{"id":1963,"date":"2013-09-10T13:07:54","date_gmt":"2013-09-10T11:07:54","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=1963"},"modified":"2013-09-11T11:03:35","modified_gmt":"2013-09-11T09:03:35","slug":"perspektivenwechsel","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/perspektivenwechsel\/","title":{"rendered":"Perspektivenwechsel"},"content":{"rendered":"

\"Nachts.<\/a>
Nachts.
Foto: G\u00fcnter Kromer<\/figcaption><\/figure>Am letzten Wochenende fanden in Karlsruhe die deutschen Meisterschaften im 24-Stundenlauf statt, organisiert von „meinem“ Verein, der LSG Karlsruhe. Wie ist so eine Veranstaltung wohl aus der Helferperspektive? Ich unternahm den Selbstversuch.<\/p>\n

Seit ich zunehmend Trails laufe, hat das Runden drehen \u00fcber vierundzwanzig Stunden seinen Reiz ziemlich verloren. Irgendwie ist er doch noch da, der Reiz.
\nWoran ich immer gerne denke, ist der \u00dcbergang in die Nacht. Wenn ich 24 gelaufen bin, war’s im Sommer, und dementsprechend heiss. Tags\u00fcber. Falls nicht gerade ein Gewitter herniederging. Je sp\u00e4ter der Tag, desto angenehmer wurden die Temperaturen, und wenn die Sonne in den wohlverdienten Feierabend entschwand, dunkelte es. Die sch\u00f6nsten Stunden begannen. Das waren jene, in denen es an der Strecke ruhiger wurde. Betreuer sa\u00dfen in Campingst\u00fchlen, in warme Decken und Schlafs\u00e4cke geh\u00fcllt.<\/p>\n

Als L\u00e4ufling hat man es ja leicht, wach zu bleiben. Oder wenigstens so zu tun, als ob.
\nEin, zwei Stunden sp\u00e4ter waren nur noch wenige Helfer zu sehen.
\nDiese friedvolle Atmosph\u00e4re hatte es mir angetan. Irgendwann, schwor ich mir oft, will ich mich dieser Stimmung hingeben k\u00f6nnen.<\/p>\n

Wie gesagt, am letzten Wochenende war die perfekte Gelegenheit dazu. Beinahe perfekt, weil just an diesen beiden Tagen die Jahrestagung nebst Symposium der Gesellschaft f\u00fcr Kreativit\u00e4t<\/a> stattfand, an dem ich unbedingt teilnehmen wollte. F\u00fcr Sonntag nachmittag stand ein Krankenbesuch auf dem Programm. Egal, Hauptsache, die Nacht geh\u00f6rte mir.<\/p>\n

Als Streckenposten hatte ich einen wunderbaren Blick auf das Geschehen. Campingstuhl inklusive, achtete ich darauf, dass kein Radfahrer allzu unvorsichtig die Kreise der L\u00e4uflinge st\u00f6rte. Wohlgemerkt, es war die Nacht von Samstag auf Sonntag im Karlsruher Unigel\u00e4nde, anders formuliert: nichts los. Nur die L\u00e4uflinge.
\nDabei hatte ich mir schon einen mahnenden Spruch zurechtgelegt, der des akademischen Rahmens w\u00fcrdig sein sollte: „St\u00f6re ihre Kreise nicht!“ wollte ich jedem Radler entgegenrufen, der sich anschickte, wild auf der Laufstrecke herumzuradeln. Kam nur keiner. Vielleicht war es besser so, denn historisch gesehen h\u00e4tte solcherlei Ruf leicht mit meinem
gewaltsamen Ableben<\/a> enden k\u00f6nnen.<\/p>\n

So genoss ich das D\u00e9fil\u00e9 der L\u00e4uflinge. Hier ein L\u00e4cheln, dort ein kleiner Scherz, da eine Aufmunterung. In der m\u00fcden Phase, ab vielleich zwei, drei Uhr, wurde es sehr ruhig. Sehr m\u00fcde. Mutter Natur hatte eine erfrischende Dusche in Form eines Gewitters vorbereitet; unter Baum, Schirm und Poncho lie\u00df sich der Regenguss leicht ertragen. Vollkommen unbeeindruckt auch die aktiven Teilnehmer, die unverzagt weiter liefen. Ich kann das gut verstehen, bekanntlich gibt es kein schlechtes Wetter. W\u00e4re ich lieber gelaufen? W\u00fcrde ich im Regen lieber laufen, oder w\u00e4re Immobilit\u00e4t vorzuziehen? Eine gute, Frage, die ich mir noch nicht beantworten kann. Wahrscheinlich h\u00e4ngt es an der Situation, and der inneren Haltung. Ich muss weiter gr\u00fcbeln.<\/p>\n

Als es dann tagte, bemerkte ich einen Anflug von Lust, trotz aller Trailverliebtheit doch mal wieder einen 24er zu laufen. Erstaunlich, ich bin gespannt, wie lange das anh\u00e4lt.<\/p>\n

Richtig sch\u00f6n – aus der Perspektive eines Umstehenden – wurde die letzte Stunde des Rennens. Wo zuvor, besonders mit beginnendem Tageslicht noch kommunikative Menschen um die Ecke bogen, blickte ich in leere Blicke. H\u00fcllen menschlicher Existenz, reduziert auf die biologischen Grundfunktionen: Atmen, Essen, Laufen.<\/p>\n

„Laufen“ sollte hier als Metapher verstanden werden.
\nWar das, was man an Laufstilen geboten bekam, zuvor schon von einer bizarren Vielfalt, die jeden Laufcoach schluchzend und mit Schaum vor dem Mund zu Boden sinken lie\u00dfe, bot sich nunmehr ein grausiges Bild.
\nEine Geisterbahn zog vorbei.
\nF\u00fcr den n\u00e4chsten Zombie-Film gen\u00fcgte es, eine Kamera an den Rand zu stellen, und einfach laufen zu lassen.<\/p>\n

Das \u00e4nderte sich in der letzten Viertelstunde vor Schluss schlagartig. Als h\u00e4tte man den Geist hinter den Gesichtern der L\u00e4uflinge wieder eingeschaltet, strahlten die ausgemergelten Gesichter, funkelten uns gl\u00fcckliche Augen an.
\nSie liefen, gingen, humpelten nicht, sie wurden von Euphorie getragen. Selbst an den langsamsten Schlurfern, die sich auf den Resten dessen, was nur einen Tag zuvor noch F\u00fc\u00dfe gewesen waren, dahinschleppten, konnte ich den einen oder anderen euphorischen H\u00fcpfer beobachten. Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet.<\/p>\n

Als der Schluss-Schuss erklang, wiederholt und verst\u00e4rkt durch Druckluft-Tr\u00f6ten, hatte in allen Antlitzen ein Ausdruck unbeschreiblichen Gl\u00fcckes jegliche Mattheit verdr\u00e4ngt.
\nK\u00f6rper waren wieder zu Menschen geworden. Menschen auf Zeit, denn sp\u00e4ter schlugen Anstrengung und Schlafentzug wieder zu.
\nBis dahin gab es nur Sieger, stolz und gl\u00fccklich.<\/p>\n

Und die Helfer? M\u00fcde, gl\u00fccklich und im Geiste schon beim Aufr\u00e4umen.
\nEin aufmerksamer Beobachter h\u00e4tte den wohl interessantesten Anblick am Montag gehabt:
\nMehrere Menschen hockten um einen M\u00fcllhaufen herum. Aufgerissene S\u00e4cke hatten ihn auf die Wiese erbrochen, auf dem tags zuvor noch das Verpflegungszelt gestanden hatte. Sie w\u00fchlten im Haufen, um ihn nach Bechern und anderen Gegenst\u00e4nden zu sortieren. Verklebt mit Speiseresten wie Gel oder Suppe. Kalte Widerw\u00e4rtigkeiten, die vom Sportler \u00fcbrig gelassen, verschm\u00e4ht, verbraucht und verworfen worden waren.<\/p>\n

Ein Bild, das sonst nur von Reportagen aus Slums in der dritten Welt gel\u00e4ufig ist.
\nEin Bild, das, h\u00e4tte man es aufgenommen, zweifellos im Wahlkampf ausgeschlachtet worden w\u00e4re: „Verarmte Akademiker unterst\u00fctzen. Pfandflaschenquote im Hausm\u00fcll! Jetzt!“<\/p>\n

Aber keine Sorge, es waren nur die Reste. Die der Veranstaltung. Und von uns.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Am letzten Wochenende fanden in Karlsruhe die deutschen Meisterschaften im 24-Stundenlauf statt, organisiert von „meinem“ Verein, der LSG Karlsruhe. Wie ist so eine Veranstaltung wohl aus der Helferperspektive? Ich unternahm den Selbstversuch.<\/p>\n","protected":false},"author":22,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[152,151,153,154],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/1963"}],"collection":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/22"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=1963"}],"version-history":[{"count":10,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/1963\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":1975,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/1963\/revisions\/1975"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=1963"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=1963"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/das-lauferei.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=1963"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}