{"id":1756,"date":"2013-08-04T22:01:00","date_gmt":"2013-08-04T20:01:00","guid":{"rendered":"http:\/\/das-lauferei.de\/?p=1756"},"modified":"2013-08-04T22:01:00","modified_gmt":"2013-08-04T20:01:00","slug":"papalagi","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/das-lauferei.de\/papalagi\/","title":{"rendered":"Papalagi"},"content":{"rendered":"

Als der H\u00e4uptling Tuiavii Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Europa bereiste, wunderte er sich \u00fcber eigenartige Verhaltensweisen der Einheimischen. Warum in aller Welt sollte man seine Wohnung abschlie\u00dfen? Und dieses st\u00e4ndige Hetzen nach Besitz von rundem Metall und bedrucktem Papier – Geld – schien ihm gleicherma\u00dfen absurd wie sch\u00e4dlich. Au\u00dferdem seien alle von der Krankheit des Denkens befallen.
\nWas w\u00fcrde Tuiavii wohl sagen, wenn er uns heute Sport treiben s\u00e4he?<\/p>\n

Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war Europa von Polynesien mindestens so weit entfernt wie Polynesien von Europa.
\nOder war es umgekehrt?
\nR\u00e4umlich sowieso, aber es sind gerade die kulturellen Unterschiede, die Tuiavii dazu bewogen, seine Mitmenschen in elf kleinen Reden \u00fcber das zu informieren, was dem Europ\u00e4er damals wie heute selbstverst\u00e4ndlich ist. <\/p>\n

\u00dcber Zeitschriften berichtet Tuiavii zum Beispiel: In diesen Papieren liegt die gro\u00dfe Klugheit des Papalagi. Er muss jeden Morgen und Abend seinen Kopf zwischen sie halten, um ihn neu zu f\u00fcllen und ihn satt zu machen, damit er besser denkt und viel in sich hat; wie das Pferd auch besser l\u00e4uft, wenn es viele Bananen gefressen hat und sein Leib ordentlich voll ist.<\/em><\/p>\n

Was w\u00fcrde Tuiavii wohl denken, k\u00e4me er heute in eine europ\u00e4ische Stadt, um sich das Leben hier anzusehen? Vor allem: wie w\u00fcrde er unsere Sportkultur bewerten?<\/p>\n

Bilder aus fernen L\u00e4ndern – Polynesien – zeigen meist gut tr\u00e4nierte K\u00f6rper; Muskeln in einer Definiertheit, wie sie im Buche steht. Wo dem Betrachter das Talent zum Neid fehlt, blickt er voll Anerkennung auf Leiber, die das darstellen, was sich der Sport treibende westeurop\u00e4ische Mensch von seiner pers\u00f6nlichen Ert\u00fcchtigung erhofft.
\n„Hier“, scheinen die Bilder zu rufen, „hier kannst du sehen, wohin du gelangt sein wirst, wenn du dort ankommst, wo du hinwillst!“<\/p>\n

Der Betrachter folgert messerscharf: die Leute sind fit. Sie sind es, weil ihr Lebenswandel sie dazu macht.
\n„Seht ihr“, spr\u00e4che Tuiavii, „wir rudern unerm\u00fcdlich in unseren Booten, verlassen uns nicht auf den Gott der Motorisierung. Wir erklettern die Palme, um eine Kokosnuss zu essen, und bauen unsere H\u00fctten aus dem, was wir dem Walde entnehmen. Der Papalagi kennt die Kokosmilch nur von N\u00fcssen aus Metall, die er in eigenen H\u00fctten gegen buntes Papier eintauscht“<\/p>\n

N\u00fcsse aus Metall – Dosen – gewiss, ob die wirklich das enthalten, was unser freundlicher H\u00e4uptling als Kokosmilch kennt? Wenn der w\u00fcsste, was auch wir lieber nicht wissen wollen….
\n….<\/p>\n

Tuiavii w\u00fcrde die blassen, fetten Leiber hierzulande in Zusammenhang mit dem bewegungsarmen Leben der meisten Leute hier bringen.
\nDas w\u00fcrde ihn weder \u00fcberraschen, noch irritieren.<\/p>\n

Er w\u00fcrde dem Bem\u00fchen um Ausgleich seinen Respekt zollen, jedenfalls behaupte ich das. „Das, was der Papalagi seinen Beruf nennt, zwingt ihn oft, seinen Leib tagein, tagaus auf einem Fleck sitzen zu lassen. Er versucht, den Verfall abzuwenden, indem er rituelle Bewegungen verschiedenster Art ausf\u00fchrt. Der Papalagi sagt dazu, er treibe Sport.“<\/p>\n

Soweit w\u00fcrde Tuiavii unsere Art, Sport zu treiben gutieren. Er w\u00fcrde jedoch \u00e4u\u00dferst konsterniert zu Kenntnis nehmen, dass Menschen bei herrlichstem Wetter im geschlossenen Raum – er w\u00fcrde von H\u00fctten reden – tr\u00e4nieren. Eingeschlossen, statt drau\u00dfen an der frischen Luft zu sein.<\/p>\n

Noch mehr w\u00fcrde er sich \u00fcber unnat\u00fcrlich erscheindende Maschinen wundern. Sie ersetzen einen gro\u00dfen Teil des Leibes, damit ein anderer, kleiner Teil gekr\u00e4ftigt werde. Wozu alles andere fixieren, damit nur der Bizeps benutzt werde?
\nEs erschiene ihm widersinnig, einem funktionsf\u00e4higen K\u00f6rper so viel Unterst\u00fctzung zu geben, wo doch ein gesunder Mensch ohne Weiteres in der Lage ist, ein Gewicht zu bewegen.
\nW\u00fcrde er verstehen, weshalb viele von uns „gef\u00fchrte Bewegungen“ bevorzugen, an Maschinen tr\u00e4nieren, obgleich unseren K\u00f6rpern diese Form der Hilfe gerade dann, wenn wir die m\u00fchsam antr\u00e4nierte Kraft nutzen wollen, nicht zur Verf\u00fcgung steht?<\/p>\n

Klimmzugstangen lie\u00dfen ihn fragen „Die Welt des Papalagi hat mehr B\u00e4ume, als wir Sandk\u00f6rner am Ufer, und doch baut er sich k\u00fcnstliche \u00c4ste in seine H\u00fctte, an denen er sich hinaufzieht. Hat der Papalagi denn vergessen, dass ein Baum \u00c4ste hat?“<\/p>\n

Ich glaube, Tuiavii w\u00e4re ein Freund von „Functional Fitness“. Er w\u00fcrde erfreut zusehen, wie mancher mit freien Gewichten arbeitet. All das w\u00fcrde ihn an Vernunft im Europ\u00e4er glauben lassen.<\/p>\n

Eine Sache allerdings bliebe ungekl\u00e4rt.
\nDrau\u00dfen ist wunderbares Wetter, sagen wir: dreiundzwanzig Grad und Sonne. Durch die gro\u00dfe Scheibe eines Fitness-Clubs sieht H\u00e4uptling Tuiavii, wie Menschen auf Laufb\u00e4ndern vor sich hin traben.
\nEr w\u00fcrde es nicht nur nicht verstehen, er w\u00fcrde es nicht bemerken, weil sein Gehirn solch wunderliches Bild nicht verarbeiten k\u00f6nnte.
\nDa geht es ihm wie mir.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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