Will ich? Vom Wollen, Wünschen und „wäre ganz nett“.

Allem Anschein nach wollen wir viel: Abnehmen zum Beispiel oder einen Marathon laufen. Vielleicht auch Kinder, einen Auftrag an Land ziehen, gesünder leben oder uns ganz profan mit jemandem auf einen Kaffee treffen. Vom Rauchen aufhören will ich gar nicht erst anfangen. Fassen wir dann jeden dieser und anderer Gedanken als erklärten Willen auf und vergleichen mit dem, was wir davon umgesetzt haben, ist die so erhaltene Bilanz eine ernüchternde.

Wie kommt‘s?

Ich befasse mich in diesem Artikel nicht mit Fragen von Zielsetzung und Zielbindung, auch Motivationslehren bleiben außen vor. Stattdessen lade ich euch ein, mir beim Sinnieren über das, was jeder von uns meinen könnte, wenn er vom „Wollen“ spricht, und welche Folgerung wir daraus ziehen können, über die Schulter zu schauen. Übrigens bleibt auch die Frage unbetrachtet, ob und wie frei unser Wille ist. Dies würde den Rahmen sowohl dieses Beitrages als auch meines Wissens sprengen.

Ich erinnere zum Einstieg an den schönen Ausspruch.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Spitzfindigkeiten in der Art von „Ach, ich will fliegen“ oder „ich will unsterblich sein, den Nobelpreis und gleichzeitig übermorgen virtuos Geige spielen“ und schon ist klar, dass sich nach ausreichend langer Suche ein Weg finden ließe, vergessen wir ganz schnell. Es sollte schon klar sein, wie das Obige gemeint ist.

Die Pointe ist, soviel verrate ich jetzt schon, das, was wir unter dem Begriff Wille verstehen. Ich ziehe ihn hier bewusst eng.

Na klar, sehr gerne!

Wir richten unseren Blick zunächst nach außen, wo es um uns selbst und andere geht. Wir alle kennen das: Menschen, mit denen wir uns gut genug verstehen, so dass man gemeinsame Aktivitäten erwägt.

Hast du Lust, mal ins Kino zu gehen?

Wir können zusammen ins Schwimmbad.

Wie wär‘s mit gemeinsam Kochen?

Das gibt es in varierender Konkretheit (also mit festem Termin oder eher vage im Sinne von „wir könnten ja mal“) und Themenvielfalt. Jeder der Beteiligten freut sich – doch es klappt nicht.

Wir dürfen unterstellen, dass das gehörte „Klar, sehr gerne“ zum Zeitpunkt des „Hey, willst du mich auf einer Fahrradtour begleiten“ ernst gemeint ist. Wenn dann auch nach mehrmaligem Nachfragen oder etlichen Ansätzen auf beiden Seiten nichts passiert, steigt dennoch – oder vielleicht sogar genau deswegen – die Frustration.

Nun wissen wir, dass jedem Menschen an jedem Tag vierundzwanzig Stunden zur Verfügung stehen, weshalb uns nur die Schlussfolgerung bleibt, dass wir in der Prioritätenliste des Gegenüber nicht dort stehen, wo wir stehen müssten, damit ein solcher Termin zustande kommt.

Wir müssen jedoch keineswegs den Stab über den Bösewicht brechen, der uns hinterhältig leere Versprechungen macht, ganz sicher nicht. Im Gegenteil sollten wir uns fragen, wann (nicht ob, sondern wann!) wir es genauso machen.

Der Wille eines Menschen zeigt sich in seinem Handeln.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Es wird – für uns – kein Weg gefunden

Also ist kein Wille da.

Wer sich für einfache Aussagenlogik interessiert, der findet diesen Schluss unter dem Namen modus tollens. Einfach erklärt, besagt er, dass es bei einer Implikation (das ist der erste Satz „wenn a, dann b“) nienicht vorkommen kann, dass die Konklusion (der zweite Teil, also b) nicht eintritt, obwohl die Prämisse (der erste Teil – a – erfüllt ist).

Zurück zum Thema und dazu, was das für uns bedeutet. Wir müssen eine bittere Pille schlucken, welche da heißt: Der Wille fehlt.

Diese Pille klemmen wir uns jetzt unter den Arm, um mit ihr die Perspektive zu wechseln. Nachdem wir bis hierhin den Blick nach außen, auf das Verhalten anderer gerichtet haben, wenden wir uns nun uns selbst zu.

Ich will

Reflexion kann ein Arschloch sein, denn wir können nicht mit dem Finger auf einen anderen Menschen zeigen. Der Andere, das sind wir selbst.

Wie gesagt, hat jeder von uns an jedem Tag vierundzwanzig Stunden zur freien Verfügung. Haltet euren Protest „Neiin, da muss dies und jenes, außerdem muss ich das und soll außerdem!“ kurz zurück, hier liegt nämlich der Knackpunkt verborgen. Hier und in den Entscheidungen, die wir treffen, um aus allen Möglichkeiten eine Auswahl – Priorisierung! – zu treffen. Damit die Geschichte nicht zu komplex wird (zu komplex für mich, sonst müsste ich viel mehr denken, noch mehr schreiben und ich bin nunmal eine faule Sau), treffe ich ein paar Annahmen:

Es zählen nur Entscheidungen, die ich selbst treffen kann. Für die Kinderfrage braucht es einen Partner / eine Partnerin, die erstens vorhanden sein und zweitens zustimmen muss.

Und wir nehmen uns binäre Entscheidungen, also solche, bei denen es um ja oder nein, Hopp oder Topp geht. Wobei ich gdleich noch darauf komme, dass sich die meisten der Entscheidungen, um die es hier geht, auf binäre Entscheidungen zurückführen lassen.

Vierundzwanzig Stunden.

An jedem Tag.

Ich will – will ich wirklich? – einen Marathon laufen. Das heißt, ich muss dafür trainieren, und eine jede Trainingseinheit bringt mich in eine Entscheidungssituation: Training steht für den Abend auf dem Programm. Dann ruft ein Kunde an, der Nachbar steht an der Tür, es hat fünfunddreißig Grad draußen und das Kind schreit.

Wofür entscheide ich mich?

Das ist eine Frage der Priorisierung. Es geht nur eine Aktivität, und weil unsere Zeit begrenzt ist, müssen wir auswählen. Wie wichtig ist mir das Training im Vergleich zum Kind, zum Plausch mit dem Nachbarn und meinem eigenen inneren Schweinehund?

Steht das achtjährige Kind, soeben mit dem Fahrrad gestürzt, aus der Nase blutend und mit gebrochenem Arm weinend herum, werden nur besonders „willensstarke“ Menschen sagen: „Du weißt doch, dass heute mein langer Lauf auf dem Trainingsplan steht. Die Kurzwahl des ärztlichen Notdienstes kennst du, ich bin in zwei Stunden wieder da.“. Schließlich kann man den Bälgern nicht früh genug zeigen, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist. Und überhaupt, irgendwoher – ich betone rein gendermäßig gilt das für alle! – müssen die lederzähen kruppstahlharten Leute schließlich kommen.

Wobei ich da jemanden kenne, der ich zutraue, dass sie sich die Wartezeit auf das Erscheinen des Arztes durch Liegestütze verkürzt. Mit Armbruch, wohlgemerkt.

Eine Entscheidung muss getroffen werden, und sie ist binär, denn die Entscheidung für eine dieser Alternativen ist zugleich eine Entscheidung gegen alle anderen. Daraus ergeben sich zwei Forderungen an uns (konkret natürlich auch an mich selbst): Ich mache mir diesen Zusammenhang bewusst und ich lerne, Nein zu sagen.

Der strategische Fokus, Ja und unser Wille

Was ich unter dem strategischen Fokus verstehe, ist schnell erklärt. Er ist das, was ich sehen will wenn ich mir vorstelle, wenn ich „im Alter“ zurückblicke. Im Grunde genommen ein längerfristiges Ziel. Will ich mit einem Menschen alt werden, kann ich über Macken hinwegsehen, aktuelle Probleme lösen. Will ich das gemacht haben, was man gemeinhin unter „Karriere“ versteht, ist eine andere Priorisierung gefordert als dann, wenn ich mich als Familienmensch verstehe. Ihr habt’s gemerkt: Es handelt sich um kleine Verweise auf die Liste weiter oben. Doof, dass es auch da zu Zielkonflikten kommen kann, die ihrerseits Entscheidungen bedingen. Aber ich will es mir schließlich einfach machen.

Die Sache mit dem Ja geht beinahe ebenso flott von der Hand. Dazu führe ich mir vor Augen, dass ich, wenn ich mich für eine Sache entscheide, gegen alle anderen entscheide – im konkreten Fall zum Beispiel für das schreiende Kind und gegen die lange geplante Verabredung. Ich kann nur dann wirklich Ja sagen, wenn ich auch Nein sagen kann. Sonst wird mein Ja auch mir selbst gegenüber halbherzig, ich bei Dingen zu, auf die ich eigentlich keine Lust habe. Das ist nicht nur dem anderen, vor allem aber mir selbst gegenüber unaufrichtig.

Ich hole an dieser Stelle weiter aus: Auch beim Ja für eine Alternative müssen wir für uns das Nein sehen, damit wir uns selbst gegenüber klar sind.

Ich will abnehmen.

Will ich es wirklich? Bin ich bereit, die Umstellung meiner Gewohnheiten aktiv zu gestalten, dauerhaft anders zu leben als bisher?

Ich will Sport treiben.

Will ich es wirklich? Bin ich bereit, die Umstellung meiner Gewohnheiten aktiv zu gestalten, dauerhaft anders zu leben als bisher?

Nicht wundern, der jeweils zweite Absatz ist in beiden Fällen identisch. Und in jedem dieser Fälle müssen wir das Nein für uns sehen, wir müssen in der Auseinandersetzung mit uns selbst sehen können, dass wir uns möglicherweise ohne Sport wohler fühlen. Dass wir keine Lust auf Abnehmen, wohl aber auf weiterhin Rauchen haben. Wenn dieser Schritt getan, und der strategische Fokus im Kopf ist, ist unser Ja, nach draußen zum Lauftraining zu gehen, ein aufrichtiges. Denn dann haben wir, auf der gemütlichen Couch liegend, erwogen, bewusst nicht zu trainieren und dieses Nein zugunsten eines Ja verworfen.

Das, was ich einschränkend unter dem Willen verstehe, ist eben einer, der mit einem echten, also bewusst getroffenen, Ja verknüpft ist. Dann – und nur dann – kann ich für mich beanspruchen, dieses zu sagen:

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Ich will

Ich gehe den Weg.

Der ist für angehende Marathonis übrigens 42,195 Kilometer weit.

2 Gedanken zu „Will ich? Vom Wollen, Wünschen und „wäre ganz nett“.“

  1. Caro Haraldo,

    puh, worüber du dir Gedanken machst, das ist wohl deinem derzeitigen Lernstatus zu verdanken, ist mir -ehrlich gesagt – ein wenig kompliziert – um die Ecke denkend – oder vielleicht liegt es an mir, weil ich deine Ergüsse nicht verstehen WILL ???

    Nein, ich weiß nur eins: Wenn ich etwas WILL, richtig WILL, dann setze ich es auch durch, auch wenn mir zwischendurch ein paar Stein(chen) in den Weg gelegt werden, schließlich lebt man ja nicht allein, wie du auch in deinen Gedanken durchblicken lässt. Aber wenn ich z.B. bei der Trauung sage: ICH WILL, dann hatte ich mir zumindest vorher ein Bild darüber gemacht, zu wem ich ICH WILL sage – und damit von Anfang an gewusst und selbstredend auch gehofft, dass ich meinen Willen weiterhin immer dann durchsetzen kann, wenn mir danach ist. Und genau das ist bei mir eingetroffen, könnte nicht besser sein.

    Abgesehen davon wäre nicht nur mein Läuferleben ganz anders ausgegangen, sondern mein komplettes Dasein in eine komplett andere Richtung gefahren, wenn ich meinen Willen nicht immer hätte in die Tat umsetzen können.

    Puh !! Ich wollte das in meine Worte fassen – und hoffe, dass es mir auch gelungen ist.

    In diesem Sinne, ich will jetzt mit Spanisch weitermachen – Tag um Tag – Streak 199 Tage, ich will weitermachen – YES !!

    1. Caro Margitta,

      du könntest mit deiner Vermutung richtig liegen. Der Lernstatus beeinflusst mein Denken – anders wäre auch ungewöhnlich, finde ich.

      Mir geht es um den Willen, bzw. verschiedene Auffassungen davon, und darum, was daraus für ein Ja bzw. Nein folgt. Meine Behauptung wäre, dass das Nein für ein aufrichtiges Ja mitgedacht werden muss.
      Du hast dich vielleicht auch schon dabei „ertappt“, wie du zu etwas Ja gesagt hast, obwohl du eigentlich lieber hättest ablehnen wollen.

      Herzlichen Glückwunsch zu Streak, ich finde es super, dass du Spanisch lernst!

      Ciao,
      Harald

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