{"id":2091,"date":"2013-11-05T00:35:33","date_gmt":"2013-11-04T22:35:33","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=2091"},"modified":"2013-11-05T00:35:33","modified_gmt":"2013-11-04T22:35:33","slug":"scott-in-brecon-omm-2013","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/scott-in-brecon-omm-2013\/","title":{"rendered":"Scott in Brecon. OMM 2013"},"content":{"rendered":"

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Brecon Beacons, alias: sch\u00f6n!<\/figcaption><\/figure>Als Robert Scott im Jahre 1912 den S\u00fcdpol erreichte, wehte dort bereits die Fahne seines Rivalen Amundsen. Geschlagen im Rennen um den S\u00fcdpol machte er sich mit seinen Begleitern auf den R\u00fcckweg, wo sie den Tod fanden.
\n101 Jahre sp\u00e4ter: Noel und ich suchen in den walisischen Brecon Beacons nach einer Fahne. Frustriert machen wir uns auf den R\u00fcckweg…<\/p>\n

Ein Tag vorher: das OMM Event Center befindet sich in einem gro\u00dfen Schafstall (wo waren die Schafe eigentlich das Wochenende \u00fcber?), auf zwei gro\u00dfen Wiesen ist reichlich platz f\u00fcr Autos und Zelte.
\nDie Routiniers unter den Teilnehmern erkennen wir sofort an ihren Gummistiefeln. Denn Wiese plus Regen bedeutet nat\u00fcrlich: Matsch. Wie wir nach dem Lauf den Parkplatz verlassen w\u00fcrden, die L\u00f6sung dieses Problems vertagten wir auf den Moment, an dem es sich uns stellen w\u00fcrde. Woran wir gut taten, denn die flei\u00dfigen Helfer waren schnell dabei, Fahrplatten auszulegen. In der Tat, Briten pflegen ein inniges Verh\u00e4ltnis zu Schlamm!<\/p>\n

Nach einem leckeren Fr\u00fchst\u00fcck – Tee und Porridge, was sonst? – machten wir uns auf den Weg zum Start. Genau genommen durften wir zun\u00e4chst eine knappe dreiviertel Stunde zu einer Bushaltestelle laufen. Allein diese Strecke, \u00fcber Z\u00e4une, Trails und, wer h\u00e4tte es gedacht, rutschige Wiesen, w\u00fcrde sich andernorts als Wettkampf qualifizieren. Hatte ich mich noch gegr\u00e4mt, weil ich meine Gamaschen vergessen hatte, war dieser Gram nach wenigen Minuten verflogen. Pf\u00fctzen im Weg lie\u00dfen kaum eine Wahl, als die Fu\u00dfkleidung vorzun\u00e4ssen. Steinchen im Schuh? Bei den Wegen kein Thema. In der N\u00e4he der Bushaltestelle dann eine freudige \u00dcberraschung: Tee wartete auf uns! Schon fix und fertig mit Milch und Zucker.
\nVoller Vorfreude sa\u00dfen wir dann im Bus, dessen Scheiben angesichts der kollektiven Ausd\u00fcnstungen von rund sechzig regen- und schweissnassen L\u00e4ufern keine andere Wahl hatten, als in Rekordzeit zu beschlagen.<\/p>\n

Das Ritual beim Start verdient eine genauere W\u00fcrdigung. Der OMM kombiniert bekanntlich Ausdauersport mit Orientierungslauf. Mit Karte und Kompass. Was dazu f\u00fchrt, dass die Teams erstens im Minutenabstand auf den Weg geschickt werden, und man ihnen zweitens die Karte eben mit dem „GO!“ in die Hand dr\u00fcckt. H\u00e4nde vielmehr, denn jeder bekommt seine eigene Karte, auf der die anzunavigierenden Punkte markiert sind.
\nAlldieweil GPS und \u00e4hnliche Spielereien strikt verboten sind, bleibt die intellektuelle Herausforderung, jeden Kontrollpunkt mit besagter Karte und Kompass anzusteuern.<\/p>\n

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marschig. neblig.<\/figcaption><\/figure>
\n„Kriegen wir hin. Hauptsache, es ist kein Nebel!“<\/p>\n

Was aber erblickten unsere Augen, als wir den Kopf auf genau jenen H\u00fcgel richteten, auf oder hinter dem die erste Kontrolle lag? Nebel!<\/p>\n

Dessen ungeachtet gestaltete es sich gut machbar, den rechten Weg zu finden. Auf der H\u00f6he angekommen, mitten im Nebel (vielleicht war es auch eine tief h\u00e4ngende Wolke), regnete es, zudem pfiff ein kr\u00e4ftiger Wind, so dass wir froh um unsere Klamotten waren. Die Stimmung war prima – unsere, aber auch jene von Landschaft, Wetter und Weg. Es war eine stimmige Stimmung wie ich sie von Schauerromanen kenne. Regen, Nebel, sturmumtoste H\u00f6hen. Die Option, abzust\u00fcrzen hatten wir \u00fcbrigens auch. Heulende W\u00f6lfe h\u00e4tten eventuell noch gefehlt. Aber vielleicht habe ich zu sehr den Hund der Baskervilles im Ged\u00e4chtnis. Und der war in Dartmoor aktiv.<\/p>\n

Unsere erste Lektion lernten wir, nachdem wir einem anderen Team ein St\u00fcck ins Nichts gefolgt waren (wie gesagt: es war Nebel), in der irrigen Annahme, n\u00e4her an das erste Ziel zu kommen: Ein Bach, dort am \u00f6stlichen Ufer. Nach einer Stunde sinnlosen Umherstolperns sind wir zu genau jenem Punkt zur\u00fcckgelaufen, von dem aus unser Plan vorgesehen hatte, uns erst gen Osten, und dann am Bach entlang zu laufen. Zehn Minuten sp\u00e4ter waren wir da. „schlechter Wirkungsgrad“ w\u00fcrde der Techniker sagen.<\/p>\n

Die erste Lektion h\u00e4mmerten wir uns nochmal ins Hirn: bleibe bei deinem Plan, so lange er funktioniert.
\nNach der ersten Freude gaben wir uns dem Gef\u00fchl hin, der Knoten sei geplatzt.<\/p>\n

Ein tr\u00fcgerisches Gef\u00fchl, wie sich zeigen sollte.<\/p>\n

Auf dem Weg zum n\u00e4chsten Kontrollpunkt wurde das Wetter ausgesprochen bescheiden, was uns hoch begl\u00fcckte, denn so brauchten wir zuhause wenigstens nicht l\u00fcgen. Wie h\u00e4tte es denn ausgesehen, wenn unser Bericht von wenig heldenhaften zwanzig Grad und Sonnenschein gehandelt h\u00e4tte.<\/p>\n

Nein, lieber st\u00fcrmisch.
\nDramatische Rettung einer davongewehten Karte.<\/p>\n

Sie hatte sich beim lockeren Trab bergab von mir unbemerkt davongemacht, um unschuldig zwei Meter unterhalb des Weges am oberen Ende eines Abgrunds liegen zu bleiben. Wir spielten dann ein wenig Bergfilm: Noel \u00fcbernahm den Part „tu‘ es nicht“, w\u00e4hrend meine Wenigkeit als „ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“ das Leben der Karte rettete.<\/p>\n

Irgendwann kurz nach dieser Episode muss den Drehbuchautor die hollywood’sche Happy-End-Fixiertheit verlassen haben, obwohl das aufhellende Wetter sich von der freundlicheren Seite zeigte. Bei der guten Sicht, der Nebel hatte sich gelichtet, leicht zu finden, dachten wir, und bewegten uns \u00fcber das, was in Wales „babyheads“, also Babyk\u00f6pfe, hei\u00dft dem mutma\u00dflichen Suchgebiet zu.
\nBabyheads sind ganz im Gegensatz zur knuddelig-s\u00fc\u00dfen Assoziation Grasb\u00fcschel, zwischen denen entweder weicher Untergrund oder Wasser ist. Marschland. Kr\u00e4ftezehrend. <\/p>\n

Es folgten drei Stunden, in denen wir alles ausprobierten, was uns einfiel. Kreise, Spiralen, Rechtecke. Getrennt von einander uns zusammen. Nichts. Etliche Male vergewisserten wir uns, dass wir am richtigen Ende des richtigen Sees suchten.<\/p>\n

So schwer kann es doch nicht sein, ein St\u00fcck Stoff zu entdecken, welches etwa DIN A4 gro\u00df, und zudem noch diagonal rot-weiss gef\u00e4rbt ist!<\/p>\n

Offensichtlich schon.<\/p>\n

Dass kein anderes Team zu sehen war, gab uns auch nicht gerade Sicherheit.<\/p>\n

Nachdem es sich erst um den zweiten von insgesamt sieben Kontrollpunkten handelte, kamen wir schlie\u00dflich – es war drei Uhr nachmittags geworden – \u00fcberein, den R\u00fcckweg anzutreten.<\/p>\n

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Blick zum See der ewigen Schmach.<\/figcaption><\/figure>
\nGeschlagen verlie\u00dfen wir den „See der ewigen Schmach“, wie er fortan hei\u00dfen sollte.<\/p>\n

Passend zum R\u00fcckzug verschlechterte sich das Wetter, Sturm und Regen auf einem sehr exponierten Weg f\u00fchrten zum Ende einer Regenh\u00fclle. Noel, hatte sich im unpassenden Moment umgedreht, was das hinterh\u00e4ltige Ding sofort ausnutzte, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Eigentlich h\u00e4tte er sich ein Beispiel an mir nehmen k\u00f6nnen, um ihr heldenm\u00fctig hinterdrein zu hechten. Zugegeben, es war nicht weit von der Stelle entfernt, an der meine Karte entfleucht war, und es ging wirklich steil und tief.<\/p>\n

Jedenfalls hechtete er nicht.
\nWar mir, offen gestanden, auch lieber so. <\/p>\n

Beim R\u00fcckweg zum Start (Start, nicht Event Center, ich erinnere an die Busfahrt) kamen uns zuweilen Einheimische Spazierg\u00e4nger entgegen, von denen manche in kurzen Hosen unterwegs waren. Seither hege ich die Vermutung, Waliser seien die Spartaner der britischen Inseln.
\nIn Sparta setzte man angeblich Kinder in der Wildnis aus, auf dass sie ihre \u00dcberlebensf\u00e4higkeit beweisen sollten. Ich meine, in Wales gr\u00e4bt man die lieben Kleinen zur Abh\u00e4rtung im Sumpf ein. Babyheads, das sind keine Grasb\u00fcschel, sondern ein Kindergarten auf H\u00e4rtelehrgang!<\/p>\n

Vom Start zum Event Center zur\u00fcck f\u00fchrte nat\u00fcrlich kein direkter Weg, und so stapften wir mehr oder minder frohen Mutes erst einen Wanderweg, dann eine von Hecken ges\u00e4umte Landstra\u00dfe entlang. Keine Frage, dass es erst dunkel, und dann ausgesprochen ungem\u00fctlich wurde: Regen, Sturm,…ich wiederhole mich ohne schlechtes Gewissen, denn das Wetter tat es auch. Irgendwann, wir hatten unabh\u00e4ngig von einander schon erwogen, irgendwo das Zelt aufzuschlagen, reckte ich in einem Anflug von realit\u00e4tsverleugnendem Optimismus den Daumen einem Auto entgegen, welches tats\u00e4chlich anhielt.
\nEin unglaublich netter Mann erkl\u00e4rte mit Blick auf unsere nassen Klamotten, Ledersitze seien praktisch, weil abwischbar, um uns die letzten f\u00fcnf, sechs Meilen bis zu jener abgelegenen Farm zu transportieren, die das Event Center beherbergte. Super!<\/p>\n

Dort angekommen, streckten uns die Helfer sofort Tee und Suppe entgegen, die wir am Heizstrahler (!) aus zitternden H\u00e4nden zu uns nahmen. Der Heizstrahler bildete \u00fcbrigens den Mittelpunkt des l\u00e4uferischen Therapiekreises. Ein Stuhlkreis ohne St\u00fchle, in welchem die \u00fcblichen Gespr\u00e4che mit anderen abgebrochen habenden Teams stattfanden:<\/p>\n

„Und, wie war’s bei euch? Warum seid ihr raus?“<\/p>\n

„Willst du dr\u00fcber reden?“ „Ja, verflucht, wenn ich mich schon nicht im Erfolg sonnen kann!“<\/p>\n

\u00dcber die Nacht gibt es nicht viel zu berichten – wir freuten uns \u00fcber die Gelegenheit, das Zelt in der Scheune aufzustellen (drau\u00dfen st\u00fcrmte und goss es), obwohl wir viel darum gegeben h\u00e4tten, die st\u00fcrmische und regnerische Nacht wie geplant im wackligen, sturmumtosten Zelt auf einer nassen Wiese zu verbringen.
\nJa, ich reite auf dem beschissenen Wetter herum, weil ich es genau so liebe. OMM an der Cote d’Azur? Ohne mich!<\/p>\n

Was bleibt vom Tage?
\nIch will es wieder tun. Sofort.<\/p>\n

Aber sagt mir eines:
\nWo stand das verfluchte Schei\u00dfding, das wir nicht gefunden haben?<\/p>\n