{"id":2761,"date":"2015-01-11T17:28:22","date_gmt":"2015-01-11T15:28:22","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=2761"},"modified":"2015-01-12T16:54:19","modified_gmt":"2015-01-12T14:54:19","slug":"schauerlauf","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/schauerlauf\/","title":{"rendered":"Schauerlauf"},"content":{"rendered":"

Dichter Nebel empf\u00e4ngt mich, als ich abends die Haust\u00fcr hinter mir schlie\u00dfe. Am Ortsrand n\u00e4here ich mich dem Wald, der d\u00fcster und schweigend auf mich wartet. Nach einigen Schritten wende ich den Blick zur\u00fcck: ein fahler Schimmer erinnert mich an Stra\u00dfenlampen, an erleuchtete Fenster als wollten diese schwachen Lichtpunkte mir das Versprechen von Geborgenheit geben.<\/p>\n

Es raschelt im Geb\u00fcsch neben mir.<\/p>\n

Ich zucke zusammen, meine Nackenhaare stellen sich auf.<\/p>\n

Es raschelt wieder.<\/p>\n

Es gibt eine Sache, die mich mehr erschreckt als ein Tier, welches im Geb\u00fcsch raschelt und wegl\u00e4uft: n\u00e4mlich ein Tier, welches im Geb\u00fcsch raschelt und nicht wegl\u00e4uft.
\nIch bin nicht langsamer geworden, und so entferne ich mich von Geraschel und mutma\u00dflichem Tier. Meine G\u00e4nsehaut wird mir wohl das Erscheinungsbild eines Igels gegeben haben. Eigentlich m\u00fcsste meine Laufjacke an unz\u00e4hligen Stellen von Stacheln durchbohrt sein, was sie, davon \u00fcberzeuge ich mich kurz, nicht ist.<\/p>\n

Weiterlaufen.<\/p>\n

Vor mir ist etwas Dunkles auf dem Weg. Irgendein Schatten. Was, wenn ich \u00fcber eine Leiche stolpere?
\nLicht w\u00e4re sch\u00f6n, mit Stirnlampe sehe ich noch weniger als ohne. Nebel, der mich blendet. Nat\u00fcrlich, sage ich mir, ist das nur ein harmloser Schatten, oder eine Pf\u00fctze.<\/p>\n

Und falls nicht?<\/p>\n

In meinem Kopf entsteht die Vorstellung, wie mein einer Fu\u00df an etwas weichem, schwerem h\u00e4ngenbleibt. Ich strauchele, drehe mich um. Als ich meine Leuchte einschalte und nach unten blicke, sehe ich einen leblos daliegenden Menschen.
\nIch wage nicht, ihn anzufassen. Mein Blick irrt hin und her, ich weiss nicht was ich tun soll. Kein Handy dabei, schnell zum Ort zur\u00fcck. Das ist mir lieber, als neben der Leiche auf das ersehnte Martinshorn zu warten.
\nWo eine Leiche liegt, deren leerer Blick mich noch lange verfolgen k\u00f6nnte, lungert ihr Totmacher vielleicht noch im Geb\u00fcsch. Vielleicht ist es besser, wenn ich das Licht auslasse. Er k\u00f6nnte mich sehen. Waren das Schritte hinter mir? Lieber schiebe ich die M\u00fctze hoch, um besser horchen zu k\u00f6nnen. Nein, keine Schritte. Nur Tropfen, die von den nassen B\u00e4umen auf meine Kapuze triefen.<\/p>\n

Und keine Leiche.<\/p>\n

Nur ein breitgefahrener Erdbrocken. <\/p>\n

Letzten Sommer lief ich auf einen Ast zu, der mich von weitem an einen Komodo-Waran erinnerte. Wenn es nun einer gewesen w\u00e4re? Vor Wildschweinen k\u00f6nnte ich mich auf einen Baum fl\u00fcchten – falls ich schnell genug bin. Vor einem Waran nicht, weil die Biester klettern k\u00f6nnen. Und wie ich gelesen habe, halten sie sich nicht weiter mit dem Jagen auf, sondern sie vertrauen auf den Bakteriencocktail in ihrem Speichel. Ein Biss gen\u00fcgt, um das Objekt der Begierde (in diesem Fall also ich) an einer Infektion zugrunde gehen zu lassen. Mit seinem ausgezeichneten Geruchssinn kann ein Waran gem\u00fctlich der Spur des dahinsiechenden Opfers (in diesem Fall also ich) bis zum Ort seines Ablebens folgen. Aas mundet Waranen sowieso besser als lebendiges Fleisch, zudem wehrt sich ein Kadaver (in diesem Fall also ich) nicht. Ich \u00fcberlege, ob ich es als angebissener L\u00e4ufling bis zu meiner Behausung schaffen w\u00fcrde. Dann nach \u00e4rztlicher Hilfe telefonieren, und der Waran guckt in die R\u00f6hre.<\/p>\n

Es war wirklich nur ein Ast.<\/p>\n

Jedes Mal, wenn ich daran vorbeilief.<\/p>\n

Der Wald ist finster, und immer noch herrscht dichter Nebel. Schaurig, ohne dass sich der Schauder begr\u00fcnden lie\u00dfe. Es ist dieses nicht Benennbare, das den Schrecken st\u00e4rkt, weil es die Vernunft ausschaltet. Ohne konkrete Dinge findet das Grauen im Kopf statt, der sich vorz\u00fcglich mit sich selbst besch\u00e4ftigt, und sich in die Angst hineinsteigert. Deshalb wirken B\u00fccher besser als Filme, weil jeder Leser seinen eigenen Schrecken erlebt. Tief aus dem Unterbewusstsein. Deshalb l\u00f6st der menschenleere Wald das unnennbare Grauen in meinem Kopf aus. Meine Angst speist sich selbst, sie l\u00e4hmt den Verstand, der Rettung bringen k\u00f6nnte. Entrinnen gibt es nicht. Sapere aude<\/em>, sagt Kant in anderem Zusammenhang: Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen<\/em>. Doch der Mut schwindet mit jedem Schritt.<\/p>\n

Ich drehe mich um.<\/p>\n

Nichts.<\/p>\n

Nat\u00fcrlich nicht. Kaum Ger\u00e4usche, der Nebel verschluckt die vertrauten Laute, die sonst ein wenig Halt geben.
\nMeine Nackenhaare stellen sich wieder auf. Ich sehe auf die Uhr: halb zehn. Wenigstens keine Gespenster, Geisterstunde ist erst ab zw\u00f6lf.<\/p>\n

Halt!<\/p>\n

In welcher Zeitzone?<\/p>\n

Woher wissen Geister, wie sp\u00e4t es ist? Interessieren sie sich, f\u00fcr Sommer- und Winterzeit? Plausibel scheint mir, dass sie sich den Zeitzonen anpassen. Damit d\u00fcrfte das gekl\u00e4rt sein.<\/p>\n

Puh.<\/p>\n

Was ist mit Vampiren?<\/p>\n

Ein Holzpflock durchs Herz soll helfen, ich frage mich nur, ob ein Vampir lange genug stillh\u00e4lt. Vielleicht sollte ich mir eine Armbrust beschaffen. Nein, zu sperrig. Eine Art Harpune vielleicht?
\nOder ein Kreuz. Rettet es auch Atheisten? Ich stelle mir au\u00dferdem vor, wie ich dem Vampir ein Kruzifix hinstrecke. Mit siegesgewissem Blick und fester Stimme sage ich zu ihm Vade Retro<\/em>, zuversichtlich, dass er winselnd davonrennt. Zu meinem Erstaunen l\u00e4chelt der Vampir Netter Versuch, aber das ist ein katholisches Kruzifix. Ich bin evangelisch.<\/em>, bevor er sich mir, besonders meinem Hals, mit aufgerissenem Rachen n\u00e4hert. In einer anderen Schreckensvision h\u00e4lt er mir mit sardonischem Grinsen entgegen Das Ding ist ja nichtmal geweiht, billiger China-Schrott. Sie haben am falschen Ende gespart.<\/em>, bevor er sich mir, besonders meinem Hals…<\/p>\n

Vampire sterben bei Sonnenaufgang. Wenn ich nun eine Lampe h\u00e4tte, die das Lichtspektrum der Sonne nachbildet, k\u00f6nnte ich einen allzu aufdringlichen Bei\u00dfer problemlos in einen Haufen Asche verwandeln. Ich muss mich unbedingt an einen Lampenhersteller wenden, die Welt braucht solche Lampen! Gerade in Rum\u00e4nien, der Heimat Draculas, sollten diese rei\u00dfenden Absatz finden! Vorl\u00e4ufig, bis die Produktion anl\u00e4uft, muss ich zu anderen Mitteln greifen.<\/p>\n

Also doch der Holzpfeil. <\/p>\n

Gegen Werw\u00f6lfe hilft der allerdings nicht, Holz l\u00e4sst sie v\u00f6llig unbeeindruckt, stattdessen muss es Silber sein. In fr\u00fcheren Zeiten wurden Silberkugeln verschossen. Witzbolde, soll ich mit Knarre herumlaufen? Erstens ist mir das zu schwer, zweitens schleppe ich schon die Harpune mit mir herum. Wegen der Vampire. Das bringt mich auf eine Idee. Gegen Vampire brauche ich Holz, gegen Werw\u00f6lfe Silber. Wenn ich die Harpune nun mit einem hybriden Geschoss ausr\u00fcste, das aus einem tragenden Stahlkern besteht, der \u00e4hnlich wie eine Bleistiftmine mit Holz umh\u00fcllt ist, bedarf es nur noch der Silberspitze, und weder Vampire noch Werw\u00f6lfe sind vor mir sicher. <\/p>\n

Anders herum nat\u00fcrlich, ich will schlie\u00dflich nicht auf die Jagd gehen.<\/p>\n

Meine Kontemplationen haben mich beruhigt, ich muss \u00fcber meine Lust am Schaudern l\u00e4cheln. Irgendwie macht es Spa\u00df, mit solchen Gedanken herumzuspielen, wenn die Situation schon dazu einl\u00e4dt. Oft genug diente dunkler, nebelverhangener Wald als Kulisse f\u00fcr grausige Geschichten. Eigentlich lebte und lebt eine ganze Branche davon, das Unnennbare mit den Umbewussten zu verkn\u00fcpfen, um Angstbilder heraufzubeschw\u00f6ren. Es muss ungenannt bleiben, denn der Verstand t\u00f6tet die Angst. Deshalb, das ist eigentlich ein simples Prinzip, muss man ihn ausgeschaltet lassen, damit die Phantasie der Psyche auf die Nerven gehen kann.<\/p>\n

Pl\u00f6tzlich knackst hinter mir ein Zweig.<\/p>\n

Ich renne.<\/p>\n

Hetze.<\/p>\n

Nackenhaare.<\/p>\n

Werde ruhiger.<\/p>\n

Verfalle in einen entspannten Trab.<\/p>\n

Der Wald lichtet sich, ich n\u00e4here mich der Geborgenheit des Ortes. Als mich eine gefrorene Pf\u00fctze beinahe zu Fall bringt, hat mich die Realit\u00e4t wieder.<\/p>\n

Schauerlauf. Sollte ich \u00f6fter tun – vielleicht mal zwischen zw\u00f6lf und eins?<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Dichter Nebel empf\u00e4ngt mich, als ich abends die Haust\u00fcr hinter mir schlie\u00dfe. Am Ortsrand n\u00e4here ich mich dem Wald, der d\u00fcster und schweigend auf mich wartet. Nach einigen Schritten wende ich den Blick zur\u00fcck: ein fahler Schimmer erinnert mich an Stra\u00dfenlampen, an erleuchtete Fenster als wollten diese schwachen Lichtpunkte mir das Versprechen von Geborgenheit geben.
\nEs raschelt im Geb\u00fcsch neben mir. <\/p>\n","protected":false},"author":22,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[240,241,239,237,238],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2761"}],"collection":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/22"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=2761"}],"version-history":[{"count":15,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2761\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":2777,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2761\/revisions\/2777"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=2761"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=2761"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=2761"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}