Fr\u00fcher oder sp\u00e4ter wird ein jeder L\u00e4ufling mit einer Frage konfrontiert, die den Nicht-L\u00e4ufling offenbar sehr besch\u00e4ftigt. Meistens wird sie gestellt, wenn man schon ein wenig geplaudert hat. Sobald dem nicht laufenden Gespr\u00e4chspartner klar ist, dass er mit einem L\u00e4ufling redet, sp\u00fcren sensible Zeitgenossen, wie die Frage aller Seinsfragen des Nicht-L\u00e4uflings Auslass begehrend an seine Lippen klopft. Zun\u00e4chst scheint er sich noch zur\u00fcckzuhalten, doch das Unausweiliche ist unzur\u00fcckhaltbar.<\/p>\n
Dann ist sie da, die Frage.<\/p>\n
Wovor l\u00e4ufst du weg?<\/em><\/p>\n Tja.<\/p>\n Hierauf g\u00e4be es viele Antworten, sollte man meinen. Allerdings frage ich mich, ob sich \u00fcberhaupt etwas sinnvolles entgegnen l\u00e4sst.<\/p>\n Ich kleide die Standardreplik gerne in ein Experiment, indem ich mein Gegen\u00fcber bitte, mich zu begleiten: komm‘ mit, ich zeig’s dir<\/em>. Dann gehe ich. Irgendwo entlang, vollkommen egal, denn je nach Geduld meiner Begleitung h\u00f6re ich bald die Frage:<\/p>\n Wohin gehen wir eigentlich?<\/em><\/p>\n Darauf habe ich nur gewartet, um mir einen kleinen erb\u00e4rmlichen Triumph zu g\u00f6nnen. Siehste, du fragst nach einem Ziel! Man kann also nicht nur vor etwas weg, sondern vor allem auch auf etwas zu laufen.<\/em> Schmunzeln auf allen Seiten, nur – ist die Frage damit meiner Meinung nach nicht beantwortet, sondern zur\u00fcckgewiesen. Freilich k\u00f6nnte eine Antwort auch lauten Wovor ich weglaufe? Vor dem Start, den will ich hinter mir lassen.<\/em> Aber auch das trifft den Kern der Frage nicht, die auf die Beweggr\u00fcnde zielt. Wir brauchen uns, denke ich, nicht dar\u00fcber unterhalten, dass verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge gerne tun, und deshalb bisweilen Schwierigkeiten haben, die Begeisterung anderer nachzuvollziehen. Tanzen? Ich? Nie und nimmer! Weder zehn Pferde, noch sch\u00f6ne Damen werden es schaffen, dass ich jemals Freude an dieser Form der Aktivit\u00e4t empfinden k\u00f6nnte. Von letzteren k\u00f6nnte ich mich unter Umst\u00e4nden zur widerwilligen Teilnahme \u00fcberreden lassen. Naja, vielleicht auch nicht. Ob es mir gel\u00e4nge, meinen Unwillen soweit zu kaschieren, dass ich mich nicht unbeliebt mache? Das d\u00fcrfte die betreffende Dame entscheiden, nachdem ich sie vorgewarnt hatte….<\/p>\n Selbst unter systematisch trainierenden Sportlern bilden sich Lager heraus. Da schimpfen Kraftsportler \u00fcber jedwede Form des Ausdauertrainings (die Begr\u00fcndung geht meistens auf den Punkt, wonach Cardiotraining grunds\u00e4tzlich abzulehnen sei. Wie sch\u00f6n, wenn auch gut ausgebildete Trainer nicht zu einer differenzierten Betrachtung in der Lage sind), w\u00e4hrend Ausdauersportler in panischer Angst zu leben scheinen, Krafttraining w\u00fcrde pl\u00f6tzlich gigantische Muskelberge wachsen lassen (wie sch\u00f6n, wenn auch gut ausgebildete Trainer nicht zu einer differenzierten Betrachtung in der Lage sind).<\/p>\n Was also l\u00e4sst einen L\u00e4ufling laufen?<\/p>\n Der Blick auf die Oberfl\u00e4che greift mir zu kurz. Wir laufen weder vor etwas weg, noch auf ein Ziel hin – auch dann nicht, wenn wir am Ende eines Laufes ein Transparent mit der Aufschrift ZIEL <\/em>unterqueren. Weglaufen sicher nicht. Wie war das mit dem Eskapismus? Ist Wittgenstein davongelaufen, als er seinen Tractatus im Sch\u00fctzengraben schrieb? Wenn wir uns andererseits daran erinnern, dass unser Sport uns ausgeglichener werden l\u00e4sst, dass wir nach einer Laufrunde Stress und \u00c4rger abgebaut haben, k\u00f6nnte man eine Bewegung weg von schlechter Laune unterstellen. Oder hin zu guter Stimmung? Da haben wir wieder die beiden Seiten der Ausgangsfrage.<\/p>\n Warum laufen wir?<\/p>\n Vielleicht bringt uns ein Blick auf die Motivationstheorie weiter, die uns so h\u00fcbsche Begriffe wie basale Motive<\/em> liefert. Basale Motive, das sind Motive, die schon in fr\u00fchester Kindheit angelegt werden und \u00e4u\u00dferst stabil bleiben. Am bekanntesten d\u00fcrften die Motive Macht <\/em>– Anschluss <\/em>– Leistung <\/em>sein. Hilft uns das? Ein ausgepr\u00e4gtes Machtmotiv w\u00fcrde ich dem L\u00e4ufling nicht unterstellen, ich w\u00fcrde eher darauf tippen, dass wir sehr leistungsmotiviert sind. Uns geht’s gut, wenn wir laufen. Von mir aus lassen sich noch Anreiz- und Belohnungssysteme betrachten, wobei Mih\u00e1ly Cs\u00edkszentmih\u00e1lyi nicht fehlen darf, wenn wir \u00fcber Motivation reden.<\/p>\n Ich finde schon den Namen cool. Noch besser gef\u00e4llt mir seine Theorie des Flow-Erlebens<\/em>, das L\u00e4uflinge als Runner’s High kennen. Und warum geraten L\u00e4uflinge beim Laufen in den Flow-Zustand? Flucht k\u00f6nnen wir wohl ausschlie\u00dfen, schon alleine deshalb, weil wir dann von einer negativen Motivation ausgehen m\u00fcssten. In diesem Fall m\u00fcssten wir nach Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie <\/a> aus Hygienefaktoren und Motivatoren davon ausgehen, dass wir negatives vermeiden wollen, was nicht geeignet ist, unsere freudigen Gesichter, das Lachen – und unser Gl\u00fccksempfinden zu erkl\u00e4ren. Ich denke, also bin ich.<\/em><\/p>\n Immerhin, ich bin. Wenigstens etwas.<\/p>\n Ich denke, dass ich laufe, also bin ich auf der Flucht<\/em><\/p>\n Das, denke ich, k\u00f6nnen wir ausschlie\u00dfen.<\/p>\n Wir m\u00fcssen unsere Perspektive \u00e4ndern. Bislang haben wir die Endpunkte unserer Bewegung betrachtet, indem wir die Frage so aufgefasst hatten, als w\u00fcrden wir uns von etwas weg, oder auf etwas zu laufen. Und wir konnten in keinem dieser Endpunkte den Anlass f\u00fcr das Laufen so klar erkennen, dass wir h\u00e4tten sagen k\u00f6nnen: Genau, das ist es!<\/em> Wenden wir uns dem bisher \u00fcbersehenen Teil zu, n\u00e4mlich der Phase dazwischen, in der wir Flow-Zust\u00e4nde erleben k\u00f6nnen, w\u00e4hrend der k\u00f6rpereigene Belohnungssysteme aktiv sind, die ihrerseits mit basalen Motiven zu tun haben. Wenn es eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr das Warum?<\/em> gibt, d\u00fcrfte sie hier zu finden sein.<\/p>\n Wir laufen nicht vor etwas weg.<\/p>\n Wir laufen nicht auf etwas zu.<\/p>\n Wir laufen.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Fr\u00fcher oder sp\u00e4ter wird ein jeder L\u00e4ufling mit einer Frage konfrontiert, die den Nicht-L\u00e4ufling offenbar sehr besch\u00e4ftigt: wovor l\u00e4ufst du weg? Hierauf g\u00e4be es viele Antworten, sollte man meinen. 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\nBekanntlich k\u00f6nnen wir nicht in andere hineinsehen, vielleicht sind wir nicht einmal in der Lage, uns selbst zu durchschauen. Von Descartes kennen wir den Ausspruch:<\/p>\n