df nicht, was der n\u00f6rdliche Schwarzwald ausatmet, mich deucht indes, seine Miasmen seien gar romantischer Natur.<\/p>\n

*** bevor die Ger\u00fcchtek\u00fcche brodelt: ich bin blo\u00df der Chronist, an der Paarung unbeteiligt.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Das Wandern ist, wie der Volksmund wei\u00df, des M\u00fcllers Lust. Ohne jeglichen Respekt vor etwaigen Sch\u00fcrfrechten dieser Berufsgruppe entschloss ich mich, an der 24-Stunden Wanderung im nahen Straubenhardt teilzuhaben. F\u00fcrwahr, ein guter Entschluss!<\/p>\n","protected":false},"author":22,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[305,308,307,306],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3305"}],"collection":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/22"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3305"}],"version-history":[{"count":12,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3305\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":3318,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3305\/revisions\/3318"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3305"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3305"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3305"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}