{"id":2638,"date":"2014-10-30T18:50:21","date_gmt":"2014-10-30T16:50:21","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=2638"},"modified":"2014-11-04T01:32:14","modified_gmt":"2014-11-03T23:32:14","slug":"cactus-rose-50","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/cactus-rose-50\/","title":{"rendered":"Cactus Rose 50"},"content":{"rendered":"

\"CactusRose_1\"<\/a>Texas Hill County. Es ist ein weites Land, man erwartet John Wayne, staubige Stra\u00dfen, grimmigen Blick und rauchende Colts. Die nahe gelegene Stadt Bandera nennt sich nicht umsonst Cowboy Capital of the World<\/em>.\"Bandera_1\"<\/a>
\nStatt stilecht mit in H\u00fcfth\u00f6he baumelndem Revolver anzutreten, hat sich die Wild Bunch der Traill\u00e4uflinge indes mit Trinkr\u00fccks\u00e4cken bewaffnet. Aus gutem Grund, denn der Gegner in diesem Duell ist die Hitze.<\/p>\n

Willkommen zum Cactus Rose Trail, der seit 2007 Ende Oktober in den Geschmacksrichtungen 50 und 100 Meilen, sowie als Staffel (4×25 Meilen) angeboten wird. Im Prinzip besteht der Kurs aus einer Runde von 25 Meilen, die, je nach zuvor geordertem Menu, zwei bis viermal gelaufen wird. Damit es nicht langweilig wird, haben sich die Organisatoren \u00fcberlegt, nach jeder Runde die Richtung zu wechseln.<\/p>\n

Alle 5 Meilen gibt’s dann ein Zelt mit Wasser und Eisw\u00fcrfeln – beim Cactus Rose ist Selbstverpflegung angesagt! Also haben wir, Francisco Moreno und ich, am Abend vorher unsere wohlgef\u00fcllten Dropbags an zwei Stationen deponiert. Und, wahrlich ich sage euch, es handelte sich um vortreffliche Bags, die in ihrem fr\u00fcheren Leben das Futter f\u00fcr Franciscos Hunde beinhaltet hatten. Meine spontane Begeisterung angesichts eines leichten, hinreichend gro\u00dfen und, vor allem, wasserdicht verschlie\u00dfbaren Beh\u00e4ltnisses hat ihn ebenso spontan \u00fcberzeugt. Also gab’s L\u00e4uflingsessen mit Hundemotiv.<\/p>\n

Ich hatte \u00fcbrigens vollkommen verpennt, mich zum Lauf anzumelden. Das muss mir erstmal einer nachmachen: Urlaubstermin auf den Lauf abstimmen und dann…
\nAber alles kein Problem, f\u00fcr die supernetten Organisatoren um Anne, Joyce und Joe sind Meldungen bis kurz vor dem Start kein Thema.<\/p>\n

Klar: T-Shirt gibt es f\u00fcr Nachmelder keins. Steht wie sonst auch auf der Anmeldung.<\/p>\n

Oder?<\/p>\n

Weit gefehlt!
\n
\"CactusRose_2\"<\/a>
\nAls ich um halb f\u00fcnf in der Fr\u00fche (also neunzig Minuten nach dem Aufstehen, eine halbe Stunde vor dem Start, und vier Stunden vor dem Aufwachen), meine Unterlagen abhole, fragt mich Joyce nach meiner Gr\u00f6\u00dfe: Du kriegst auch ein Shirt. Ich k\u00fcmmere mich darum, sobald der Shop ge\u00f6ffnet hat.<\/em>. <\/p>\n

Wow.<\/p>\n

Rundum sorglos und gl\u00fccklich<\/em> scheint das Motto der Organisatoren zu sein, Cactus Rose ist von Idealismus getragen. Was Wunder, dass etliche Wiederholungst\u00e4ter dabei sind.
\nTragen eigentlich Menschen wie Joe Prusaitis, Vater des Cactus Rose, einen heimlichen Sadismus mit sich herum? Liebevoll, zuvorkommend, nett bei allen Aspekten – bis auf die Streckenwahl. Da wird keine Gemeinheit ausgelassen, sondern alles integriert was geeignet ist, des L\u00e4uflings Leid zu vergr\u00f6\u00dfern. <\/p>\n

Aber wir wollen es ja so.<\/p>\n

Traill\u00e4uflinge sind heimliche Masochisten.<\/p>\n

Was w\u00e4re uns ein Ultratrail ohne die nachtr\u00e4gliche Gewissheit, \u00fcber uns hinausgewachsen zu sein? Schmerzen und k\u00f6rperliche Schw\u00e4chen kraft unseres Willens besiegt zu haben? Wollen wir heimkehren mit den Worten war eigentlich ganz locker<\/em>?<\/p>\n

Dann ist es vielleicht weniger Sadismus, sondern vielmehr die Furcht vor Beschwerden, die den Streckenplan bestimmt. Ich stelle mir die entt\u00e4uschten Gesichter vor, wenn ein b\u00f6ser H\u00fcgel ausgelassen w\u00fcrde. Hey, was soll der Unsinn uns auf der Schotterstra\u00dfe um diesen herrlich fiesen Hang herumzuf\u00fchren? Und einmal konnte ich \u00fcber fast zehn Minuten meine F\u00fc\u00dfe gerade aufsetzen!<\/em><\/p>\n

Also ist es Joe, der Besessene, der mit seinem Team daf\u00fcr Sorge tr\u00e4gt, dass uns alles geboten wird, um als glorreiche Halunken die Ziellinie zu \u00fcberschreiten.<\/p>\n

In der Tat: Traill\u00e4uflinge sind anders.<\/p>\n

Ist es nicht beschwerlich, beschweren sie sich.<\/p>\n

Also legt man ihnen Steine in den Weg, oder f\u00fchrt eben jenen dort entlang, wo bereits welche herumliegen. Und f\u00fcrwahr, unser Weg war ein steiniger. Single Trails. Rolling Stones<\/em>. Gro\u00dfe, kleine Steine. Mit rund dreihundert H\u00f6henmetern pro Runde recht flach, daf\u00fcr aber mit fiesen Steigungen (wie gesagt: Rolling Stones. Die sind besonders bei Dunkelheit nicht zu verachten.)<\/p>\n

\"CactusRose_6\"<\/a>Au\u00dferdem gibt es Sotols<\/em>.<\/p>\n

Bei Wikipedia nennt man sie Dasylirion wheeleri<\/a>, ich bleibe bei Sotol.<\/p>\n

Sie wachsen im Hill County zuhauf, sind wundersch\u00f6n anzusehen und haben lange Bl\u00e4tter mit Dornen. Wie es sich anf\u00fchlt, einen Tag lang hindurchzulaufen?
\nNun, es soll Menschen geben, die ihre Unterarme einritzen. Sotols tun dies an L\u00e4uflingsbeinen. Am Anfang des Rennens, wenn an den Unterschenkeln noch etwas Haut vorhanden ist, f\u00fchlt sich so ein Sotolstreicheln harmlos an. Sp\u00e4ter wird’s unsch\u00f6n.<\/p>\n

Kann man seinen K\u00f6rper dagegen abh\u00e4rten?<\/p>\n

Ich denke schon. T\u00e4gliches Training mit der Drahtb\u00fcrste sollte funktionieren.<\/p>\n

H\u00f6re ich jemanden „lange Hose“ sagen? Gute Idee, wenn der Lauf in, sagen wir: Gr\u00f6nland stattf\u00e4nde. Wir hatten rund 30\u00b0 im Schatten. Und praktisch keinen Schatten. Sp\u00e4testens ab 12 Uhr mittags brennt die Sonne erbarmungslos vom Himmel. Beim Gedanken an lange Beinkleider l\u00e4uft mir ein eiskalter Schauder den R\u00fccken herunter. Eiskalter Schauder? Sch\u00f6n w\u00e4r’s ja! Jetzt lerne ich die riesigen K\u00fchlboxen mit Eisw\u00fcrfeln zu sch\u00e4tzen: ein paar Schaufeln in die Trinkblase, Wasser dazu – und bis zur n\u00e4chsten Verpflegung vermag ich mich mit erfrischendem Eiswasser erquicken.
\nSalztabletten bilden bei allen einen wesentlichen Teil der Nahrungszufuhr, und im Gro\u00dfen und Ganzen komme ich recht gut mit der Hitze klar. <\/p>\n

Sp\u00e4ter, als die Sonne langsam untergeht, bin ich mit Jason Schwertner unterwegs. L\u00e4ngst sind wir ins Gehen \u00fcbergegangen, und halten bis zum Ziel einen Plausch. Einen, sagen wir, interessanten Moment erlebe ich bei einsetzender Dunkelheit. Es geht gerade noch ohne Stirnlampe, wir marschieren einen von Sotol ges\u00e4umten Pfad entlang. Die Zirpen grillen (oder zirpen die Grillen? Ich kann mich nicht mehr erinnern). Jason, der hinter mir geht, fragt:<\/p>\n

Du denkst an die Klapperschlangen, oder?!<\/em><\/p>\n

…\u00e4h…<\/p>\n

Klapperschlangen sind in dieser Gegend h\u00e4ufig zu sehen, ebenso Koyoten (deren Heulen am Morgen gut zu h\u00f6ren war).
\nKlapperschlangen, meine G\u00fcte. Als naiver Mitteleurop\u00e4er denkt man, t\u00f6dliche Tiere g\u00e4be es nur im Film.<\/p>\n

\"CactusRose_9\"<\/a>Sp\u00e4ter \u00fcberschreiten wir hochbegl\u00fcckt die Ziellinie. Vielmehr: ich hochbegl\u00fcckt, Jason leicht entt\u00e4uscht. Weshalb?
\nIch nutze die Gelegenheit, eine sympathische Besonderheit des Cactus Rose anzuschneiden. Wer f\u00fcr eine Handvoll Dollar zwei Runden (50 Meilen) meldet, kann sich f\u00fcr ein paar Dollar mehr spontan dazu entscheiden, zwei weitere Runden anzuh\u00e4ngen und kommt so in die Wertung f\u00fcr 100 Meilen. Umgekehrt findet sich der geneigte Abbrecher nicht in der offiziellen Finisherliste \u00fcber 50 Meilen wieder, sondern in einem Anhang dazu.<\/p>\n

Cactus Rose ist wie das Leben: hart.<\/p>\n

Und sehr, sehr sch\u00f6n.
\n